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Kapitel 4: je später der Abend ...

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»Es wird bald dunkel«, stellte Wulfhelm mit sicherem Instinkt fest. Sie waren eine gute Strecke weit gekommen, seit sie von der Gnomen-Höhle aufgebrochen waren und langsam begann Wulfhelm sich zu fragen, warum dieser Wald gefährlich sein sollte. Sie waren bis jetzt, außer den Gnomen, noch keiner Seele begegnet. Gut, da war dieser Vorfall, als sie ein Baum mit seinen Ästen vermöbeln wollte, aber sonst hat sich ihnen wirklich nichts in den Weg gestellt. Oh, er vergaß dabei vielleicht die Dornenbüsche, die sie umzingelt hatten und immer dichter auf sie zugerückt waren, aber auch dies empfand der Jungzauberer nicht als ungewöhnlich. Jedenfalls hatten sie keinen Zwischenfall, der sich nicht mit einem scharfen Schwert hätte beseitigen lassen.

»Ob das wohl die tausendjährige Buche ist?«, fragte Harika gerade zum zehnten Mal und schreckte Wulfhelm aus seinen Gedanken. Immer wenn sie an einer Buche vorbeigekommen waren, hatte die Kriegerin diese Frage gestellt, aber diesmal schienen sie tatsächlich am Ziel zu sein. Ein riesengroßer Baum ragte vor ihnen in den Himmel. Man hätte wohl mindestens zwanzig Männer gebraucht, um ihn zu umfassen. Wulfhelm begann den Umfang des Riesen abzuschreiten und entdeckte dabei eine Tür im Baumstamm, die mit einem Gebüsch getarnt war.

»Ob der Kobold das mit dem sicheren Rastplatz gemeint hat?«, fragte Wulfhelm und blickte Harika skeptisch an.

»Vielleicht wohnt dort jemand. Klopf doch mal an die Tür.«

Er tat wie ihm geheißen und wartete artig, doch niemand schien sich für sie zu interessieren. Es stellte sich heraus, dass die Tür unverschlossen war. Im Inneren des Baumes führte eine in das Holz geschnitzte Wendeltreppe nach oben. Es war etwas feucht und roch modrig. Vorsichtig, um nicht auf den glitschigen Stufen auszurutschen, stieg Wulfhelm nach oben und gelangte schließlich in eine Höhle, die mit Stroh ausgelegt war. Ein Astloch, das groß genug war, um den Kopf durchzustecken, diente als Fenster zur Welt. Er sah nach unten. Harika saß gelangweilt auf dem Pferd und kratzte sich gedankenverloren am Hintern.

»Juhu, hier oben!«, rief Wulfhelm um die Aufmerksamkeit der Kriegerin (und aller anderen Waldbewohner) auf sich zu lenken.

»Himmel, schrei doch nicht so«, bellte sie zurück und blickte ihn fragend an.

»Sieht ganz behaglich aus, komm hoch.«

Es war offensichtlich, dass dieser Unterschlupf nicht für Pferde geeignet war, also versteckte Harika das Tier in einer Buschgruppe und band es fest. Danach betrat sie die Baumhöhle und zog das Gebüsch wieder, so gut es eben ging, vor die Tür. Sicher war sicher. Während Wulfhelm sich an den Vorräten zu schaffen machte, richtete die Kriegerin ihr Strohlager her und betrachtete es prüfend.

»Wir werden uns sicher Flöhe oder etwas noch Schlimmeres einfangen, wenn wir hier schlafen.«

Wulfhelm trat zu Harika herüber und reichte ihr ein Stück Wurst.

»Immer noch besser als den Ungeheuern in die Arme zu laufen, findest du nicht?«, entgegnete er und trat auf eine fette Spinne, die aus seinem Bett kroch.

»Hab ich dir eigentlich schon mal erzählt, wie froh ich bin, dass du bei mir bist? Ich meine natürlich ..., äh ... du bist so ... na ja, du weißt schon.« Wulfhelm wollte Harika einfach nur etwas Nettes sagen, doch im Verlauf seiner Erörterung, nahm sein Teint eine immer rötlichere Färbung an und er sah sich außerstande, einen zusammenhängenden Satz zu sprechen. Mit anderen Worten, er kam sich vor wie ein Idiot.

»Ich weiß«, erwiderte Harika verlegen und betrachtete ihre Schuhe. Auch ihr Gesicht nahm eine gesunde Rötung an. So standen sie eine Zeit lang da, ihr Schuhwerk betrachtend, ab und an mal verstohlen aufsehend, nur um dann wieder den Boden abzusuchen. Harika ergriff als Erste die Initiative und Wulfhelms Hand. Im ersten Moment erschrak er, jagte ihm doch die Berührung der Kriegerin ein unbekanntes Kribbeln durch den ganzen Körper. Aber er ließ es geschehen, dass sie ihn zu sich heranzog und innig umarmte. Wulfhelm meinte sogar, ihren Herzschlag durch das schwere Kettenhemd hindurch zu spüren. Hastig und unbeholfen presste Harika ihre Lippen auf die seinen, allerdings gab Wulfhelm auch keine bessere Figur ab, als er ihren Kuss erwiderte. Jetzt wo sie beide ihren Gefühlen auf ihre eigene tapsige und unerfahrene Art Ausdruck verliehen hatten, fühlten sie sich angenehm erleichtert. Wulfhelm legte sich auf sein Lager nieder und war schon bald ins Land der Träume entschwunden. Die Kriegerin saß mit angezogenen Beinen auf ihrem Strohhaufen und hatte das Kinn nachdenklich auf die Knie gelegt. Warum sollten sie eigentlich nicht das Ungeziefer eines Lagers teilen? Dadurch würden sie jeder nur die Hälfte der Parasiten auf sich ziehen. Und geteiltes Leid war immer noch halbes Leid. Sie kuschelte sich dicht an Wulf an und war kurz darauf ebenfalls eingeschlafen.

Währenddessen lugte Donnersturm, Harikas Pferd, missmutig durch die Äste seines Versteckes. Ausgesperrt. Während sein Frauchen einen warmen Platz hatte, durfte er hier in der Kälte stehen und konnte nicht mal ein wenig umherlaufen, um warm zu werden. Ärgerlich kaute er auf ein paar Blättern des Gebüsches herum. Langsam begann ihm der ganze Job zu stinken. Nicht ein Wort Text war für ihn übrig geblieben, dabei hatte er wirklich keine großen Ansprüche. Er fragte sich, wofür er drei Jahre lang Schauspielunterricht genommen hatte. Was für ein Abstieg. Als Tristan hatte er großartige Kritiken bekommen und an ein paar richtig großen Bühnen gespielt, doch nun sah er sich in eine Statistenrolle in einem Laienschauspiel gedrängt. Schuld an allem war dieser widerliche Schreiberling. Na, der sollte ihm mal hinter die Hufe kommen!

Ein plötzliches Aufflackern erregte Donnersturms Aufmerksamkeit. Es schien, als hätte jemand ganz in der Nähe ein Lagerfeuer entfacht. Der Gedanke an ein wärmendes Feuer versetzte ihn in Aufregung. Verdammt, er war ja immer noch an diesem blöden Busch festgebunden …

»Harika, wach auf. Da ist jemand in der Nähe«, flüsterte Wulfhelm eindringlich.

»Wie? Was?« Langsam kam Harika wieder aus ihrer Traumwelt zurück.

»Ich habe Stimmen gehört. Ich glaube, da singt jemand«, erwiderte Wulfhelm und lugte durch das Astloch.

»Kannst du was sehen?«, fragte die Kriegerin verschlafen blinzelnd und kam zu Wulfhelm gekrochen.

»Nicht richtig. Da schimmert Licht durch die Bäume.«

Wulfhelm hatte sich nicht getäuscht. Leiser, kehliger Gesang drang an ihre Ohren. Es handelte sich um jene Art von Liedern, wo ein Einzelner einen Vers sang, der dann von einem Chor wiederholt oder mit einem anderen Vers erwidert wurde. Harika und Wulfhelm kauerten sich dicht an dem Astloch zusammen und lauschten, um den Wortlaut des Liedes zu verstehen.

»Wir sind die gefürchtete Monsterbande!«, bölkte der Vorsänger.

»WIR SIND DIE GEFÜRCHTETE MONSTERBANDE!«, stimmte der Chor zu.

»Bringen Angst und Schrecken im ganzen Lande!«

»BRINGEN ANGST UND SCHRECKEN IM GANZEN LANDE!«

»Mord und Totschlag ist unser Geschäft!«

»MORD UND TOTSCHLAG IST UNSER GESCHÄFT!«

»Wir ziehen durch die Gegend, wenn jeder schläft!«

»WIR ZIEHEN DURCH DIE GEGEND, WENN JEDER SCHLÄFT!«

»Rauben und plündern, ja das ist fein!«

»DA HASTE RECHT, SCHENK NOCH MAL EIN!«

»Das klingt ja entsetzlich«, beschwerte sich die Kriegerin.

Wulfhelm konnte ihr nur zustimmen. Es schienen hundert Stimmen zu sein, die alle in einer unterschiedlichen Tonlage und zu einer unterschiedlichen Melodie sangen. Was an sich schon ein Kunststück war, denn der Vortrag schien überhaupt keine Melodie zu haben. Der Chor schickte sich an, die zweite Strophe zu schmettern.

»Bald ziehen wir wieder in die Schlacht!«

»BALD ZIEHEN WIR WIEDER IN DIE SCHLACHT!«

»Und wer uns nervt, wird Platt gemacht!«

»UND WER UNS NERVT, WIRD PLATT GEMACHT!«

»Ohne Mühe stürmen wir jedes Schloss!«

»OHNE MÜHE STÜRMEN WIR JEDES SCHLOSS!«

»Ich bin Haggamuk und ich bin der Boss!«

»TATSÄCHLICH?!«

»Ja, rauben und plündern, das ist ... Häh? Wie war das?«

»TATSÄCHLICH?!«, wiederholte der Chor grölend.

»Etwa nicht?«, kam es leiser und verunsichert zurück.

»NÖ!«, war sich der Chor einig.

»Äh ... Hey, ich dachte, das wäre geklärt! Was ist denn mit euch los?«

»WIR SIND UNS EINIG, WIR WOLLEN KEINEN BOS!«, sang der Chor artig und griff die Reimerei wieder auf.

»OK, lasst uns mal für einen Moment vernünftig sein!«, rief Haggamuk verzweifelt.

»ZUM LETZTEN MAL, UNSERE ANTWORT LAUTET: NEIN!«

»Ist das eine Meuterei?«, fragte Haggamuk in einem Anflug von Panik.

»NEIN, DEMOKRATIE!«, johlte die Meute.

»Demo ... Was??«

»DEMOKRATIE!! JEDER HAT GLEICH VIEL ZU SAGEN. KEINER IST DER BOSS, JEDER IST DER BOSS!«, brandete der Singsang erneut auf.

»Was ist denn das wieder für eine Scheiße? Wer hat euch diesen Floh ins Ohr gesetzt?«

»Na, ja«, tat sich einer aus der Menge hervor. »Wir fanden, dass es Zeit für ein paar Reformen wäre.«

»Huh!?« Haggamuk schien langsam aus der Fassung zu geraten.

»Nun, es wurde doch Zeit, dass dieses Anführer-Trara endlich aufhört. Schließlich sind wir alle gleichberechtigte Monster und so ist es doch nur natürlich, dass wir alle mitbestimmen können«, fuhr der Gruppensprecher fort.

»JO, DA HAT ER RECHT!«, bekräftigte der Rest.

»So ein Humbug! Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder macht, was er will? Hiermit schaffe ich diese Demo ... Dingsda wieder ab und ernenne mich zum Boss und nun ... He, was habt ihr vor? Ihr könnt doch nicht ... Örks.«

Die Meute machte, nachdem ihr letzter Gegensprecher überzeugt wurde, mit ihren Festlichkeiten weiter.

»Ich schlage vor, dass einer von uns Wache hält, während der andere schläft. Die Monster scheinen uns ja noch nicht entdeckt zu haben«, meinte Harika.

Sie einigten sich darauf, dass Wulfhelm die erste Wache übernahm und Harika die Zweite. Es dauerte nicht lange, dann war die Kriegerin wieder eingeschlafen. Wulfhelm langweilte es, den Monstern bei ihren Plänen zuzuhören, die sie in ausreichender Lautstärke von sich gaben. Bald konnte auch er seine Augen nicht mehr offen halten und schlief ein. Nun begab es sich zu dieser Zeit, dass der dumme Zufall durch das Land zog und sich ausgerechnet unsere beiden Helden zum Opfer erwählte. Sicher erinnern Sie sich an Donnersturm, der immer noch in seinem Gebüsch ruhte und fror. Das gebeutelte Tier zerrte so lange an seinen Zügeln, bis es den Busch entwurzelt hatte und lief in freudiger Erregung auf das Feuer zu ...

»ÜBERRASCHUNG!«

Der Schreck, der unseren Helden in die Glieder fuhr, lässt sich leichter nachvollziehen, wenn man bedenkt, dass sie tief geschlafen und nun wirklich an nichts Böses gedacht hatten. Bevor sie allerdings richtig begriffen, was geschah, wurden sie auch schon aus dem Baum geschleppt, jeder an einen jungen Baum gebunden und von jeweils zwei Ungeheuern geschultert.

Bei diesem nächtlichen Überfallkommando handelte es sich um einen bunt zusammen gewürfelten Haufen der unterschiedlichsten Gestalten. Die Gruppe bestand aus vier Ogern, zwei Goblins, einem Ork und einem Satyr. Die Oger fungierten wegen ihrer Größe als Träger. Sie waren ungefähr zweieinhalb Schritte groß, hatten blasse Haut und rochen sehr unangenehm. Sie trugen nur ein paar Felle, die nicht ordentlich gegerbt wurden und den, ohnehin penetranten, Körperausdünstungen eine besondere Note hinzufügten. Im Volksmund galten sie als Menschenfresser, ein Umstand, der dieser Verhaftung eine unheilvolle Bedeutung schenkte. Die Goblins waren kleine, grüne Kreaturen mit langen Ohren. Sie trugen Fackeln und schienen sich in Gesellschaft der anderen Monster sehr stark zu fühlen, denn sie verspotteten die Gefangenen und traten nach ihnen, wann immer es ihnen ihre kurzen Beine erlaubten. Im Grunde ihrer jämmerlichen Seele waren sie jedoch die größten Feiglinge vor den Göttern.

Der Ork schien sich am meisten für den Rucksack mit den Vorräten und den Artefakten zu interessieren. Er war ebenfalls menschenähnlich, was bedeutet, dass er seine Gliedmaßen dort hatte, wo sie sein sollten. Allerdings war sein ganzer Körper mit einem dünnen, verfilzten Pelz bedeckt. Der Ork besaß ein beeindruckendes Gebiss, welches einem Keiler zur Ehre gereicht hätte und Wulfhelm wollte um nichts in der Welt mit ihm Bekanntschaft machen. Der Ork und die Goblins klemmten sich eilig die Ausrüstung unserer Helden unter die Arme und schlossen sich den Ogern an, die sich mit ihrer Beute in Bewegung gesetzt hatten. Der Satyr, den man guten Gewissens als Mischung aus Mensch und Ziege bezeichnen konnte, lief in hüpfendem Gang neben ihnen her und spielte eine merkwürdige Melodie auf seiner Panflöte, während er Harika lüstern beäugte. Sein Gesicht und Oberkörper waren menschlich, wenn man von den geschwungenen Hörnern absah, die auf seinem Kopf thronten. Allerdings besaß er einen Schwanz und seine weiß bepelzten Beine endeten in Spalthufen.

Es war immer noch dunkel, kurz nach Mitternacht schätzte Wulfhelm, und die Gruppe marschierte zum Lagerfeuer, wo der Rest der Ungeheuer schon ungeduldig wartete.

»Wen haben wir denn da?«, meldete sich ein Ork zu Wort und zwickte Harika prüfend in den Arm.

»Autsch! Lass das, du Stinkmorchel!«, keifte ihn Harika an. Es wurde totenstill im Lager der Monster und Wulfhelm schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Dass dieses Mädchen auch immer gleich anfing zu schimpfen, wie ein Droschkenkutscher. Der Zwicker blickte Harika ausdruckslos an, fing dann jedoch dröhnend an zu lachen.

»Das nenn ich Mut!«, gab der Ork zu, während die anderen Ungeheuer in sein Gelächter einfielen.

»Das wird dir jedoch nichts nützen, weil wir ziemlich endgültige Pläne mit euch haben«, fügte er traurig hinzu.

Die improvisierten Dönerspieße wurden dicht beieinander an einem Baum aufgehängt, sodass sich Wulfhelm und Harika noch unterhalten konnten. Das lag durchaus in der Absicht der Ungeheuer.

»Wir sind ja keine Unmonster, sprecht euch ruhig aus. Viel Gelegenheit werdet ihr nicht mehr dafür haben. Wir sehen uns«, sagte der Ork, dessen Rasse im Lager eindeutig in der Überzahl vertreten war. Er winkte den Ogerträgern, ihm zum Lagerfeuer zu folgen.

»Wir Hunger! Jetzt essen wollen!«, widersprach einer der Träger.

»Nicht jetzt, später. Wir müssen doch erst abstimmen, was wir mit ihnen machen.« Es klang so, als würde der Ork zu einem Kleinkind sprechen.

»Hrmpf, verdammt!«, machte der Oger und kickte einen kopfgroßen Felsen in den Wald, folgte dem Ork aber mit hängenden Schultern. Die verbliebenen Oger sahen sich ratlos an und trotteten hinterher.

»Von denen haben wir bestimmt nichts Gutes zu erwarten«, stellte Wulfhelm fest und blickte den Ogern mit Unbehagen nach.

»Verdammt unbequem. Ich sehe keine Möglichkeit, wie wir hier rauskommen, solange wir an diese Stämme gefesselt sind«, entgegnete Harika. Am Lagerfeuer entstand derweil rege Betriebsamkeit. Einige der Monster bereiteten die Feuerstelle für ein herzhaftes Barbecue vor, während sich andere an der Ausrüstung von Harika und Wulfhelm zu schaffen machten. Ein Goblin hatte gerade einen Zauberstab aus dem Rucksack hervorgezogen und betrachtete ihn neugierig von allen Seiten. Einer der Orks, die im Vorratssack herumkramten, bemerkte das wertvoll aussehende Artefakt und versuchte es dem Goblin zu entreißen. Schnell tauchte der Goblin zur Seite weg und schwang den Stab großspurig durch die Luft, woraufhin seine Konturen verschwammen und er unsichtbar wurde. Der Ork blickte sich verwirrt um und fluchte ob seiner entwischten Beute. Plötzlich begann er auf einem Bein zu hüpfen, während er das andere mit beiden Händen umklammert hielt.

»Ein Unsichtbarkeitsstab, das muss ich mir merken«, nahm sich Wulfhelm erstaunt vor.

»Wozu? Glaubst du, du bekommst das Ding jemals wieder?«, fragte Harika sarkastisch.

Einer der Orks, Borgra mit Namen, schlug mit einem Stock gegen eine Bratpfanne und rief die Ungeheuerschar zur Abstimmung zu sich.

»Wer ist dafür, die Gefangenen gleich zu fressen?«, rief er und zählte die Handzeichen derer, die sich meldeten.

Es waren hauptsächlich die Oger, die für diese Lösung stimmten und sie unterstützten ihre Forderung mit lautem: »HUNGER, HUNGER!«

»Sie sind eindeutig in der Minderzahl«, bemerkte Wulfhelm, erfreut darüber, dass der Löwenanteil der Monster nicht vorhatte, sie zu fressen.

»Gut. Wer ist dafür, die Gefangenen zuerst zünftig zu foltern?«, wieder zählte das Monster die Stimmen durch, die nun umso zahlreicher waren.

Wulfhelms zuversichtliches Lächeln gefror zu einer Grimasse.

»Uns sollte schnellstens etwas einfallen. Wenn ich nur eine Hand freibekommen würde«, sagte Harika gerade, doch Wulfhelm hörte es nicht.

Er war damit beschäftigt einen Plan auszuhecken und ging im Geiste alles noch einmal durch. Er nahm an, dass Haggamuk, der Ex-Anführer dieses Haufens, tot war, und setzte alles auf eine Karte.

»Ihr elenden Kreaturen! Glaubt ihr ernsthaft, ihr könntet mich so einfach loswerden?«, donnerte Haggamuks Stimme aus dem Lagerfeuer. Sie war Wulfhelm gut gelungen. Es hatte sich bezahlt gemacht, dass er so oft mit Fremde Stimme experimentiert hatte. Harika sah angestrengt zum Lagerfeuer, konnte aber niemanden sehen. Wulfhelm hatte es versäumt sie darüber aufzuklären, welche Zaubersprüche er beherrschte. Aus gutem Grund, denn er wollte sie zum einen immer mal wieder überraschen und zum anderen fand er es ziemlich erbärmlich, mit seinen sieben Sprüchen hausieren zu gehen. Jedenfalls war sein Streich gelungen, zumindest teilweise. Harika war genauso überrascht, wie einige der Monster. Leider ließen sich nicht alle so einfach beeindrucken. Während die Goblins viel zu feige waren, um auch nur das Risiko einzugehen, die Quelle der Geisterstimme infrage zu stellen und die Oger viel zu dumm, um einen Trick dahinter zu vermuten, waren die Orks doch ungleich intelligenter, als die anderen Monster. Wenn sie auch nicht auf die Idee kamen, dass es sich nicht wirklich um Haggamuks Geist handelte, schalteten sie dennoch auf stur. Was konnte ihnen ein körperloser Geist schon anhaben?

»Du lernst es wohl nicht, hä?«, forderte Borgra die Stimme frech heraus. »Du bist nicht mehr der Anführer. Leg dich wieder hin.«

Noch lagen die Goblins bäuchlings vor dem Lagerfeuer und die Oger kratzen sich, geistig überfordert, am Kopf oder bohrten in der Nase. Wenn die Orks aber so weitermachten, könnten sie Wulfhelms Plan ordentlich durcheinanderbringen und die anderen Monster ihren Mut wieder finden.

»Seht ihr?«, meinte der Ork zu den kriechenden Kollegen. »Der kann euch nichts tun, der ist tot.«

Einige der Goblins brummten zustimmend und erhoben sich zaghaft. Wulfhelm fand, es wäre höchste Zeit noch einen draufzusetzen. So gut es in gefesseltem Zustand ging, gestikulierte er wild und murmelte leise eine Zauberformel. Eine kleine Windhose erhob sich am Rand des Lagers und fegte quer durch das Lagerfeuer, als Wulfs Putzteufel seine Arbeit aufnahm. Asche und Glut stoben in den Nachthimmel und Rauch brannte den Monstern in den Augen. In Sekundenbruchteilen lagen die Goblins wieder auf dem Boden und versuchten den bösen Geist zu beschwichtigen. Selbst die Orks zogen sich, unsicher geworden, einige Schritte zurück.

»Werdet ihr mir nun zuhören und mich nicht wieder unterbrechen?«, ertönte Haggamuks Stimme mit einem gefährlichen Unterton.

Während die Goblins immer noch Lobpreisungen von sich gaben und die Oger planlos in der Gegend herumstanden, steckten die Orks die Köpfe zusammen und berieten sich kurz.

»Okey dokey, schieß los«, sagte ihr Sprecher kleinlaut.

»Ihr solltet die Gefangenen nicht töten, foltern oder essen. Sie könnten noch nützlich für euch sein.«

»Und was sollen wir deiner Meinung nach dann mit ihnen tun?«, fragte einer der Orks nachdenklich.

»Ich habe einen Plan. Er beinhaltet diese Hexe«, sagte Wulfhelm und versuchte vorsichtig, das Verhältnis der Monster zur Hexe auszukundschaften.

»Lass uns bloß mit diesem widerlichen Weibsstück in Ruhe«, winkte ein Ork ab.

Aha. Wulfhelm frohlockte innerlich. Die Monster schienen keine Freunde der Hexe zu sein.

»Wisst ihr noch, was sie mit Gorrok und den anderen gemacht hat? Hoffentlich haben sie einen schönen Teich gefunden, wo sie Fliegen fangen können. Ausgerechnet Frösche«, fuhr der Ork mit andächtig gesenktem Kopf fort.

»Vielleicht können euch die Gefangenen helfen. Der Junge ist ein Zauberer und könnte die Hexe besiegen.« Wulfhelm widerstrebte es zwar, gegen die böse Hexe anzutreten, aber es war immer noch besser, als in der nächsten Zukunft im Suppentopf zu landen. Die Monster blickten sich listig an und Wulfhelm kam der schleichende Verdacht, dass er sich vielleicht doch zu viel aufgeladen hatte. Wie zufällig kamen die Monster herangetrippelt, allesamt ein unschuldiges Engelsgesicht zur Schau tragend.

»Sag mal ... Wir haben gehört, du wärst ein Zauberer«, sagte Borgra beiläufig und schien sich sehr für den Zustand seiner Fingernägel zu interessieren. Wulfhelm hatte diese Sache angefangen, jetzt musste er sehen, wie er sie zu Ende brachte. Er nahm all seinen Mut und seine Überzeugungskraft zusammen und blickte die Monster entschlossen an.

»So ist es«, sagte er mit fester Stimme.

»Wir haben euch einen Vorschlag zu machen. Wie es aussieht, werdet ihr in der nächsten Zukunft ... nun ja ...« Der Ork deutete vielsagend auf das Lagerfeuer.

»Aber großzügig, wie wir nun mal sind, haben wir nach sorgfältiger Überlegung erwogen, euch die Freiheit zu schenken.«

Die Oger murrten und quengelten, doch der Ork brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen.

»Als Gegenleistung für eine kleine Gefälligkeit selbstverständlich, umsonst ist noch nicht mal der Tod. Interessiert?«

»Worum geht‘s?«, fragte Wulfhelm, obwohl er natürlich wusste, was Sache war.

»Wir haben da ein klitzekleines Problemchen. Natürlich nichts, womit ein weit gereister, mächtiger Zauberer wie ihr nicht fertig werden würde. Hier in der Nähe wohnt ein altes Mütterchen, das uns ein wenig Kummer bereitet hat. Im Grunde ist sie ja nur eine einsame, alte Omi, aber sie scheint uns nicht besonders zu mögen. Also haben wir uns überlegt, ob ihr nicht zu ihr gehen könntet, um sie davon zu überzeugen, dass wir eigentlich ganz nette Kerlchen sind, die sie nicht zu fürchten braucht. Unsere Kameraden, die jetzt in der Nähe des kleinen Teiches wohnen, wären überdies sehr dankbar, wenn die gute Frau nicht mehr böse auf sie wäre«, säuselte der Ork.

Wulfhelm betrachtete die Monsterversammlung aufmerksam und das Bild eines Tempelchores schoss ihm durch den Kopf. Irgendetwas störte ihn an der ganzen Geschichte. Vielleicht waren es die vielen Verniedlichungen, die der Ork benutzt hatte, oder aber die lammfrommen Gesichter, die ihn rührselig ansahen. Trotzdem schien es ihre einzige Chance zu sein, dem Mitternachtsimbiss zu entgehen.

»Mit anderen Worten sie ist böse und gefährlich«, brummte Harika.

Die Monster schüttelten verneinend die Köpfe.

»Nein, nein ... höchstens ... ein ganz klein wenig, vielleicht«, stammelten die Ungeheuer.

»Ihr seid doch auch böse. Eigentlich müsstet ihr doch gut mit dieser Frau auskommen.«

»He, Moment mal!«, entrüstete sich der Ork. »Das ist wieder typisch für euch zivilisierte Menschen, alles in eine diskriminierende Schublade zu stecken. Aber wir haben eine ernst zu nehmende Profession. Stellt euch doch nur mal all diese Heldensagen ohne die Monster und Bösewichter vor. Ich verrate dir, was diese Geschichten wären: Dreck! Sie wären nicht mal halb so interessant und kein Mensch würde sie sich anhören wollen. Aber macht es uns wirklich gleich zu üblen Kerlen, nur weil wir einen wichtigen Beitrag zum kulturellen und sozialen Leben leisten? Wir selbst bezeichnen uns nicht als böse, sondern als Opposition und im Gegensatz zu der Hexe, die völlig abgetickt ist, kann man mit uns auch anständig reden. Ich kenne zum Beispiel einen Drachen ...«

»Drachen!?«, riefen die Menschen entsetzt.

»Seht ihr, ihr tut es schon wieder. Dieses entsetzte Gehabe allein bei der Erwähnung eines andersartigen Wesens. Wenn das kein Rassismus ist ... aber zurück zu diesem Drachen: Er ist nämlich ein echt dufter Kerl. Er bescheißt zwar ab und zu beim Kartenspiel, aber man kann mit ihm durch dick und dünn gehen ...«

»Mich würde mal interessieren, was ihr überhaupt hier zu suchen habt? Ihr befindet euch mehr oder weniger im Zentrum der Zivilisation«, unterbrach Harika den Ork.

»Wir sind aus den Bergen gekommen, weil wir hier ein herrlich schlechtes Karma gespürt haben. In den Bergen oder der Steppe des Todes und allem anderen unwegsamen Gelände können wir unbeschwert leben, weil die Menschen sich nicht trauen es zu betreten. Nun, als wir hier ankamen, haben wir einen wahrhaft paradiesisch düsteren und feuchten Forst vorgefunden und uns häuslich niedergelassen. Nur schade, dass wir solche Probleme mit unserer Nachbarin haben.«

Kriegerin und Zauberer sahen sich ratlos an.

»Wenn wir uns der Hexe stellen sollen, dann brauchen wir aber unsere Ausrüstung«, wandte Wulfhelm nachdenklich ein.

»Ihr bekommt eure Sachen zurück, und wenn ihr das Muttchen überzeugt habt, uns nicht länger als Feinde anzusehen, seid ihr freie Leute. Haben wir einen Deal?«

Hilfe suchend sah Wulfhelm zu Harika hinüber, die nur kurz nickte.

»In Ordnung. Wir werden uns um die Sache kümmern«, besiegelte er den Pakt.

»Das wird für euch sicher ein Kinderspiel«, bekräftigte Borgra und winkte einigen Monstern, die in der Nähe herumstanden, die Fesseln zu lösen. Mit einigem Unbehagen stellte Wulf fest, wie ein enttäuschter Schatten über die Gesichter der Oger huschte, sie hatten sich offensichtlich sehr auf etwas Abwechslung in der Küche gefreut. Leichte Zweifel schlichen sich in Wulfhelms Gedanken ein. Was, wenn die Ungeheuer sich nicht hundertprozentig an die Abmachung hielten? Er kramte ein Pergamentstück aus seinem Rucksack und setzte schnell einen Vertrag auf. Die Monster sahen ihm neugierig zu.

»Was soll das denn jetzt?«, fragte ein Goblin und versuchte einen Blick auf das Papier zu erhaschen.

»Hier, unterschreibe das. Ich hoffe doch mal, Ehre ist euch kein unbekannter Begriff.« Wulfhelm reichte das Pergament an Borgra, der es mit gerunzelter Stirn überflog.

»Mann, seid ihr harte Verhandlungspartner«, stöhnte er und kritzelte sein Zeichen unter den Vertrag.

Die Weberin der Magie

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