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II.4

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Nun wird die Mathematik selbst tatsächlich oft als eine Sprache bezeichnet. Man spricht von der Sprache der Zahlen oder von der Algebra als einer analytischen Sprache. Oder man betont ihre Rolle in der Entwicklung des Denkens. »Mathematics is a language since it provides both a conveyance for and a substantiation of our thoughts« (E. G. Effros, »Mathematics as Language«, in: H. G. Dales/G. Oliveri (eds.), Truth in Mathematics, Oxford 1998, p. 132).

In diesem Artikel werden die Heijenoort’schen Überlegungen durch Effros umstandslos auf die Mathematik übertragen. Insbesondere die bedeutsame Rolle, die man formalen Beweisen für die Entwicklung der Mathematik zuschreibt, führt zu dieser Vorstellung der Mathematik als einer logisch-formalen Sprache, denn Beweise sind ja anscheinend nichts anderes als Ketten von Sätzen oder Formeln. Andererseits sind Beweise Systemelemente mathematischer Theorien und Theorien sind nicht einfach Ansammlungen von Sätzen.

Noch verbreiteter und deutlicher erscheint die Vorstellung der Mathematik als einer symbolischen Sprache in allen Anwendungskontexten, was deswegen naheliegt, weil man in einer Anwendung tatsächlich ja an der Bedeutung der Symbole interessiert ist und die Mathematik daher nicht als bloßer Kalkül auftritt. Gleichzeitig kommen auch hier Zweifel auf und man fragt sich, ob es sich bei dem Gebrauch der mathematischen Zeichen um eine bloße sprachliche Einkleidung handelt oder ob nicht doch mehr dahinter steckt. Tatsächlich ist die Symbolik der Mathematik für die Wissenschaft so wichtig, dass es schwer vorstellbar ist, Sachverhalte und wissenschaftliche Theorien ohne den Einsatz der Mathematik überhaupt zu präsentieren. Man versuche auch nur eine simple Gleichung der elementaren Algebra in Worte zu fassen und mit rein sprachlichen Mitteln zu lösen! Daraus haben Quine und andere eine »Unverzichtbarkeitsthese« der Mathematik abgeleitet und sie mit der Behauptung verknüpft, dass diese Unverzichtbarkeit der mathematischen Sprache die Existenz eigener mathematischer Gegenstände erweise, entsprechend Quines Diktum, »Sein bedeutet, Wert einer quantifizierbaren Variablen zu sein«. Quine schreibt beispielsweise: »Die klassische Mathematik steckt, wie das Beispiel von Primzahlen größer als eine Million zeigt, bis zum Hals in Verpflichtungen gegenüber einer Ontologie abstrakter Gegenstände. So kommt es, dass die große Kontroverse des Mittelalters zu den Universalien in der modernen Philosophie der Mathematik aufs Neue entbrannt ist. Die Angelegenheit ist heute klarer als damals, da wir jetzt einen expliziteren Standard haben, nach dem wir entscheiden können, auf welche Ontologie eine bestimmte Theorie oder Diskursform festgelegt ist: eine Theorie ist auf die und nur die Entitäten festgelegt, auf die die gebundenen Variablen der Theorie referieren können müssen, damit die Aussagen der Theorie wahr sind« (W.V.O. Quine, Von einem logischen Standpunkt, Berlin 1979, S. 20).

Manche wenden hier ein, dass die Mathematik eine nur instrumentale Rolle spielt, während die Aussagen zu den übrigen Gegenständen im realistischen Sinne zu verstehen sind (vgl. P. Maddy, »Indispensability and Practice«, Journal of Phil. 89 (1992), pp. 275–289), sowie, dass der mathematische Apparat, bei gleichbleibenden empirischen Bestandteilen, doch austauschbar ist. Vertritt man einen metaphysischen Realismus, dann denkt man vielleicht, man könne gewissermaßen dieselbe Realität in unterschiedlicher Weise mathematisch beschreiben, was sicher möglich ist. Da allerdings die mathematische Darstellung selbst stets mit einer Modellvorstellung der dargestellten Wirklichkeit verbunden ist, hat man, wenn man die Mathematik als bloße Sprache versteht, die Angelegenheit eben doch missverstanden.

Andere, etwa Hartry Field, M. Balaguer oder L. Tharp, haben sich seit Jahren bemüht, die »Unverzichtbarkeitsthese« zu widerlegen, und haben tatsächlich die Mathematik eine Art Fiktionalismus genannt. Tharp beispielsweise vertritt die Idee, dass mathematische Aussagen Behauptungen über Beziehungen zwischen sehr speziellen Begriffen beinhalten. Tharp erklärt seine Vorstellungen durch einen Vergleich mit der dichterischen Fiktion. Als Beispiel für die Rolle der Fiktion in seiner Argumentation präsentiert Tharp die folgende, sehr kurze Geschichte.

»The only people in our story are Gertrude and Hamlet. Gertrude is a queen. Hamlet is a prince, and Gertrude is Hamlets mother« (L. Tharp 1989, »Myth and Mathematics«, in: Synthese, 81, pp. 167–201). Tharp fährt dann fort: »Given these two stipulations which constitute our story, various consequences follow from the meanings of the concepts ›prince‹, ›queen‹ and ›mother‹, and are evidently true-in-the-story: for example, no princes are queens; Gertrude and Hamlet are distinct; Hamlet is not Gertrude’s mother. None of these conclusions follow logically from the given story, however« (Tharp, 1989, p. 168 f.).

Der Fiktionalismus betrachtet die Mathematik als einen bloßen Diskurs und ist der Ansicht, dass mathematische Aussagen, wie »8 + 5 = 13« und »π ist irrational«, wörtlich interpretiert werden und so interpretiert falsch sind, weil diese Aussagen die Existenz mathematischer Entitäten implizieren, und dem Fiktionalismus zufolge gibt es keine derartigen Objekte. Diese Implikation gilt nur dann, wenn wir etwa mit Frege eine Gleichung A = B als das unterschiedliche Gegebensein ein und desselben Gegenstandes interpretieren. Der Fiktionalismus muss also die Beziehungen der Intensionen und Extensionen der Symbole, Terme oder Ausdrücke anders regeln oder abschneiden. Eine Erzählung braucht sich ja weder vor der Alltagserfahrung noch vor der Logik zu rechtfertigen. Der Unterschied zwischen »8 + 5 = 13« und »8 + 5 = 15« besteht einfach darin, dass die erste Gleichung in der »großen Erzählung« der gewöhnlichen Arithmetik wahr ist und die zweite falsch, ebenso wie in Leslie Tharps oben zitierter Geschichte der Satz »Gertrud ist Hamlets Sohn« falsch wäre.

Nun gewinnt dies Begriffslogik doch nur dann an Interesse, wenn darin das Streben der Mathematik nach Verallgemeinerung und Erfindung aufgenommen und überzeugend dokumentiert wird, und nicht, wenn er nur einigen metaphysischen Schwierigkeiten aus dem Wege gehen möchte, die sich einer extensionalen Auffassung mathematischer Begriffe entgegenstellen. Tatsächlich ist der Fiktionalismus nichts als ein an die Sprache gebundener und so verkleideter Formalismus, der das Schließen eben nicht algebraisch versteht, sondern als auf den Bedeutungen der Begriffe beruhend. In einer axiomatischen Theorie sind die Bedeutungen der in den Axiomen festgelegten Begriffe und Begriffsrelationen allerdings nichts anderes als die logischen Folgerungen aus den Axiomen (vgl. Kapitel I.12).

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