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Kapitel 6 GIGOLOS GET LONELY TOO (TEIL 1)

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Wie seine eigenen Veröffentlichungen waren auch die Platten der Schützlinge und Freunde von Prince (und seiner Ehefrau Mayte) in den letzten 30 Jahren von sehr unterschiedlicher Qualität. Manche gelten heute als Klassiker ihres Genres (viele von The Time, Madhouse, The Family, Jill Jones und Sheila E.), andere stießen auf ein eher geteiltes Echo (etwa Maytes sehr 90er-mäßiges Child Of The Sun und Ingrid Chavez’ poetisches May 19, 1992), und manche (etwa Carmen Electras Debüt) scheinen weniger gelungen. Wie aber jeder Prince-Song etwas Interessantes zu bieten hat, ist auch jedes Album, jeder Song, an dem er beteiligt war, hörenswert. Wichtig für ein tieferes Verständnis seiner Kreativität ist, dass er diese Seite seiner Karriere auch in Zeiten fortsetzte, als die Plattenfirmen an ihm zweifelten und die Massen ihm die kalte Schulter zeigten.

Angetrieben wurde er hierbei vom Wunsch, sich den Blicken der Öffentlichkeit zu entziehen, und seiner Arbeitswut – bei allem Interesse an Sport und Kino, Ballett und Mode zog er die Studio- und Bühnenarbeit allem anderen vor. Es steckte mehr dahinter als der Wunsch, so viel wie möglich zu veröffentlichen. Es ist nicht übertrieben, Vanity, Apollonia und Sister Fate als Prince-Figuren zu betrachten, Figuren des Romans, den er in dem unveröffentlichten »Moonbeam Levels« besingt. Andere meinten, sie seien Alter Egos von Prince, und tatsächlich soll Prince Denise Matthews wegen ihrer körperlichen Ähnlichkeit zu ihm Vanity (»Eitelkeit«) genannt haben. Nicht jeder schätzt Prince’ Arbeiten mit seinen Schützlingen, und viele sind der Meinung, nur wenige dieser Projekte reichten an seine eigenen Werke heran. Alexis Taylor, Sänger von Hot Chip, die mit dem scherzhaften Song »Down With Prince« bekannt wurden, sagte mir: »Als Produzent seiner eigenen Sachen ist er einer meiner Lieblingsmusiker – unglaublich fantasievoll mit einmaligem Sound. Wenn er andere produziert, scheint er hauptsächlich darum bemüht, dass sie klingen wie er. Er kann sie gut als Werkzeuge benutzen, aber offenbar dürfen sie selten ihre eigene Persönlichkeit zeigen.«

Prince’ erste Kooperation – mit Soulsängerin Sue Ann Carwell – blieb unveröffentlicht, war aber der Beginn einer Entwicklung, die für seine weitere Arbeit mit Protegés wichtig war: sein Gespür für zukünftige Stars, seine Affinität zu Gewinnerinnen von Talentwettbewerben,1 sein Wunsch, Songs aus weiblicher Perspektive zu schreiben – oder solche, die für Frauen geeignet waren–, und sein Wille, seinen Songvorrat zu teilen, von dem er nie fürchtete, er könnte zur Neige gehen. Auch Carwell schlug Prince vor, sich umzubenennen (in Suzy Stone), aber anders als Denise Matthews (Vanity) und Patricia Kotero (Apollonia) weigerte sie sich, weil sie ihre Karriere nicht auf diese Art fremdbestimmen lassen wollte. Pepe Willie erinnert sich: »Er kannte sie drüben aus dem Norden. Jeder kannte Sue Ann, weil sie wirklich gut war. Sie war vielleicht 17. Hier in Minnesota gab es so viele Talente.«

Prince und Carwell arbeiteten gemeinsam an ein paar Songs (je nach Quelle drei, vier oder fünf). Die bekanntesten sind »Make It Through The Storm«, dessen Text Prince’ früherer Partner Chris Moon verfasste, und »Wouldn’t You Love To Love Me?«. Ersterer erschien drei Jahre später als B-Seite von Carwells Single »Let Me Let You Rock Me« (ohne Musik von Prince), der zweite erst 1987, als Prince ihn Taja Sevelle gab. Demoversionen der Nummern erinnern an For You und zeigen, dass Prince’ Talent mit 19 bereits voll erblüht war. Es dauerte noch eine Weile, bis er einen Song wie »Wet Dream« für Vanity 6 schreiben konnte. Pepe Willie meint, Prince habe ihm einen weiteren für Sue Ann Carwell geschriebenen Song vorgespielt, »Kiss Me Quick«, der jedoch nicht veröffentlicht ist.2

Im Sommer 1979 ließ Prince sein Management ein Studio buchen und arbeitete mit seiner damaligen Band – Gitarrist Dez Dickerson, Bassist André Cymone, die Keyboarder Gayle Chapman und Matt Fink sowie Drummer Bobby Z. – in Boulder, Colorado an seinem ersten Nebenprojekt, der New-Wave-Band The Rebels. Anders als spätere Nebenprojekte wie Vanity 6 und The Time (sowie seine ersten Alben, die er größtenteils allein aufnahm), war das eine wirkliche Gemeinschaftsarbeit. Ob die Band dabei in die Promotion involviert werden sollte, ist unklar. Laut Bobby Z. habe es sich um eine Art Milli Vanilli gehandelt, aber Dez Dickerson sagte mir, das sei nie geklärt worden und sie hätten noch über Fotosessions diskutiert, als der plötzliche Umschwung in Prince’ Karriere alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Sammler lieben die neun Rebels-Songs, das Album wurde aber nie veröffentlicht. Im Gegensatz zu anderen Prince-Projekten ist es immerhin vollendet und ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis seiner frühen Arbeit. Die Platte entstand in elf Tagen relativ schnell. Das heißt nicht, dass Prince sie weniger ernst genommen hätte, weil er für sein eigenes zweites Album einen Monat brauchte. Dickerson erinnert sich, dass er ganze Tage an Spuren und Overdubs arbeitete. »You«, später in »U« umbenannt und zweimal neu aufgenommen – 1987 als unveröffentlichtes Demo, 1991 von Paula Abdul für ihr Album Spellbound –, ist ein simpler Song. Schon die Rebels-Version, obwohl definitiv rockig, lässt Prince’ spätere Versuche mit Techno in Nummern wie »Loose!« vom Album Come (1994) und »The Human Body« von Emancipation (1996) vorausahnen; 1987 (ein Jahr bevor sich Techno als Genre etablierte) klingt es wie direkt aus Detroit. Abduls Version behält den Sprechteil bei, mildert jedoch den stampfenden Rhythmus.

Ein weiterer langlebiger Rebels-Song ist »If I Love You Tonight«. Neben der Rebels-Version gibt es zwei Prince-Demos von 1987, später coverten es Mica Paris und Mayte. Die Rebels-Version singt Gayle Chapman als Variante von Kris Kristoffersons »Help Me Make It Through The Night« aus der Sicht einer offenbar selbstmörderischen Frau. »Ich sollte in dem Song weinen«, sagt Chapman. »Deshalb klingt meine Stimme so. Wenn ich singe, hört sich das anders an. Der Song hat mir nie gefallen, aber es gibt immer noch Leute, die ihn mögen. Denen sage ich: ›Was gefällt euch daran? Die Musik? Die Stimme?‹ Mir tut das in den Ohren weh. Ich könnte den Song tausendmal besser hinkriegen, aber ich musste schluchzen und zugleich versuchen zu singen.«

Prince’ Versionen sind ausnahmsweise die schwächsten: eine seltsame Mischung aus dem leicht schmalzigen Stil von 90er-Jahre-Songs wie »Graffiti Bridge« und dem abgespeckten »Sign-O’-The-Times«-Arrangement mit Bass, Keyboard und Drum-Machine. Mica Paris verleiht dem Song etwas Londoner Keckheit, bei Mayte hingegen mutiert er vom verzweifelten Blues zum sonnigen (und guten) House-Track.

»Hard To Get« ist am ehesten New Wave, offenbar beeinflusst von The Cars und ihrem Album Candy-O, das einen Monat vor den Rebels-Aufnahmen erschien. (Dickerson, ein großer Fan der Band, erinnert sich, dass in Proben Cars-Riffs gespielt wurden). Musikalisch hat es seinen Reiz, ist aber nicht viel mehr als ein typischer Rocksong über ein Mädchen, das einen »nicht ranlässt«. Der Cars-Einfluss ist noch deutlicher auf einer zweiten, 1981 während der Controversy-Sessions aufgenommenen Version. Erst kürzlich wurde bekannt, dass ein Ausschnitt daraus auf ein Tape mit 30 Songs kam, das Prince offenbar irgendwann in den späten 80ern anderen Künstlern anbot.

Schade, dass die Platte 1979 nicht erschien. Wie die Madhouse-Aufnahmen Prince als Jazzmusiker zeigen, enthüllen die Rebels-Songs seine Wurzeln in New Wave und Rockabilly, nehmen den Stil von Controversy vorweg und beleuchten eine Seite seiner Arbeit, die in seinem offiziellen Katalog wenig Beachtung findet. Außerdem ist es das einzige Album, auf dem Prince wirklich nur Mitglied einer Band ist; zwar ließ er sich später von vielen Musikern inspirieren, aber das Kommando hatte immer er selbst.

Manche Kritiker betrachten Protegés und Nebenprojekte als Kanäle für Aspekte seiner Musik, die nicht zu seinem Hauptwerk passen, aber das allein trifft es nicht. Vielmehr bieten sie Raum für Experimente, die auch in seine eigenen Alben einfließen, und sie hatten ebenso eigenständiges Potenzial. Laut Dickerson mag das Management bei den Rebels gewisse Sorgen um die Zielstrebigkeit von Prince’ aufblühender Karriere gehegt haben, aber spätere Nebenprojekte und Bands fügten sich nahtlos in seine eigenen Platten ein. Dickerson betont, Prince habe sich auf Alben, auf denen er inkognito blieb, ebenso gefreut wie normale Leute auf einen Urlaub.

Sein wichtigstes frühes Nebenprojekt waren jedoch nicht die Rebels, sondern das erste Album von The Time. Das gleichnamige Album enthielt sechs Songs, darunter »Oh, Baby«, das von Prince’ zweitem eigenen Album »übrig geblieben« war. Die Tarnung war perfekt: Prince verzichtete auf eine Nennung als Autor, und koproduzierte unter dem Pseudonym Jamie Starr. Später wurde The Time zu einer Band mit einer sehr klaren Identität. Laut Lisa Coleman entstand das Projekt aus reinem Übermut. Sie lebte damals mit Prince zusammen und trug offenbar mehr als bisher bekannt zu dem Album bei. »Mein Zimmer war oben«, sagt sie, »und er rief mich hinunter. ›Lisa, hilfst du mir bei diesem Streicherpart? Und bei dem Text? Kannst du die Zeile fertigschreiben?‹ Er band mich ein. Ich gab ihm das Tempo vor, wenn er Schlagzeug spielte.«

Lisa war nicht dabei in der Nacht, als Morris Day zum Frontmann erkoren wurde. Sie erinnert sich an ihn als sommersprossigen Jungen, der für die anderen Hamburger holen ging, und als linkshändigen Drummer mit einer Vorliebe fürs Improvisieren. Der Time-Legende zufolge bekam Day die Band als Gegenleistung dafür, dass er Prince den Song »Partyup« überlassen hatte. Coleman war bei dieser Entscheidung nicht dabei, und Dickerson kann das Gerücht weder bestätigen noch dementieren. Laut Coleman zweifelte Prince nie daran, dass Day die Herausforderung meistern würde, sie meint jedoch: »Der Junge bekam eine gewaltige Verantwortung aufgebürdet, und aus dem vermeintlichen Spaß wurde eine große Sache.« Und er war dieser gewachsen, vor allem nachdem er seine »Uniform« gefunden hatte: Stacy-Adams-Schuhe und eine Jacke mit Leopardenmuster. Prince’ damalige Liveband war auch dabei: Matt Fink sagt, er habe das Synthesizersolo auf »The Stick« gespielt.

Es war nicht nur künstlerisch, sondern auch kommerziell eines von Prince’ erfolgreichsten Nebenprojekten und verkaufte sich anfangs sogar besser als Dirty Mind. Die langen Songs mit neun bis zehn Minuten erinnern an Tracks auf 1999 wie »D.M.S.R.«, »Automatic« und »Something In The Water (Does Not Compute)«. Die Stärke des Albums liegt in der Lockerheit der Jam-Teile. Ein geschlossener Song wie »Girl« verblasst im Vergleich zu »Free« oder »Scandalous«, aber lange, textlich simple Tracks wie »Get It Up« (das live mit Days aufreizendem, anrüchig-geschmeidigem Gesang besondere Wirkung entfaltete) und »Cool« ziehen den Hörer in den Groove und rütteln ihn dann mit einem schrägen Synthesizer auf.

Vanity 6, sein erstes rein weibliches Nebenprojekt, zeigte eher den »Dirty Prince«. Die dreiköpfige Band bestand ursprünglich aus seiner Ex-Freundin Susan Moonsie, Brenda Bennett, die sich um seine Kostüme kümmerte und Bob Cavallos Angestellter Jamie Shoop (bald durch Denise Matthews ersetzt). Sie fingen als The Hookers an und hätten um ein Haar eine Leadsängerin namens »Vagina« aufgeboten. »Make-Up«, der erste Song, den Prince für sie schrieb, war von fast kindlicher Unschuld. Bei all seinen späteren Spielereien mit geschlechtlichen Identitäten scheint nichts in seinem Werk so delikat wie die Vorstellung, dass Prince diesen Song im Studio schauspielerte. Der Song übte deutlichen Einfluss aus auf Chicago House (es ist nicht klar, ob er oder »Little Red Corvette« hinter Frankie Knuckles’ »Baby Wants To Ride« steckt) und beschreibt eine Frau, die sich schminkt, eine Zigarette raucht und in Unterwäsche auf den Anruf ihres Liebhabers wartet.

»Wet Dream«, Prince’ zweites Demo für The Hookers, hat einen anzüglichen Titel, ist aber abgesehen von einer Zweideutigkeit in der zweiten Strophe (»my lips start shaking«) und einer harmlosen sexuellen Metapher (»deliver the dam to the river«) ein recht harmloser Song über eine Frau und einen scheinbar unerreichbaren Mann – ein Thema, von dem Prince wie besessen schien, wenn er Songs für seine weiblichen Schützlinge schrieb.

Der Reiz von Prince’ frühesten Arbeiten liegt nicht zuletzt in seiner unermüdlichen Unterwürfigkeit gegenüber promisken und desinteressierten Frauen. Überraschend sympathisch erscheint, dass er in seinen ersten Songs für Frauen jedoch nicht die Sicht der unerreichbaren Geliebten einnahm. Ein Text beschreibt die Eifersucht einer Frau, als das Objekt ihrer Begierde mit einem anderen Mädchen Eis essen geht – nicht unbedingt ein typischer Song für eine »Nutte« (»Hooker«).

Es dauerte über ein Jahr, bis aus den Hookers Vanity 6 wurden. In der Zwischenzeit veröffentlichte Warner Prince’ viertes Album Controversy und das erste von The Time, und Prince ging (mit The Time im Vorprogramm) wieder auf US-Tournee – 48 Konzerte in fünf Monaten. Während einer Tourpause traf er Denise Matthews auf einer Backstage-Party (was er später in Purple Rain dramatisch umsetzte), benannte sie in Vanity um und machte sie zur Frontfrau seines Girlgroup-Projekts.

Howard Bloom erinnert sich, dass Prince einige seiner Schützlinge zu ihm schickte, damit er ihre Stärken und Leidenschaften auslotete. »Prince hatte Vanity zu mir geschickt, und ich zeigte ihr, wie man Interviews macht.«

Der berühmteste Vanity-6-Song »Nasty Girl« mag allgemein weniger bekannt sein als Prince’ größte Hits, er zählt dennoch zu seinen einflussreichsten Kompositionen. Hier lässt sich leicht eine Linie zu Madonna ziehen, die in ihrer frühesten Inkarnation ein viertes Bandmitglied hätte sein können, zu Janet Jackson, deren Song »Nasty« (1986, produziert von zwei Exmitgliedern von The Time) das Geschlecht von »nasty girls« zu »nasty boys« umkehrt, und zu Britney Spears, die einräumte, der Song »Boys« von ihrem Album Britney (2001) habe »eine Art Prince-Feeling«, sich aber tatsächlich direkt bei »Nasty Girl« bediente. Britneys »Let’s turn this dance floor into our own little nasty world« und die wiederholte Aufforderung »get nasty« sind ein klarer Abklatsch von Vanitys »my own little nasty world« und »dance nasty girls«.

Das Video zu Vanity 6’s »Drive Me Wild« beginnt mit Susan schlafend im Bett in gestreiftem Pyjama mit einem Teddy. Dann tauchen Brenda und Vanity, aufgemacht wie Zombieschlampen, aus dem Trockeneisnebel auf und schleppen sie aus dem Schlafzimmer in einen wartenden Cadillac. Die gruselige 90er-Jahre-Porno-Atmosphäre des Videos wird durch die seltsamen Gäste verstärkt, denen sie auf einer Party begegnen: ein fetter, grauhaariger Mann mit Pappkrone, roter Robe und Rude-Boy-T-Shirt, ein Mann mit Richard-Nixon-Maske, der mit Kassetten jongliert, und verschiedene halb angezogene Männer. Brenda, mit Hundehalsband und Kette, boxt einen Heini mit gegelten Haaren und Sonnenbrille, der sie angemacht hat. Schließlich stellt sich alles als Susans Traum heraus.

»Drive Me Wild« ist eine weitere Beschwörung eines Geliebten. Die süße Susan ist eine weniger fordernde Sexpartnerin als Brenda und Vanity und erinnert in ihrem Wunsch, gefällig zu sein, an Prince. Die Stärke des Songs ist seine Simplizität, der zugrunde liegende Groove könnte endlos so weitergehen. Mir persönlich gefällt Prince’ Musik am besten, wenn er solche Jams bis an den Rand des Absurden ausdehnt (etwa in dem 50 Minuten langen, von einer Figur aus Purple Rain inspirierten »Billy« und der einstündigen Originalversion von »Soul Psychodelicide«). Man hat das Gefühl, er wolle seine Jugend, Energie und Ausgelassenheit beweisen, indem er sich mit Maschinen misst. Diese Facette seiner Musik beeinflusste wohl den musikalischen Underground in Detroit; für Techno war er ebenso wichtig wie die noch häufiger genannte Gruppe Kraftwerk.

Während der Arbeit an dem Vanity-6-Album bereitete Prince das zweite Album von The Time vor, das zwei Wochen später erschien. Auf dem Cover von What Time Is It? ist nicht mehr die ganze Band zu sehen, sondern nur Morris Day vor einer Wand voller Uhren. Diese Platte hat mehr Charakter als die erste. Die breite Öffentlichkeit wurde erst durch die Hits auf dem dritten Album auf The Time aufmerksam, aber dieses war mindestens genauso gut. Dass Prince hinter der Band steckte, war nun wohlbekannt, da sie ihn auf der Controversy-Tour begleitet hatte, dennoch hielt er seine Beteiligung geheim. Nur der Koproduktionshinweis auf »The Starr Company« – die neue Firma des anonymen Jamie Starr3, der auch für das Vanity-6-Album verantwortlich zeichnete, – gab einen Hinweis.

Dickerson sagt, wie bei »Cool« auf dem ersten Album habe ihm Prince für den Opener »Wild And Loose« den Titel vorgelegt, und er habe den Text geschrieben, den Prince dann verschärfte. Oberflächlich ähnelt er dem späteren »Hot Thing«. In beiden geht es um einen Mann, der eine junge, sexuell freizügige Frau kennenlernt und auf eine Party mitnimmt. In »Hot Thing« ist sie »kaum 21«, in »Wild And Loose« »sagt ihr Körper 21«, ihr Gesicht jedoch »17«. In »Hot Thing« bittet Prince das Mädchen, ihre Leute anzurufen, dass sie auf den »Crystal Ball« geht; in »Wild And Loose« gibt ihr Day die gruselige Anweisung, ihrer Mutter zu sagen, dass sie nicht heimkommt, weil sie was mit ihr vorhaben. Die verstörende Ahnung, dass das Groupie mit der ganzen Band schlafen wird, verstärkt ein Bruch im Mittelteil, in dem viele männliche und weibliche Stimmen eine Art After-Party suggerieren. Dagegen spricht, dass das Groupie von Vanity gespielt wird, die Day mehr als gewachsen zu sein scheint.

Dickerson war schockiert über Prince’ Änderungen an seinem Text, noch mehr überraschte ihn aber die zweite Nummer auf dem Album, dessen Titel »777-9311« seine Telefonnummer war, weshalb ihn »jeder Depp mit Telefon und einem miesen Sinn für Humor« anrief. Es ist nur ein Ex-und-hopp-Song, in dem Day die Nummer einer Frau zu kriegen versucht, war aber der größte Hit auf dem Album. »Onedayi’mgonnabesomebody« ist ebenso belanglos – ein kurzer, kratziger Funksong über das Großherauskommen.

Die neunminütige Tanznummer »The Walk« ist eine Trockenübung für das bekanntere »The Bird«, die einen neuen Tanzstil ins First Avenue brachte und mit einem lustigen Dialog zwischen Day und Vanity endet.

Die alberne Partystimmung der ersten zwei Drittel des Albums brechen die letzten zwei Balladen »Gigolos Get Lonely Too« und »I Don’t Wanna Leave You«, die auch auf Prince’ erste vier Alben gepasst hätten. »Gigolos Get Lonely Too« ist der bessere Song – das Klagelied eines Liebhabers, der sich nach mehr als nur Sex sehnt. In der zweiten Ballade geht es mal wieder um eine unerreichbare Frau.

Vanity 6 und The Time begleiteten Prince auf der Tournee zu 1999, womit er sich bereitwillig als Puppenspieler entlarvte. Die Liveversionen der Vanity-6-Songs unterschieden sich nicht sehr von der Platte, aber die anstößigen Texte verloren auf der Bühne an Schärfe. Ob das am schwachen Gesang lag oder bewusste Taktik war, ist unklar, vielsagend aber, wie sich Vanity bei der Ansage von »Nasty Girl« in Minneapolis hochputschen musste: »Hör mal, Minneapolis, um meinem Ruf gerecht zu werden, will ich, dass ihr mir sagt: ›Vanity is nasty ...‹«4

Später spielte Prince gern bis zu fünf Stunden pro Konzert, die 1999-Show hingegen dauerte nur eine gute Stunde, 20 Minuten länger als ein normaler Auftritt von The Time. Offenbar war er ehrlich, als er von seiner Angst sprach, von seiner Vorband in den Schatten gestellt zu werden. Die Elektro-Keyboards von Monte Moir und Jimmy Jam klangen unglaublich, und wie sie ihr Publikum anheizten, hatte eine wirklich manische, mitreißende Energie. »Gigolos Get Lonely Too« war ein Highlight, doppelt so lang wie auf der Platte, mit einem Monolog von Morris Day über seine Diamanten, »Baggies« (Schlabberhosen) und Stacy-Adams-Schuhe. Mit im Tourbus saß ein Drehbuchautor, der sich Notizen machte, aus denen später Purple Rain hervorging (allerdings mit einem anderen Autor). Spannungen zwischen den Gruppen gab es auch. Lisa Coleman erinnert sich, dass nie in Frage stand, wer der Boss war: »Es gab drei Busse, einen für Vanity 6, einen für uns und einen für The Time. In unserem Bus gab es ein Videogerät. Wir hielten an einer Raststätte, und das Videogerät war weg. Dez und ich stiegen in den Vanity-6-Bus, da saß Prince und schaute sich mit Vanity was an. Wir sagten: ›Hey, das ist aus unserem Bus.‹ Und er sagte: ›Die Busse gehören alle mir.‹ Oh … na gut … Das hat uns wirklich verletzt und beschämt.«

Zwischen der zweiten Time-Platte und Prince’ nächstem Album mit einem Schützling, The Glamorous Life (1984) von Sheila E., vergingen zwei Jahre. Derweil arbeitete Prince an Tracks für das dritte Time-Album Ice Cream Castle, das einen Monat nach Sheila E.s Platte erschien. Er besetzte seine Begleitband The Revolution und The Time um, wobei Terry Lewis und Jimmy Jam rausflogen. Er nahm eine halbe zweite Vanity-6-Platte auf und verwarf sie, stellte den Film Purple Rain samt Soundtrack fertig, neben diversen Songs, die es nicht aufs Album schafften, nahm zwei Songs für Around The World In A Day auf und produzierte B-Seiten, die so gut wie seine Alben waren, etwa »Erotic City«, seine erste Zusammenarbeit mit Sheila E. Zudem nahm er eine frühe Version eines Albums für die neue Girlgroup Apollonia 6 auf und landete mit »When Doves Cry«, der ersten Single von Purple Rain, seinen bislang größten Erfolg.

Wie seinen früheren Protegés legte Prince Sheila E. bereits aufgenommene Songs vor, auf denen sie seine Gesangsskizzen ersetzte und die meisten Songs dann um ihre Percussions herum aufbaute. »The Belle Of St. Mark«, in dem sich Sheila in einen Teenager aus Paris verliebt, ist ein weiterer Song über unerfüllte Lust. »Shortberry Strawcake« ist ein Instrumental, Prince’ Rückwärts-Text tief im Mix vergraben. In »Noon Rendezvous« freut sich Sheila auf eine Mittagsverabredung mit einem Liebhaber. Das dämmerige Tempo passt aber nicht recht zu einem Song über Sex am Tag, und der Text ist ungeschickt formuliert; das größte Problem ist jedoch, dass es sich um ein »Purple Rain«-ähnliches Epos handelt, das auf vier Minuten zusammengeköchelt ist. Prince’ eigene Liveversion des Songs, 1984 während der Probe für seine Geburtstagsshow im First Avenue gespielt, dauerte 15 Minuten und wurde zu seiner tollsten Darbietung von Einsamkeit und Unglück.

Neben seiner Version von »Noon Rendezvous« ist auf dem Album nur ein Song, den man als wichtigen Teil von Prince’ Werk (und nicht dem von Sheila E.) betrachten kann: der neunminütige Titelsong, der dem Album sein Gesamtkonzept vorgibt, Sheila E.s Pop-Persönlichkeit definiert und ihr vor allem live Raum bot, ihre Percussion-Kunst zu demonstrieren. Das Album war als eine Art Film zum Hören gedacht, nicht nur als Platte. Neben »Oliver’s House« ist dies der offensichtlichste Story-Song. Textlich weist er ein paar interessante Parallelen zu Madonnas »Material Girl« auf, das ein Jahr später erschien und Sheilas Haltung, Geld sei nur für die Miete da und es sei die Liebe, die ewig währt, ins Gegenteil verkehrt.

Das dritte Time-Album Ice Cream Castle, das einen Monat später erschien, enthält die zwei bekanntesten Songs der Band, »Jungle Love« und »The Bird« (beide kommen im Film Purple Rain vor). Die erste Single indes war der Song »Ice Cream Castles«, in dem Morris Day in seiner üblichen »Bringt mir einen Spiegel«-Manier erzählt, wie er sich in eine weiße Frau verliebt. Prince hat alle drei Songs selbst live gespielt.

Der Rest der ersten Seite von Ice Cream Castle ist nicht so stark. »My Drawers« ist ein weiterer nerviger Prince-Song über Unterwäsche (nicht sein schlimmster; diese Ehre geht an das unveröffentlichte »Drawers Burnin’«, einen der wenigen Prince-Songs, die ich hoffentlich nie wieder hören muss). »Chili Sauce« ist wie das spätere »Mashed Potato Girl« von The New Power Generation ein alberner Sketch in einem Restaurant (das Prince für den lustigsten Ort der Welt hält, wobei er aber meist den gleichen Witz erzählt: Ein Mann kauft ein Restaurant, nur um die Belegschaft zu feuern).

Die drei Songs auf Seite zwei hingegen machten die Platte zur kommerziell und künstlerisch erfolgreichsten von The Time. Den simplen Partysong »Jungle Love« spielt die Band bis heute. »If The Kid Can’t Make You Come«, einer der explizitesten Verführungssongs von The Time, zeigt wieder mal Prince’ Vorliebe für konzeptuelles Durcheinander: Day spielt eine Figur namens »The Kid«, die offenbar nichts mit Prince’ gleichnamiger Figur in Purple Rain zu tun hat. Im langen Mittelteil zieht Day seinem Date den BH aus, bewundert ihre Brüste und lässt sie schwören, nie zu stillen. Gespielt wird sie von der Schauspielerin Sharon Hughes, bekannt aus dem Frauengefängnis-Streifen Chained Heat (1983). »The Bird« feiert mal wieder einen imaginären neuen Tanztrend – und zwar den bislang besten, bei dem man tanzen darf, wie man will, solange man mit den Armen flattert. Prince war nicht der einzige Musiker aus Minneapolis, der einen Song über einen »Vogeltanz« schrieb: Vor seinem Aufstieg war die Stadt vor allem für The Trashmen und ihr unsterbliches »Surfin’ Bird« bekannt, das später durch die Ramones und die Zeichentrickserie Family Guy wiederentdeckt wurde. Aber so sehr Prince Partys schätzte, wurden seine musikalischen Experimente mit Nebenprojekten langsam ernsthafter, und die Ereignisse um sein nächstes Projekt The Family sollten die Richtung seiner Musik und den Verlauf seiner Karriere für immer verändern.

1 Der Talentshow-Aspekt der populären Musik interessierte Prince immer sehr. Carwell machte sich durch Auftritte in Talentshows in Minneapolis einen Namen, Támar war in Star Search zu sehen, Sheena Easton wurde durch Esther Ranzens TV-Show The Big Time bekannt. Maya McClean von seinem Tanzduo The Twinz machte bei Australian Idol mit, und Prince selbst gab bei schulischen Talentshows Klavierstücke zum Besten. Als er 2006 bei American Idol auftrat, wurde er von Simon Cowell kritisiert, weil er zwei Songs vom damals aktuellen Album 3121 spielte und nicht mit einem der Teilnehmer duettierte. Hätte Cowell sich die Mühe gemacht, das ganze Album anzuhören, hätte er an »Beautiful, Loved And Blessed«, dem Duett mit Támar, erkennen können, dass Prince’ Einstellung zu diesen neueren TV-Talentshows ambivalent war. Er fand, dabei gehe es weniger um die Vorführung von Talent als um die Gier nach Ruhm. Während seines Auftritts erhielten Subskribenten seiner Webseite eine Mail mit einem Bibelzitat (1 Korinther 10:14): »Darum, liebe Brüder, meidet den Götzendienst.«

2 The Vault beschreibt den Song, hält ihn jedoch für einen Solotrack von Prince. Carwell blieb Prince verbunden und trug 2011 zu dem letzten Time-Album Condensate unter dem neuen Bandnamen The Original 7ven bei.

3 Zwar plauderte Prince in dem Text zu »D.M.S.R.« auf 1999 noch im selben Jahr alles aus und bekannte sich in einer nicht auf dem Cover abgedruckten Strophe zu seinen Nebenprojekten: »Jamie Starr’s a thief«, »It’s time to fix your clock« (eine Replik auf »What Time Is It?« von The Time) und »Vanity 6 is so sweet«. Zumindest für eine Weile schien es ihm jedoch wichtig gewesen zu sein, seine Tarnung nicht zu lüften. In seinem einzigen Interview zu 1999 sagte er Robert Hilburn von der LA Times: »Erstens, mein Name ist Prince. Zweitens, ich bin nicht schwul. Und drittens bin ich nicht Jamie Starr.« Die Kontroverse zog sich bis ins nächste Jahr, als Debbie Miller in ihrem dritten Rolling-Stone-Artikel über Prince und seine Protegés das Thema anschnitt. Darin behaupten Morris Day und Steve Fargnoli, Jamie Starr gebe es wirklich, aber Sue Ann Carwell verrät: »Prince ist Jamie Starr.«

4 Wie »nasty« Vanity sein konnte, enthüllt Mötley-Crüe-Songwriter und -Bassist Nikki Six in seinem Buch Heroin Diaries: A Year in the Life of a Shattered Rock Star (2007). Seine Erinnerungen an die Beziehung mit ihr beginnen so: »Wir sahen Vanity im Fernsehen, und als Pete sagte: ›Mann, das ist das frühere Mädchen von Prince‹, sagte ich: ›Super – er hat einen winzigen Schwanz.‹ Das Büro rief Vanity an und arrangierte ein Treffen. Sie öffnete nackt die Tür, ihre Augen drehten sich in ihrem Kopf herum. Irgendwie hatte ich das Gefühl, wir würden uns gut verstehen.« Auch Denise Matthews äußert sich in dem Buch zu ihrer früheren Kunstfigur: »Ich höre nicht auf Vanity. Lieber wäre ich ein Fisch in einem Teich mit einem hungrigen Hai, als diesen widerlichen Namen der Nichtigkeit zu tragen.«

Prince

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