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II.2

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Galilei sprach vom Großen Buch der Natur, das in geometrischen Figuren geschrieben sei, was die Text-Metapher schon entwertet. Und tatsächlich hatte die kopernikanische Revolution Schluss gemacht mit der Vorstellung, dass das Weltall als ein an den Menschen gerichtetes Buch zu verstehen sei. Blumenberg charakterisiert die »kopernikanische Revolution« beispielsweise mit den folgenden Worten: »Den astronomischen Gegenstandsbegriff, Sterne seien gesetzmäßig bewegte Lichtpunkte am Himmel, derart in die Sprache der Schöpfungstheologie zu übersetzen, dass man auf die Frage, zu welchem Nutzen und zu welcher Aufgabe Gott die Himmelskörper bestimmt habe, antwortet, Bewegung und Leuchten seien ihre Tätigkeiten, bedeutet gerade die Freisetzung des astronomischen Gegenstandes, sowohl von einer unmittelbaren Teleologie als auch von der Unterstellung, dem großen Aufwand müsse für den Menschen noch eine geheime Mitteilung zu entnehmen sein« (H. Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt, Frankfurt 1975, S. 49).

Wenn die Welt kein an den Menschen gerichteter Text mehr ist, dann muss nicht alles etwas bedeuten, und wenn eine Sache etwas bedeuten sollte, dann weiß man doch nicht unbedingt, was sie bedeuten könnte. Dies erscheint den einen als Chance, Neues zu entdecken, und den anderen als bloße Verwirrung. Der Mensch muss, indem er sich umschaut in seiner Welt, dort und auch in sich selbst die Mittel finden, um zu erkennen und zu entscheiden. Der Mensch steckt fest im Niemandsland zwischen Zeichen und Gegenstand.

Galileis berühmtes oben wiedergegebenes Zitat aus der Schrift Il Saggiatore zielt nicht allein und nicht so sehr auf die Notwendigkeit, im »Buch der Natur« zu lesen, sondern auf die Behauptung, dass dieses Buch in geometrischer Sprache geschrieben ist und seine Entzifferung daher sehr spezielle Kenntnisse und Abrichtungen erfordert. Das Buch der Natur braucht nicht wie die Heilige Schrift auf das Fassungsvermögen der Menschen Rücksicht zu nehmen. Andererseits, so fährt er fort, wäre es ein Irrtum zu versuchen, selbst die Worte der Heiligen Schrift in ihrem wörtlichen Sinn zu nehmen und auf kompetente Auslegung zu verzichten.

»Denn die Heilige Schrift und die Natur ergeben sich gleichermaßen aus dem göttlichen Wort, die erstere als das Diktat des Heiligen Geistes, die letztere als die gehorsame Vollstreckerin der Gebote Gottes; um sich an das Verständnis aller Menschen anzupassen, war es angemessen in der Heiligen Schrift, viele Dinge zu sagen, die von der absoluten Wahrheit abweichen, im Anschein und im Hinblick auf die Bedeutung der Worte; die Natur andererseits ist unerbittlich und unveränderlich, und sie kümmert sich überhaupt nicht darum, ob ihre dunklen Gründe und Verfahrensweisen menschlichem Verständnis zugänglich sind; sie überschreitet somit niemals die Gesetze, die ihr auferlegt sind, daher sollte das, was sinnliche Erfahrung oder notwendige Demonstrationen uns vor Augen stellen, niemals durch Stellen in der Schrift infrage gestellt werden, durch Schriftpassagen, deren Worte eine abweichende Bedeutung haben, da nicht jede Aussage der Heiligen Schrift so starken Restriktionen unterworfen ist wie die Effekte der Natur« (Galilei an Castelli).

Anders gesagt, die Philosophie erscheint aufklärerisch und didaktisch, Mathematik und Physik sind das nicht – die analytische Philosophie erscheint nicht zufälligerweise als eine Fortsetzung der philosophischen Tradition der Aufklärung des 18. Jahrhunderts mit verfeinerten logischen Mitteln.

»Für die Konstitution der modernen mathematischen Naturwissenschaft ist die Schöpfung der mathematischen Formelsprache von entscheidender Bedeutung gewesen« (J. Klein 1934/1936, »Die griechische Logistik und die Entstehung der Algebra«, Teil I. und II., in: Quellen und Studien zur Geschichte der Mathematik, Astronomie und Physik, Band 3, Heft 1 und 2, S. 18).

Jakob Klein, Husserls Schüler, wollte sich historisch präzise vergewissern, ob die neue symbolische Mathematik tatsächlich eine Krise der Wissenschaften und der Menschen implizierte, wie Husserl behauptete, weil sie sich eher für die Analyse und operative Bearbeitung unserer Daten aus der gegenständlichen Welt denn für die Kommunikation unter Menschen und die Vermittlung von Bedeutungen eignet. Die neuzeitliche Naturwissenschaft sucht, wie insbesondere auch die Beschreibung Blumenbergs nahelegt, nicht so sehr eine Interpretation und ein Wesen der Phänomene, denn eine Präsentation der Naturgesetze, und dafür war eben die Mathematik und insbesondere die symbolische Algebra absolut notwendig.

Schon seit den Tagen der Entstehung der algebraischen Sichtweise in den Werken von Vieta (1540–1603) und Descartes (1596–1650) gab es allerdings den Streit über den Wert der algebraischen Sprache im Verhältnis zur klassischen Geometrie und zur Rhetorik. Europas erster bedeutender politischer Philosoph, Thomas Hobbes (1588–1679), schrieb beispielsweise: »Symbols are poor though necessary, scaffolds of demonstrations. […] Symbols […] do not make the reader understand it sooner than if it were written in words. For the conception of the lines and figures (without which a man learns nothing) must proceed from words either spoken or thought upon« (Thomas Hobbes, Works, vol. 7, p. 248, p. 329).

Andererseits sagt Hobbes auch: »By reasoning I understand computation« (De Corpore), meint aber mit computation nur das arithmetische Rechnen mit wirklichen, d. h. empirisch interpretierbaren Zahlen. Metaphern waren Hobbes verhasst, während man doch das algebraische Denken als von strukturellen Metaphern beherrscht auffassen muss, es gibt praktische, keine im empirischen Sinne wörtlichen Bedeutungen darin.

Lakoff und Johnson zitieren Thomas Hobbes (1588–1679) und John Locke (1632–1704) als Hauptvertreter einer philosophischen Strömung, durch die Metaphern und die figurative Rede überhaupt der Missachtung und sogar Verachtung der Philosophen anheimgegeben wurden (G. Lakoff/M. Johnson 1980, Metaphors we live by. Chicago 1980, p. 190).

In diesem Sinne haben dann Arithmetik und Geometrie für Hobbes einen herausragenden Status: »Geometry’s place in the picture of knowledge was originally bound up with its special truth status due to the fact that the objects of geometrical reasoning were clear and distinct, while in analysis and algebra it was often unclear what the symbols meant. In Euclid’s Elements Hobbes believed to have discovered a demonstrative science, which could for the first time explain the true foundations of political science and justice« (Q. Skinner, Reason and Rhetoric in the Philosophy of Hobbes, Cambridge 1996).

Und Descartes selbst hat noch eine inkomplette geometrische Physik neben einer rein operativ ausgerichteten symbolischen Mathematik beinahe unverbunden stehen lassen. Das revolutionäre Element seiner Mathematik, an das dann Leibniz angeschlossen hat, bestand eben darin, dass selbst das noch Unbekannte vermöge der algebraischen Variablen x, y, etc. zum Gegenstand der mathematischen Tätigkeit gemacht und dadurch eine Erforschung auch des nur Möglichen eingeleitet werden konnte.

Dauernd und an vielen Stellen seiner Schriften und seiner Korrespondenz kommt Leibniz, anders als Hobbes oder Descartes, auf die Bedeutsamkeit einer Erkenntnis, die er »blind« oder »symbolisch« nennt und die er der intuitiven Erkenntnis des Descartes gegenüberstellt, zu sprechen, und er führt immer wieder die Algebra als Beispiel an. Daher resultiert dann sein Projekt einer Zeichensprache, die analytisch und synthetisch zugleich sein soll und die sowohl die Entdeckung wie den Beweis der Wahrheit bewerkstelligte. Die Algebra, die Leibniz der Kombinatorik zuordnet, erfüllt diese doppelte Funktion, weil sie eben das metaphorisch-ikonische Element ihrer Diagramme mit dem Algorithmischen verbindet (wie das im Einzelnen zu verstehen ist, siehe beispielsweise: D. h. Greene/D. Knuth, Mathematics for the Analysis of Algorithms, Boston 1981).

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