Читать книгу Analytische Philosophie - Michael Otte - Страница 30

II.11

Оглавление

Wie gesagt wird in Kreisen der Wissenschaftsphilosophie diskutiert, ob ein Studium der Logik besser geeignet sei, die Mathematik und die Wissenschaften philosophisch zu verstehen, oder ob man die Mathematik selbst näher kennengelernt und aktiv betrieben haben muss. Hintergrund derartiger Diskussionen ist eine Verzweigung der analytischen Philosophie selbst. Die eine Richtung wird linguistische Philosophie oder Philosophie der Umgangssprache genannt und wurde von Frege und später Wittgenstein angeregt. Die andere Richtung der analytischen Philosophie oder der Wissenschaftsphilosophie überhaupt leitet sich letztlich vom logischen Atomismus Russells und vom Neopositivismus des Wiener Kreises her, und zwar von den eher »technisch« eingestellten Strömungen darin.

Aber weder Carnap noch Russell sind eindeutig einem der beiden Zweige zuzuordnen. Und dies ist nicht zuletzt der Tatsache zuzuschreiben, dass beide Richtungen eine Abneigung gegen desinterpretierte Kalküle hegen, weil sie die logische Analyse als Kern und Fundament jeder philosophischen Aktivität verstehen. Nichtsdestoweniger geht es, allgemein gesagt, dauernd um den Unterschied zwischen Darstellen und Erklären.

John Rawls (1921–2002), Amerikas bedeutender politischer Philosoph, berichtet in seinen Erinnerungen (Future Pasts: The Analytic Tradition in Twentieth-Century Philosophy, ed. J. Floyd/S. Shieh, Oxford 2003) über einen ständigen derartigen Streit zwischen Burton Dreben (1927–1999), der Logiker war und als bester Kenner der jüngeren Philosophiegeschichte galt, und dem Harvard-Mathematiker Gerald Sacks. Rawls erinnert sich: »Sacks then distinguished between syntax and structure, saying that what is important for logic is structure, not syntax. What we do in studying mathematics is learn about various structures. Sacks defined a structure as: (a) a universe (a nonempty set); and (b) relations among members of the set. Different kinds of groups are different kinds of structures; and so are algebras, vector spaces, topological spaces, and the rest. In learning mathematics, we become aware of and experience structures. That is what mathematical experience is. Finite sets are not enough, so axioms are used to define the structures. Axioms are used by Bourbaki, who regards mathematics as about structures. Hilbert and his followers used axioms, for example of geometry, to express structures […] Sacks granted that syntax is simpler and that it therefore makes sense that we begin teaching logic with syntax. But, he argued, syntax is not what is fundamental. Sacks argued that Dreben thinks that syntax is fundamental because it is simple, and that this is simply wrong«.

Um die Schwierigkeiten des Mathematikunterrichts zu mindern, ist vorgeschlagen worden, der klassischen euklidischen Geometrie und ihrer Sprache in der mathematischen Lehre eine größere Rolle einzuräumen, weil sie unter verschiedenen linguistischen Gesichtspunkten eine Brücke bilden könnte zwischen der von uns unbewusst angeeigneten Muttersprache und der formalen algebraischen Sprache. Der bedeutende Mathematiker und Frankreichs führender Geometer R. Thom sagte in seiner Grußadresse an den Internationalen Kongress für Mathematikerziehung in Exeter u.a: »The language of elementary geometry offers a solution to the following problem: to express in a one-dimensional combination – that of language – a morphology, a multi-dimensional structure. Now this problem recurs in a form ›everywhere dense‹ in mathematics, where the mathematician has to communicate his intuitions to others. In this sense, the spirit of geometry circulates almost everywhere in the immense body of mathematics, and it is a major pedagogical error to seek to eliminate it« (R. Thom, »Modern Mathematics: Does it Exist?«, in: G. Howson (ed.), Developments in Mathematical Education, Cambridge 1972, pp. 206 f.).

Die Syntax der Sprache ist arm und einfach, aber Sinn und Bedeutung dessen, was man sagt, sind einem in der Regel zwar unmittelbar deutlich, aber formal ziemlich unbestimmt. Die Geometrie besitzt eine reichere Struktur, bestehend aus allen möglichen Konstruktionen und Bewegungen im Raum. Sinn und Bedeutung sind jedoch immer noch mehr oder minder konkret gegenwärtig. Die Bedeutungen sind zugleich durch die Definition der geometrischen Gleichheit (Kongruenz) schärfer identifizierbar, als das bei den sprachlichen Bedeutungen der Fall ist. Die sprachliche Synonymie ist bekanntlich nicht formalisierbar.

Die Algebra ist strukturell viel komplexer als Sprache oder Geometrie, weil durch keine Grenzen beschränkt außer dem Erfordernis der logischen Konsistenz, und sie ist in ihren Bedeutungen unbestimmt oder abstrakt. Der Sinn oder die Bedeutung einer algebraischen Gleichung liegt in der Syntax, besteht in ihrer Form und den deduktiven Konsequenzen, die daraus zu entwickeln sind. Die Algebra bildet zugleich das Fundament der neuzeitlichen Strukturmathematik.

Kommen wir zu Rawls Ausführungen zurück: »Dreben based his reply in part on his detailed studies of the history of modern logic. He admitted that Sacks had greater mathematical experience than he, but countered that he had greater philosophical experience than Sacks. The fundamental problem of logic, as Dreben views it, is understanding. If one begins with model theory or mathematical structures as a way to understand logic, to gain clarity about it, then one has changed the subject of logic as Frege and Russell understood it. According to Dreben, we cannot use structures to get clear about language, to understand the basic logical notions. […]

It came out in further discussion that Dreben’s point was that no precise mathematical result can help us to understand any basic philosophical problem. This is because no mathematical argument can force us to accept a particular interpretation of a basic intuitive notion such as that of logical validity. […] Burton Dreben emphasized that Newton was perhaps the greatest mathematician and physicist who ever lived. It is amazing to think that, even as an old man, after his appointment at the Mint, and not having done mathematical work for years, Newton still felt challenged by scientific problems. He heard of the brachistochrone problem posed by Bernoulli. Eight months had been allowed to find the solution, but Newton wouldn’t go to bed until he solved it that night! We must recognize, Burt thinks, that Newton was a much greater genius than Locke. But we must also recognize that Locke was a great philosopher and Newton was not. Locke was also a great man and Newton was not«.

Die Haltung von Bolzano, Frege und Russell entspricht der von Dreben. Sie haben quasi alles von der Mathematik gelernt, haben aber die »neue« Mathematik im Sinne von Grassmann, Peano Dedekind oder Hilbert nicht geschätzt und wollten im Stile einer euklidischen Mathematikauffassung dieselbe durch eine neue Logik begründen. Ihre philosophischen Bemühungen waren der Überwindung Kants gewidmet.

Analytische Philosophie

Подняться наверх