Читать книгу Die Weberin der Magie - Niels Rudolph - Страница 5

Kapitel 2: Ein Held wird geboren ...

Оглавление

»Jungchen, du könntest wirklich mal wieder die Fenster putzen. Man kann ja gar nicht mehr durchsehen!« Diese krächzende Stimme gehörte Martor (dem Großen), seines Zeichens mächtigster Zauberer des Landes Ardavil. Er war gerade damit beschäftigt, seinem Lehrling Wulfhelm die täglichen Ausbildungsinhalte zu vermitteln.

Die meisten Magier ließen sich bei ihrer Ausbildung nicht gern über die Schulter sehen, denn jeder Meisterzauberer, der etwas auf sich hielt, hatte ein Repertoire an ganz eigenen Zaubersprüchen, die ihn zu einem Spezialisten in bestimmten Gebieten machten und die kein anderer Zauberer beherrschen sollte. Martor machte da keine Ausnahme. Die Entwicklung solcher Sprüche kostete natürlich viel Zeit und Mühe, daher bewahrten Zauberer ihre größten Geheimnisse eifersüchtiger, als ein Drache seinen Goldschatz.

»Und wenn du schon dabei bist ... Das Toilettenhäuschen könnte einen neuen Anstrich vertragen!« Martor strich sich nachdenklich über seinen langen, grauen Bart, der einen ehrwürdigen Kontrast zu seiner roten Robe bildete. »Das wäre erst mal alles, Junge«, sagte der Magier und verschwand in seinem Arbeitszimmer.

Seufzend machte sich der Junge an die Arbeit. Zugegebenermaßen war Wulfhelm keine besonders imposante Erscheinung, überhaupt nicht heldenhaft. Er war schlaksig, etwas zu groß für sein Alter und hatte strohblonde Strähnen, immer etwas zu fettigen Haares, die unter seinem Zaubererhut hervorlugten. Die meisten Menschen neigten dazu, ihn als schwächlich zu bezeichnen, doch das war nicht so wichtig, weil körperliche Stärke keine relevante Eigenschaft für einen Zauberer war. Genau genommen war es sogar dieser Umstand, der ihn damals in die Hände von Martor (dem Wohlwollenden) getrieben hatte. Jene Mängel, die ihm eine Karriere als Kämpfer, oder im Hoch- und Tiefbau als aussichtslos erscheinen ließen, machte er durch Wissensdurst und Fleiß wieder wett. Wenn er erst einmal genug gelernt hatte, würde er wohl eines Tages den großen Martor ablösen und seinerseits mächtigster Magier Ardavils werden. Die Konkurrenzangst Martors war also nicht ganz unbegründet. Wenn Wulfhelm seinen Platz einnehmen würde, wo bliebe dann sein Verdienst? Die Rente gab auch nicht so viel her, als dass es für einen Gelehrten mit luxuriösem Lebensstil reichte. Daher war es nur verständlich, das Martor sich Zeit ließ, Wulfhelm in die Geheimnisse der Magie einzuweihen. Es war ja auch ganz praktisch so. Wer konnte schon von sich behaupten einen Bediensteten zu haben, der für ein Lehrlingsgehalt (sprich: Kost und Logis) arbeitete?

Aber zurück zu Wulfhelm. Unser Held war damit beschäftigt, die ihm aufgetragenen Hausarbeiten zu erledigen und dachte gerade darüber nach, wer ihm diesen tollen Job verschafft hatte. Er nahm sich vor, sich bei gegebener Zeit bei ihm zu bedanken. Dabei hatte alles so gut angefangen ...

Wulfhelm lebte damals in einem kleinen Dorf, welches den klangvollen Namen Schwertheim trug. Die meisten Einwohner waren Krieger und Waffenschmiede und stellten die namhaftesten Kämpfer des Landes.

Da Wulfhelm allgemein als körperlich unterbemittelt galt, konnte er keine Laufbahn als Krieger einschlagen und war dem Spott der anderen Kinder hilflos ausgeliefert. Sein Vater zerbrach sich lange Zeit den Kopf, was aus seinem Sohn einmal werden sollte. Da dieser selbst ein großer Kämpfer war, konnte er sich keinen anderen Job vorstellen als ... na ja, eben das Ausüben der Kriegskünste. Das war ein angesehener Beruf und man verdiente nicht schlecht dabei. Man hatte eine gesicherte Altersversorgung und eine starke Gewerkschaft, was wollte man mehr? Doch wenn sein Sohn nicht gerade von den anderen Kindern verhauen wurde, tollte er über die Wiesen und pflückte Blumen! Es war einfach zum Haare ausreißen.

Eines Tages, bei einem der standesgemäßen Saufgelage, trat ein befreundeter Axtkämpfer auf Wulfhelms Vater zu und gab ihm einen Tipp: »Warum schickst du deinen Sohn nicht zu einem Magier? Wenn er auch nicht das Zeug dazu hat, eine Waffe in der Hand zu halten, so ist er doch nicht total verblödet. Wulfhelm liest doch viel, oder? Ich sage dir, schicke ihn zu so einem alten Zausel, die sind alle ein bisschen wunderlich. Genau der richtige Ort für einen Versager.«

Auch wenn es Wulfhelms Vater in der Seele wehtat, dass SEIN SOHN ein Versager genannt wurde - und nachdem er dies dem Axtschwinger in seiner einmaligen, leicht begreiflichen Art klargemacht hatte - wusste er doch, dass sein Freund recht hatte. Also sah er sich nach einem geeigneten Lehrherrn für seinen Sohn um. Auch wenn Wulfhelm etwas aus der Art geschlagen war, so sollte er doch die beste Ausbildung genießen und schließlich fiel die Wahl auf Martor (den nicht gerade Billigen), der sich nach zähen Verhandlungen bereit erklärte, den Jungen in die arkanen Künste einzuweihen.

Der Fairness halber sollte vielleicht erwähnt werden, dass Wulfhelms Mutter nicht ganz unbeteiligt bei der Wahl des Lehrherren war und wenige Tage später brach Wulfhelm auf, um seine Ausbildung anzutreten. Seine Mutter gab ihm noch eine Menge Ratschläge mit auf den Weg und ermahnte ihn vorsichtig zu sein. Sie hatte sich einfach immer noch nicht daran gewöhnt, dass ihr Sohn bereits vierzehn Jahre alt war und beim Abschied standen ihr Tränen in den Augen. Wulfhelm spielte den harten Mann. Wenigstens einmal sollte sein Vater stolz auf ihn sein. Aber in Wirklichkeit hätte er auch gern geheult, um seinem Heimweh Luft zu machen.

Ja, schon der Gedanke, sich weiter von seinem Zuhause zu entfernen, löste riesiges Heimweh in ihm aus. Sein Vater saß auf der Veranda, als Wulfhelm ging und blickte ihm stolz nach. Er rief seinem Sohn noch ein paar aufmunternde Worte nach. Wulfhelm war sich sicher, sie falsch verstanden zu haben, aber es klang ungefähr so wie: »Ja, verpiss dich bloß! Schnorr dich zur Abwechslung mal woanders durch!«

So war das damals gewesen und in der Zwischenzeit hatte Wulfhelm durchaus einiges gelernt. Abgesehen von einem wirklich ausgedehnten Hauswirtschaftskurs, hatte er sein Heimweh überwunden. Etwas wofür er Martor sehr dankbar sein konnte.

Seit er sich bei dem Magier aufhielt, hatte sich sein Heimweh nach und nach in Fernweh verwandelt. Wulfhelm wollte eigentlich gar nicht mehr zurück nach Hause zu seinen Eltern. Der einzige Ort, wo es ihn hinzog, lag weit entfernt von Martors Domizil, die Richtung spielte dabei eine untergeordnete Rolle. Er wollte endlich die Welt kennenlernen und die vielen wundersamen Dinge entdecken, von denen er schon so viel gehört und gelesen hatte.

Wulfhelm hatte sich die Ausbildung bei einem Magier etwas anders vorgestellt. Gut, er hatte gleich, nachdem er seinen Ausbildungsvertrag unterschrieben hatte (zu diesen Zeiten war noch keine Unterschrift des Erziehungsberechtigten notwendig), sein persönliches Zauberbuch bekommen, in dem er seine gelernten Zaubersprüche festhalten sollte. Aber in seiner zweijährigen Laufbahn hatten sich noch nicht viele Zaubersprüche angesammelt. Um genau zu sein, kannte Wulfhelm bis jetzt nur sieben Zaubersprüche. Das mag ja schon eine ganze Menge sein, aber gegen die Vielfalt der bekannten Sprüche und ihren verschiedenen Variationen, war das nicht mehr als die Ablagerung einer verdauten Fliegenmahlzeit auf einer Fensterscheibe. Dazu waren Wulfhelms Sprüche nicht besonders hilfreich, auch wenn Martor meinte, dass sie ziemlich mächtig seien. Aber wem nutzte es schon einen Putzteufel zu beschwören, wenn man damit nicht gewisse hauswirtschaftliche Arbeiten verband?

Zu den nützlichen Sprüchen gehörten wohl die Levitation von kleinen Gegenständen und das Feuer entfachen. Letzteren Spruch hielt Wulfhelm anfangs für extrem mächtig, aber nach einigen Experimenten musste er enttäuscht feststellen, dass es sich um nichts anderes handelte, als um eine Art ferngezündetes Streichholz (ohne das Holzstäbchen). Wulfhelm hatte geglaubt, dass er damit seine Feinde verbrennen könnte, aber zum einen konnte er damit nur leicht entzündliche Stoffe in Brand setzen und zum anderen wirkte die Flamme nur fünf Sekunden. Es reichte gerade, um den Zunder im Kamin anzuzünden. Dennoch war Wulfhelm davon überzeugt, dass ihm seine Sprüche einmal das Leben retten könnten. Er war halt ein unverbesserlicher Optimist.

Erschöpft warf Wulfhelm den Lappen in seinen persönlichen Putzeimer und ließ sich unter dem Apfelbaum nieder, der im kleinen Gemüsegarten des Zauberers stand. Er hatte seine Arbeit erledigt und nutzte die Gunst der Stunde, um ein wenig nachzudenken und ein Nickerchen zu machen. Martor hatte sich vor etwa einer Stunde überstürzt verabschiedet, um eine kleine Geschäftsreise anzutreten. Er hatte dabei einen ziemlich besorgten Gesichtsausdruck zur Schau getragen und Wulfhelm fragte sich, was wohl so wichtig sei, dass der Magier ohne seinen Hut aufbrach. Martor (der Korrekte) ging sonst nie ohne seinen Spitzhut mit den Zauberersymbolen aus dem Haus. Vielleicht lag es ja daran, dass er nicht im eigentlichen Sinne gegangen war, sondern sich einfach weggezaubert hatte. Dennoch ärgerte sich Wulfhelm ein wenig über seinen Meister. Wie oft hatte der ihm schon vorgehalten, dass standesgemäße Kleidung das A und O für einen Zauberer war.

Anfangs hatte er den spitzen, purpurfarbenen Hut mit der breiten Krempe gehasst, denn er war unbequem und kratzte wie verrückt. Außerdem war er so sehr gestärkt, dass er sich eher anfühlte wie ein Helm. Als sich Wulfhelm einmal oben ohne aus dem Haus geschlichen hatte, setzte es ein ganz schönes Donnerwetter und das konnte man ruhig wörtlich nehmen. Martor (der Humorvolle) beschwor ein kleines Gewitter, das Wulfhelm auf Schritt und Tritt folgte.

Aber nach ein paar Wäschen war der Hut dann endlich weich und bequem geworden und er begann ihn zu schätzen, weil ihm die Mädchen im Dorf beeindruckt nachsahen, wenn er Vorräte einkaufte. Sein Hut hatte zwar noch keine magischen Symbole (die müsse er sich erst erarbeiten, sagte Martor), dafür aber einen silbern glänzenden AZUBI-Schriftzug.

Verstohlen sah Wulfhelm zum Haus herüber. Wann Martor wohl zurückkehren würde? Er spielte mit dem Gedanken, ein bisschen in den Zauberbüchern seines Meisters zu spionieren, verwarf ihn jedoch sofort wieder. Das hatte er schon einmal versucht, aber die Bücher waren mit einem magischen Schutz versehen. Also zog er sein eigenes Zauberbuch aus den geräumigen Taschen seiner purpurnen Robe und schlug es auf. Seufzend betrachtete er das Inhaltsverzeichnis:

1. Fremde Stimme

2. Putzteufel beschwören

3. Levitation kleiner Gegenstände

4. Erkennen von Gefühlen

5. Feuer entfachen

6. Unkraut vernichten

7. Magisches Licht

So schlecht waren die Sprüche ja nicht, aber Wulfhelm hätte gern ein paar Kampfzauber gelernt. Eisregen wäre nett gewesen, oder Feuerball. Sein einziger Kampfzauber vernichtete Unkraut, einen wahrhaft Furcht einflößenden Gegner.

Fremde Stimme war der erste Zauber, den Wulfhelm gelernt hatte, obwohl er es nicht gerade als echte Zauberei betrachtete. Es handelte sich dabei um eine Art Bauchreden. Er konnte jede beliebige Stimme von irgendwoher erklingen lassen. Ein Freund von ihm konnte etwas Ähnliches und der war kein Magier. Allerdings klang diese Stimme immer ein wenig wie die seines Freundes, nur etwas verzerrt. Und wenn der etwas dabei trank oder aß, klappte es schon gar nicht mehr so gut. Das konnte Wulfhelm alles und es machte ihm Spaß mit diesem Spruch zum Beispiel die Stimme seines Vaters aus dem Wäschekorb tönen zu lassen. Der eigentliche Zweck, warum Martor (der Geizige) ihn diesen Spruch gelehrt hatte, war es, Steuereintreiber und Versicherungsvertreter abzuwimmeln. Am liebsten zog er dabei die Verlorene-Seele-im-Brunnen Nummer ab, bei der er Weh- und Klagelaute aus den Tiefen des Brunnens emporsteigen ließ.

Ein Poltern im Haus schreckte Wulfhelm aus seinen Gedanken. War Martor schon wieder zurück? Wulfhelm sprang auf und lief ins Haus. Der Magier würde bestimmt wütend werden, wenn er sah, dass Wulfhelm faulenzte.

Martor lag in seltsam gekrümmter Haltung auf dem Boden. Eine Blutlache kroch unter ihm hervor und saute die sorgsam gebohnerten Dielen ein.

»Äh, Meister? Geht es Euch nicht gut?«

»Ich habe mich noch nie besser gefühlt. Idiot! Was glaubst du wohl?«, wütete der Magier.

»Aber was ist passiert? Ich meine ... Soll ich nicht lieber einen Heiler holen?«

»Nein, bis du wieder hier bist, bin ich vermutlich schon tot. Hör mir einfach nur gut zu, ja?« Martor hustete sich ein wenig Blut über die Robe, bevor er schleppend fortfuhr.

»Eine große Gefahr ... die böse Zauberin Yolanda ... Finde das Zepter von Ardavil ...« Der Kopf des Magiers fiel zurück und er blieb reglos liegen.

Wulfhelm versuchte zu sortieren, was sein Meister ihm gerade erzählt hatte: »Ich schätze, die böse Zauberin Yolanda hat meinen Meister umgebracht. Ihm steckt ein Dolch im Rücken. Ich soll also das Zepter von Ardavil finden und die Zauberin beseitigen. Aber wie? Ich kann doch kaum Zaubersprüche und außerdem, wie kann jemand mit so einem schönen Namen böse sein? Was ist nun ...«

»Quatsch keine Arien, Junge. Mach dich auf die Fußlappen. Zeit ist Aargh...« wieder streckte sich Martor (der Leblose) aus.

Wulfhelm zuckte mit den Schultern, ging auf sein Zimmer und packte seine Sachen zusammen. Jetzt, wo sein Meister tot war, hielt ihn eh nichts mehr hier. Wahrscheinlich war dieses Zepter ein mächtiges, magisches Artefakt. Warum sollte er nicht versuchen, es zu finden? Vielleicht wurde er doch noch ein großer Zauberer, wenn er das Ding erst mal hatte. Zunächst galt es aber, eine vernünftige Ausrüstung zusammenzukratzen, denn nur mit seinen Klamotten am Leib konnte man nicht auf eine lange, gefahrvolle Reise gehen.

Geld! Wo hatte der alte Sack bloß seinen Zaster versteckt? Wulfhelm schlich sich ins Arbeitszimmer seines ehemaligen Meisters. Selbst nach dem gewaltsamen Ableben seines Mentors steckte ihm noch das Gefühl in den Knochen, er könnte erwischt werden. Martor bewahrte all seinen Plunder in seinem Arbeitszimmer auf. Hier sah es so aus, wie bei anderen Leuten auf dem Dachboden. Bücher und Gerätschaften stapelten sich in ungeordneten Türmen bis fast unter die Zimmerdecke. Wulfhelm sah sich ehrfürchtig um. In einem Regal standen die Zauberbücher Martors, aber die waren tabu. Er wagte es nicht sie anzufassen, nachdem er das letzte Mal eine ungeheure, magische Entladung durch die Knochen gejagt bekommen hatte. Auf der Suche nach dem Geld des Magiers stellte er das ganze Zimmer auf den Kopf. Er fand ein paar Dinge, die sich als nützlich erweisen könnten, aber nicht einen Heller an Bargeld. Dabei war Martor nicht unvermögend gewesen, aber in seiner Angst vor den Steuereintreibern der Kaiserin, hatte er paranoide Fantasien entwickelt. Wulfhelm kam zu dem Schluss, dass sein Meister das Geld in einer anderen Dimension gelagert haben musste. Halt irgendwo, wo es niemand suchte.

Er verpackte den Plunder, den er gefunden hatte, in seinem Rucksack. Ringe, Amulette, Zauberstäbe. Martor hatte reichlich von diesem Zeugs. Der Haken an der Sache war, dass Wulfhelm nicht wusste, was die einzelnen Zauberutensilien bewirkten. Er wollte es bei Gelegenheit ausprobieren. Also griff er sich die restlichen zwölf Taler aus seiner Haushaltskasse und machte sich auf die Suche nach dem Zepter von Ardavil ...

Er kam bis vor die Haustür.

Die Weberin der Magie

Подняться наверх