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Kapitel 5-Die Ankunft

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„Mädchen, kannst du mir bei den Raben verraten, wo du gesteckt hast?“

„Lady Luca? Ich war bei... ich war bei…“, stammelte die überrumpelte Alora vor sich hin.

Aloras kurze Freude darüber, dass niemand ihren kurzen Ausflug in die Kaserne bemerkt hatte, hatte sich schnell in Luft ausgelöst. Mit verschränkten Armen und nervös, oder vielmehr vor Wut, mit dem Fuß am Boden zitternd stand Luca aus dem Nichts vor ihr. Lucas Blick nach zu urteilen suchte die Mätresse sie schon länger, was ihrer Laune absolut nicht zuträglich war. Lucas eisiger Blick ließ Alora das Blut in den Adern gefrieren und die Stille, die seit wenigen Augenblicken herrschte machte es nicht besser. Luca war sauer. Direkt hinter der Mätresse konnte Alora Hollu erkennen, die ohne Scham ihr gehässigstes Grinsen aufgesetzt hatte und den Fehltritt ihrer Intimfeindin ausgiebig genoss.

„Keine Ausflüchte, Alora!“, brach Luca die kurze Stille. „Ich hatte dir eine einfache Aufgabe gegeben: Beaufsichtige die Zünfte! Dank den Göttern, dass alles zur Zufriedenheit des Königs fertiggestellt wurde. Und holen mich die Raben, wie siehst du aus?“

Alora zuckte zusammen, sah an sich hinab und bemerkte erst jetzt die dunkelbraunen Spritzer am Saum ihres Kleides. Pferdemist.

„Deine ganzen Schuhe voller Mist und Matsch! Mädchen, wo hast du dich rumgetrieben? Die Cents werden vor dem Sonnenuntergang hier eintreffen und du siehst aus wie ein Bauer und riechst auch so! Bei allen Göttern!“

So aufgebracht hatte Alora die Mätresse schon lange nicht mehr erlebt, nicht seitdem sie damals das Badewasser zu heiß eingelassen hatte und Luca so beinahe gekocht hatte. Rot wie ein Krebs war die Mätresse damals aus der Wanne gestiegen und hatte nicht nur innerlich vor Wut gekocht. Alora war sich bis heute nicht sicher, ob der Dampf, der damals von Luca ausgegangen war, nicht durch die Wut auf sie entstanden war.

„Ich werde mich sofort umkleiden, Lady Luca. Ich bitte vielmals um Verzeihung.“

„Spar dir das. Ich bin maßlos enttäuscht, Mädchen. Geh dich umkleiden und komm dann sofort wieder her. Du kennst deine Aufgabe!“

„Lady Luca.“ Da war sie wieder. Hollus unnatürlich piepsige Stimme, die gar nicht zu ihrem dicken Hals und auch der sonstigen Körperfülle passen wollte. „Ich könnte Komirs Töchter doch empfangen und versorgen. Das schaffe ich. Alora ist dazu allen Anschein nach nicht imstande zu.“ Sie warf Alora einen tödlichen Blick zu und setzte ihr hässlichstes und breitestes Lächeln auf. Alora formte in ihrem Geiste schon allerlei Beleidigungen gegen Hollu und wollte zum vernichtenden Gegenschlag ausholen, wurde aber von der Mätresse in ihrem Vorhaben gestört.

„Hollu, ich glaube du bist vollkommen mit deinen Aufgaben ausgelastet.“

„Lady Luca, ich hätte noch genügend Zeit. Das wäre…“

„Hast du mich nicht verstanden?“, fiel Luca Hollu giftig ins Wort. „Alora erledigt diese Aufgabe, und nicht du. Verstanden?“ Hollus Miene veränderte sich schlagartig. Ihr triumphaler Sieg wenige Augenblick zuvor hatte sich in eine schmachvolle Niederlage gewandelt.

„Natürlich, Lady Luca.“, flüsterte Hollu leise und senkte ihren Kopf so, dass sich ein zweites und sogar drittes Kinn bildeten.

„Worauf wartest du noch Hollu? Los, los!“, preschte Luca nochmals Richtung Hollu hervor, die sich ohne weitere Worte auf den Weg zu den Gemächern machte. Ein kräftiges Grinsen konnte Alora sich nicht verkneifen.

„Und du? Ich weiß bei den Göttern nicht, wieso du so grinst!“

Luca war wirklich wütend und ließ Alora keinen Augenblick Zeit um Hollus Niederlage zu feiern. „Bevor du etwas sagst, kleide dich um und komm dann wieder hierher zurück! Ohne Umwege und Träumerei, verstanden?“, unterbrach Luca jedwede Äußerung Aloras.

„Sofort MyLady!“, eilte Alora geschwind durch den Thronsaal.

Wie ein Fuchs auf der Flucht vor den Jagdhunden eilte Alora durch die Gänge in Richtung ihrer Kammer. Und sie wusste genau, dass der Fuchs glimpflicher davonkommen würde, wenn die Hunde ihn erwischten, als sie, wenn sie Luca weiter verärgern würde. Ihre kleine Hoffnung war, dass Luca ihren erneuten Fehltritt vergessen würde. Sie hatte wegen den Cent viel um die Ohren, da bestand zumindest eine kleine Chance, dass Alora mit dem Schrecken davonkam und es bei dem kleinen Rüffel von eben bleiben würde.

Wie so häufig in ihren Gedanken versunken erreichte sie ihre Kammer in einem der vielen Türme der Feste. Ein neues Gewand musste her, im Idealfall ein Kleid und Schuhwerk, das nicht nach Mist roch und sauber war.

„Da ist sie ja. Das kleine Goldstück unserer Mätresse.“ das füllige Mädchen war sichtbar außer Atem. Sie musste gerannt sein. Die ganzen Treppen bis zu ihren Gemächern, Alora hätte sie beinahe dafür bewundert.

„Hollu?“, sagte Alora verwundert, als sie das zweite Zimmermädchen vor der Tür ihrer Stube entdeckte. „Hast du keine Aufgaben zu erledigen?“, fragte sie, obwohl sie die Frage, wie Hollu ohne tot umzukippen vor ihr hier angekommen sein konnte, deutlich brennender interessierte.

„Sei still, du Schlampe!“, brüllte Hollu ihr entgegen und ließ Alora so verstummen.

An Aloras Gesicht konnte die Verwirrung mehr als deutlich herauslesen werden. Die Augen waren groß, der Mund halb offen und Arme und Beine schienen in der Bewegung eingefroren zu sein.

„Du hast richtig gehört. Schlampe!“ Hollu näherte sich ihr und kam auf eine Armeslänge heran.

Gegen die massige Hollu hatte Alora schon immer wie ein Grashalm im Wind gewirkt. Nicht nur, dass der Umfang Hollus locker das Dreifache von ihr war, nein. Hollu war auch fast einen Kopf größer als sie selbst. Dazu noch die Oberarme, die die Ausmaße ihrer Oberschenkel hatten und Beine so dick und voluminös wie sie selbst. Alora wirkte wie ein Hase, der einem Bären gegenüberstand.

„Geh – mir - aus - dem - Weg – Hollu!“, fauchte Alora und probierte sich künstlich zu vergrößern. Zwecklos, auch jetzt war sie mickrig, ein Welpe gegen ein ausgewachsenes Rind.

„Schon immer stehe ich in deinem Schatten, seitdem du hier angekommen bist. Ein Bauernweib! Nichts weiter!“ fauchte Hollu und näherte sich. Alora blickte direkt in die kleinen hässlichen Rattenaugen. Zu verwirrt und schockiert um zu kontern nutzte Hollu Aloras kurzzeitige Schwäche gnadenlos aus. „Egal wie viele Fehler du machst, egal wie oft du Luca verärgerst, egal was geschieht, immer bist du die Nummer eins! Immer!“

Zum ersten Mal in all der Zeit, die die beiden Mädchen sich kannten, konnte Alora in den kleinen Rattenaugen eine emotionale Regung erkennen. Hass. Purer Hass schlug ihr entgegen, während Hollu fast auf Handbreite an sie herantrat. Ein kleiner feiner Sprühregen aus Speichel regnete aus Hollus Mund auf ihr Gesicht herab. Währenddessen wurde Hollus Kopf mit jedem gesprochenen Wort dunkler vor Zorn.

„Ich habe es verdient von Luca bevorzugt zu werden! Ich allein! Niemand sonst, und vor allem nicht du kleine Schlampe!“

Das dicke Zimmermädchen entfernte sich einen Schritt von der verwirrten Alora, und schien von weiteren Hasstiraden abzulassen.

„Ich spucke auf dich!“, schrie Hollu plötzlich.

Völlig unvorbereitet wurde aus dem leichten Sprühregen ein Wolkenbruch der genau in Aloras Gesicht landete und zähflüssig ihre Wange hinablief. Doch sogar das konnte das dürre Mädchen aus ihrer Schockstarre nicht lösen, weiter stand sie mit aufgerissenen Augen im Gang vor ihrer Kammer und verstand nicht, was Hollu von sich gab.

„Ich weiß genau, warum du bevorzugst wirst! Du brauchst es nicht zu leugnen.“ Hollu stemmte ihre massigen Arme in die kaum sichtbaren Hüften und lächelte sie mit ihren ekelhaften kleinen Zähnen an. „Duk ist der Grund.“

„Duk?“, antwortete Alora leise und schwer verständlich.

„Genau. Der alte freundliche Marschall. Der, der dich gerettet hat und sich dann um die kümmerte. Pah! Als ob jemand wie Duk sich um ein Bauernmädchen scheren würde. Wie dankst du ihm, hm? Machst du die Beine für den alten Sack breit?“

Alora zuckte zusammen. Was hatte das fette Mädchen ihr da gerade an den Kopf geworfen?

„Was?“, sagte Alora zitternd.

„Leugne es nicht, Schlampe. Jeder weiß es in der Feste!“

Alora konnte sich nicht erinnern, wann sie jemals solch einen Zorn wie in diesem Moment verspürt hatte. „Was, bei allen Raben, hast du da eben gesagt?“ Ihre Stimme zitterte vor Wut und Anspannung.

Sie beobachtete genau Hollus widerliches Lächeln und spürte den Brechreiz in ihrer Kehle. Ob vor Wut oder Ekel wusste sie nicht.

„Ich habe gesagt.“ Hollu näherte sich ihr erneut provozierend und stoppte erst wenige Fingerbreit vor ihrem Gesicht. „Das du kleine Schlampe für Duk die Beine breit machst. Ihn fickst! Wie eine billige Hure!“ Sie brach in schallendes Gelächter aus, das von Alora schnell und kompromisslos beendet wurde.

Wie ein voller Kartoffelsack, ein großer und sehr schwerer Kartoffelsack, der vom Rücken eines Esels zu Boden fiel, landete Hollu auf dem Boden. Mit weit aufgerissenen Augen starrte das besiegte Mädchen die schwer atmend über ihr stehende Alora an und schien den kleinen Bachlauf aus Blut der aus ihre Nase und Mund lief nicht zu bemerken.

Hollu schien völlig davon überrumpelt zu sein, dass Alora zugeschlagen hatte. Sogar Alora selbst zweifelte kurz daran, ob das gerade tatsächlich passiert sei oder nur ein Traum oder Wunsch gewesen war. Wieder nur ihre blühende Fantasie. Ihre Faust pochte vor Schmerz und bestätige ihr damit, dass sie tatsächlich zugeschlagen hatte. Deutlich waren die Abdrücke von Hollus Zähnen in ihrer Hand zu erkennen, und noch deutlicher, stellte sie zufrieden fest, war einer der abgedrückten Zähne am Fußboden zu sehen.

„Du mistige!“, zischte Hollu, während ihres kläglichen und unbeholfenen Versuchs aufzustehen.

„Nein!“, brüllte Alora in das Gesicht des am Boden liegenden Zimmermädchens. „Du bleibst liegen und hörst mir genau zu.“ Mit dem Fuß auf der Brust nagelte sie Hollu am Boden fest.

Kurz musste sie sich sogar ein Lachen in ihrer Wut verkneifen. Die wild mit ihren dicken Gliedmaßen zappelnde Hollu erinnerte sie an das seltsame gepanzerte Tier, das jemand Luca einst geschenkt hatte. Das Tier hatte damals genauso gezappelt wie Hollu jetzt, als es auf den Rücken gefallen war. Nur mit Mühe unterdrückte sie den Drang. Stattdessen beugte sie sich über Hollu und blickte ihr voller Hass und Abscheu in die Augen. „Die arme Hollu, immer wird sie benachteiligt, von allen und jedem. Du bist es selbst schuld!“ Kurz meldete sich jetzt sogar zaghaft ihr schlechtes Gewissen, was aber durch ihre Wut sofort wieder überrannt wurde. Zu stark brannte die Flamme des Hasses in ihrem Inneren und nichts schien den aufwallenden Flächenbrand löschen zu können. „Niemand mag deine Art und niemand kann dich leiden. Mache mich nicht dafür verantwortlich!“ Sie entfernte ihren in Hollus Brust eingesunkenen Fuß und trat einen Schritt zurück. „Verschwinde“, presste sie durch ihre Zähne und drehte sich weg. Das dicke Mädchen hatte dank ihrer Masse größere Probleme wieder aufzustehen und musste sich unbeholfen an der Wand abstützen um nicht erneut umzufallen. Es schien wie ein wahrer Kraftakt bis sie sich endlich aufrichten konnte.

„Das wirst du bereuen“, sabberte Hollu mit blutverschmierten Händen und Gesicht.

„Geh Hollu, bitte“, erwiderte Alora, während sie Hollu ignorierend in ihre Kammer ging und die Tür hinter sich in schloss fallen ließ.

Erst jetzt wurde Alora klar, was da gerade draußen im Gang passiert war. Sie starrte auf ihre zitternde Hand die immer noch pochte und langsam blau anlief. Plötzlich wurde ihr schlecht und sie musste sich setzen. Was war da eben mit ihr geschehen? So kannte sie sich gar nicht, niemand kannte sie so. Das Zittern hatte sich von der Hand in ihren ganzen Körper ausgebreitet, wobei sich der Schmerz in der Hand noch zurückhielt. Aufregung schoss durch ihren Körper und ließ jedes andere Gefühl verstummen. Wortlos sah sie auf ihre Hand und bewegte langsam die knallroten Finger.

„War das wirklich ich?“, stammelte sie und sah durch das Fenster zum Horizont. Große weiße Wolken kündigten weiteren Schneefall an. „Ich muss mich umziehen“, sagte sie wie in Trance und suchte oberflächlich nach sauberen Kleidern. Die Aufregung ließ langsam nach und tauschte seine Rolle mit dem aufkommenden Schmerz, und diese Rolle spielte der Schmerz kompromisslos und gut.

Eilig stürmte sie Richtung Thronsaal. Mit jedem Schritt pochte ihre Hand stärker und bläulicher. Es würde nicht lange dauern und ihre Hand würde ähnlich Bunt leuchten wie ihr Kleid. Alora hatte sich das erstbeste Kleid geschnappt, das sie gefunden hatte und halbwegs sauber war. Zwar mochte sie das viel zu bunte Kleid nicht, aber ihr fehlte die Zeit schon wieder in den Wäschebergen zu wühlen bis sie das passende gefunden hätte. Luca war wütend genug, da wollte sie möglichst nicht noch mehr unnötige Zeit verschwenden.

Angekommen im Thronsaal war es nach dem durcheinander der Zünfte nun vergleichsweise ruhig geworden. Nur noch wenige Handwerker waren unterwegs, um kleinere Feinheiten zu erledigen, kein Vergleich zu dem durcheinander am Mittag.

Am anderen Ende der Tafel konnte sie Lady Luca erkennen, die wie ein Habicht den Thronsaal im Auge hatte und nach kleinsten Fehlern suchte, um sofort einen der Handwerker darauf anzusetzen.

„Lady Luca. Hier bin ich wieder.“

„Götter, Kind. Gerade noch rechtzeitig. Laut den Meldereitern werden die Cent binnen der nächsten Hand eintreffen.“ Luca stutzte kurz und musterte Alora genau, oder vielmehr ihre Kleidung. „Ein wenig bunt für meinen Geschmack, aber es wird schon reichen“, sagte Luca, während sie einzelne Falten zurechtzupfte, die Alora übersehen hatte. „Bei den Göttern, Kind. Was ist mit deiner Hand geschehen?“ Ungewöhnlich sanft berührte sie die bunte Hand und streichelte über die Regenbogenfarben.

Hollu hatte also tatsächlich noch nicht gepetzt. Kurz war Alora verwundert, bis ihr klar wurde, dass der einzige Grund dafür wohl war, dass dem zweiten Zimmermädchen noch eine passende Lüge fehlte, die erklärte warum Alora sie grundlos geschlagen hätte. Lange würde es aber sicher nicht mehr dauern. Da war es nur von Vorteil, dass sie als erstes lügen konnte.

„Ich war in Eile und die Tür fiel schneller zu als ich dachte. Ist aber nicht weiter schlimm“, log sie wie einstudiert und lächelte.

„Irgendwann wirst du deinen Kopf irgendwo verlieren Kind!“, sah Luca sie streng an und ließ ihre Hand los.

„MyLady. Ich bitte im Verzeihung für mein Benehmen.“, wollte sie Luca und damit dem Ärger zuvorkommen. Vielleicht konnte sie die Mätresse so etwas besänftigen und aus dem aufziehenden Sturm ein laues Lüftchen machen.

Luca seufzte. „Du musst endlich wach werden, Kind. Ich werde nicht ewig deine Fehler ausbügeln können oder deinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Ich hatte dir befohlen im Thronsaal zu bleiben, und wo warst du als ich kam? Weg.“

Verlegen schaute Alora zu Boden. „Ich wollte mich von Duk verabschieden. Verzeiht, MyLady, aber er ist für Monde fort, da dachte ich…“

„Du hättest fragen können! Götter, Kind! Ich weiß, was Duk dir bedeutet, wir hätten bestimmt eine Möglichkeit gefunden.“

„Daran habe ich nicht gedacht. Verzeiht mir.“ Sie verneigte sich.

„Hör auf mit dem Quatsch“, gab Luca ihr einen kleinen Stups an den Kopf und lächelte. „Versprich mir lieber, dass du in Zukunft ein wenig mehr nachdenkst."

„Werde ich“, antwortete Alora.

„Da bin ich ja mal gespannt“, sagte Luca mit ihrem undeutbaren Blick und ging um die Tafel herum los.

Alora folgte ohne Aufforderung und blieb dicht an der Mätresse.

„Hier an der Spitze werden der König und der Imperator sitzen.“ Luca zeigte auf zwei große Stühle am Kopf der langen Tafel. „Ein weiteres Zeichen der Freundschaft. Direkt daneben Catel und die Prinzessin. Sie sind schließlich der Grund für den Besuch, da gebietet es der Anstand, dass sie ebenfalls am Kopf der Tafel sitzen.“

Gespannt hörte Alora Luca zu. Sie wollte es auf jeden Fall vermeiden, schon wieder in ihren Gedanken zu versinken und alles zu verpassen, was Luca ihr gerade erklärte. Selbst die wunderschönen Blumengestecke und die verzierten Kerzenständer, die auf der Tafel standen ignorierte sie und folgte weiter der Mätresse.

„Aus diesem Grund werden die anderen Töchter Komirs, wie auch sein Erstgeborener nicht, vor Kopf sitzen können. Aber da Chestaine und ich ebenfalls an der Längsseite sitzen werden, werden sie es nicht als Beleidigung auffassen.“

Beide Frauen gingen weiter die lange Tafel entlang. Luca schaute sich jeden gedeckten Platz genauestens an und fand überall Kleinigkeiten zum Verbessern. Sei es eine Gabel, die etwas schief auf der Serviette lag, oder ein Krug der nicht genau mittig stand. Alles musste perfekt sein.

„Lady Luca?“, kam ein Mann auf sie und Luca zu und verbeugte sich hastig.

Es war Ploras. Alora kannte den Mann schon länger. Damals, als sie noch in der Küche als Aushilfe gearbeitet hatte, war er ihr Meier. Ähnlich wie Hollu hatte er nie einen Geheimnis daraus gemacht, was er von einem Bauernmädchen hielt, das plötzlich in der Feste auftauchte und dort auch arbeiten sollte.

„Alora“, nickte er kurz, als er sie sah und dann sofort ignorierte.

Noch mehr als die Tatsache, dass ein Bauernmädchen plötzlich in seiner Küche arbeitete, störte es ihn, dass genau dieses Mädchen plötzlich das Zimmermädchen der Mätresse wurde und damit sogar noch im Rang über ihm stand.

„Ploras“, lächelte Alora zurück. Es war nicht mal gestellt.

„Ah, Ploras. Ist alles bereit?“, begrüßte Luca den hakennasigen Mann.

„Selbstverständlich, MyLady. Zur Versorgung der hohen Gäste haben wir das Beste aufgeboten, was die Lager hergaben.“ Alora hatte die eingebildete nasale Stimme des Küchenchefs noch nie gemocht. „Zwanzig Fässer Bier und Wein wurden aus den Kellergewölben nach oben geschafft und warten nur darauf angestochen zu werden. Für das leibliche Wohl haben die Schlachter zwei Rinder, drei Schweine und zehn Gänse geschlachtet, die kurz vor der Vollendung stehen.“

„Und für die Männer, die draußen im Hof feiern werden?“, fragte Luca weiter.

„Heiße dicke Eintöpfe und Unmengen an Bier und billigem Wein.“

„Bestens,“ schenkte Luca dem Küchenchef eines ihres seltenen Lächeln. „Ihr könnt dann gehen.“

„MyLady,“, verneigte er sich. „Alora“, nickte er nur wieder kurz, drehte sich und verschwand aus dem Thronsaal.

„Damit scheint alles fertig zu sein. Knapp, aber wir haben es Geschafft“, sagte Luca und atmete erleichtert durch. „Dann wollen wir mal zu schwierigen Teil übergehen.“ Ihr Lächeln war wieder verschwunden.

„MyLady?“, schaute Alora die Mätresse fragend an.

„Nichts, nichts“, winkte diese ab.

„Verzeiht MyLady“, kam ein Drachenkopf durch den Thronsaal gerannt und blieb atemlos vor Luca stehen. „Die Cent sind da. Euer Gnaden König Refle wünscht Eure Anwesenheit im Hof der Feste.“

„Jetzt schon?“

„Ja, MyLady. Sie durchqueren in diesem Moment die Stadt und werden bald die Feste erreichen.“

„Danke. Du kannst gehen.“

Ohne Worte, nur mit einer kurzen Verbeugung verschwand der Drachenkopf.

„Komm mit. Wir werden erwartet“, sagte Luca und ging in Richtung des Gangs, der sie in den Hof der Feste führen würde.

Wortlos, mit sehr schnellen Schritten, ging Luca durch den Gang und ignorierte die Drachenköpfe die links und rechts Stellung bezogen hatten und mit ihren auf hochglanzpolierten schwarzen Rüstungen weiter wie Statuen wirkten. Alora folgte der Mätresse stumm und schnell erreichten sie das Tor zum Hof, wo bereits hunderte Personen auf das Eintreffen der Cent warteten.

Vom Eingang des Kronensaals bis zu den Toren der Feste hatten die Männer der eisernen Faust Stellung bezogen und standen in einer Doppelreihe Seite an Seite. Zwei silberglänzende Schlangen, deren Rüstungen sich im fahlen Schein der Sonne, die sich jetzt doch wieder gegen die Schneewolken durchgesetzt hatte, spiegelten.

Die erste Reihe Soldaten, ausgerüstet mit Schild und Schwert stand wie eine Mauer vor der zweiten Reihe, die hundertfach die Banner Worgus stolz gen Himmel hielt. Alora konnte sich nicht daran erinnern, jemals so viele Banner auf einmal gesehen zu haben.

Direkt am Kopf der langen Eisenschlange standen König Refle, Königin Chestaine, Dhuhr und Kalir, umringt von Drachenköpfen. Wie selbstverständlich ging Luca durch den Ring der Drachenköpfe hindurch und nahm ihren Platz hinter der Königin ein, die sofort ein freundliches Lächeln aufsetzte, als sie ihre Freundin sah.

„Das war knapp, meine Liebe. Die Cents sind jeden Augenblick hier“

„Verzeih mir Chessy, ich musste noch letzte Feinheiten korrigieren“, erwiderte Luca mit ihrem feinen Lächeln und zupfte ihr Kleid zurecht.

Alora schaute sich um und suchte nach Hollu. Normal hatte auch das zweite Zimmermädchen Lucas anwesend sein müssen, um die Cent zu empfangen.

„Mylady? Wo ist Hollu?“, fragte sie möglichst leise, damit niemand außer Luca sie hören konnte.

„Glaubst du mit einer blutigen Lippe und einem fehlenden Zahn kann ich Hollu den Cents vorführen?“, sagte Luca und sah sie mahnend von der Seite an.

„Raben“, murmelte Alora und spürte die vertraute Aufregung in ihren Eingeweiden. Auch ihre Hand fing wieder an, unangenehm zu Pochen. Wie hatte sie so naiv sein und glauben können, dass Hollu nicht sofort zu Luca gerannt wäre, um zu berichten was geschehen war? Schon wieder ein Fehler ihrerseits, der unbedingt heute geschehen musste. Erst hatte sie die Vorbereitungen vergessen, dann Lucas Anweisungen ignoriert und ihren Posten verlassen, dann die verschmutzte Kleidung und jetzt auch noch eine Prügelei. Es war wahrhaft kein guter Tag für Alora und sie wünschte, dass er bald vorbeigehen würde.

„Lady Luca! Ich kann…“

„… das erklären? Du musst heute viel erklären, Kind“, unterbrach Luca sie. „Du kannst mir deine Version der Geschichte erzählen, wenn wir über die Vorkommnisse davor reden. Heute ist nicht der richtige Zeitpunkt für solche Gespräche. Nicht wahr?“

„Ja, MyLady.“

AAAAAHUUUUUUU!

Dröhnte es plötzlich durch den Hof der Feste.

AAAAAHUUUUUUU!

Und noch einmal. Es waren Hörner, die vor den Toren erschallten und ihren dumpfen tiefen Ton vom Wind bis in den Hof tragen ließen. Nun kam auch der Soldat auf dem Rücken eines stolzen weißen Pferdes durch die Tore geritten und stieß erneut in das lange schwarze Horn, das um seinen Hals hing.

AAAAAHUUUUUUU!

„Es ist soweit“, richtete Luca ihr Wort an die Königin die schwer durchatmete und nickte.

So schnell wie er erschienen war, verschwand der Hornbläser auch wieder in den Reihen der Soldaten, die im Gleichschritt eine Gasse öffneten und direkt danach wieder schlossen. Für einige Augenblicke trat dann erneut Ruhe ein, bis durch das Tor die ersten Banner zum Vorschein kamen und kurz darauf die Reiter, die die Banner trugen.

Die zwei linken Reiter trugen die silbernen aus massiven Stahl geschmiedeten Rüstungen der Schweren Reiterei Worgus. Den beiden großen schwarzen Rössern, auf denen sie ritten schien das Gewicht ihrer Reiter nichts auszumachen. Selbst die eigenen Stahlplatten, die die Körper der Pferde schützten beeinträchtigten sie nicht während ihres tänzelnden Gangs. Der Soldat links außen trug das Banner der Ersten Reiterdivision, Erste Schwere Hundertschaft.

„Wieso bei allen Raben nimmt Catel die schwere Reiterei?“, hörte man den König in der Menge aufgebracht Schimpfen. „Man begrüßt keine Gäste mit schwerer Reiterei! Panzerreiter sind der Inbegriff des Krieges!“

„Beruhige dich, Liebster. Catel hatte sicher seine Gründe“, versuchte Chestaine ihren König zu beruhigen.

„Gründe haben? Duk brauchte bei allen Raben die Panzerreiter! Nicht Catel! Duk ist auf den Weg in den Norden! In den Kampf! Nicht Catel!“

Mehr sagte der König nicht mehr und nahm wieder Haltung an. Aloras Blick fiel dann, wie der von fast allen Anwesenden, auf die beiden Reiter neben den vertrauten Worgunischen Panzerreitern.

Auch hier trug der äußere Reiter ein Banner mit sich. Stolz wehte der blutrote Schwalbenschwanz, auf dem ein Greif zu sehen war, im Wind. Alora hatte solch ein Banner noch nie gesehen. Es musste ein Cent Banner sein, vielleicht ebenfalls das der Einheit, der die Reiter angehörten. Neben der Schweren Reiterei aus Worgu mit ihren massiven Stahlrüstungen wirkten die Kettenhemden und beschlagenen Lederrüstungen der Cents wenig eindrucksvoll. Anders war es jedoch bei den Pferden.

Die Rösser Worgus waren in ihren massiven Stahlrüstungen ein erschreckender Anblick. Nicht umsonst war die Schwere Reiterei Worgus überall gefürchtet. Aber die Rösser der Cent standen deren ins nichts nach. Im Takt der beiden langen Schwerter an den Hüften der beiden Cent Reiter wackelten die spitzen Dornen auf der Rossstirn. Selbst aus der Fürbug der beiden Pferde ragten lange, spitz zulaufende Stachel hinaus, die sich von der Brust bis zu den Hinterläufen der Pferde zogen. Sogar die kurzen Beine der kleineren gescheckten Tiere waren in einen eng anliegenden Kettenpanzer gehüllt.

Langsam und bedrohlich zogen die Truppen beider Reiche in den Innenhof der Feste. Ein scheinbar nicht enden wollender Strom an Mensch und Tier zog durch das Tor und füllte den Hof der Feste. Cent und Worgu Seite an Seite, ein Bild, das vor wenigen Wintern noch unvorstellbar gewesen wäre. Unterbrochen wurde die Prozession der Kavallerie durch das plötzliche Auftauchen von mehr als einem Dutzend goldener Reiter. Und nicht nur die Männer waren in goldene Rüstung gehüllt, sogar die Pferde trugen eine massive goldene Rüstung, die sie von Nüstern bis Schweif komplett einhüllte.

„Cents“, schnaubte der König immer noch aufgebracht über das Verhalten seines Sohnes, „immer einen Hang zum Drama. In einer Schlacht hält eine Goldrüstung keinen Finger aus.“

Die goldenen Reiter brachten die Männer um sie herum zum Tuscheln. Noch nie hatte einer der einfachen Soldaten so viel Gold auf einmal gesehen und in manchen brannte sogar etwas Neid auf bei dem Anblick der völlig in Gold gekleideten Cent. War das Reich im Süden doch so reich, wie die Gerüchte es immer erzählten? Wie sonst sollte es möglich sein ein Dutzend Menschen und Pferde komplett in Gold zu kleiden.

„Prunkvoll aber unnütz, Euer Gnaden. Stahl durchschlägt Gold“, merkte Dhuhr an.

„Trotz allem aber eindrucksvoll, Euer Gnaden.“ Das war Kalir wie Alora unschwer erkennen konnte.

Refle ging auf die Kommentare der beiden nicht ein und winkte sie entnervt ab. Die Königin versuchte ihn währenddessen etwas zu beruhigen, indem sie seine Hand ergriff.

Erneut hallten Kriegshörner im Hof und die vordersten Soldaten begannen rhythmisch die Schwerter auf die Rundschilder zu schlagen.

„Jetzt wird es ernst“, flüsterte Luca leicht nach vorne gebeugt der Königin ins Ohr, „ich hoffe das Beste“,

Und tatsächlich. Hinter der goldenen Reiterei erschienen drei Personen zu Pferde. Links ritt unverwechselbar Prinz Catel, den Arm zum Gruße der Männer erhoben. Die Mitte nahm ein zierliches Mädchen ein, das sich eher schlecht als recht im Sattel halten konnte und rechts ritt, in ein rot-braunes Lederwams gekleidet, ein älterer aber kräftig gebauter und großer Mann, der ebenfalls den Männern zuwinkte. Alora konnte erkennen, dass Catel und das Mädchen beide für jedermann ersichtlich die Hand des anderen hielten. Das musste die Tochter des Imperators sein, die baldige Prinzessin Worgu. Hinter den dreien erschienen Kutschen und weitere Männer zu Pferde und zu Fuß, hunderte Menschen betraten den Hof der Feste.

Der Kopf der Stahlschlange hatte bereits König Refle erreicht und wich nach links und rechts aus um den nachfolgenden Platz zu machen, bis schließlich Catel zusammen mit seiner versprochenen und dem Imperator Cents Refle erreichten. Sofort verstummten die Schilder und niemand sagte mehr ein Wort. Es herrschte wieder Stille im so prallgefüllten Hof. Nur den Wind konnte man zwischen den Zelten hören wie er leise dahin rauschte und die planen singen lies.

Refle ergriff nun auch Chestaines Hand und ging würdevoll mehrere Schritte nach vorne auf die drei Pferde zu.

Catel stieg elegant von seinem Pferd hinab und half seiner versprochenen beim Absteigen. Komir selbst schwang sich trotz seines Alters schwungvoll vom Pferd und streckte sich kurz, um die Verspannungen des langen Rittes zu lösen.

Etwas erschrocken bemerkte Alora, dass Komir Refle um zwei Köpfe übertraf und deutlich majestätischer wirkte als der König Worgus. Der Imperator schaute sich um und lächelte allen Anwesenden mit seinem breiten freundlichen Gesicht zu, um dann als erster auf Refle zuzugehen. Jeder konnte die Anspannung förmlich fühlen, sogar die ansonsten immer abgeklärte Lady Luca war sichtlich und spürbar angespannt und spielte nervös mit ihren Fingern. Es war ein historischer Tag, sowohl für Worgu als auch für Cent.

Komir räusperte sich und lächelte breit. „Ich“, eine tiefe basslastige Stimme unterstrich das massive äußere des Imperators, „Imperator Komir, Herrscher des Südlichen Reiches der Cents danke für die Einladung an den Hofe des Königreichs Worgu und seinem Herrscher König Refle. Als Zeichen der Freundschaft und kommenden Verbundenheit unserer beiden Reiche und Familie überreiche ich euch als Geschenk diese Reliquie der Götter, die seit dem Anbeginn der Zeit im Besitz meiner ist. Oder sollte ich besser sagen unserer Familie?“

Hinter ihm erschienen zwei Krieger, die eine auf einem Kissen ruhende, grün schimmernde Kristallkugel trugen und diese König Refle mit gesenkten Häuptern übergaben.

Es war unverwechselbar eine Götterkugel. Eine Kugel, der wie den Mesmerizen der Wille der Götter innen wohnen sollte. Alora hatte eine solche Kugel noch nie von nahem gesehen. Sie wusste nur, dass Priester die Mesmerize Kugeln nutzen konnten, um mit anderen Nutzern auf der freien Welt zu kommunizieren. Hatte die Kugel eine ähnliche Kraft?

Die grasgrüne Kugel schimmerte wie ein klarer Teich im Sommer. Sie erhellte alles um sich herum und zog die Blicke von allen im Umkreis auf sich. Vor allem Hohepriester Kalir schien komplett gefangen zu sein im Glanz des grünen Lichtes und starrte die schöne Kugel gierend an. Wenn es tatsächlich eine Götterkugel war, wäre es seine Aufgabe, das Geheimnis ihrer Macht zu lüften.

König Refle, Arm in Arm mit der Königin, ging einen Schritt auf Komir zu und nahm das Geschenk vorsichtig entgegen.

„Ich, König Refle Worgu, Herrscher des Reiches Worgu, benannt nach dem lebensspendenden Flusses Worga, danke euch für Euer Gastgeschenk und die Annahme meiner Einladung. Zusammen werden unsere beiden Reiche eine Allianz bilden, die den Frieden dauerhaft sichern wird.“

Er übergab Chestaine die Kugel und reichte Imperator Komir die Hand. Ohne zu zögern erwiderte dieser den Gruß, was mit großem Jubel und Hornstößen aller anwesenden Soldaten gewürdigt wurde. Höflich wartete der Prinz mit seiner Versprochenen den Jubel der Männer ab. Erst als sich dieser etwas legte, schritt er zusammen mit dem zierlichen Mädchen zu seinen Eltern. „Vater. Mutter.“ Die Stimme des Prinzen war streng und wenig Freude auf seine bevorstehende Vermählung war zu hören. „Darf ich euch vorstellen. Benannt nach ihrem Vater, Komira, meine baldige Gemahlin und Prinzessin von Worgu.“

Wieder erklang Jubel unter der Soldaten und auch Komir und Refle klatschten freudig in die Hände. Chestaine lächelte breit, nahm das Mädchen direkt in die Arme und redete ihr gut zu.

Die baldige Prinzessin war ein schmächtiges und kleines Mädchen, nicht hässlich aber auch keine Schönheit. Ihre großen grasgrünen Augen stachen unter dem pechschwarzen Haar deutlich hervor, genau wie ihre kleine Stupsnase und der breite Mund mit seinen schmalen Lippen.

„Willkommen zu Hause, Komira, willkommen in Worgu“, sagte die Königin zu dem Mädchen, das nur mit einem schüchternen Lächeln antwortete.

Auch der König lächelte dem Mädchenfreundlich zu und schien sie so noch mehr zu verschrecken.

„Genug der Förmlichkeiten! Lasst uns hinein gehen, Essen und Musik warten. Hier draußen werden noch alle erfrieren“, merkte die Königin, das Mädchen immer noch im Arm, an.

„Du hast Recht“, bestätigte der König. „Für alle Männer die keinen Platz an unserer Tafel finden. Eure Reise war beschwerlich und auch für euer Wohl soll gesorgt werden. Ihr werdet im Hof Essen und Trinken finden. Feiert diesen Tag, wie auch wir es tun werden, denn heute ist ein Tag des Friedens und des Frohsinns, und das muss mit einer Feier gewürdigt werden!“

Das Fest war in vollem Gange. Die dutzenden Schausteller vollführten ihre besten einstudierten Kunststücke und übertrafen sich dabei jedes Mal aufs Neue. Die Feuertänzer warfen sich brennende Holzblöcke zu und jonglierten mit diesen. Eine Schwertschluckerin zeigte mehreren begeisterten Cent Offizieren ihre Künste und ließ ein Schwert komplett in ihrem Rachen verschwinden. Die Offiziere zollten mit lautem Gejohle ihren Respekt und tranken munter weiter. Die meiste Aufmerksamkeit, vor allem die der anwesenden Frauen, genoss der Barde, der Lied um Lied zum Besten gab. Lieder über Cent, die er extra einstudiert haben musste, wechselten mit typischen Worgunischen Volksliedern ab und brachten so manchen Mann dazu mitzusingen. Eine ausgelassene Stimmung herrschte im Thronsaal der Feste.

Alora aber interessierte sich im Moment recht wenig für Schausteller oder Lieder. Ihr war es zwar nicht erlaubt mit an der Tafel neben den Offizieren und Baronen zu sitzen, aber einen kleinen Tisch, nicht weit entfernt von Lady Luca, direkt neben einer der Säulen konnte sie ihr Eigen nennen und genoss an diesem ihre freie Zeit und Ruhe. Luca persönlich hatte dafür gesorgt, dass, sie den Platz in ihrer Nähe bekam.

„Heute Abend wirst du nicht frei haben, Kind“, sagte sie ihr, nachdem Alora sich vor wenigen Händen verabschieden wollte wie sie es ansonsten immer kurz vor Festen tat.

Bei normalen Festen musste sie für gewöhnlich nie anwesend sein. Die Mundschenke sorgten für Wein und Bier und die Diener für Fleisch und Brot. Die hohen Persönlichkeiten waren immer bestens versorgt und spätestens, wenn die Becher oft genug wieder aufgefüllt wurden, gab es für die Zimmermädchen keinen Nutzen mehr. Nur heute war kein normales Fest, wie Alora wieder feststellen musste. Heute war ein besonderer Tag, so besonders, dass sogar sie das Fest miterleben durfte. An anderen Tagen hätte sie sich sicher darüber gefreut, die Schausteller mitzuerleben. Nur lag ihr der stressige und anstrengende Tag zu sehr in den Knochen. Sie genoss es, dass Luca damit beschäftigt war, ein Gespräch mit der Königin zu führen und damit keine Zeit für ihr sie hatte. Keine neuen Aufgaben oder Anweisungen, zumindest für den Moment. Das hieß für Alora nur eines. Ruhe. Wohlverdiente Ruhe. Eine mehr als wohlverdiente Ruhe, wie sie fand. Und viel interessanter als die Schausteller um sie herum kamen ihr im Moment sowieso die großen prallgefüllten Platten vor, die die Diener von Gast zu Gast trugen. Erst jetzt hatte sie gemerkt, dass sie den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Von morgens bis abends war sie mit Dingen beschäftigt gewesen. Der Besuch bei Duk, die Aufsicht über die Zünfte. All das hatte sie vergessen lassen, dass sie noch nichts gegessen hatte. Doch ihr Magen erinnerte sie jetzt daran. Den Göttern sei Dank hatte der König mehr als genug auftischen lassen, und auch wenn sie nicht an der Tafel saß, bedienten die Diener auch sie. Sie hatte es so geschafft ein saftiges Stück der Rinderhüfte und einen großen Kanten Brot zu stibitzen. Abgerundet hatte sie ihr Abendmahl mit gebratenem Kohl und einer randvoll gefüllten Schüssel Suppe. Wein oder Bier zu trinken traute sie sich nicht. Und das obwohl die Mundschänke regelmäßig ihren Tisch besuchten und ihr einen Krieg anboten. Die Gefahr, dass Wein oder Bier doch zu stark wirken könnte, war ihr zu groß. Lucas Standpauke stand ihr schließlich noch bevor, da musste sie ihrer Herrin nicht noch mehr Pfeile in den Köcher legen und nach zwei oder drei Krügen Wein betrunken einschlafen.

Während sie ein großes Stück der Rinderhüfte kaute beobachtete sie das Treiben an der Tafel. Die Vasallen des Königs und des Imperators waren ohne Zweifel die lautesten und genossen das Fest in vollen Zügen. Krug um Krug wurde geleert und gefüllt zurückgebracht, ein niemals versiegender Nachschub an Bier und Wein.

„Wein oder Bier Alora?“, erneut kam einer der Mundschänke an ihren einsamen Tisch.

Mit vollem Mund schaffte sie es, dem Schenk gerade so mit einem Kopfschütteln zu antworten. Wortlos zog er von dannen als einer der Offiziere ihn zu sich rief. In wenigen Augenblicken wieder mit der gleichen Frage zurückzukehren. Es war schließlich seine Pflicht für Nachschub zu sorgen, auch wenn er ihr langsam nervig wurde. Alora schluckte das Fleisch hinab und tunkte das Brot in die fettige Soße. Kauend blickte sie weiter die Tafel entlang.

Zur Spitze der hin wurde das Treiben des Festes deutlich gesitteter. Kein Singen, keine anzüglichen Witze über die weiblichen bediensteten und keine neusten Bettgeschichte wurden dort breitgetreten. Luca und Chestaine unterhielten sich eifrig, wie auch der König und der Imperator. Hin und wieder wechselten beiden Gruppen auch Wörter, um sich sofort danach wieder nur dem jeweils anderen zuzuwenden.

Alora konnte nur vermuten, worum es gehen mochte in Gesprächen zwischen König und Imperator, oder Mätresse und Königin. Es konnten eigentlich nur politische Themen sein. Langweilige Themen, wie sie fand. Langweiliges breitgetretenes Gelaber, welches sie sowieso nicht verstand. Noch ein Stück Braten landete in ihrem Mund. Zart und saftig war das Fleisch, ein wahrer Genuss. Sie liebte Fleisch. Und sie liebte es, im Stillen weiterhin beobachten zu können ohne aufzufallen. Ihr Blick fiel auf den Erben Komirs. Karesch hieß der Junge, wenn sie den Namen richtig verstanden hatte. Der junge Thronfolger Komirs war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Schon mit seinen wenigen erlebten Wintern zeichneten ihn seine breiten Schultern aus, die von seinem langen rabenschwarzen Haaren überdeckt wurden. Er redete nicht viel, nur wenige Worte wechselte er mit seinem zukünftigen Schwager. Catel schien auch nicht in Redelaune zu sein. Selbst mit seiner baldigen Gemahlin wechselte er so gut wie kein Wort. Er aß und trank kleine Schlucke Wein aus dem großen Becher, der vor ihm stand. Das schien seine Hauptaufgabe am heutigen Abend zu sein. Seine Verlobte schien das nicht weiter zu stören. Teilnahmslos saß sie neben Catel und stocherte auf ihrem Teller herum. Nur selten wanderte eine halb gefüllte Gabel in ihren Mund. In Aloras Augen hätte Catel es mit seiner Braut deutlich schlechter treffen können. Auch wenn dem Mädchen die klaren weiblichen Reize fehlten, hatte sie doch ein süßes Gesicht das sicherlich viele Männer verzaubern konnte.

„Sie hätte auch wie Hollu aussehen können“, kicherte sie in sich hinein und stellte sich Hollu und Catel als Paar vor, nur um sich danach an einem Stück Fleisch zu verschlucken.

Nach ihrem kleinen Hustenanfall lenkte lautes Gebrüll ihren Kopf an das Ende der Tafel. Dort unternahm ein Cent Offizier scheinbar den Versuch, einem der Feuerjongleure die Arbeit abzunehmen. Die genauen Worte konnte Alora nicht verstehen, aber beide Jongleure waren von der Idee offensichtlich alles andere als begeistert. Als ein Worgu Offizier hinzukam, kam es zur ersten militärischen Aktion des neuen Bündnisses zwischen Worgu und Cent. Schwankend von Wein klaute der Worgu Offizier den Schaustellern den Holzblock und warf ihn seinem Centischen Freund zu. Unter dem allgemeinen Gejohle ihrer Kameraden begannen die Männer damit die Holzblöcke zu jonglieren. Anders, als wohl jeder erwartet hätte, sogar mit Erfolg. Dies verleitete die schaulustigen dazu noch lauter und energischer die beiden Offiziere anzufeuern, die sich daraufhin die Klötze immer schneller entgegenwarfen.

Alora schob den leeren Teller, der vor einem Moment noch die Rinderhüfte beherbergte zur Seite und widmete sich der Schüssel mit der Suppe zu. Leise summte sie die Melodien des Barden mit und löffelte die Suppe aus. Selbst an der Tafel Spitze wurde die Stimmung langsam ausgelassener. Komir unterhielt sich ausgelassen mit Lady Luca und lachte immer wieder laut und donnernd auf. Sogar seine am Gespräch nicht beteiligten Frauen konnten sich ein Lächeln nicht verkneifen blieben aber weiterhin unter sich und tuschelten. Komira saß weiterhin stumm neben Catel und bearbeitete ihr Essen weiter mit der Gabel. Das schüchterne Mädchen wurde Alora irgendwie immer sympathischer. Sie hatten noch kein Wort gewechselt oder auch nur Blicke ausgetauscht, aber trotzdem spürte sie, dass sie sich gut verstehen würden. Das kleine, zierliche und schüchterne Mädchen würde ihr sicher keine allzu großen Probleme bereiten. Das genaue Gegenteil befürchtete Alora jedoch bei den drei Schwestern Komiras. Allen dreien wurden, zu ihrem unmissverständlichen Missfallen, Plätze zugestanden, die alles andere als in der Nähe der Spitze waren. Ihrem Unmut darüber versteckte keine der drei. Sie fuhren jeden Diener an, der in ihren Augen nicht schnell genug auftischte. Schausteller, die sich zu nahe an die drei Frauen heranwagten wurden verscheucht und an jedem Krug Wein fand eine der Frauen irgendeine Kleinigkeit die ihr missfiel. Im Stillen hoffte Alora, nicht auch für die drei Furien die Verantwortung übernehmen zu müssen. Eine Prinzessin würde ihr vollkommen ausreichen, und die zukünftige Königin Worgus verdiente es, dass Alora ihr ihre gesamte Aufmerksamkeit schenkte. Vielleicht würde auch Luca so denken. Sie hoffte es.

Alora nahm einen weiteren Löffel Suppe aus der Schüssel und genoss den feinen Fischgeschmack auf ihrer Zunge, wie sich die warme Brühe in ihrem Mund verbreitete und das Gemüse zur Geltung kam. Sie liebte Fischsuppe. Sie würde sogar darin baden, wenn sie könnte. Wie immer war die Schüssel leider viel zu schnell leer, aber selbst die letzten Reste der Suppe wollten sorgfältig mit einem Stück Brot aufgeklaubt werden. Erneut stimmte sie in die Melodie des Barden ein und summte fröhlich mit. Mit endlich vollem Magen lehnte sie sich zurück, legte den Kopf in ihren Nacken und schloss die Augen. Sie hätte hier und sofort einschlafen können aber ein leichter Stupser an den Kopf beendete, holte sie schnell wieder zurück.

„Alora?“ Lady Luca stand wohlgelaunt vor ihr. „Darf ich dir Komira vorstellen? Die baldige Prinzessin Worgus.“

„MyLady!“, erschrak Alora sich und fiel fast zusammen mit dem Stuhl nach hinten um. Luca ignorierte ihren beinahe Unfall.

„Das ist Alora, Euer Gnaden. Mein erstes Zimmermädchen. Sie wird euch die nächsten Monde zur Seite stehen, bis wir euch eine eigene Zofe gefunden haben.“ Luca stoppte kurz und sah ihr scharf in die Augen, als sie sich endlich gefangen hatte. „Sie ist etwas... leicht abzulenken wie ihr sicher bemerkt habt.“

Das erste Lächeln huschte über Komiras Gesicht.

„Verz... verzei… verzeiht, MyLady.“ Alora stand auf. „Euer Gnaden.“ Eine leichte Verbeugung. „Ich bin Alora, Euer Gnaden. Ich freue mich darauf, Euch kennenzulernen und Euch bei all euren wünschen zu unterstützen.“

„Danke.“ Ein leichtes Lächeln, das schnell von der Schüchternheit übermannt wurde, war die einzige Antwort der baldigen Königin Worgus.

„Ich denke ich geselle mich wieder zu den älteren Herrschaften. Ihr zwei solltet euch erstmal kennenlernen.“

Die Mätresse drehte sich elegant um und schwebte zurück zur Tafel wo der Imperator sie bereits mit einer neuen witzigen Anekdote begrüßte.

Etwas hilflos schaute Alora der Mätresse nach und überlegte, was sie nun machen sollte. Eben noch hatte sie die Ruhe genossen und sich den Bauch vollgeschlagen und jetzt stand Komira schüchtern und auf den Boden blickend vor ihrem Tisch und ihr fiel nichts Besseres ein, als die Prinzessin anzustarren.

„Euer Gnaden“, stammelte Alora verwirrt und schaute weiter in Komiras abgewendete Augen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass auch die Prinzessin stand. Stürmisch packte sie ihren Stuhl und bot ihn der Prinzessin an. „Setzt Euch, bitte.“

Komiras Antwort bestand nur aus einem flüchtigen Lächeln, Augenkontakt vermied sie konsequent, als sie sich an den Tisch setzte. Alora schaute sich kurz um und entdeckte wenige Schritte entfernt einen einsamen Stuhl, den sie sich nahm und an ihren kleinen runden Tisch schob. Sie saß der Prinzessin nun gegenüber und lächelte sie verunsichert an.

Was sollte sie machen? Sie saß mit der baldigen Königin an einem Tisch und mehr als ein dümmliches Grinsen wollte ihr nicht einfallen. Sie hätte sich am liebsten in irgendeine Ecke verkrochen und wäre nie mehr rausgekommen. Komira spielte nervös mit ihren Fingern und beruhigte so ihre Nerven. Die Tatsache, dass Komira ähnlich ahnungslos wie sie selbst war beruhigte sie ein wenig. Immerhin schien das Mädchen nicht zu erwarten, das Alora sie unterhielt wie eine Schaustellerin. Aber trotzdem wurde ihr die Situation immer unangenehmer. Was interessierte Cents überhaupt? Alora wusste nichts über das Leben einer Cent, vor allem nichts über das Leben der Tochter des Imperators. Sie schaute sich hilfesuchend um. Sie suchte einen Ideengeber, eine Inspiration und fand die Augen Lady Lucas. Ohne Worte wusste Alora genau, was die Mätresse ihr sagen wollte, als ob zwischen beiden eine mentale Verbindung bestehen würde.

„Bei den Raben, Mädchen! Jetzt unterhalte dich mit der Prinzessin!“, hörte sie Lucas Stimme in ihrem Kopf.

Im ersten Augenblick musste sie leise kichern, stoppte aber dann erschrocken bei dem Gedanken, dass Luca ihr jetzt Anweisungen übermitteln könnte ohne überhaupt in Hörweite zu sein. Das wäre eine Katastrophe und sie wäre nirgends mehr sicher vor den Aufgaben der Mätresse, Alora wollte sich gar nicht erst vorstellen wie es wäre und schüttelte sich kaum merklich und bemerkte dabei wie Komira sie ausweichend aber auch ungewöhnlich direkt ansah.

Sie räusperte sich kurz. „Verzeiht, Euer Gnaden. Ich musste an etwas Lustiges denken.“

„Komira.“ Leise wie eine Maus brachte die Tochter des Imperators von Cent ihre Namen hervor.

„Euer Gnaden?“ Sie war sich nicht sicher was sie gehört hatte.

„Komira.“ Die Prinzessin sprach einen wenig lauter: „Du kannst mich… Komira nennen. So heiße ich.“

Alora lächelte freundlich in Komiras Richtung. Sogar Komira antwortete mit einem sanften Lächeln, was ihre großen grünen Augen hervorhob. Sofort fühlte Alora sich durch das satte Grün der Augen an die großen Wiesen erinnerte, die sie aus ihrem kleinen Fenster heraus sehen konnte. Die Pferde, die über das Grün rannten, die Sonne genossen und die Blumen die als bunte Flecken im Grün zu sehen waren.

„Freut mich, Komira. Ich bin Alora und werde mich um dich kümmern hier im fremden Worgu.“ Sie beugte sich zu dem Mädchen und spielte die Geheimnisvolle. „Lass aber, bei allen Göttern, Lady Luca nicht wissen, dass ich dich bei deinem Namen nenne. Sie würde die Raben auf mich hetzen, wenn ich die Etikette nicht wahre.“

Die Prinzessin riss ihre Augen auf und schaute bedrückt weg.

„Tu… tut mir leid. Es ist nicht meine Absicht, dass du wegen mir Ärger bekommst.“

„Nein, nein!“, versuchte Alora die Prinzessin zu beruhigen. „Das war nur ein Witz. Verzeih mir, ich mache häufiger so dumme Witze.“

Komira nickte nur kurz angebunden und schaute wieder schüchtern weg. Das eben angerissene Eis schien wieder zugefroren zu sein und Komira verstecke sich wieder in ihrem Panzer. Alora ärgerte sich über sich selbst. Das schüchterne Mädchen kam absolut nicht nach ihrem Vater, soviel war ohne Zweifel klar. Komir belustigte, womöglich dem zügellosen Genusses von Bier und Wein geschuldet, nun die halbe Tafel mit Anekdoten. Selbst Refle übermannte es das ein oder andere Mal und ein Lächeln war in seinem sonst so strengen Gesicht zu erkennen.

„Das war nur ein kleiner Scherz! Keine Sorge, Ärger werde ich bestimmt keinen bekommen“, wiederholte Alora nochmal und schaute Komira freundlich an. „Also, Komira“, startete sie einen neuen versuchen das Eis zu brechen, schließlich standen den beiden Mädchen viele gemeinsame Monde bevor, „wie war die Reise nach Worgu so? Und erzähle mir vom Cent! Bisher kenne ich nur Gerüchte vom Süden.“

„… Cent ist ein schönes und fruchtbares Land“, kurz und knapp war die Antwort Komiras, „…. Die Reise war lang… aber angenehm“,

Abwartend und regungslos saß Alora auf ihrem Stuhl.

Sagt sie noch etwas?, fragte sie sich, während sie vergeblich auf eine Regung Komiras wartete. Mehr schien die Prinzessin nicht sagen zu wollen. Immerhin wusste sie jetzt, dass Cent fruchtbar war. Das war mehr als sie vor wenigen Augenblick über Cent gewusst hatte. Ein Erfolg.

„Das… Das Freut mich.“ Sie lächelte Komira zu. „Ihr habt also auch große grüne Wiesen und Wälder in Cent?“

Die Antwort bestand aus einem flüchtigen Nicken, mehr war aus der Prinzessin nicht rauszuholen.

Aloras Verzweiflung war ihr ins Gesicht geschrieben, was sollte sie noch machen? Als ob die Götter sie in ihrer Verzweiflung erhört hätten, starteten diese ein neues Theaterstück und lenkten die Aufmerksamkeit aller darauf.

„Du nichtsnutziger Nordling! Schau dir an, was du angerichtet hast!“ Das Geschrei kam von der Tafel, und sowohl Alora als auch Komira schauten zur Quelle. Alle anderen Feiernden taten es ihnen gleich und die Stille, die eintrat verbreitete eine unheimliche Stimmung in der eben noch mit Musik und Tanz erfüllten Halle.

Komira atmete genervt ein und aus und rollte mit den Augen. War das tatsächlich eine Gefühlsregung der Prinzessin? Es ging zu schnell, Alora konnte es nicht genau sehen, aber es schien tatsächlich so gewesen zu sein.

Grund für die allgemeine Aufregung an der Tafel war eine von Komirs Töchtern, älter als Komira und mit deutlich mehr weiblichen Reizen gesegnet. Beinahe so groß wie Catel mit langen seidig glänzenden schwarzen Haaren, das in Zöpfen geflochten auf den wohl proportionierten Brüsten ruhte. Ihre schmale Taille bildete im Zusammenspiel mit Brust und Hüfte eine perfekte Sanduhr.

„Alles versaut hast du! Alles!“

Alora bemerkte erst auf den zweiten Blick den roten Weinfleck auf der Brust von Komiras Schwester und fand das ein Rotweinfleck auf einem rotweinfarbenen Kleid kein Weltuntergang war. Aber Cent waren da vielleicht empfindlicher als sie. Komira, die sich sichtlich unwohl fühlte, versuchte nach ihrer kleinen Gefühlsregung von vorhin die Posse zu ignorieren, indem sie den Tisch anstarrte und wieder mit ihren Fingern spielte.

„Esra, mein Kind, beruhige dich. Unfälle können passieren.“ Komirs tiefe Stimme schaukelte beruhigend wie ein Wiegenlied durch den Raum. „Der Mundschenk kann sicher nichts für diesen kleinen Unfall.“

„Kleiner Unfall? Mein Kleid ist ruiniert, Vater! Nur weil dieser unfähige Schweinehirte nicht aufpassen kann“, brüllte sie und stocherte mit ihrem Zeigefinger auf der Brust des Schenks herum.

„Ich bitte um Verzeihung, Euer Gnaden. Es war keine Absicht. Ich…“, stotterte er.

„Sei ruhig du verfluchter Platscher!“

„Esra!“ Komirs Stimme donnerte wie ein Gewitter durch die Halle und lies seine eben noch angriffslustige Tochter augenblicklich zusammenzucken und zurück auf den Stuhl sinken.

Aber es war zu spät. Die Stimmung in der Halle war plötzlich spürbar kühler. Die eben noch freundschaftlich miteinander trinkenden und speisenden Männer beider Völker scheuten plötzlich den gegenseitigen Blick in die Augen und die eben noch so bunt gemischten Gruppen trennten sich. Worgus zu Worgus und Cents und Cents. Auch die Schausteller waren verstummt und wussten nicht so recht wann und ob sie weiterspielen sollten.

Komir stand weiterhin aufrecht, und funkelte seine Tochter böse an. Allein der Blick schien auszureichen, um jeglichen Kampfeswillen in Esra zu unterbinden. Lady Luca und Chestaine hatten ebenfalls ihre Unterhaltung unterbrochen und Refle beobachtete mit ineinander gefalteten Händen, wie immer ruhig und berechnend, alles genauestens.

„Ich bitte alle hier anwesenden das Verhalten meiner Tochter zu entschuldigen“, sagte Komir an alle Anwesenden gewandt. „MyLady Luca, könnte jemand meiner Tochter ihr Gemach zeigen?“ Der Imperator sprach freundlich aber mit unmissverständlichem Nachdruck.

„Natürlich.“ Luca winkte kurz in Richtung Küche, aus der Hollu getrottet kam.

Die gesprungene Lippe des zweiten Zimmermädchens war deutlich sichtbar und Alora schaute kurz, mit einem kleinen Grinsen, zur Seite. Ihr Grinsen wurde noch breiter, als ihr bewusst wurde, dass Hollu die Ehre zuteilwurde, sich um die anderen Töchter Komirs zu kümmern. Eine Ehre, die sie Hollu nur zu gerne überließ.

„Lady Esra, würdet ihr mir bitte folgen?“, schrillte Hollus Stimme durch die Halle.

Nach kurzem Zögern und ohne ein Wort warf Esra ihrem Vater einen bösen Blick, während sie sich erhob und Hollu folgte. Es war so still, dass jeder einzelne Schritt zu hören war. Die grazilen würdevollen Schritte Esras und die plumpen wackelnden Schritte Hollus.

Nach einigen Augenblicken begannen die Schausteller unsicher ihre Stücke fortzuführen. Leise schwebte der Ton der Sackpfeifen und Lauten wieder durch den Saal und nur nach und nach baute sich die ausgelassene Stimmung wieder auf. Alles wirkte angespannter als zuvor.

„Götter. Das ist deine Schwester?“, sagte Alora. „Du bist wahrlich nicht zu beneiden“

„Halbschwester…“, war die typisch kurze und schüchterne Antwort Komiras, die sofort danach wieder wegschaute.

Alora nickte kurz und sah wie Luca sich ihrem Tisch näherte.

„Alora? Geleitest du die Prinzessin in ihre Gemächer? Ein wenig Ruhe würde ihr sicher gut tun nach der langen beschwerlichen Reise.“ Sie lächelte freundlich.

„Natürlich, MyLady“, gehorchte Alora und stand auf. „Folgt mir bitte, Euer Gnaden“, klopfte sie noch ihr Kleid aus und lächelte Komira einladend zu. Diese erhob sich wortlos und ihren Blicken ausweichend. Alora zog eine Augenbraue hoch, als sie das erste Mal wirklich bemerkte, dass Komira verglichen mit ihr sehr klein und zierlich wirkte. Und das wollte etwas bedeuten. Denn auch Alora wurde immer als zu dürr und zierlich bezeichnet, aber Komira wirkte beinahe schon kränklich.

„Euer Gemach wird euch sicherlich gefallen. Es ist im Königsturm nicht weit von Catels Gemächern entfernt. Alora wird Euch den Weg zeigen. Ich wünsche eine gute Nacht.“, lächelte Luca um danach zurück zur Tafel zu gehen.

„Dann mal los“, sagte Alora und führte die Prinzessin aus dem Thronsaal hinaus.

Das Geflüster der Raben

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