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Kapitel 9 THERE AREN’T ANY RULES

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»Die frühen Platten klingen scheiße«, sagt Wendy Melvoin, »aber um die Zeit von Around The World In A Day wurde die Qualität von Aufnahmen und Mix besserg.« Natürlich ist Melvoin eine echte Audiophile, die kein Blatt vor den Mund nimmt, und meint das nicht ganz ernst. Zweifellos aber entwickelte Prince nach Purple Rain seinen Studiosound weiter. Around The World In A Day und Parade brechen als zwei seiner aufwendigsten (und abenteuerlustigsten) Produktionen mit seinem bisherigen Sound.

Prince hatte mit seinen Kollegen in den Charts immer Schritt gehalten, nach dem Erfolg von Purple Rain begann er sich jedoch lobenswerterweise kreativ weiterzuentwickeln. Nachdem er die Welt erobert hatte, anstatt einfach seinen Erfolg mit einer weiteren, ähnlichen Platte zu konsolidieren, wollte er künstlerisch vorankommen. Dazu gehörte, sich neuen Einflüssen zu öffnen, die er bis dahin gemieden hatte. Damals wie heute glauben Kritiker, Around The World In A Day sei das Resultat seiner Hinwendung zur weißen Rockmusik. Prince war allerdings schon als Teenager ein Fan von Todd Rundgren, und Dez Dickerson und Matt Fink hatten schon früher sein Interesse an Rock befeuert; es war also nicht die große Verwandlung, die man darin sehen konnte. Alan Leeds wiederum meint: »Es ging in beide Richtungen. Man liest oft, Wendy und Lisa und in gewissem Maße Sheila E. hätten Prince Musik nähergebracht, aber ich vermute, das tat er umgekehrt auch. Sie erweiterten in Wirklichkeit nur sein Vokabular als Komponist.«

Während Prince würdigte, wie unglaublich wichtig Wendy, Lisa und Susannah Melvoin (sowie die übrigen Mitglieder von The Revolution) zu jener Zeit waren, behielt er doch immer das Heft in der Hand und ließ sich genauso von alten Klassikern wie Joni Mitchell inspirieren. Mitchell meinte 1996 im Gespräch mit Morrissey, Prince selbst habe das zugegeben, als die Platte 20 Warner-Bros.-Mitarbeitern und seinem Vater vorgespielt wurde, indem er ihr sagte, eine harmonische Passage in einem der Songs sei von ihr und Larry Carlton inspiriert.1

Dennoch sind Wendy und Lisa – über die Howard Bloom sagt: »Sie waren die einzigen Musiker, auf deren Hotelzimmertischen man Bücher fand« – zu Recht stolz auf ihren Einfluss auf Around The World In A Day. Ich fragte Wendy, ob die Platte von den Beatles beeinflusst worden sei, was Prince stets dementierte.2 »Prince hasst die Beatles«, sagte sie. »Ich denke, er hasste sie nicht wegen ihrer Musik, sondern wegen was anderem. Vielleicht wegen ihres stilprägenden Looks, oder sie hatten etwas, das für ihn und sein Rockstartum nicht glaubhaft wirkte. Aber ich wusste immer: Wenn er ›Dig A Pony‹ und ›Let It Be‹ hört, ändert er seine Meinung. Punkt. Ich kannte seinen Geschmack. Und ›Polythene Pam‹, wenn er sich das nur mal angehört hätte, hätte er’s kapiert. Aber er denkt an ›I Wanna Hold Your Hand‹ oder ›Strawberry Fields Forever‹ und findet sie zu populistisch.«

Matt Fink allerdings erzählte mir, Prince habe sich ihm gegenüber nie abfällig über die Beatles geäußert. Er erinnert sich, er habe Beatles und Rolling Stones gehört und sie wieder ausgegraben, als er Around The World In A Day aufnahm. Also fragte ich Wendy, ob sie immer noch kategorisch der Ansicht sei, die Beatles hätten die Platte, aus der so viele Leute Anklänge an Sgt. Pepper heraushören (vielleicht aufgrund der Covergestaltung), nicht beeinflusst.

»Ihn nicht«, sagte sie und fügte scherzhaft hinzu: »Aber weißt du, die Platte haben wir gemacht.« »Aber eigentlich auch nicht wirklich«, meinte Lisa Coleman. »Ich denke, wir waren aufrichtig. Wir haben uns nicht auf die Beatles bezogen, sondern vermutlich auf dieselben Sachen, auf die sich die Beatles bezogen. Wir orientierten uns nicht an ihnen, sondern an dem, woran sie sich orientiert hatten. Ein großer Einfluss waren auch unsere Brüder. Mein Bruder war Weltmusiker, er spielte Oud, Cello, Fingerzimbeln und Darbuka-Handtrommeln. Prince war beeindruckt von diesen Typen. Es war unsere Szene, in die sich Prince einklinkte.«

Meinten Wendy und Lisa mit »unsere Szene« den Paisley-Under-ground, das gleichzeitige Rockrevival, das zwei Bands abwarf, mit denen Prince später zu tun hatte – Three O’Clock (die er für sein Label Paisley Park signte und denen er den Song »Neon Telephone« schrieb) und The Bangles (denen er »Manic Monday« überließ)? Aber Wendy meint, die Verbindung sei nicht so eng gewesen: »Prince wurde auf die Bangles aufmerksam, weil er Susanna [Hoffs] hübsch fand.«

Festzuhalten bleibt, dass einige Mitglieder von The Revolution zwar Prince’ kreativem Entwicklungsprozess zuträglich waren; die drei Songs, mit denen er das Album begann – »Paisley Park«, »Pop Life« und »Temptation« – schließen jedoch nahtlos an Purple Rain an. »Around The World In A Day wurde erst zum Titel, als es den Song gab«, sagt Lisa Coleman, »und da war das Projekt schon sehr weit. Er nannte es ›Paisley Park‹.«

Als Albumtitel wirkt »Paisley Park« wie ein logischer Nachfolger von Purple Rain und bringt auf den Punkt, dass der Hardrock nun für etwas Platz machte, das eher mit dem »Summer of Love« in Einklang stand (obwohl Prince seine Verachtung für gewisse Hippie-Schwelgereien nie ganz überwand). Laut der Covertexte waren einige der Songs in Paisley Park aufgenommen worden, aber da war Prince’ Fantasie mal wieder schneller als die Wirklichkeit. Der Komplex wurde erst 1988 fertiggestellt. »Paisley Park« ist einer jener Prince-Songs über befreiende Orte (wie »Uptown«, »Roadhouse Garden«, »Graffiti Bridge«, »3121« und »77 Beverly Park«). Diesmal war nicht unbedingt ein Ort gemeint, sondern eher ein Zustand der Erleuchtung, den jeder Hörer erreichen konnte.

»Pop Life« konterkarierte diese Richtung und stellte die Möglichkeit von Frieden und Liebe infrage. Bis heute eckt der Song bei vielen Leuten an – der Musikjournalist Garry Mulholland schrieb später, der Track »sagt dem Hörer im Grunde, er solle den Mund halten und nicht jammern, dass er nicht so reich wie der Sänger ist, sondern sich mit seinem grundsätzlich beschissenen Leben abfinden«.3 Damit kennzeichnet der Song Around The World In A Day als das »Album danach«, das oft einem Superalbum folgt, wenn ein Künstler den Gipfel des Erfolgs erreicht hat und von dort oben hinunterblickt.

Wenn Prince neue Songs auf der Bühne vorstellte, ließ er sie gerne sich langsam entwickeln, als gingen sie aus anderen Stücken hervor. So bei »Temptation« auf der Purple-Rain-Tour, das als Teil des »Gespräch mit Gott«-Segments in die Show eingebaut war. Ob das, wie Wendy Melvoin meint, nur »Showbiz« oder eine Dramatisierung von Prince’ wahren theologischen Anliegen war – jedenfalls war »Temptation« (das er teilweise vor der Tour geschrieben und aufgenommen hatte) sein jüngster Versuch, das Heilige und das Profane zusammenzubringen. Es ist nicht klar, wie ernst er den Einwand nahm, seine Songs oder seine Bühnenfigur könnten frevelhaft sein, ohne Zweifel jedoch widmete er sich solchen Gedanken später ernsthafter.

Damals dazu befragt, wirkten Prince’ religiöse Überzeugungen noch recht oberflächlich. Zu Neal Karlen sagte er: »Es ist einfach so schön zu wissen, dass es da noch jemanden und einen anderen Ort gibt. Und wenn wir uns irren und ich mich irre und es nichts gibt, o weh!« Er fügte hinzu: »Vor einiger Zeit hatte ich ein Erlebnis, das mich verändert hat … Ich mache einen Film darüber – nicht den nächsten, aber den übernächsten. Ich glaube, wenn man sich selbst entdeckt, entdeckt man Gott. Vielleicht auch umgekehrt. Ich weiß nicht … Es ist schwer in Worte zu fassen. Es ist ein Gefühl – man weiß es, wenn man es hat. Mehr kann ich nicht sagen.«4 Wir wissen nicht, ob dieser Film Graffiti Bridge oder ein nicht realisiertes Projekt war – vielleicht der lange umstrittene, nie fertiggestellte The Dawn –, aber der Purple-Rain-Nachfolger war ohne Zweifel spiritueller als dieser Film oder Under The Cherry Moon.

Die Unterhaltung mit Christus in »Temptation« (»Oh silly man ...«) zum dramatischen Höhepunkt und Schluss von Around The World In A Day ist unmöglich ernst zu nehmen. Abgesehen von einer Probe spielte es Prince nach Ende der Purple-Rain-Tour nicht mehr live. Der Monolog, aus dem der Text hervorging, bringt offenbar zwei unterschiedliche Impulse durcheinander: eine sexuelle Drohung gegen eine Frau mit der Warnung, dass sie sich entscheiden muss, ob sie ihn will, und einen halbwegs reumütigen Sünder, der vor Gott bekennt, er sei nur deswegen böse, weil es dem Publikum gefällt (in der Folge erwähnt er noch den Garten Eden und die Erbsünde, über die Prince später immer wieder schrieb).

Auf der Bühne sprach Gott nicht, Prince gab seine Gegenwart indes durch (relativ) disharmonisches Klavierspiel kund. In »Temptation« leiht er Gott selbst seine Stimme, jedoch ohne jegliche Feierlichkeit. Gott droht ihm mit dem Tod, der Hörer muss sich dewegen aber keine Sorgen machen – nach etwas Piano und ein paar Effekten wird ihm vergeben. Der eine oder andere hörte aus dem Song jedoch tatsächliche Bereitschaft zur Reue heraus. Kyle Parks vom Evening Independent5 in Florida schrieb als direkte Antwort auf die negative Presse, die Prince damals bekam, »Temptation« stehe für eine neue »Reife« in Prince’ Musik. Diese wäre auch in »4 The Tears In Your Eyes«, das Prince vor und nach Around The World In A Day in zwei Versionen veröffentlichte, spürbar. Die erste Version schrieb er für das Projekt USA for Africa, nachdem er eine Teilnahme an der Single »We Are The World« abgelehnt hatte. Die zweite war eine nur als Video herausgegebene Akustikversion, die ihn, Wendy und Lisa in Schwarz-Weiß zeigt und bei Live Aid Premiere hatte. (Sie erhielt bei der Auswahl für The Hits/The B-Sides den Vorzug vor dem Original und ist heute die einzige problemlos erhältliche Version des Songs.) Die »Reife«, die Parks dem Song attestierte, liegt offenbar in der Direktheit des Textes und der unumwunden christlichen Botschaft.

In einem Moment totalen Selbstbezugs schrieb Prince einen zweiten Song (»Hello«) über das Schreiben des ersten. Alan Leeds meinte: »Seine Entscheidung, die ›We Are The World‹-Session auszulassen, wurde durch eine hässliche Begegnung mit einem übereifrigen Papa-razzo kompliziert und zum gefundenen Fressen für die Klatschpresse.«6 Nicht nur Paparazzi und Klatschpresse schossen sich deswegen auf Prince ein, auch der Karikaturist Garry Trudeau verarbeitete die Absage in seiner Doonesbury-Serie. Trudeau, der zu den Aufnahmen einge-laden war, zeichnete Prince, wie er Quincy Jones anruft und ihm mitteilt, er werde einen Beitrag liefern, wenn Jones die Parts von Michael Jackson rausschneide.7 Leeds zufolge traf Prince die Kritik schwer: »Unverblümt trotzig, was seine Sensibilität für den Welthunger angeht, schoss Prince ein einziges Mal zurück. ›Hello‹ ist einer der seltenen Fälle, in denen er das Forum seines Studios für persönliche Kommentare nutzte, indem er allen, die die Mühe und Aufrichtigkeit anzweifelten, die er in ›4 The Tears In Your Eyes« gesteckt hatte, direkt antwortete.«8 »Hello« ist autobiografisch, »4 The Tears In Your Eyes« eine unverblümte Predigt, damit stehen beide Songs in Kontrast zu den kryptischen Inhalten von Around The World In A Day. Die wahren Schätze wurden offenbar weitgehend auf B-Seiten verbannt, etwa »Girl«, das er überarbeitete und auf der Rückseite von »America« unterbrachte.

Ob geplant oder während des Schreibens einfach passiert – mindestens drei Songs des Albums sind erzählerisch miteinander verknüpft: »Around The World In A Day« führt das Konzept einer Art Himmelsleiter ein, nach der in »Temptation« und »The Ladder« gesucht wird. Offensichtlich ist auch die konzeptuelle Verbindung zwischen diesem Song und der altehrwürdigen Led-Zeppelin-Kamelle »Stairway To Heaven«. Prince erwähnte die Band gegenüber dem Rolling Stone, laut Susannah Melvoin indes hasste er sie anfangs ebenso wie ihrer Schwester zufolge die Beatles. »Ich ließ eine Led-Zeppelin-Platte laufen, und er sagte: ›Oh, das ist furchtbar, das ist grausig‹, und ich rollte die Augen und dachte: eines Tages … Damals hielt er es einfach nicht aus. Er fand es scheiße.« Susannah musste nicht lange warten: Bald darauf erwähnte Prince, erneut gegenüber Neal Karlen, er möge Psychedelic Rock, »weil das die einzige Phase der jüngeren Geschichte war, die Songs und Farben hervorbrachte. Led Zeppelin zum Beispiel vermitteln dir mit jedem Song ein anderes Gefühl.«9 Später coverte er auf der Bühne regelmäßig »Whole Lotta Love«.

In »Temptation« singt Prince von »Mamas«, »Papas« und einer »Tochter der Sittlichkeit« (wer immer das sein mag). So oft, wie er den Namen Elektra einsetzt,10 liegt die Vermutung nahe, die Erzählung in »The Ladder«, in der ein sündiger König von einer Elektra geliebt wird, sei ein verschlüsselter Rückgriff auf den Inzest, den Prince in »Sister« besang. Der Song ist seinem Vater als Koautor zugeschrieben, und der Gedanke, dass Prince an seinen Vater denkt, wenn er von einem König singt, ist doch verblüffend. (Auch im Titelsong, bei dem sein Vater ebenfalls als Koautor genannt ist, spricht er diesen an und sagt ihm, dass er tanzen möchte.) Einige Indizien sprechen dafür, dass Prince seinen Vater in seinen kreativen Prozess involvieren wollte, und Karlen bekam bei dem erwähnten Rolling-Stone-Interview mit, wie Prince seinem Vater ein Tape mit Musik übergab, das Wendy und Lisa zusammengestellt hatten, damit er es kommentierte.

Prince stellte Wendy und Lisa kostenlos Studiozeit zur Verfügung, und das gleiche Geschenk machte er 1984 Lisas Bruder David, dem er zum Geburtstag zwei Tage im Sunset Sound bezahlte. Dort nahm er »Around The World In A Day« auf. Später spielte Lisa Prince eine Kassette der Aufnahme vor, und »zack, sagte sein Hirn: Das ist die Platte! Er ließ unsere Brüder holen und arbeitete am Rest des Albums.« Unter den später aufgenommenen Songs sind »America«, »Raspberry Beret«, »Tamborine« und »Condition Of The Heart«. David Coleman ist bei »Raspberry Beret« als Cellist genannt, auf »America« spielt die ganze Band, aber »Tamborine« und »Condition Of The Heart« nahm Prince im Alleingang auf.11

Prince produzierte eine alternative Version von »Around The World In A Day«, die nie veröffentlicht wurde und die, obwohl Arrangement und Instrumentierung dem Original sehr ähnlich sind, um einiges poppiger ist. Hätte er diese Version herausgebracht, hätte das Album vielleicht nicht wie ein solcher Bruch mit seiner Vergangenheit gewirkt. Nachdem die neue Richtung beschlossen war, schmuggelte Prince »Around The World In A Day« ins Purple-Rain-Tourprogramm, das fortan eine gekritzelte Notiz mit der ersten Strophe enthielt – einmal mehr eine kryptische Botschaft für seine Getreuen, die erst später entschlüsselt wurde.

Die Version von »America« auf Around The World In A Day ist nur knapp über drei Minuten lang, zusammengekürzt aus den fast 22 Minuten der Maxisingle. Aber selbst diese »Extended Version« war ein Schnitt der Originalaufnahme: »›America‹ entstand aus einer gewaltigen Jamsession«, sagt Wendy. »Wir spielten und probten stundenlang und fanden diesen einen Groove, den wir fünf Stunden lang spielten. An den Tagen danach kamen wir darauf zurück, Prince stieg ein, spielte das ›America‹-Solo, fing an zu singen, und daraus wurde der Song, wie wir ihn kennen. Wenn wir die Nummer auflegen, spüren wir bis heute die Energie dieser Band, wie wir zu unserer besten Zeit waren – ein verdammter Güterzug. Niemand machte so ›Psst … psst … psst‹, wie die Schnösel, mit denen er jetzt zusammenspielt. Es war ein gewal-tiger Güterzug, und niemand lief aus dem Gleis. Ich bin echt stolz auf den Song. Er ist das perfekte Abbild von Prince & The Revolution.«

In dieser Phase gab es viele solche Jamsessions, wie eigentlich während Prince’ gesamter Karriere. »Sie waren wie Meditationen, totale Meditationen«, sagt Wendy. »Wenn der Groove eine bestimmte Stufe erreichte, war das … unglaublich. Eine Akkordfolge – stunden-lang. Prince übte einen Tanzschritt oder verfasste Texte. Er groovte, spielte, solierte. Ein Akkord, und du wusstest, wo du warst. Es war wie ein Mantra.« »Man wusste nie, was kommt«, sagt Lisa. »Er sagte so was wie: ›Groove in A. Alle grooven in B-b.‹ Die Aufgabe war, die Zahnräder zu finden, speziell bei Funk, wo es Synkopen gibt, damit wir nicht übereinander spielten. Wir waren Experten im Synchronisieren; zwei Gitarristen, zwei Keyboarder. Prince rief dann Leuten zu, die aus- und wieder einsteigen sollten. ›Lisa, was hast du anzubieten?‹ – ›Mal sehen, das hier vielleicht?‹ ›Welche Akkorde?‹ Solche Sachen. Es war wie eine Sportübung – Band-Yoga, ein Staffellauf. Großartiges Training. Wir wurden olympische Musiker. Es war toll.«

Für das Video zu dem Song mimte Prince nicht wie üblich zum Playback, sondern nahm eine dritte Version auf, eine komplett neue, fast zehnminütige Livedarbietung vor Publikum in Nizza während der Dreharbeiten zu Under The Cherry Moon. Bei den Proben im Théâtre du Verdure spielte Prince eine seiner einzigen vollständigen Versionen von »Temptation«, außerdem »Pop Life«, »Paisley Park«, eine lange Version der B-Seite »Love Or Money« und den Parade-Outtake »An Honest Man«. Da es zu Around The World In A Day keine Tournee gab und er erst mit Parade wieder unterwegs war, gibt dieses Konzert den besten Eindruck, wie eine Around-The-World-In-A-Day-Show ausgesehen hätte, und die volle, von Bläsern befeuerte Version von »Tempta tion« lässt ahnen, dass hier eine große Möglichkeit verschenkt wurde. Die Platten, von denen Prince in Interviews während der Aufnahmen sprach, waren nicht von den Beatles, sondern von Künstlern, die mit Experimenten von ihrem gewohnten Stil abwichen – etwa Stevie Wonders Journey Through The Secret Life Of Plants, Joni Mitchells The Hissing Of Summer Lawns und Miles Davis’ spätere Alben – und offenbar waren Experimente um der Experimente willen eine Triebfeder des Albums. Dass die Platte insgesamt etwas unbefriedigend ist, liegt weniger an der Qualität der Musik (sie enthält einige von Prince’ besten Tracks) als an dem Gefühl, dass er andere Stilrichtungen ausprobierte und einen geheimen Code erstellte, der, wenn man ihn knackte, sehr wenig enthüllte.

Am deutlichsten wurde das in dem Video zu »Raspberry Beret«, erstmals von Prince selbst gedreht, das damit beginnt, dass er hustet – ein bewusster Akt, der zu Spekulationen über seine (zugegebenermaßen bedeutungslosen) Motive anregen sollte. »Raspberry Beret« wurde einer von Prince’ beliebtesten Songs – was ihn nicht davon abhielt, ihn Jahre später als »Raspberry Sorbet« neu zu interpretieren und ihn der Muppet-Ratte Rizzo vorzusingen.12 Und offenbar war Susannahs Tipp letztlich doch erfolgreich: Im Text wird der Titel eines Led-Zeppelin-Albums erwähnt.

Around The World In A Day mag ein Album über eine utopische Gemeinschaft sein, aber die in »Pop Life« spürbare Isolation und Ernüchterung im Windschatten des Erfolgs schlug sich auch in »Condition Of The Heart« und »Tamborine« nieder, die beide von einer neuen kribbeligen Haltung zu Liebe und Sex leben. Abgesehen von seinen offenkundigen Vorzügen ist »Condition Of The Heart« aus zwei Gründen signifikant: Die Anspielung auf Clara Bow zeigt Prince’ Interesse an Hollywood-Historie, das sich zum Teil in seinem Film Under The Cherry Moon widerspiegelte. Geschrieben wurde es laut Susan Rogers13 aber auch für Susannah Melvoin, Wendys Schwester und Prince’ Muse bei vielen seiner besten Songs. Ich war dabei, als Prince »Tamborine« 2002 bei einer Aftershow im Londoner Marquee Club in einer kurzen, kaum eine Minute dauernden explosiven Version das einzige Mal live spielte (er spielte ihn ein weiteres Mal in einer fast nicht erkennbaren Version bei einer Probe). Ausgerechnet diesen Song für seine spirituellste Tournee wiederzubeleben, schien seltsam. Offenbar waren »explicit lyrics« out, Andeutungen aber in Ordnung. Auf dem Album ist der Song eine alberne Persiflage über Genitalien, Masturbation, (Porno-)Darstellerinnen und Prince’ Abneigung gegen promiske Frauen. Es war der bis dahin mieseste Song auf irgendeinem Prince-Album.

Wichtig war Around The World In A Day größtenteils deswegen, weil es Prince erlaubte, der künstlerischen Sterilität des Studiorocks zu entgehen und sein Interesse an Experimenten neu zu betonen. Ohne seine Musikalität aus dem Blick zu verlieren, war es im Grunde ein Album mit Wohlfühlpop und damit ein lohnender Schritt weg von den pathetischen Rockelementen auf Purple Rain, auch wenn das nicht unbedingt das war, was das Management wollte. »Ich denke«, sagt Bob Cavallo, »mit Around The World In A Day hat sich Prince ein Bedürfnis erfüllt. Es war wundervoll, aber es hat Purple Rain geschadet. Für den Markt kam es zu früh.« Prince entwickelte sich in dieser Phase so schnell, dass der übergreifende Stil des Albums bald wieder Geschichte war. Wo Prince’ Kopf war (und wie wichtig die Nebenprojekte für seinen künstlerischen Fortschritt waren), zeigt am besten das Konzert zu seinem 27. Geburtstag mit The Revolution im Prom Center in St. Paul vor 800 Freunden, die aus den ganzen USA eingeflogen wurden. Da ignorierte er das erst gut einen Monat alte Album komplett und begann stattdessen mit drei unveröffentlichten Songs von drei separaten Projekten – »A Love Bizarre« von Sheila E.s zweitem Album, »Mutiny« von der Platte von The Family und »Sometimes It Snows in April«, später eines der Highlights auf Parade – und spielte dann zwei Purple-Rain-Toursongs, die auf dem Album fehlten – »Irresistible Bitch« und »Possessed«, das es nur auf Video, nicht aber als Studio-version gibt –, »The Bird« von The Time, die erwähnte Ex-und-hoppNummer »Drawers Burnin’« und einen weiteren noch nicht erschienenen Sheila-E.-Song namens »Holly Rock«. »Mutiny« war zweifellos der Höhepunkt des Abends, aber wer genau hinsah, erkannte, dass »Sometimes It Snows in April« das Herzstück seiner nächsten Verwandlung sein würde – allein an der Aufmerksamkeit, die er dem Stück widmete, bei dem er Wendy, Lisa, Bobby Z. und Brown Mark Anweisungen zurief, als wäre er noch beim Proben, und die Zuhörer reinlegte, indem er sagte, sie sollten lieber an die Bar gehen.

1 Words and Music, Radiosendung, Interview mit Joni Mitchell von Morrissey, 18. Oktober 1996, transkribiert von Lindsay Moon.

2 Im Gespräch mit Neal Karlen sagte Prince: »Es hieß, die Beatles seien das Vorbild. Das Vorbild waren nicht die Beatles. Sie waren großartig in dem, was sie machten, aber ich weiß nicht, wie das heute ankäme. Das Coverbild kam zustande, weil ich dachte, die Leute seien es leid, mich anzuschauen. Wer will noch ein Bild von dem? Ich würde von meiner Frau auch nur so und so viele Bilder wollen, dann will ich sie in echt. Ein bisschen spannender als einfach noch ein Bild [lacht] wäre es, wenn ich irgendwie in den Buden der Leute materialisieren könnte, wenn sie die Platte auflegen.« (»Prince Talks«, Interview mit Neal Karlen, Rolling Stone, 12. September 1985).

3 Garry Mulholland, Fear of Music (London: Orion 2006), S. 175.

4 Karlen, a. a. O.

5 Kyle Parks, »Only a Bad Album Could Dethrone Prince«, Evening Independent (5. April 1985).

6 Alan Leeds, Covernotizen zu The Hits/The B-Sides, Paisley Park/Warner Bros. 1993.

7 Der Strip findet sich in G. B. Trudeau, Check Your Egos at the Door (New York, Holt 1984, nicht paginiert).

8 Leeds, a. a. O.

9 Karlen, a. a. O.

10 Etwa um diese Zeit schrieb er zudem den Song »Come Elektra Tuesday«, und später benannte er Tara Leigh Patrick in Carmen Electra um.

11 Die Originalversion von »Around The World In A Day« mit Davids Gesang und anderem Text ist nicht im Umlauf, das 2006 postum erschienene Album This Is David Coleman ist jedoch durchaus hörenswert und gibt einen guten Überblick über seine künstlerische Bandbreite. Enthalten ist u. a. ein Song mit Wendy Melvoin am Bass (»Oh Come Back Rev«), der ebenso gut ist wie »Around The World In A Day«. Die außerordentlich atmosphärische Sammlung, größtenteils von Coleman selbst aufgenommen, gespielt und gemischt, umfasst Spoken-Word, Pop und experimentelle Musik (etwa den leicht gruseligen verlangsamten Gesang auf »Inersia«) irgendwo zwischen The Replacements, Bongwater, Ween, The Butthole Surfers und Weltmusik.

12 Auf der Rückseite der Single war der Song »She’s Always In My Hair«, der scheinbar verschwand, bis sich Prince bei der Zusammenstellung seiner B-Seiten für die Warner-Kompilation an ihn erinnerte. Danach tauchte er auch im Konzertprogramm auf, und Prince spielte eine Liveversion im neunten seiner »NPG Ahdio«-Podcasts.

13 Per Nilsen, DanceMusicSexRomance, S. 160 f.

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