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Fragestellung und Methode

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Die vorliegende Biographie Walther Rauffs widmet sich vorrangig Fragestellungen in zwei Bereichen. Zum einen gilt es zu untersuchen, welche Motive und Faktoren ihn dazu trieben, ein berüchtigter Täter des Holocaust zu werden. Was brachte den Marineoffizier dazu, sich Himmlers verbrecherischer SS zu verschreiben? Handelte Rauff aus vorrangig ideologischen Motiven oder doch eher pragmatisch, weil er sich etwa im Dritten Reich bei der SS eine aussichtsreichere Karriere versprach? War Rauff ein weltanschaulich gefestigter Überzeugungs- und Initiativtäter oder eher ein opportunistischer Befehlsempfänger? Zum anderen bietet eine Biographie über Rauff die Chance, dem Nachleben eines NS-Verbrechers im Anschluss an den Zusammenbruch des Dritten Reiches nachzugehen. Anders als viele andere Täter lebte er im Exil noch annähernd vier Jahrzehnte. Damit lässt sich analysieren, wie Rauff mit seiner verhängnisvollen Verantwortung im Nationalsozialismus umging. Zeigte er Ansätze von Reue und kritischer Reflektion? Distanzierte er sich glaubhaft von seinem früheren Handeln oder lässt sein Leben eher auf eine ungebrochene Nähe zu Hitler und der Ideologie des Dritten Reiches schließen?9

Darüber hinaus bietet eine Rauff-Biographie die Gelegenheit zur analytischen Vertiefung von Themenfeldern, die bislang in der Geschichtswissenschaft nur verhältnismäßig wenig Beachtung gefunden haben. Dazu gehört eine Untersuchung des Selbstverständnisses von Offizieren der Reichsmarine und deren Reaktion auf den Nationalsozialismus sowie die Frage nach den Karrieremöglichkeiten von Quereinsteigern im Führerkorps des Sicherheitsdienstes der SS. Ebenso können anhand der vorliegenden Studie Aspekte der Genese der NS-Vernichtungspolitik, Planungen des Dritten Reiches, den Holocaust auch in die arabische Welt auszudehnen und regionale Facetten der Besatzungs- und Judenpolitik in Südeuropa genauer untersucht werden. Für die Zeit nach 1945 bilden Themen wie die Unterstützung von Nazitätern durch die beiden christlichen Kirchen, die NS-Fluchtrouten in den Nahen Osten und nach Südamerika sowie die Stellung von NS-Tätern in den deutschen Exilgemeinden Südamerikas Aspekte, die beispielhaft erhellend analysiert werden können. Zudem werden am konkreten Fall die justizielle Ahndung von Naziverbrechen, bundesdeutsche Versuche, eine Auslieferung von NS-Tätern im Ausland zu erreichen sowie die gleichzeitige Beschäftigung dieser Männer durch westdeutsche Geheimdienste exemplarisch dargestellt.

Allein die skizzierten weiteren Fragestellungen machen deutlich, dass eine reine Lebensbeschreibung von der Geburt der Person bis zu ihrem Tod kaum den vielfältigen Entwicklungslinien und Brüchen einer Biographie gerecht werden kann. Vielmehr kann das Leben einer Person wie Walther Rauff nur angemessen dargestellt werden, wenn dessen Verlauf eng mit den historischen Entwicklungen im 20. Jahrhundert in Beziehung gesetzt wird. Ohne deren grundlegendes Verständnis muss auch der Lebensweg der Person letztlich unverständlich bleiben. Somit ist die Biographie Rauffs auch eine exemplarische deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts. Im Rahmen der Studie wird es daher nicht zuletzt darum gehen, maßgebliche Ereignisse des letzten Jahrhunderts als zugrundeliegender Epoche einzuführen, um vor diesem Hintergrund Lebensstationen, Scheidewege, biographische Brüche und Kontinuitäten in Rauffs Leben zu veranschaulichen.

Eine Biographie mit dem bedeutendsten Bruch im Leben des Protagonisten zu beginnen, verrät das Anliegen, den vermeintlich strikt konsistenten Lebensverlauf von der Geburt bis zum Tod auf der Darstellungsebene von vornherein zu durchbrechen. Auf diese Weise soll die Gefahr umgangen werden, durch eine diachron aufgebaute und damit alternativlos erscheinende Lebenswegbeschreibung die Brüche und Widersprüche einer Biographie in den Hintergrund treten zu lassen. Wohl die meisten Menschen erleben irgendwann tiefere Einschnitte und der oftmals vorgestellte geradlinige Lebensentwurf ist in Wirklichkeit allzu oft eher Fiktion. In der Vergangenheit waren Biographien als Genre nicht zuletzt wegen solcher simplifizierenden Darstellungen in Verruf geraten. Sicherlich nicht zu Unrecht wurde der Methode konstruierte Sinnstiftung, fehlende Distanz zum Untersuchungsgegenstand oder ein Mangel an kritischer Analyse vorgeworfen.10 Die in der Folge entstandene Verunsicherung gegenüber der biographischen Methode mündete 1993 in der von Hedwig Röckelein formulierten Fragestellung: „Kann es überhaupt noch eine wissenschaftliche Biographik geben?“11 Und selbst acht Jahre später stellte die Literaturwissenschaftlerin Deirdre Bair im Titel eines Artikels fest: „Die Biografie ist akademischer Selbstmord.“12

Letztlich ermöglichte die akademische Kritik am biographischen Schreiben jedoch eine bemerkenswerte Renaissance der Methode. Als bedeutsam erwies sich dabei das Aufkommen postmoderner Theorieansätze in den Geschichts- und Sozialwissenschaften. Der amerikanische Historiker und Literaturwissenschaftler Hayden White wies Ende der 1970er Jahre darauf hin, dass Wissenschaft nie nur empirisch begründet, sondern immer auch sprachlich erfunden sei. Mit seiner Hervorhebung der „Fiktion des Faktischen“ wendete sich White vehement gegen eine positivistisch geprägte Geschichtsauffassung und argumentierte, der Historiker würde sich mit jeder wissenschaftlichen Darstellung notwendig auch narrativen Kategorien unterwerfen, die eben nicht mehr rein objektiv begründet, sondern auch subjektiv entschieden seien.13 1986 veröffentlichte der französische Soziologe Pierre Bourdieu einen Aufsatz mit dem programmatischen Titel „Die biographische Illusion“. Seine methodische Kritik veranschaulichte er darin an einem Beispiel: „Der Versuch, ein Leben als eine einmalige und sich selbst genügende Abfolge von Ereignissen zu verstehen, deren einziger Zusammenhang in der Verbindung mit einem ‚Subjekt‘ besteht, dessen Konstanz nur die eines Eigennamens sein dürfte, ist ungefähr so absurd wie der Versuch, eine Fahrt mit der U-Bahn zu erklären, ohne die Struktur des Netzes zu berücksichtigen, das heißt, die Matrix der objektiven Relationen zwischen den verschiedenen Stationen.“14 Damit kritisiert Bourdieu nicht nur eine in der Wissenschaft leichtfertig betriebene Inszenierung von Biographien, sondern fragt grundsätzlich nach der Darstellbarkeit von Lebensgeschichten und der Rolle von Biographen bei deren Entstehen.15

Die vehemente Kritik am Umgang mit der Methode hat immerhin vermocht, dass sich die wissenschaftliche Biographik in den vergangenen Jahrzehnten stark modernisiert hat und damit frühere Unzulänglichkeiten in der Regel der Vergangenheit angehören. Heute profitieren Biographen von der Kultur- oder Sozialgeschichte und vom Wissen der Soziologie oder der Psychologie, was den Erkenntniswert über die jeweils dargestellten Personen erfreulich steigern kann. So zeigen sich moderne Biographien auf der Höhe historiographischer Forschung, verweisen auf gesellschaftliche, fremdbestimmte Einflüsse, die früher wohl noch als ein vermeintlich autonomes Handeln des Protagonisten oder der Protagonistin ausgegeben worden wären. Eine Biographie, der schon früh wieder großes Lob zuteil wurde, war Christian Meiers Anfang der 1980er Jahre erschienene Studie über Julius Cäsar, die den römischen Politiker und Feldherr in bestechender Weise in die Lebensumstände und politischen Sachzwänge seiner Zeit einarbeitet.16 In den folgenden Jahrzehnten folgten neue Werke über unterschiedlichste Personen der Menschheitsgeschichte, und zunehmend wagten sich Wissenschaftler auch wieder an Persönlichkeiten der Zeitgeschichte.

Wolfram Pyta veröffentlichte 2007 eine scharfsinnige Studie über Paul von Hindenburg, in der er vor dem Hintergrund von Max Webers Modell eines charismatischen Herrschers gelungen den populären Mythos des angeblichen „Politikers wider Willen“ widerlegt und überzeugend dessen Anteile am Ausgang des Ersten Weltkriegs, der Abdankung des Kaisers sowie 15 Jahre später an der Machtübertragung an Hitler herausarbeitet.17 Ein weiterer Beleg für die erreichte Stärke des Genres ist Ian Kershaws zweibändige Hitler-Biographie. Der Studie gelingt die überzeugende Präsentation personenbezogener Analysen, darüber hinaus zeigt sie sich fähig, ausgehend von der Person Hitlers einen Beitrag zur politischen Ereignisgeschichte sowie zu ideologiekritischen oder sozioökonomisch angelegten Ansätzen innerhalb der Geschichtswissenschaft zu leisten. Nicht zuletzt gelang es Kershaw mit der Studie, den lange in den Geschichtswissenschaften schwelenden und die Forschung letztlich blockierenden Gegensatz zwischen Intentionalisten und Strukturalisten zu überwinden.18 Erwähnt sei als ein Beispiel der mittlerweile zahlreichen erschienenen NS-Täterbiographien außerdem noch die von Ulrich Herbert 1996 verfasste Biographie über den völkischen Radikalen und zeitweiligen Stellvertreter Reinhard Heydrichs, Werner Best. Die Studie zeigt, wie ein gebildeter und intellektuell befähigter Akademiker an führender Stelle den Terrorapparat der Gestapo aufzubauen half, im besetzten Frankreich die Repressionspolitik anführte und nach dem Krieg in der Bundesrepublik erfolgreich bei der Verteidigung früherer SS- und Polizeifunktionäre mitwirkte. Mit seiner Best-Biographie trug Herbert wesentlich dazu bei, das von angeblichen Pervertierten und „Asozialen“ geprägte populäre NS-Täterbild zu erweitern.19 Wissenschaftliche Monographien wie die Genannten zeugen von den bestechenden Möglichkeiten, die die moderne Biographik bereithält.

Dem grundlegenden Ansatz eröffnet sich eine Vielzahl analytischer Methoden, die es auch für die vorliegende Studie abzuwägen gilt. Mit seiner eingängigen Feststellung „die Menschen sind mehr Kinder ihrer Zeit als ihrer Väter“20 wies der französische Historiker Marc Bloch auf einen Fokus hin, der in dem 1928 erschienenen programmatischen Aufsatz „Das Problem der Generationen“ des Soziologen Karl Mannheim erstmals klar umrissen wurde. Mannheim stellt darin generationelle Einflüsse als besonders bedeutend für die menschliche Prägung dar.21 In der Folge hat sich die historische Forschung in besonderer Weise der Generation der zwischen 1900 und 1910 Geborenen angenommen, zu der eben auch Walther Rauff zählt. Angehörige dieser so genannten Kriegsjugendgeneration, die selbst noch zu jung waren, um aktiv am Weltkrieg teilzunehmen, sollen demnach dessen Verlauf und die letztliche Niederlage als derart einschneidende Erlebnisse empfunden haben, dass daraus lebensbestimmende Prägungen erwuchsen. In den wirtschaftlich prekären Nachkriegsjahren politisierten sich die jungen Männer radikal, sie schlossen sich Freikorps oder anderen rechtsextremen Gruppierungen an und lehnten die für die Niederlage verantwortlich gemachte demokratische Weimarer Ordnung vehement ab. Ihr Heil suchten zahlreiche Angehörige der Kriegsjugendgeneration in der Vision einer völkischen Neuordnung, die mit dem als überkommen empfundenen bürgerlichen Wertekanon radikal brechen sollte. Vor dem Hintergrund der Zuschreibung dieses generationellen Selbstverständnisses stellten Historiker die häufig akademisch ausgebildeten Männer zudem als wichtige Funktionäre des Dritten Reiches und seiner späteren Vernichtungspolitik dar.22

Gegen die vor allem in jüngerer Zeit populär gewordene Einbeziehung der Generation als analytischem Bezugsrahmen können jedoch auch triftige Einwände geltend gemacht werden. So weist der Soziologe M. Rainer Lepsius zurecht darauf hin, dass generationenprägende Ereignisstrukturen „stets eine Ex-post-Kategorie“ seien und darüber hinaus die Relevanz und die Funktion generationsspezifischer Zuschreibungen oft genug unklar blieben.23 Zudem suggeriert die Generationenforschung mitunter fälschlicherweise, prägende Ereignisse würden in einer Alterskohorte notwendig auch gleiche Reaktionen nach sich ziehen, obwohl in Wirklichkeit sogar gegenteilige Reaktionsmuster feststellbar sind. Daran schließt sich zwangsläufig die Frage an, welche quantitativen Anteile gleicher Altersgruppen überhaupt für einen aussagekräftigen Generationsbegriff erforderlich sind. Schließlich bleibt gerade für das Beispiel der Kriegsjugendgeneration festzustellen, dass zwar zweifellos zahlreiche junge Männer einen Weg in die radikale völkische Bewegung wählten, die politischen Führer und ideologischen Stichwortgeber meist aber einer älteren Generation angehörten, womit die Bedeutung generationsspezifischer politischer Sinnstiftung zumindest relativiert wäre.24 Damit gilt es im Rahmen dieser Studie konkret zu überprüfen, ob und in welcher Weise sich generationelle Einflüsse auf die Biographie Rauffs ausgewirkt haben.

Alternativ bietet die Genealogie einen ergänzenden Fokus an, der für sein Leben gleichfalls weitreichende Wirkungen entfaltet haben kann. Die Frage, mit welchen Einflüssen des Elternhauses und des familiären Umfelds ein Individuum aufwächst, dürfte grundsätzlich ähnlich relevant sein, wie der Nachweis generationeller Prägungen. Auf dem Feld hat die historische Sozialisationsforschung in jüngerer Vergangenheit beindruckende Befunde vorgelegt, die belegen, welche bestimmenden Faktoren der Familie bei der Persönlichkeitsentwicklung im frühen 20. Jahrhundert zukam.25

Nicht zuletzt wird auch der geschlechtsspezifischen Prägung Rauffs eine besondere Aufmerksamkeit zuteil werden, womit auch die in der Biographik als wesentlich festgestellten drei „G“ von Generation, Genealogie und Geschlecht komplettiert wären. Für Rauffs Kindheit und Jugend gilt es zu berücksichtigen, in welcher Weise Formen der Erziehung, der Prägung im Elternhaus und der Schulbildung wirksam wurden, die eine entsprechende Geschlechteridentität zur Folge hatten. Außerdem muss für sein späteres Leben auch der Frage eine besondere Bedeutung zukommen, in welchem Maße Frauen sein Leben beeinflusst haben.26 Den genannten Faktoren wird allerdings in der Biographie Rauffs kaum allein ausschlaggebende Bedeutung zugekommen sein. So dürfte der Einfluss der Familie zwar wichtige Prägungen ausgelöst haben, im Erwachsenenalter aber von anderen Wirkungszusammenhängen ergänzt worden sein. Entsprechend werden geschlechtsspezifische oder generationelle Faktoren zwar ihre Wirkung entfaltet haben, aber keineswegs kontinuierlich bestimmend gewesen sein.

Abgesehen von der Relevanz genealogischer, generationeller und geschlechtlicher Prägungen verdienen Erkenntnisse der empirischen Sozialforschung zur autoritären Persönlichkeit für die Fragestellung dieser Studie zusätzliche Beachtung. Den methodischen Ansatz formulierte der Psychoanalytiker und Sozialwissenschaftler Erich Fromm in seiner 1941 im US-amerikanischen Exil erschienenen Schrift „Die Furcht vor der Freiheit“.27 Ein Team um die Psychologen R. Nevitt Sanford, Else Frenkel-Brunswik und Daniel J. Levinson entwickelte die vielversprechende Methode ab 1943 im kalifornischen Berkeley entscheidend weiter. An dem Projekt maßgeblich beteiligt war auch der aus Deutschland emigrierte Theodor W. Adorno, wie Fromm früher Mitarbeiter am Frankfurter Institut für Sozialforschung. Bei dem „The Authoritarian Personality“ genannten Projekt stand unter dem Eindruck des Schreckens der NS-Diktatur in Deutschland und dem Zweiten Weltkrieg die Frage im Mittelpunkt, wie bei sonst durchschnittlich veranlagten Menschen ethnozentrische, explizit antisemitische oder faschistische Einstellungen mit individuellen Persönlichkeitsmerkmalen zusammenhängen und welche Rolle dabei die familiäre Sozialisation spielt.28

Bedauerlicherweise führten nach dem Weltkrieg nach Westdeutschland zurückgekehrte Wissenschaftler des Frankfurter Instituts für Sozialforschung die im Exil begonnenen Forschungen auf dem Gebiet nur marginal fort. Die heutige NS-Forschung würde zweifellos auf weit präziserem Wissen aufbauen können, wenn etwa die zahlreichen in der Bundesrepublik einsitzenden Täter seinerzeit anhand der vorhandenen oder fortentwickelter Methoden interviewt worden wären.29 Abgesehen davon bleibt kritisch anzumerken, dass für die implizite Annahme, autoritäre Persönlichkeiten seien politisch nur rechts und eben nicht links orientiert, keinerlei Begründung präsentiert wurde.30 Von Kritikern wurde darüber hinaus darauf verwiesen, den Forschungen mangele es an Repräsentativität, außerdem würden komplexe gesellschaftliche Tendenzen verkürzend psychologisch interpretiert.31

Auf der früheren Autoritarismusforschung aufbauend haben die beiden amerikanischen Psychologen Stanley Milgram und Philip Zimbardo 1961 beziehungsweise 1971 mit dem berühmten Milgram-Experiment und dem kaum weniger bekannt gewordenen Stanford-Prison-Experiment zwei sozialpsychologische Feldstudien zu Gehorsam und Gruppenzwang vorgelegt, deren Erkenntnisse in der Folge auch in der Historiographie wiederholt zur Deutung verbrecherischen Verhaltens verwendet wurden.32 Auf eine methodische Schwäche von Milgrams und Zimbardos Forschungsansätzen sind Alexander Haslam und Stephen Reicher in jüngerer Zeit eingegangen.33 Sie legten im Rahmen einer Überprüfung der damaligen Versuchsabläufe nahe, dass die Probanden nicht nur wie bislang beachtet bereitwilligen und tendenziell verbrecherischen Gehorsam leisteten, sondern vielmehr als Voraussetzung ihres Handelns die ihnen vermittelten Motive eindeutig teilten. Demnach agieren Menschen keineswegs aus blindem Gehorsam, sondern sie identifizieren sich bewusst mit von ihnen positiv wahrgenommenen Autoritäten und adaptieren deren propagierte Programme. Die bemerkenswerte Neuinterpretation Milgrams und Zimbardos erlaubt somit einen präziseren Fokus auf die Motive individuellen menschlichen Handelns. In dem Bereich hatte die Autoritarismusforschung bislang wenig überzeugen können und war seitens der Geschichtswissenschaft gerade im Hinblick auf NS-Täter zu Recht wegen ihres strukturalistischen, unpersönlichen Zugangs kritisiert worden.34

Im Rahmen dieser Studie muss es hinsichtlich des Untersuchungsgegenstands auch darum gehen, nicht nur etwaigen Gehorsam und Konformität festzustellen, sondern danach zu fragen, welche Motive bei Walther Rauff für ein daraus resultierendes Handeln vorlagen. Allerdings hat kein Psychologe oder Sozialwissenschaftler ihn jemals dementsprechend befragt. Daher können nur überlieferte Aussagen in Briefen oder Gesprächen sowie ergänzend verschiedene biographische Details Andeutungen und Annäherungen liefern.

Walther Rauff – In deutschen Diensten

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