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Kapitel 1 Einführung: Im perfekten Sturm der Freiheit

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Die Freiheit hat allzu viele Feinde, viel zu wenige Freunde – und dann auch noch meist die falschen. Ein Hoch auf die Freiheit: Das hat heute den Nimbus der Unangemessenheit – wenn nicht der Subversion. Ist nicht der Ruf nach Freiheit mittlerweile die letzte Ausrede all jener Ewiggestriger, die unter Selbstverwirklichung schon immer einen Blankoscheck für das Loslassen des inneren Schweinehunds verstanden haben?

Freiheit, das klingt in Zeiten der Pandemie auch nach einer Absage an Rationalität, ja, nach einer trotzigen Ablehnung sogar von Wissenschaft und objektiven Fakten. Wenn man Begriffe über ihre Anhänger definiert, erscheint das Beschwören der Freiheit geradezu als letztes Bollwerk all jener, die den Anschluss an die Komplexitäten der Wirklichkeit schon länger eingebüßt haben.

Sicher, der zweite Artikel unseres Grundgesetzes garantiert die »freie Entfaltung der Persönlichkeit«. Und auch in der Europäischen Union ist Freiheit als Grundwert fest und vertraglich verankert. Doch das Konzept der Freiheit ist ideologisch nach rechtsaußen gewandert. In den Niederlanden und in Österreich stehen die rechtspopulistische »Partei für die Freiheit« beziehungsweise die »freiheitliche« FPÖ schon mit ihren Parteinamen vermeintlich für die Freiheit. Im Europäischen Parlament haben sich die rechtspopulistischen Parteien gar in einer Fraktion zusammengeschlossen, die den programmatischen Namen »Europa der Nationen und der Freiheit« trägt. Die Fraktionsgründung bejubelte der niederländische Rechtsaußen Geert Wilders euphorisch als »Beginn unserer Befreiung«.

Und in Deutschland? Auch hier ist das Lob auf die Freiheit an den rechten Rand gerückt. Im Wochentakt versammeln sich rechte Vordenker in der Wochenzeitung Junge Freiheit, während die Alternative für Deutschland mit Slogans wie »Freiheit statt Brüssel« Stimmung macht.

In dem Maße aber, in dem die politische Rechte den Begriff der Freiheit besetzt, scheinen progressive Stimmen von einem uneingeschränkten Ja zum gesellschaftlichen Ideal der Freiheit abzurücken. Ein klares Bekenntnis zur Freiheit wirkt in aufgeklärten Kreisen mittlerweile nicht nur häufig als naiv und überholt, sondern fast schon als gefährliches Entgegenkommen gegenüber dem politischen Gegner.

Auch in der politischen Kommunikation spielt die Freiheit für fortschrittliche Kräfte meist nur noch eine Nebenrolle – nicht nur in Deutschland. Progressive Parteien als Stimme für den Fortschritt? Ja. Als Garant für mehr Gerechtigkeit? Sicher. Als Streiter für Klimasicherheit und globale Kooperation? Auch das. Doch als Stimme für die Freiheit, als Kämpfer gegen Bevormundung und Fremdbestimmung, haben sich die fortschrittlichen Milieus westlicher Gesellschaften schon lange nicht mehr offensiv präsentiert.

Das Ausmaß, die Hintergründe und die politischen Folgen dieses Abwendens vom Wert der Freiheit bilden das Thema dieses Zwischenrufs. Dabei soll gezeigt werden, dass die zu beobachtende Entfremdung von der Freiheit eine allzu oft übersehene ernsthafte Gefahr für die Zukunft demokratischer Gesellschaften darstellt. Denn sie fällt in eine Zeit, in der die Freiheit als Ideal ohnehin einer historisch einzigartigen Bedrohung – nicht zuletzt vonseiten der autoritären Rechten – ausgesetzt ist.

In einem perfekten Sturm aus Pandemie, Autoritarismus, Digitalisierung und Klimakrise finden sich aktuell neue und alte Feinde der Freiheit in merkwürdigen Konstellationen zusammen. Traditionelle Fürsprecher der Freiheit jedoch, die Prinzipien der Autonomie und Selbstbestimmung historisch immer wieder gegen Übergriffe des Staates und der Ökonomie, aber auch gegen das schleichende Gift der Indifferenz in Schutz genommen haben, stemmen sich diesen Gefahren nur noch äußerst selektiv entgegen. Vielerorts reagieren maßgebliche Teile des progressiven Milieus angesichts der Bedrohung gleichgültig mit Schulterzucken, senken aus den vermeintlich besten Gründen den Daumen über ein scheinbar aus der Zeit gefallenes Ideal oder entwerten das Konzept der Freiheit durch allzu leicht instrumentalisierbare Abstrahierungen.

Vor dem Hintergrund dieser Gefährdung ist es das Anliegen dieses Essays, eine Lanze zu brechen für den Grundwert der Freiheit als grundlegendes gesamtgesellschaftliches Gut. Freiheit hat keine Zukunft, wenn sich demokratische und insbesondere fortschrittliche Kräfte in Zeiten der Krise von ihr abwenden.

»Freiheit ist Freiheit«, mahnte der britisch-jüdische Philosoph Isaiah Berlin, »nicht Gleichheit oder Fairness oder Gerechtigkeit oder Kultur oder menschliches Glück oder ein ruhiges Gewissen.« Freiheit ist Freiheit: Wer diese scheinbar so simple Einsicht aus den Augen verliert, setzt nicht nur die Aussagekraft eines abstrakten Ideals auf Spiel, sondern auch die Grundlage einer demokratischen, gerechten und menschenwürdigen Zukunft.

Vom Ende der Freiheit

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