Читать книгу Prince - Matt Thorne - Страница 14

Kapitel 8 NIKKI’S CASTLE

Оглавление

Bob Cavallo erinnert sich: »Mit der Zeit bekamen wir mit Prince ganz schön zu tun. Wir hatten einen jungen Typen – Steve Fargnoli –, der das Booking machte. Er arbeitete für mich, und wir brauchten ihn als Partner, weil Prince 24 Stunden am Tag betreut werden musste. Er wollte, dass ich nach Minneapolis ziehe. Er sagte, wenn ich wirklich verstehen würde, wie großartig er sei, würde ich sofort nach Minneapolis ziehen und aufhören, meine Zeit mit Earth, Wind & Fire zu vergeuden. Ich sagte: ›Das geht nicht, meine Kinder gehen auf die High-school.‹« Wer würde schon freiwillig nach Minneapolis ziehen?

Alan Leeds tat es. Am Ende der 1999-Tour wurde er – wie er sagt – »Offroad-Roadmanager«. »Zwischen Prince und seinem Management klaffte eine Lücke«, sagt Leeds, »nicht intellektuell, eher räumlich. Sie saßen in L. A., er war eingefleischter Minnesotan. Da gab es einen geografischen Abstand. Prince brauchte ein Vollzeitmanagement, aber die Partner in L. A. [Cavallo, Ruffalo und Fargnoli] konnten nicht nach Minneapolis ziehen. Also brauchten sie eine Art Mittelsmann. Meine Verantwortung wuchs auf das Zehnfache; plötzlich war ich die Firma, es gab aber keine Struktur. Prince brachte nicht genug ein, um ein Vollzeitteam zu zahlen, also brauchten sie jemanden, der sich um alles kümmerte, was Prince forderte.«

Sein Aufgabenbereich umfasste nicht nur Prince, sondern auch The Time und Vanity 6 und wuchs, als die Arbeit an dem begann, was zu Purple Rain werden sollte. »Es fanden Tanzproben statt, Schauspielunterricht und die Bandproben und Studiosessions, alles gleichzeitig an verschiedenen Orten in Minneapolis.« Leeds hatte nicht einmal ein Büro: »Alles Geschäftliche spielte sich im Probenraum und in meinem Wohnzimmer ab.«

Cavallo ist bis heute beeindruckt von der Chuzpe, mit der Prince seinem Management erklärte, er wolle einen Film drehen. »Ich dachte, wir hätten fantastische Arbeit geleistet, der erste Vertrag war fällig. Steve war mit ihm in Atlanta, und ich sagte: ›Sag Prince, wir geben ihm einen Vertrag für weitere fünf Jahre.‹ Und Steve rief mich an und meinte: ›Das wirst du nicht glauben. Der Junge sagt, er unterschreibt bei uns, aber nur wenn er einen großen Kinofilm machen kann. Nicht mit irgendeinem Juwelier oder Drogendealer, sondern mit einem großen Studio, und er will seinen Namen über dem Titel.‹ Wie aussichtslos das war, muss ich dir nicht sagen.«

Ein Regisseur war ebenso schwer zu finden: »Alle Kandidaten sagten ab. Ich sprach persönlich mit jedem von ihnen. Ich wollte Jamie Foley, der einen Film namens Reckless1 gemacht hatte, doch er hatte kein Interesse. Im Vorführraum saß jemand hinter mir, den ich für einen Assistenten hielt. Als der Film zu Ende war, fragte er: ›Wie findest du ihn?‹ Ich sagte: ›War schon okay, hat mir gefallen, guter Schnitt.‹ Und er: ›Oh, den hab ich gemacht.‹ Das war also der Cutter, Albert Magnoli. Er hatte außerdem den Film Jazz für die USC-Filmschule produziert und Regie geführt. ›Ich bot Albert die Sache an, und natürlich lehnte er ab. Ich sagte: ›Wie kannst du absagen? Du hast nicht mal ’nen Topf zum Reinpinkeln. Ich gebe dir die DGA-Mindestgage, 75 Riesen.‹ Aber er meinte: ›Das Drehbuch ist zu spießig, zu fernsehmäßig.‹ Und ich: ›Du hast recht, das müssen wir ändern.‹«

Cavallo gab Magnoli eine Woche Bedenkzeit, dann trafen sie sich in einem Restaurant, und »er spielte mir im Grunde den Film vor. Er ist sehr athletisch und lebhaft. Wir waren in Art’s Deli, er hüpfte aus der Nische und zeigte mir, was er machen würde. Und er sagte: ›Weißt du noch, die Schlussszene in Der Pate, wo Al Pacino dasteht, als sein Sohn getauft wird, und sie schneiden immer wieder dazwischen, wie Pacinos Feinde von seinen Leuten umgebracht werden?‹ Das, meinte er, wird unser Anfang. ›Prince spielt den Einleitungssong, und ich stelle die Figuren vor – Apollonia, Morris, Jerome, den Clubbesitzer und Prince selbst beim Schminken und auf seinem Motorrad.‹ Ich fand das sehr clever.«

Wie wichtig der Club First Avenue in Minneapolis für Prince war, ist oft betont worden. In einer Dokumentation zur Veröffentlichung der 20-Jahre-Jubiläums-DVD von Purple Rain berichten diverse Prominente über seine ersten Anläufe dort – und wie er Punkshows im 7th Street Entry nebenan besuchte. Aber obwohl er für immer mit dem Club verbunden blieb, in dem ein Großteil von Purple Rain spielt, war das Benefizkonzert für das Minnesota Dance Theatre erst sein dritter Auftritt dort. Dabei entstanden Aufnahmen für »I Would Die 4 U«, »Baby I’m A Star« und »Purple Rain«, und dort spielte er erstmals »Let’s Go Crazy« und »Computer Blue« und zum einzigen Mal »Electric Intercourse« vor Publikum.2 Leeds meint jedoch: »Ich glaube, keiner von uns, nicht mal er, ahnte, dass diese Aufnahmen die Grundlage für ein Album bilden würden, schon gar nicht für eine Filmmusik.«

Es gibt Aufnahmen von »Let’s Go Crazy« bei den Proben für diese Show, die belegen, wie viel Spaß der neue Song machte und wie locker er war, bevor er die knappe Form annahm, die wir heute kennen. Anfangs ähnelte er offenbar einem Punksong. Ein Großteil von Purple Rain fällt in das leicht überdrehte Rock-Genre, und es ist klar, dass Prince die Band auf diesen Sound drillen musste, wobei die Leichtigkeit verloren ging.

Von allen Songs auf Purple Rain erfuhr »Computer Blue« auf dem Weg vom Probenraum zum Album die meisten Änderungen. Wendy Melvoin und Lisa Coleman fühlten sich bisweilen regelrecht schikaniert von dem Song und meinten, er gehe letztlich auf eine Improvisation zurück. Was die meisten Hörer anspricht, ist der Dialog zwischen den beiden zu Beginn des Songs. Wendy wünschte, »es steckte was Interessanteres dahinter, aber Prince gab uns einfach einen Zettel und sagte: ›Sprecht das.‹« Ihr zufolge entstand der Song in einer Probe auf Grundlage von Lisas Leitlinie. »Ich hatte an dem Tag einen coolen Sound auf meinem Oberheim (Synthesizer)«, meint Lisa. »Wir brauchten etwa fünf Minuten, das war’s, und 500 Jahre später reden wir immer noch davon. Miss Haversham … was bedeutet das?« »Wir hatten keine Ahnung von dieser schrägen psychosexuellen Lesbensache«, sagt Wendy. »Zumindest ich nicht.«

Die »Computer-Blue«-Version in der First-Avenue-Show war doppelt so lang wie auf dem Album, experimentiert wurde sogar mit noch längeren, komplizierteren Versionen. Es entwickelten sich nicht nur längere Gitarrenparts oder Jams, sondern Themen und Bilder, die Prince in späteren Werken wieder aufgriff und ausarbeitete. In einer langen Version von »Computer Blue« wird ein Haus voller Korridore beschrieben, die für unterschiedliche Gefühle stehen, etwa Lust, Unsicherheit, Furcht und Hass. Mit etwas Ähnlichem spielte Prince auf dem Album The Gold Experience, das auch sein Interesse an Computern unterstrich. Die Extended Version enthält einen Wettstreit zwischen Prince und Wendy: Sie meint, der Computer in dem Song solle aufhören, Frauen als Schmetterlinge zu betrachten, und sie ebenfalls als Computer anerkennen. Es gibt Textzeilen über Kirchgänge und die Erwartung »der Morgendämmerung«, was Prince bis 1997 beschäftigte und in »17 Days« aus der gleichen Phase ebenfalls Erwähnung fand. »Computer Blue« ist mit einem anderen Song seiner Zeit verknüpft, »Father’s Song«, der in Purple Rain lief und den Prince auf der folgenden Tour oft spielte. Als Koautor ist John L. Nelson genannt; es könnte also sein, dass Prince ein Pianostück von seinem Vater als Anregung nutzte, was bei diesem Projekt besonders passend scheint, in dem er seine Familie zu dramatischen Zwecken fiktionalisierte. Matt Fink beharrt jedoch darauf, Prince’ Vater habe die Melodie der Bridge geschrieben und sie Prince vorgelegt.

Der Song von diesem Abend, der es nicht in Purple Rain schaffte, »Electric Intercourse«, ist einer der besten unveröffentlichten Prince-Nummern und eine seiner besten Aufnahmen überhaupt. Er gab »The Beautiful Ones« den Vorzug, aber »Electric Intercourse« kann mit jeder Nummer auf dem Album mithalten und wird höchstens vom Titelsong in den Schatten gestellt. Der Text ist ziemlich eindeutig – eine weniger subtile Verbindung von Sex und Maschine als »Computer Blue« –, doch der Song hat den Charme, aber nicht die Bombastik von »Purple Rain«.

»I Would Die 4 U« greift das »Computer Blue«-Thema von Frauen als Schmetterlingen auf und ist der schwächste Track. Später veröffentlichte Prince eine zehnminütige Probeversion mit The Revolution, Sheila E. und Mitgliedern ihrer Band (darunter Miko Weaver, der später bei Prince spielte) von der Purple-Rain-Tour. Mit ihren langen Percussion-Breaks hat diese Version mehr Latin-Feeling, was nicht ganz zu dem Rock-Song passt. Es erinnert aber daran, dass das allgegenwärtige Purple Rain nur eine Seite von Prince’ musikalischer Vielfalt zeigte. Auffällig ist auch die Präsenz von Eddie Minnifields Saxofon-Solo, vor allem, weil Prince bald danach mit Eric Leeds zu arbeiten begann, den er von The Family in seine Hauptband holte.

Prince’ späterer Toningenieur H. M. Buff sagte mir, Prince’ Gitarre auf »Baby I’m A Star« sei verstimmt, wahrscheinlich weil der Song auf einer Liveaufnahme beruhte. Ein Demo des Songs, auf dem Prince das Publikum anspricht, unterscheidet sich nicht substanziell von der veröffentlichten Fassung. Es ist das letzte Mal, dass Prince sich – selbst als gespielte Figur – erlauben konnte, davon zu singen, kein Geld zu haben.

Wahrscheinlich wird Prince in der Erinnerung immer am ehesten mit »Purple Rain« verbunden bleiben. Er hat mindestens zweimal bewusst versucht, es zu kopieren, einmal für den Titelsong seines vierten Filmes Graffiti Bridge und später unter Pseudonym als »Gold«. Konzertneulinge wollten ihn immer als Erstes hören, alte Hasen als Letztes (neben »Cream«, »Kiss« und »Let’s Go Crazy«).3 Er hat Konzerte damit eröffnet und beendet, es als Mittelpunkt benutzt und irgendwo reingeschmuggelt, wo er nicht viel daraus machen konnte, ohne die Show aus der Bahn zu werfen. Er sagte auf der Bühne, Leute hätten ihn auf Flughäfen mit dem Titel ausgerufen statt mit seinem Namen, und obwohl er ihn in fast jedem Konzert spielte, ging seine emotionale Wucht nie ganz verloren. Es gibt kein Demo davon, und als Prince ihn erstmals im First Avenue spielte, hatte er eine zusätzliche Strophe. Bei einer Probe für das Konzert zu seinem 26. Geburtstag spielte er eine veränderte Version, bekannt als »Gotta Shake This Feeling«, mit anderem Text. Als er den Song auf der Purple-Rain-Tour vorstellte, schien er sich ins Endlose zu dehnen, immer wieder verlängert im Lauf der gewaltigen Tournee durch die USA, über die Prince sich später negativ äußerte: »Purple Rain, das waren 100 Shows, und etwa um die 75. herum wurde ich wahnsinnig … Es war blutig damals. Ich verrate nicht wieso, aber ich war voller Blut. Es waren die längsten Shows, weil man wusste, was passieren würde.«4

Albert Magnoli zufolge gab die Benefizshow im First Avenue dem Film seine Form; und das zentrale Drama entstand aus der Darbietung des Titelsongs an jenem Abend. »Monate vor der Vorproduktion war ich im First Ave in Minneapolis und hörte Prince mit The Revolution eine rohe Version von ›Purple Rain‹ spielen. Nach dem Auftritt traf ich ihn backstage und fragte, wie der Song heiße. Er sagte: ›Purple Rain.‹ Ich schlug vor, den Song für den zentralen Moment der Geschichte zu benutzen: nachdem er seinen erschossenen Vater im Keller findet. Prince stimmte zu und fragte, ob der Film heißen könne wie der Song. ›Ja‹, sagte ich, und von da an hieß der Film ›Purple Rain‹.«5

Da der Film aus dem Song entstand und nicht umgekehrt, müssen wir die Bedeutung des Textes nicht mit der Handlung des Films in Einklang bringen. Es liegt jedoch nahe, dass Prince die überzählige Strophe – in der er seiner Angebeteten erklärt, er wolle ihr Geld und nicht ihre Liebe – aus der endgültigen Version strich, damit der Song im Film seinem Vater gewidmet sein konnte und zugleich zur Handlung passte. Überraschend ist, dass der Song, der Prince als Künstler definierte, zwar hymnisch klingt, es aber um Unsicherheit geht; Prince zieht darin verschiedene Rollenmodelle in Erwägung (Liebhaber, Anführer).

Wie das Drehbuch zu Purple Rain entstand, ist nicht ganz klar. Sicher scheint, dass die Idee für die Handlung von Prince kam – Barney Hoskyns sah, wie er während der Tour mit Vanity 6 und The Time Filmszenen in ein lila Notizbuch kritzelte – und er den Drehbuchautor William Blinn beauftragte, das Tourleben zu verfolgen und in ein Skript zu verwandeln. Dez Dickerson sagte mir jedoch, schon zuvor habe ein Autor »die erste Version geschrieben, ein Drehbuch, das gekürzt und neu geschrieben wurde. Der Autor war sehr aufmerksam, still und unscheinbar, irgendwie harmlos. Er sagte nicht viel.«

Wendy Melvoin hingegen erinnert sich, der Regisseur habe die Geschichte ausgestaltet: »Es war eine merkwürdige Situation. Wir waren alle dabei, während Purple Rain geschrieben wurde. Es drehte sich um Prince. Al Magnoli hatte jeden einzeln befragt: ›Wenn dies und das passiert, was sagst du dann?‹ Das war das Drehbuch, so erlebten wir das. Es dauerte drei Monate, während wir für die Purple-Rain-Tour Songs schrieben und probten. Das geschah alles gleichzeitig. Als der Film fertig war, gingen wir ein Jahr auf Tour. Sechs Monate schreiben, proben, spielen, filmen, aber wir kriegten nichts zu sehen. Ich weiß noch, wie ich mich über Matt ärgerte, weil ich ihn sagen hörte: ›Gott muss Wendys Periode durcheinandergebracht haben‹, das war echt blöd. Ich dachte: ›Das würdest du sagen, wenn man dir dieses Szenario vorlegt, Matt, das?‹«

Dickerson war nicht dabei: »Nein, ich erinnere mich an ein paar persönliche Gespräche. Der Film basierte locker auf halb autobiografischen Details. Trotz der Dynamik in der Band bezog sich die Wendy-und-Lisa-Nebenhandlung im Film auf die Beziehung zwischen Prince und mir. Es war wie im echten Leben. William Blinn habe ich nie getroffen. Es kam wirklich alles von Prince.«

Während er an den Purple-Rain-Songs arbeitete, schrieb Prince nebenbei Songs und machte Aufnahmen für ein zweites Vanity-6-Album, aus dem eine Apollonia-6-Platte wurde, nachdem Vanity Purple Rain und die Band verließ (siehe Kapitel 21). Es gab Überschneidungen zwischen beiden Projekten; Prince schnappte sich »Take Me With U« von Apollonia, während »G-Spot« für beide Platten in Betracht gezogen wurde. Es landete schließlich auf dem Debütalbum von Jill Jones (siehe Kapitel 21), funktioniert aber als Prince-Demo viel besser, auch wenn es eher dem lockeren sexy Funk auf 1999 ähnelt als irgendwas auf Purple Rain. »Darling Nikki«, das Prince als Ersatz für »G-Spot« schrieb, klingt eher wie der Rest des Albums und dennoch erstaunlich anders.

Warum zum Beispiel hat Nikki eine Burg? Spielt Prince damit in diesem Song über Sadomasochismus bewusst auf Gothic an (und vielleicht auf de Sade)?6 Ließ er sich von Justine oder Juliette anregen, von erinnerten Bildern aus der erotischen Bibliothek, die ihn eigener Aussage zufolge einst inspirierte? Oder parodiert er auf diesem Crossover-Rockalbum einfach Heavy-Metal-Klischees? Mark Edmundson schreibt in Nightmare on Main Street: Angels, Sadomasochism and the Culture of the Gothic: »Gothic ist eine der gängigsten Ästhetiken für Rockvideos.«7 (Für Edmundson sind allerdings eher Madonna8 und Michael Jackson9 typische Vertreter dieser Richtung.) Barney Hoskins betont, der Song verbinde die Thematik der Horror-US-Sitcoms The Munsters und The Addams Family; die Gothic-Anklänge sind also wohl bewusst gewählt und zugleich theatralisch übertrieben.10

Wir wissen, dass sich Prince seine sämtlichen Kollegen auf Warner Bros. anhörte. Etwa auch Frank Zappas Zoot Allures, das ein Jahr vor Prince’ Vertragsunterzeichnung erschien? Und wenn, hat er sich eingehender mit »The Torture Never Stops« befasst, dessen Sound und Text »Darling Nikki« zwar nicht ähneln, das aber in einem Verließ spielt, das wie eine Hardcore-Version von Nikkis Burg wirkt und ebenfalls von de Sade beeinflusst ist?

Oder ist die Burg gar nicht so furchterregend? Über Burgen sang Prince zuerst via The Time und den Song »Ice Cream Castles«, der auf einem Joni-Mitchell-Text beruhte. Entstammt dieser Song der gleichen Quelle? In der Liveversion geht Nikki weiter: Statt ihrer Telefonnummer lässt sie ihre Unterwäsche auf der Treppe zurück.

Ein schönes Detail zu »Darling Nikki«: Zwar landete es wegen seines sexuellen Inhalts auf Platz eins der »Schmutzigen 15« des Parental Music Resource Center (mehr dazu in Kapitel 21), aber der Einsatz von Rückwärtsaufnahmen – eine Technik, zu deren angeblich schädlicher Wirkung das PMRC einen Dr. Joe Stuessy vor dem US-Kongress aussagen ließ – diente Prince nicht zur Verbreitung satanischer Propaganda, sondern um eine christliche Botschaft in seinem anzüglichen Song unterzubringen. In seiner »gespiegelten« Mitteilung verkündet Prince, wie glücklich ihn der Gedanke an die künftige Auferstehung Christi macht.11 Wo es in Prince’ Werken Dunkelheit gibt, ist das Licht selten fern.

Heutzutage Raising PG Kids in an X-Rated Society (1987) von PMRC-Chefin Tipper Gore zu lesen, ist ziemlich verwirrend. Das liegt an den vielen Veränderungen in der Musik, seit das Buch erschien, aber auch daran, dass Prince später auf Obszönitäten komplett verzichtete, ein Faible für Soft-Jazz entwickelte und relativ harmlos erschien. Vor allem aber war es schon damals abwegig, ihn in eine Schublade mit Mötley Crüe, W.A.S.P. und den Regisseuren von Slasher-Filmen wie Freitag der 13. und Ich spuck auf dein Grab zu stecken. Tatsächlich war Prince’ Haltung zur Gewalt in Hollywood-Produktionen später wesentlich extremer als die von Tipper Gore.

Gore achtete offenbar nur auf die Texte, weshalb ihr das Wesen von Prince’ Bühnenshow entging. Brillant und etwas ärgerlich umreißt es Miles Davis in seiner Autobiografie so: Prince »wird mit jedem fertig, weil er jedermanns Illusionen erfüllt. Er hat diese vulgäre Art, fast wie Zuhälter und Nutte in einer Person, diese Transvestitennummer. Aber wenn er das nicht jugendfreie Zeug über Sex und Frauen funky singt, tut er das mit hoher Stimme, fast wie ein Mädchen. Wenn ich zu jemandem ›Fuck you‹ sage, ruft er wahrscheinlich die Polizei. Wenn Prince das mit seiner Mädchenstimme sagt, finden es alle süß.«12

Nach dem Entschluss, auf der Bühne auf Kraftausdrücke zu verzichten, strich Prince »Darling Nikki« 2001 aus seinem Programm (allerdings neckte er sein Publikum manchmal mit dem Intro). Bei der letzten Livedarbietung war es jedoch um einiges nihilistischer, wobei Tänzerin Geneva die Rolle des Pornoschulmädchens übernahm.

Ein paar Wochen nach dem Benefizkonzert im First Avenue kehrte Prince ins Sunset Sound zurück, um an dem Album zu arbeiten, und beschloss, »Electric Intercourse« durch einen neuen Song zu ersetzen, »The Beautiful Ones«. Ein Großteil seiner besten Sachen war offenbar inspiriert von seiner Beziehung mit Wendy Melvoins Schwester Susannah. »The Beautiful Ones« passt thematisch mit seinen Anspielungen auf Malerei und Unsicherheit zu diesen späteren Songs. Im Alleingang eingespielt, ist es keine narzisstische Hymne auf Prince’ Gefolge oder das der Band – wie man erwarten könnte und wie es bei späteren Songs sicherlich der Fall gewesen wäre –, sondern eine vorgebliche Klage darüber, dass die wichtigen Frauen im Leben immer die unnachgiebigsten sind.

*

Prince’ erfolgreichster Film Purple Rain ist ein echtes filmisches Pendant zur Triple-Threat-Tour:13 Alles dreht sich darin scheinbar um den Wettbewerb – der Einzige, gegen den sich Prince jedoch behaupten muss, ist er selbst. Als Prince und Apollonia an einem Musikladen vorbeikommen, sieht man mehrere Schaufensterpuppen; eine hält eine weiße Cloud-Gitarre. Der Subtext ist klar: Alle Figuren in dem Film sind Prince’ Marionetten. Das unterstreicht er in einem Streit mit Wendy Melvoin um ein Band, das sie ihm vorspielen will – die Musik zu »Purple Rain« –, indem er ein Affenpüppchen hochhält und zum Bauchredner wird. Die drei wetteifernden Bands – The Time, The Revolution und Apollonia – sind allesamt Schöpfungen von Prince, und die Art, wie er sich selbst als von Morris Days Machenschaften abhängiger Underdog darstellt, sorgt für eine bewusste Spannung; dennoch steht seine Überlegenheit nie in Frage. In der Eröffnungsszene im First Avenue ist Prince Support-Act für The Time, was aber auch bedeutet, dass er im Film zuerst zu sehen ist, und zwar mit einer vollständigen Version von »Let’s Go Crazy«, bevor die Headliner ein gekürztes »Jungle Love« spielen. Zwar gibt es eine Szene, in der Prince im First Avenue Apollonia trifft – eine bewusste Anspielung auf seine erste Begegnung mit Vanity (die wegen Streitigkeiten über ihre Gage nicht an dem Film beteiligt war) –, rekrutiert wird Apollonia jedoch von Morris Day, der auch ihre Proben leitet. Auch wenn Prince die Fäden in der Hand hält, bestätigt die Szene mit Wendys Tonband, dass dieses Album anders als seine Vorgänger keine Soloplatte ist, sondern – zumindest für fünf der neun Songs – ein Gruppenprojekt.

Anders ist es bei »When Doves Cry«. Die erste Single, der zweitbekannteste Song, wurde allein aufgenommen. Alan Leeds war dabei, als Prince der Band bei einer Probe eine Kassette mit dem Song vorspielte: »Alle machten sich über ihn lustig, weil auf der Platte kein Bass war: ›Wie willst du ohne Bass einen Hit landen?‹ Und er prahlte, das könne nur er. Ich erinnerte mich nur an diese simple kleine Pianomelodie, und ich wusste, das wird ein Hit.« Sein Management unterstützte Prince, aber für das Label war es als Single nicht die erste Wahl. Howard Bloom erinnert sich, dass Bob Cavallo nach New York flog, um es ihm vorzuspielen: »Er spielte mir einen Song vor, den s [von Warner Bros.] als erste Single haben wollte. Es war ein Stück Funk-Mist. Dann legte er ›When Doves Cry‹ auf, und ich fühlte den ganzen Film in dreieinhalb Minuten. Bob brauchte Unterstützung, um ›When Doves Cry‹ als erste Single rauszubringen.«

Es wurde einer der beliebtesten Prince-Hits und bleibt bis heute ein außergewöhnliches und überzeugendes Porträt weiblicher Sehnsucht. Aber während »When Doves Cry« für die Abkehr von einer bestimmten Art männlicher Sexualität gefeiert wurde, befremdete der Film viele Zuschauer, vor allem Szenen, in denen etwa Morris Days Leibwächter Jerome eine Frau in einen Müllcontainer wirft und Prince Apollonia dazu bringt, in einen eisigen See zu springen. In einem MTV-Interview danach gefragt, sagte Prince: »Moment, ich habe Purple Rain nicht geschrieben, das war jemand anderer, und es war eine Geschichte, eine erfundene Geschichte, so und nicht anders sollte man das sehen. Gewalt kommt im alltäglichen Leben vor, und wir haben nur eine Geschichte erzählt. Ich bin nicht sicher, ob es so gesehen wurde. Ich denke nicht, dass irgendwas, was wir gemacht haben, unnötig war. Vielleicht haben wir es des Humors halber manchmal übertrieben. Wenn das so ist, tut es mir leid, aber beabsichtigt war das nicht.«

Howard Bloom tat, was er konnte, damit der Film ein Massenpublikum erreichte. Seine Kampagne begann gleichzeitig mit den Dreharbeiten. »Bob beauftragte eine Film-PR-Firma in L. A. und eine der üblichen Presseagentinnen. Die machte aber nichts, sie schrieb nichts, brachte nirgendwo etwas unter. Eines der Dinge, die ich für Prince tat, war Folgendes: Meine PR-Konkurrenten dachten, sie machen einen Superjob, wenn sie sechs Geschichten pro Monat kriegen. Ich glaubte, ich hätte versagt, wenn wir weniger als 120 Geschichten im Monat bekamen. Die Leute merken sich keinen Namen, bis sie ihn sechsmal gelesen haben, sie erkennen keinen Song, den sie nicht 15 Mal gehört haben. Du brauchst Hunderte Wiederholungen, um einen Künstler zu etablieren. Ich nahm alle Klatschkolumnen, die ich finden konnte, bemühte mich um jeden möglichen Artikel und bekam jede Woche was über Prince in die Zeitung. Als der Film rauskam, wurde Prince langsam bekannt und sein Name setzte sich durch.«

Laut Bloom war Prince’ Management dennoch nervös. Kein Wunder, da Cavallo zufolge er und Prince die gesamten Dreharbeiten finanziert hatten. Bloom erinnert sich: »Bob Cavallo rief mich an und sagte: ›Du musst morgen früh um elf hier sein. Wir waren im Schneideraum und haben getan, was wir konnten, um einen Film draus zu machen, aber es ist kein Film. Wir führen ihn morgen Warner Bros. vor, du musst dabei sein.‹« Bloom nahm sofort ein Flugzeug, und sein Eindruck im Vorführraum war ein ganz anderer: »Die Musik hämmerte mir in den Bauch, und der Film war eines der sagenhaftesten Erlebnisse meines Lebens. Seit ich ein Kind war, suchte ich in der Kunst immer etwas, das was mit dir macht, was du buchstäblich nicht beschreiben kannst. Und dass mich das so voll traf, lag daran, dass die Handlung durch die Musik vermittelt wurde.«

Im Konferenzraum nach der Vorführung, sagt Bloom, »herrschte eine Stimmung wie auf einer Beerdigung. Die Gesichter gaben genau wieder, was die Leute von dem Film hielten – ein Reinfall –, und sie fragten sich, wie sie Bob Cavallo das sagen sollten. Sie hätten ihre Karriere drauf verwettet. Sie wollten den Film in sechs Kinos in Arizona zeigen. Wenn du so was hörst, weißt du augenblicklich, dass man dich lebendig begraben hat. Dann kam ich zu Wort, und ich stand auf und sagte ihnen: ›Wenn ihr irgendwas unternehmt, um diesen Film zu vernichten, vernichtet ihr ein Stück Geschichte. Dieser Film ist fürs Kino das, was die Beatles 1964 für die Popmusik waren, und wer das nicht begreift, macht sich auf jede denkbare Weise schuldig.‹« Nach dieser Besprechung änderte sich die Einschätzung. Bloom räumt ein, dass auch Bob Cavallo ungeheuer viel dazu beitrug, den Film Purple Rain an die Massen zu bringen. »Statt in sechs starteten wir in 100 Kinos, und zwar in Zusammenarbeit mit MTV, was damals das Heißeste überhaupt war. Für MTV bedeutete es eine Grenzüberschreitung, etwas mit einem schwarzen Künstler zu machen, aber sie machten es, und es klappte.«

Purple Rain war eines der seltenen Projekte, für die Prince nicht tief in seinem Archiv grub, sondern überwiegend neue Songs schrieb, die in verschiedenen Formen auf dem Album oder im Film landeten. Es gibt außerdem ein paar Songs, die nicht eingesetzt und gesondert veröffentlicht wurden, etwa »17 Days«14 und »Erotic City«.15 Wendy erinnert sich an »17 Days«: »Es entstand bei einer ›Purple Rain‹-Probe. Lisa und ich spielten ein Riff, und Prince begann, die Melodie zu singen.« »Wir waren echt in Spiellaune«, sagt Lisa. »Wir spielten eine Art Reggae-Groove und probierten einiges aus. Wie Musiker nun mal sind, stachelten wir uns ständig gegenseitig mit Polyrhythmen an, dieses Feeling gegen jenes, bis was Cooles rauskam. Er meinte: ›Hey, das mag ich irgendwie.‹ Geschrieben war es schnell. Den letzten Schliff gaben wir dem Song bei ihm zu Hause.«16 Aber so gut »17 Days« auch ist, gab doch »Erotic City« Prince die Richtung vor, die er einschlagen sollte. Das Duett mit Sheila E. wurde später zum Eröffnungssong der Lovesexy-Tour. Inmitten seiner Rock-Phase produzierte er diesen Dance-Track – einen seiner besten Songs, nicht unbedingt wegen des Textes, sondern wegen des technisch beschleunigten Gesangs –, eine kreative Technik, die voll auszuschöpfen ihn noch einige Zeit in Anspruch nahm. Ein weniger bekannter, aber ebenfalls wundervoller Purple-Rain-Outtake ist das erwähnte »Billy«, zweifellos ein Ex-und-hopp-Rock-Funk-Jam, der trotzdem in meinen persönlichen Prince-Top-Ten rangiert. Im Gegensatz zu anderen ähnlichen Probemitschnitten ist er strukturiert und stringent, vielleicht am ehesten vergleichbar mit dem viel späteren »The Scandalous Sex Suite« in der Weise, wie Prince einen langen Song um wiederholte Themen und Sequenzen baut. Der simple Text handelt von Billys hässlicher Sonnenbrille in Purple Rain, aber Prince’ Gesang und sein Gitarrenspiel waren nie besser.

Alan Leeds denkt, Prince habe Purple Rain auch deswegen gemacht, weil er sich mit seinen Eltern aussöhnen wollte: »Ich sah es als den Versuch von Vater und Sohn, sich wiederzufinden. Der Vater kommt in dem Film vor, wenn auch fiktiv, und Prince hatte großen Respekt vor seinem Vater als Musiker. Mit dem Älterwerden verstand er die Zwänge, die seinen Vater zu dem gemacht hatten, was er war – sehr einsiedlerisch und nicht sonderlich glücklich. Ganz klar ein Mann, dessen Leben nicht so verlaufen ist, wie er wollte. Und hier kommt sein Sohn und lässt seinen Vater neu einkleiden, um ihn zu Filmpremieren und MTV-Specials mitzunehmen, mit einem Playboy-Model an jedem Arm. So konnten sie eine Beziehung aufbauen.«

Nicht jeder in Minneapolis war glücklich über die Art und Weise, wie Prince seine Vergangenheit in Purple Rain wiederbelebte. Pepe Willie erinnert sich: »Da war ich sauer auf ihn, weil Prince mich anrief und sagte: ›Pepe, ich hab eine Rolle in Purple Rain für dich. Du wirst dieser Clubbesitzer sein.‹ Dann rief er mich aber nie mehr an. Weil ich auch Schauspieler bin, sprach ich selbst vor und bekam die Rolle.«

Willie sagte mir auch, der Film habe zum Zerwürfnis zwischen Prince und Morris Day geführt. »Sie hatten einen Streit. Ich weiß nicht, um was. Prince brüllte Morris an: ›Du schuldest mir was‹, und ich setzte mich hin und dachte: ›O nein, da haben wir’s.‹ Dann brüllte Morris: ›Ich schulde dir was? Wenn jemand jemandem was schuldet, dann du Pepe.‹ Und ich sagte: ›O nein, wieso zieht er mich da rein?‹ Morris verließ damals die Band. Er ging nach Los Angeles und rief mich eine Woche später an: ›Pepe, du musst mir helfen.‹ Also meinte ich: ›Unterschreib nichts, ich nehme den nächsten Flieger.‹ Ich flog nach L. A. und fing an, seine Angelegenheiten auf die Reihe zu kriegen. Seine Mutter wohnte dort. Ich musste sein Team zusammenstellen und sagte: ›Okay, Morris, wir müssen dir ein Management und einen Buchhalter besorgen, und ich muss mit der Plattenfirma reden.‹ Das tat ich auch. Ich ging zu Warner Bros., redete wegen Morris mit Mo Ostin und verhalf ihm zu einem Management.«

Überraschenderweise war Prince’ rockigstes Album das erste, das auch Rapper für sich entdeckten. MC Hammer baute den Song »Pray« auf Samples aus »When Doves Cry«, 2Pac bediente sich für »Heartz Of Men« bei »Darling Nikki«. Offensichtlich zielte Prince damals mit einer bombastischen Liveshow und 98 Konzerten in den USA und Kanada auf das Herz der USA. Offiziell wurde das Ganze dokumentiert in Double Live, dem Videomitschnitt einer Show in Syracuse, den weltweit zwölf Millionen Menschen im Fernsehen sahen. Das Tourprogramm bestand fast ausschließlich aus Nummern von 1999 und Purple Rain. Nach ein paar Songs gab es ein seltsames Zwischenspiel: Die Band spielte »Yankee Doodle Dandy«, und Prince veralberte die Zuschauer, er werde sie mit in sein Haus nehmen und für immer dort behalten. Im Set war auch der ziemlich merkwürdige Song »God«, den Prince in zwei Versionen auf der britischen und der US-Ausgabe der Single »Purple Rain« veröffentlichte. Die Gesangsversion, schlicht »God« betitelt, findet sich auch in der Box The Hits (1993), das Instrumental »God (Love Theme From Purple Rain)« ist schwerer aufzutreiben. In dem Lied debattiert Prince mit Gott und spielt auf »The Dance Electric« an, das er für André Cymone schrieb. Ich fragte Wendy Melvoin, wie ernst es Prince mit seinem theologischen »Verhör« war. »Für mich war das Showbiz«, sagte sie. »Ich persönlich konnte nichts damit anfangen. Das Schöne an der Sache damals war, dass in der Band Juden, Mexikaner, Schwarze, Weiße, Homosexuelle und Heteros waren. Jeder hatte eigene Ansichten, die toleriert und akzeptiert wurden.«

Lisa Coleman führt weiter aus: »Als ich zur Band kam, hatte ich das Gefühl, er fand es wichtiger, Fragen zu stellen, als Antworten zu bekommen, und irgendwann hielt er inne, und jetzt stellt er nicht mehr die Fragen, sondern gibt dir die Antworten. Das schließt viele Leute aus.« Wendy stimmt zu: »Er hatte immer die Tendenz, in Parabeln zu sprechen. Er macht keine klaren Aussagen. Er kann schnell und einsilbig reden, wenn er was will, aber wenn es um richtig philosophische Fragen geht und man sich auf eine Diskussion einlässt, kann das schwierig werden. Er hat eine andere Sprache gelernt.«

Dieses Segment der Show beschäftigte auch Kritiker wie Ken Tucker vom Philadelphia Inquirer, der schrieb: »Er … plauderte mit einer Handpuppe und sinnierte ominös über große Themen wie Leben, Tod und Gott.« Rückblickend erscheint diese Zeit wie der Moment, als Prince die Welt eroberte. Es sollte jedoch erwähnt werden, dass viele Kritiken der Tour negativ ausfielen, auch wenn die Rezensenten uneins waren, ob Prince seinen Biss verloren hatte (wie Robert Hilburn von der Los Angeles Times meinte) oder zu anstößig geworden war (wie Matt Beer von Detroit News, Richard Harrington von der Washington Post und Martin Keller vom Twin Cities Reader fanden).

Howard Bloom war über diese Beiträge ebenfalls überrascht und erinnert sich: »1984 begann Prince, sich von uns zurückzuziehen. Zum ersten Mal fiel mir das auf, als ich ihn im Nassau Coliseum sah. Es war wieder mal ein verdammt brillanter Auftritt. Prince hatte ein untrügliches Händchen für Lichtshows, aber während dieser Tour kam mittendrin plötzlich eine Stimme aus fünf Stockwerken Höhe, und es war die Stimme Gottes. Das war das erste Mal, dass Prince ein inneres Gespräch hatte. Er machte eine Verwandlung durch, vom Rebellen zum Moralisten. Und als Moralist ging er mit sich selbst sehr hart ins Gericht. Er wurde zu seinem Vater und zu etwas noch Größerem – seiner eigenen Interpretation seines Vaters. Und diese nannte er Gott. Und leider ließ er den dionysischen Gott hinter sich. Prince braucht beide. Ohne sie ist er nicht authentisch.«

Von da an, sagt Bloom, »sahen Bob und ich ihn nur noch selten. Das einzige Mal, dass ich ihn traf, war backstage, da tippte mir jemand auf die rechte Schulter. Ich schaute mich um, und 30 Meter links von mir rannte Prince lachend davon. Ich wusste, dass er mich noch mochte, weil ich ein kleines ›Hi, Howard‹ gehört hatte, aber er hatte Angst vor mir.«

Gegen Ende der Tour holte Prince bei einem Konzert in Inglewood zwei der größten Stars dieser Zeit – Bruce Springsteen und Madonna – zu einer Mammutversion von »Baby, I’m A Star« auf die Bühne. Das Gitarrensolo, das Springsteen auf Prince’ Frage »Bruce, willst du was spielen?« zum Besten gab, zeigt, ein wie viel weniger subtiler Musiker er im Vergleich zu dem flexibleren Prince war. Dessen Respekt vor Springsteen indes war aufrichtig, er schätzte ihn auch weiterhin und besuchte seine Auftritte.

Die Tour endete in Miami, die letzte Show schloss Prince mit einer Ankündigung, die man so deuten konnte, dass er sich zur Ruhe setzen wollte. Ich fragte Wendy, ob sie das Gerede geglaubt habe, er wolle nie wieder auf Tour gehen, und sie lachte: »Nein, das sagen alle Künstler. ›Ich höre auf, ich bin raus, ich mache zwei Jahre Pause‹ – alle sagen das. Ich kenne keinen erfolgreichen Künstler – und wir kennen sie alle –, der das nicht sagt. Schlaf dich mal aus und iss was Gutes.«

1 James Foley drehte später u. a. Madonnas Who’s That Girl, Glengarry Glen Ross und eine Folge von Twin Peaks.

2 In Proben spielte er den Song jedoch mindestens dreimal.

3 Außer der Veteran heißt Paul McCartney, der Caitlin Moran sagte: »Wenn ich mir Prince anschaue – ich meine, ich liebe sein Gitarrenspiel, aber ich will, dass er ›Purple Rain‹ spielt. Ich bin enttäuscht, wenn er es nicht bringt.« Moran antwortete: »Paul, weißt du, was die Leute lieben? Den ›Frog Chorus‹.« The Times, 3. Dezember 2011.

4 Dorian Lynskey, »I’m a Musician ... and I Am Music«, Guardian, 23. Juni 2011.

5 Interview Albert Magnoli mit Arclight Cinemas, 5. April 2011.

6 Oder gar »Electro-Goth«: vgl. die Interpretation des Songs durch die X-Men-Darstellerin Rebecca Romijn auf Electro Goth Tribute To Prince (Cleopatra Records 2005), einem von vielen Prince-Tribute-Alben.

7 Mark Edmundson, Nightmare on Main Street: Angels, Sadomasochism and the Culture of the Gothic (Cambridge: Harvard 1997), S. 46. Sarah Niblock und Stan Hawkins zählen Purple Rain als Film ebenfalls zum Gothic-Genre, wobei sie die Darstellung der Wohnung von The Kid mit Gruselhäusern in Last House On The Left, A Nightmare On Elm Street und Halloween vergleichen (Stan Hawkins and Sarah Niblock, Prince: The Making of a Pop Music Phenomenon (Surrey: Ashgate 2011), S. 100-104).

8 Zu ihr schreibt er, nicht ganz treffend: »... abwechselnd Gothic-Opfer und -Schurkin, Masochistin mit Halsband im Kerker, peitschenschwingende Sadistin« (ebd., S. 46).

9 »Für 90er-Gothic steht eher das Bild von Michael Jackson, der kleine Jungen in seinen kindlichen Vergnügungs-park lockt, um herumzutollen und sich anzufreunden. Jackson – der männlich-weibliche, kindlich-erwachsene, schwarz-weiße Straßenkind-Mogul und vor allem präsexuell-sexuelle Jäger – wird gerne als Gothic-typische ge spaltene Persönlichkeit dargestellt.« (Ebd., S. 13).

10 Barney Hoskyns, Prince: Imp of the Perverse (London: Virgin 1988), S. 17.

11 »Richtig herum« spielte er es während der Purple-Rain-Tour.

12 Miles Davis & Quincy Troupe, Miles: The Autobiography (London: Simon & Schuster 1989), S. 385.

13 Bobby Z. sagte im Juli 2009 zu Spin, diese sei »definitiv der Impuls« gewesen.

14 Der Song ist auch unter dem längeren Titel »17 Days (The Rain Will Come Down, Then U Will Have 2 Choose, If U Believe. Look 2 The Dawn And U Shall Never Lose)« bekannt. Signifikant ist dabei »The Dawn«, ein wiederkehrendes Bild in Prince’ religiösen Wortspielen, wie in diesem Kapitel bereits erwähnt.

15 Offenbar erfand Prince damals gerne längere Songtitel, denn auch dieser Track hat einen: »Erotic City (Make Love Not War Erotic City Come Alive)«.

16 Die bekannte feministische Musikwissenschaftlerin Nancy J. Holland hört ebenfalls Reggae-Einflüsse in »When Doves Cry«; was vermuten lässt, dass der Einfluss von Wendy und Lisa auf Prince so stark war, dass er auch seine Soloaufnahmen prägte, oder dass sie das Interesse teilten.

Prince

Подняться наверх