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II.8

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In seinem vieldiskutierten Buch mit dem Titel What is Mathematics really? (Oxford 1997) und in vielen anderen Publikationen ist der Mathematiker Reuben Hersh dem Charakter mathematischer Erkenntnis nachgegangen. Hersh hält, wie so viele andere, die Frage: »In welchem Sinne existieren mathematische Objekte?« für das Hauptproblem in der Philosophie der Mathematik. Bis etwa 1800 hatte die westliche Philosophie, so fährt er fort, angenommen, dass es zwei Arten von Dingen in der Welt gäbe: geistige und körperliche. Hersh glaubt, dass die Mathematik die Unzulänglichkeit dieser Dichotomie zeige, und er schlägt stattdessen vor, mathematische Objekte als soziale Gebilde zu betrachten und einzusehen, dass die Mathematik eine soziale Realität sei. Das zieht dann natürlich sofort die Frage nach sich: »Was ist die Gesellschaft wirklich?«.

Und hier treffen wir wiederum auf zwei gegensätzliche Paradigmen, die G. Markus das »Paradigma der Produktion« versus das »Paradigma der Kommunikation« genannt hat und die beide aus der Geschichte der Soziologie und der Philosophiegeschichte wohlbekannt sind. Beide Paradigmen stimmen in einigen Grundideen überein: »First of all that of intersubjective constitution of subjectivity through those processes of objectivation (and reification) in which the individuals are involved and enmeshed in their daily commerce with each other and with the world of their common life. Nevertheless in some crucial respects the two paradigms stand opposed to each other. Whether the relations of intersubjectivity are modeled on those pertaining to linguistic communication or on the interaction of individuals in the reproduction of their material livelihood – this choice has not only theoretical consequences« (G. Markus, Language and Production: A Critique of the Paradigms, Dordrecht 1986, p. XII). Theoretische Konsequenzen dieser Alternative werden uns begleiten und werden uns verstärkt in den Kapiteln IV. und VII. beschäftigen.

Beide von Markus benannten Herangehensweisen an letztere Frage haben tatsächlich Hersh’s Grundfrage verabschiedet, und an die Stelle der Frage nach bestimmten Objekten sind Fragen getreten, die sich mit den Grundlagen von Objektivität und Wahrheit u. ä. beschäftigen. Man orientiert sich dann entweder am Anwendungsproblem oder an der Frage der Kommunikation.

Die beiden gesellschaftlichen Paradigmen beantworten derartige Fragen in sehr unterschiedlicher Art und Weise. Einer Beschreibungstheorie der Referenz steht die Vorstellung gegenüber, dass es die unseren Bedürfnissen entsprechenden Tätigkeiten sind, die uns ein »objektives« Bild der Wirklichkeit vermitteln. Im »Produktionsparadigma« bleibt die Objektivität der Erkenntnis an die tätige Reproduktion unseres Daseins und unserer menschlichen Natur gebunden. Es gibt keine »Gottesaugen-Perspektive« der Erkenntnis.

Hershs Ausgangsfrage nach den mathematischen Objekten ist eigentlich nur aus der Tradition des 17./18. Jahrhunderts heraus zu verstehen, denn die Dichotomie des Mentalen und Empirischen ergibt sich aus der Dominanz der Erkenntnistheorie und der von Kant konstatierten Tatsache, dass wir durch Sprache und Argumentation allein niemals die Existenz von irgendetwas beweisen können. Eine solche Einsicht korrespondiert dem Produktionsparadigma in seinen vielfältigen philosophischen Ausprägungen. Kants Lösung des Problems durch den Hinweis auf die Konstitution des Subjektiven kann allerdings nur so lange befriedigen, solange die Gesellschaft relativ statisch und homogen ist, und sie wurde mit der Industriellen Revolution dann obsolet. Seitdem steht nun die Frage im Zentrum: »Was ist die Gesellschaft wirklich?»

Es ist genau dieser Wandel vom (persönlichen) »Attribut« zum Substantiv (zum Begriff, zur Theorie etc.), der auch Mathematik, Logik und alle Wissenschaften erfasst hat und der ihre Erkenntnisse aus persönlichen Überzeugungen und Gewissheiten in soziale Tatsachen verwandelte. In diesem Sinne konnte dann K. O. Apel die analytische Philosophie als einen transformierten und vom Mentalismus gereinigten Kantianismus kennzeichnen, bei dem anstelle der »psychologischen Requisiten der transzendentalen Logik Kants […] die logische Syntax und Semantik von Wissenschafts-Sprachen« getreten ist (K. O. Apel, Transformation der Philosophie, Band 2, Frankfurt 1976, S. 157).

Apel hat den Übergang von der epistemologischen zur semantischen Orientierung weiter folgendermaßen beschrieben: »Kant geht es darum, die objektive Geltung der Wissenschaft für jedes Bewusstsein überhaupt verständlich zu machen; zu diesem Zweck ersetzt er zwar die empiristische Erkenntnispsychologie der Locke und Hume durch eine transzendentale Erkenntnislogik, aber seine Untersuchungsmethode bleibt doch auf den von ihm sogenannten ›höchsten Punkt‹ der Einheit des Bewusstsein […] bezogen; […] Ganz anders die moderne logic of science: Hier fehlt nicht nur die Rede vom psychischen Vermögen. Auch das Problem des Bewusstseins als des Subjekts (im Gegensatz zu den Objekten) der wissenschaftlichen Erkenntnis ist so gut wie beseitigt. An die Stelle dieser psychologischen Requisiten der transzendentalen Logik Kants ist […] die logische Syntax und Semantik von Wissenschaftssprachen [getreten]. […] Sprachlogik und empirische Überprüfbarkeit von Sätzen bzw. Satzsystemen treten zusammen an die Stelle von Kants transzendentaler Logik der objektiven Erfahrung.«

Ein solches Programm, fährt Apel fort, kann nur funktionieren, solange man sich »Hoffnung machen konnte, Intersubjektivität der möglichen Geltung aller empirischen Wissenschaft durch die Syntax und Semantik der einen Ding- bzw. Tatsachen-Sprache sicherstellen zu können«. Eine Hoffnung, oder besser Überzeugung, von der die analytische Philosophie ausgegangen ist, die sich jedoch als illusorisch erweist.

Und Apel meint, dass das Problem, auf das die moderne Diskussion geführt habe, darin bestehe, »die kantische Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit und Gültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis als Frage nach der Möglichkeit einer intersubjektiven Verständigung über Sinn und Wahrheit von Sätzen bzw. von Satzsystemen zu erneuern. Das würde bedeuten, dass die kantische Erkenntniskritik als Bewusstseinsanalyse in eine Sinnkritik, als Zeichenanalyse zu transformieren wäre« (K. O. Apel, Transformation der Philosophie, Frankfurt 1976, S. 157–163).

Die sogenannte »Frankfurter Schule« von Apel und Habermas hat dann selbst wiederum das »kommunikative Handeln« dem produktiv-technischen gegenübergestellt. Nach Habermas liegen die normativen Grundlagen der Gesellschaft in der Sprache, die als zwischenmenschliches Verständigungsmittel soziale Interaktion erst ermöglicht. Die in der Sprache angenommene kommunikative Rationalität bildet die Grundlage sozialen Handelns und überholt den Begriff des zweckrationalen Handelns. Wieso eigentlich? In der Regel ist es doch so, dass das (kooperative) Handeln überhaupt erst die Wirklichkeiten schafft, über die man dann versuchen kann, sich begrifflich-sprachlich zu verständigen.

Der ganze Fortschritt, den Hersh bezüglich seiner Ausgangsfrage nach der Objektivität der Mathematik im Auge hat, wäre doch nichtig, wenn es um die bloße sprachliche Verständigung zu einer a priori gegebenen Wirklichkeit ginge. Will man die Wissenschaft in einem sozialen Rahmen sehen, dann kann man wohl Handwerk und Produktion schlecht ausschließen, um sich so auf das rein kommunikative Handeln zurückziehen. Und sofern man andererseits den Gesellschaftsbegriff erweitert, sieht man, dass Handwerk, Technik und Industrie ganz eigene Beiträge leisten und auch eine ganz andere Mathematik und spezielle naturwissenschaftliche Leistungen erwarten. Beispielsweise erkennen die amerikanischen Hersteller von Elektrogeräten mehr und mehr, dass die bloße Blaupausenproduktion bei in die dritte Welt ausgelagerter Fertigung die Erfindung und die Konstruktion immer ärmer werden lässt, und man beginnt, auch die Produktion selbst wieder in die USA zurückzuholen.

Analytische Philosophie

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