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Das dröhnende Beschweigen der Freiheit

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In seiner ersten Rede als US-Präsident im Januar 2013 berief sich Barack Obama mehr als ein Dutzend Mal auf die Ideale »Freedom« und »Liberty«, die in den USA mehr oder weniger synonym verwendet werden. Obama beendete seine Ansprache mit einem eindringlichen Plädoyer, »das wertvolle Licht der Freiheit in eine ungewisse Zukunft zu tragen«.

Und heute? Im Corona-Jahr 2021 erwähnte der frisch gewählte US-Präsident Joe Biden das Wort »Freedom« in seiner Antrittsrede mit keiner einzigen Silbe und den Begriff »Liberty« nur zweimal, in einem Fall mehr oder weniger versteckt im Rahmen einer Auflistung von insgesamt sieben als amerikanisch definierten Werten.

Auch das bei Bidens Amtseinführung rezitierte, gerade im progressiven Lager so hochgelobte Gedicht »The Hill We Climb« der jungen afroamerikanischen Dichterin Amanda Gorman machte um das Ideal der Freiheit eher einen Bogen. Gorman beschwört »a country committed to all cultures, colors, characters, and conditions of man« und beschreibt die Aufgabe der Versöhnung in einer »era of just redemption«. Die Idee der Freiheit aber wird in ihrem Text gerade ein einziges Mal erwähnt – als Schlusspunkt der Beschreibung eines Landes, »that is bruised but whole, benevolent but bold, fierce and free«. Genau das aber ist bezeichnend für eine Verschiebung der Schwerpunkte. Zumal dieser Trend auch in Deutschland zu beobachten ist. So stellte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre allererste Regierungserklärung 2005 geradezu unter die Überschrift »Freiheit«. Nicht weniger als zehnmal erwähnte sie den Begriff, und ihre Rede kulminierte in der von Willy Brandt entlehnten Forderung: »Lassen Sie uns mehr Freiheit wagen!«

Davon aber konnte schon in der Regierungserklärung des Jahres 2013 keine Rede mehr sein, in der sich kein einziger Hinweis mehr auf das Prinzip der Freiheit fand. Ebenso wenig wie in der von 2018 – sieht man mal von einer En-passant-Erwähnung der »freiheitlichen Gesellschaft« ab. Wer heute auf der Redenseite des Bundeskanzleramts nach dem Stichwort »Freiheit« sucht, findet als prominentesten Treffer einen Hinweis auf die »Barrierefreiheit« der Webseite. Das aber ist ein merkwürdiges Verschwinden eines Begriffs, den unsere Verfassung an den Anfang aller staatlichen Tätigkeit gestellt hat.

Doch – so könnte man einwenden – ist diese Vernachlässigung insbesondere im Nachgang des Kalten Kriegs nicht weniger überraschend als vielmehr einleuchtend?

Die Selbstbeschreibung der USA in der amerikanischen Nationalhymne als »Land der Freien und Heimat der Tapferen« wurde in den Jahrzehnten der Ost-West-Konfrontation bekanntlich ohne großes Federlesen auf die gesamte westliche Hemisphäre übertragen. Der Westen repräsentierte die »freie Welt« im Gegensatz zur »totalitären Dunkelheit … im Reich des Bösen«, um die plakative Formulierung des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan zu verwenden.

Die zentrale Rolle des Freiheitsnarrativs in der Ost-West-Konfrontation spiegelt sich in John F. Kennedys Berlin-Rede, in der fast jeder zweite Satz ein Hoch auf die Freiheit darstellt. In seiner knapp dreiminütigen Ansprache beschwor Kennedy nicht weniger als 15-mal das Ideal der Freiheit. Nur zwei Monate später vollbrachte Martin Luther King Jr. in seiner »I Have a Dream«-Ansprache vor dem Lincoln Memorial in Washington, D.C., das Kunststück, die Freiheit volle 25-mal hochleben zu lassen. Das tat er wohl nicht zufällig auch zur Erinnerung daran, dass die Freiheit, die der US-Präsident im Ausland so ausführlich gefeiert hatte, im Inland eben noch längst keine Realität war.

Da die Freiheit so augenscheinlich als Kampfbegriff des Kalten Krieges diente, wäre es immerhin denkbar, dass der Slogan nach Ende des Konflikts seine Schuldigkeit getan hatte. Steuerte die Welt nun nicht unumkehrbar auf das »Ende der Geschichte« (Francis Fukuyama) zu und auf eine universalistische Zukunft liberaler Demokratien? Die Freiheit hatte gesiegt, und niemand feiert sich als Freiheitskämpfer, wenn alle es sind.

Nur: Ist das Ideal der Freiheit tatsächlich so umfassend erreicht und abgesichert, dass sich eine Erwähnung erübrigt? Hier sind doch sehr grundsätzliche Zweifel angezeigt – wie auf den kommenden Seiten noch ausführlicher dargelegt wird.

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