Читать книгу Heil mich, wenn du kannst - Melanie Weber-Tilse, Alisha Mc Shaw - Страница 10

Francoise

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Jefferson hatte gerade den Motor ausgestellt, als Fran schon aus dem Auto flüchtete. Sie ließ ihm keine Zeit auszusteigen oder gar die Tür zu öffnen. Mit schnellen Schritten war sie an der Haustür des mehrstöckigen Hauses und schloss mit zittrigen Fingern auf.

Sicherlich sahen die beiden Männer ihr gerade hinterher und redeten darüber, was für ein verkorkstes Weibsbild sie war. Wobei sie sicher war, dass Jefferson nichts Peinliches ausplaudern würde.

Anstatt den Aufzug zu nehmen, raste sie die Treppen hinauf. Das Brennen in ihren Beinen tat gut und holte sie von ihrem Trip herunter. Es war lange her, dass sie die letzte Panikattacke gehabt hatte und sie wusste, dass es einige Zeit dauerte, bis sich der verdammte Hormoncocktail in ihrer Blutbahn wieder abbaute.

Sie trat in ihre Wohnung ein, kickte sich die Pumps von den Füßen und eilte ins Schlafzimmer. Hastig riss sie eine weiche Stoffhose, Rollkragenpulli, Unterwäsche und Stiefel aus dem Schrank und verschwand mit den Sachen im Bad.

Ihr blasses Gesicht starrte ihr aus dem Spiegel entgegen. »Das hast du wieder super hinbekommen. Kannst stolz auf dich sein«, spie sie sich entgegen. Sie hatte sich sechs Jahre lang in der Thompson Holding einen Ruf aufgebaut, der nach all den Vorkommnissen und Ereignissen der letzten Wochen und Monate, anfing zu bröckeln. Sollte sie gezwungen sein, umzuziehen? So wie sie heute die Kontrolle verloren und Jefferson zugerichtet hatte, sollte sie dringend darüber nachdenken. Er hatte nur hilfsbereit sein wollen und sie war auf ihn losgegangen wie eine Furie.

Sie würde darüber nachdenken, sobald sie ruhiger war. Jetzt musste sie ihre Mauer wieder aufbauen, damit sie den Tag an der Seite ihres Chefs überstand. Sie verzichtete auf Schminke und band sich nur ihre langen blonden Haare zu einem Zopf zusammen. Es war ungewohnt, sich nicht noch zusätzlich hinter der aufgemalten Maske verstecken zu können. Francoise holte ihr Handy aus dem Täschchen … aus dem, mit dem sie Jefferson verletzt hatte und steckte es in ihre Manteltasche. Ein paar Dollar wanderten noch dazu, dann war sie fertig und ging langsam die Treppe hinab.

Wie nicht anders zu erwarten, lehnte Jeff am Auto und wartete auf sie. Fest presste sie ihre Lippen aufeinander, als sie die Wunde auf seiner Wange sah. Scheiße, wie hatte sie sich nur so vergessen können? Wobei sie fast bei der sich selbst gestellten Frage aufgelacht hätte. Sie wusste genau, warum sie so reagiert hatte und wahrscheinlich hätte jeder Therapeut ihr bei der Schilderung verständnisvoll zugenickt. Nur dass sie keinem dieser Fachidioten vertraute. Keiner von ihnen würde sich je in ihre Lage versetzen können. Studium hin, Studium her.

»Francoise«, er nickte ihr kurz zu, als er diesmal die hintere Tür aufhielt, damit sie sich neben Patrick St. Claire, ihren Chef und Mitinhaber der Thompson Holding setzen konnte.

Dieser schaute von seinem Tablet auf, als sie einstieg. »Es tut mir leid, dass wir am Wochenende arbeiten müssen, aber die Firma ist seit dem letzten Vorfall wirklich gebeutelt.«

»Ich weiß, Patrick. Kein Problem. Es tut mir leid, dass ich nicht darüber nachgedacht habe und stattdessen feiern war.«

Ihr fiel sofort Jeffs Blick im Rückspiegel auf. Sie nannte ihren Chef selten Patrick, obwohl Juliette, dessen Freundin, mit ihr per Du war und sie auch schon einige Male zum Essen eingeladen hatte. Für Fran war es eine neue Erfahrung, denn die letzten Jahre hatte sich keiner der Kollegen die Mühe gemacht, sie näher kennenzulernen. Schon gar nicht die weiblichen Kollegen. Noch nicht einmal die Männlichen, denen sie näher gekommen war, hatten Anstalten gemacht, sich mit ihr zu treffen.

Und das war auch gut so. Schnell hatte sie gelernt, dass Männer sie in Ruhe ließen, wenn sie sich wie eine billige Schlampe verhielt. Und genau das wollte sie ... ihre Ruhe. Wieder trafen sich Jeffs und ihr Blick im Rückspiegel und sie überlegte, ob er aufhörte den heiligen Samariter zu spielen, wenn sie sich an ihn ranschmiss.

Während sie noch darüber nachdachte, war sie unbewusst bereits in den Anmach-Modus gefallen. Sie befeuchtete ihre Lippen und sah Jefferson mit einem koketten Augenaufschlag an. Statt sie mit gierigem Blick zu bewundern, zog er runzelnd die Augenbrauen zusammen und sah nach vorn auf die Straße. Hatte sie etwas falsch gemacht, etwas anders als sonst gemacht? Vielleicht lag es daran, dass sie heute nicht zurechtgemacht war, wie sie es sonst war?

Viel Zeit zum Nachdenken hatte sie nicht mehr, denn der Wagen hielt vor der Firma an und Jeff stieg aus, um ihr die Tür zu öffnen. Galant hielt er ihr die Hand entgegen und sie ließ sich von ihm hinaushelfen.

»Danke«, hauchte sie und ließ die Hand über seinen Arm gleiten.

»Gerne, Ms. Denver«, antwortete er fast schon steif und entzog ihr den Arm.

Nun war es an ihr, verwundert dreinzusehen. Bisher hatte sie bei fast keinem Mann Probleme gehabt, ihn so weit zu bekommen, wie sie wollte. Außer bei Michael Thompson, denn der hatte mittendrin aufgehört und sie von sich geschubst. Wenn sie daran dachte, wurde sie heute noch rot. Immerhin hatte sie den Schwanz des Inhabers im Mund gehabt.

»Kommen Sie«, riss Patrick Francoise aus ihren Gedanken und hielt ihr den Arm entgegen. Dabei hatten die Stiefel gar keine hohen Absätze und doch benahm er sich mittlerweile wie ein Gentleman. Als er damals in der Firma angefangen hatte, war er eiskalt, arrogant und ganz weit davon entfernt gewesen, ein mitfühlender Chef zu sein. Juliette Franklin tat ihm wirklich gut. »Es wartet viel Arbeit auf uns.«

Und damit hatte er nicht übertrieben. Nach vier Stunden rauchte ihr der Kopf und sie hatte keine Lust mehr, weitere Personalakten durchzuschauen. Da vor nunmehr 48 Stunden der Vorstand empfindlich geschrumpft war, weil zwei von den Mitarbeitern in den Anschlag auf Michael Thompsons Eltern involviert waren, musste dringend Ersatz gefunden werden. Die Firma hatte schon durch Harold Thomas, der vor einem halben Jahr Gelder unterschlagen hatte, viel einbüßen müssen. Und doch war es nicht damit zu vergleichen, dass enge Mitarbeiter, die schon jahrelang an der Seite von Michaels Vater gearbeitet hatten, dessen Tod und die Übernahme der Firma geplant hatten. Das war ein schwerer Schlag für alle gewesen.

Auch wenn die Firma fortschrittlich war, so hatte man immer noch nicht alle Daten der Mitarbeiter ins System eingepflegt, das hieß für Fran, dass sie Akten zwischen Patricks Büro und der Personalabteilung hin- und hertrug. Sie konnte getrost den nächsten Besuch im Fitnessstudio ausfallen lassen, wenn sie hier durch waren.

Sie war gerade wieder auf dem Weg, einen Schwung Akten wegzubringen, als sie vor dem Aufzug direkt in Jefferson hineinrannte. Die Unterlagen fielen ihr aus dem Arm und verteilten sich über den Boden.

»Scheiße«, fluchte sie, »können Sie nicht aufpassen?« Bevor er jedoch die Chance hatte zu antworten, besann sie sich. »Entschuldigung, Jefferson. Sie können nichts dafür. Ich bin nur übermüdet und habe Hunger. Außerdem kann ich keine weiteren Akten mehr sehen.«

Sie lächelte ihn entschuldigend an und ging gleichzeitig mit ihm auf die Knie, um die Papiere aufzusammeln.

»Mr. St. Claire hat mir aufgetragen, Essen zu besorgen.« Er zeigte auf die Boxen, die er abgestellt hatte und jetzt nahm sie auch den Geruch nach gebratener Ente und Nudeln wahr.

»Chinesisch«, seufzte sie und raffte schnell die Akten zusammen. »Ich bringe die Akten weg und bin gleich wieder oben.«

»Ich kann Ihnen helfen, Francoise.«

Sie standen zusammen auf und ihr Blick glitt über seinen Oberkörper. Er hatte sich umgezogen und das Hemd lag eng an. Seinen Mantel trug er locker über den Arm, sodass man nur allzu deutlich die Muskeln erkennen konnte. Er war kein Hanswurst-Chauffeur, sondern ein wirklich stattlicher Mann. »Da bin ich mir sicher, aber ich schaffe das schon.«

Natürlich war ihm aufgefallen, wo sie hingestarrt hatte und wieder musterte er sie irritiert. Sie konnte es ihm eigentlich nicht verübeln. Erst verprügelte sie ihn und dann schmiss sie sich ihm nur allzu offensichtlich an den Hals.

»Bis gleich.« Sie huschte einfach an ihm vorbei. Der Weg zur Personalabteilung war nicht weit und irgendwie vermisste sie es, dort zu arbeiten. Nicht, dass es schlimm bei Patrick war, aber der vorherige Posten war endlich einer gewesen, den sie gern gemacht hatte. Wobei es ihr schon wieder fast ein trockenes Lachen entlockte, wenn sie daran dachte, dass sie einst kurz davor gestanden hatte, selbst eine Firma zu leiten, bis das Schicksal ihr mit aller Macht ins Gesicht geschlagen hatte.

Viel zu oft dachte sie an die Vergangenheit, das war nicht gut. Sie musste sich wieder abschotten. Und wenn das nicht half, packte sie einfach ihre wenigen Habseligkeiten und verließ New York.

Bevor sie wieder das Büro betrat, setzte sie ein neutrales Lächeln auf und gesellte sich zu den beiden Männern. Gerade solche Situationen waren am Anfang ganz schwer für sie gewesen. Mittlerweile hatte sie gelernt, damit umzugehen, und doch setzte es ihr immer wieder zu. Die Angst, die ihr im Nacken saß, würde wohl nie ganz verschwinden.

Fran setzte sich mit an den Schreibtisch und seufzte leise auf, als sie von dem Kaffee, den Jeff von Starbucks mitgebracht hatte, einen Schluck getrunken hatte. Sie hatte ihm nie gesagt, dass sie sich freute, wenn er ihr einen vorbeibrachte und den Geschmack liebte.

Während des Essens sprachen sie die Planung der nächsten Woche durch. Wenn sich keine der langjährigen Mitarbeiter aus der Firma fanden, die die beiden Posten im Aufsichtsrat bekleiden konnten, mussten schnellstens Ausschreibungen erfolgen. Für den Fall würde sich Francoise am Montag direkt an eine detaillierte Stellenbeschreibung setzen, wobei sie genau wusste, worauf es ankam. Aber es sollte jeder weiterhin denken, dass sie sich hier hochgeschlafen und sich nach und nach die Aufgaben angeeignet hatte.

»Jefferson wird Sie nach Hause bringen. Juliette holt mich ab und wir werden noch einen Stadtbummel machen.« So wie es Patrick aussprach, könnte man meinen, dass er einen Zahnarzttermin hatte und Fran versteckte ihr Lächeln hinter dem Kaffeebecher.

»Nicht nötig, ich muss auch noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen.«

Sie stand auf und verabschiedete sich. Am Aufzug holte Jeff sie ein und betrat mit ihr zusammen die Kabine.

»Ich kann Sie auch zum Laden fahren.«

»Jeff«, seufzte sie. »Ich denke, das ist keine gute Idee.«

»Warum nicht? Freunde gehen zusammen einkaufen.«

Sie starrte ihn erstaunt an. Freunde? Die Türen des Aufzugs öffneten sich und er stand zwischen ihnen, damit sie sich nicht wieder schlossen. Francoise hingegen lehnte noch perplex an der Aufzugwand. Freunde! Scheiße, der Mann war schwul. Warum war ihr das nicht gleich aufgefallen? Ein schwuler Mann würde ihr nicht gefährlich werden. Eine riesengroße Last fiel von ihren Schultern und sie schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln, als sie auf ihn zuging und sich bei ihm einhakte.

»Freunde«, sprach sie das Wort laut aus. Irgendwie fühlte es sich komisch an. Das lag wahrscheinlich daran, dass es der Chauffeur ihres Chefs war und sie mit so etwas nicht gerechnet hatte. »Freunde duzen sich aber. Ich bin gespannt, ob du das hinbekommst.«

»Aber natürlich Miss ... Francoise.«

Es würde schwer für ihn werden und Fran unterdrückte den Reiz zu lachen. Immerhin war er bemüht.

Und wie bemüht er war, merkte sie nach zwei Stunden Einkaufsmarathon, wobei sie eigentlich nur vorgehabt hatte, einige Lebensmittel zu kaufen. Allerdings hatte er darauf bestanden, sie bis in ihre Wohnung zu begleiten, um die Tüten abzuliefern. Jetzt saß er in ihrer Küche und sie packte das Eingekaufte weg.

Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie er sich neugierig in ihrer kleinen Küche umschaute. Er wirkte so deplatziert, dass sie schmunzelte. Als sie damals Hals über Kopf vor ihrer Vergangenheit geflohen war, hatte sie eine Zeit lang mit dem Geld, das sie gespart hatte, zurechtkommen müssen.

»Danke fürs Helfen, Jeff.« Sie bemerkte sofort, dass er kurz zusammengezuckt war. Unauffällig folgte sie seinem Blick und erstarrte. Da sie nie auf die Idee gekommen war, je einen Menschen mit hierher zu bringen, hing an der Pinnwand ein Bild, wie sie einst ausgesehen hatte. Man musste zwar nah herangehen, um zu erkennen, dass sie das war, aber so intensiv wie er es angestarrt hatte, war sich Fran nicht sicher.

»Ich sagte bereits, Freunde helfen sich.«

Sie schob sich zwischen ihn und das Bild und deutete ein Gähnen an. »Auch wenn es noch früh ist, die letzte Nacht war viel zu kurz.«

Er verstand den Rausschmiss sofort und als er an ihr vorbeiging, umwehte sie der herbe Duft seines Parfums.

An der Wohnungstür blieb er kurz stehen und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Ich würde dich gerne morgen Vormittag zum Frühstück einladen.«

Fran legte nachdenklich den Kopf schief. Ging das alles jetzt nicht ein wenig schnell? Gerade erst Freundschaft geschlossen und nun hingen sie gleich jeden Tag zusammen? Oh Gott. Wahrscheinlich war er froh, dass er jemanden gefunden hatte, der ihn nicht verurteilte. Egal wie abgeklärt die Menschen taten, Homosexualität hing niemand gerne an die große Glocke. Somit hatten sie beide ihre Geheimnisse, wobei er seines anscheinend mit ihr teilen wollte.

»Sehr gerne«, gab sie sich dann einen Ruck. »Bis morgen.«

»Ich hole dich um zehn ab. Auf Wiedersehen, Francoise.«

Sie blieb noch an der Tür stehen, bis seine Schritte im Treppenhaus verhallt waren und das Zuschlagen der Haustür anzeigte, dass er gegangen war.

Heil mich, wenn du kannst

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