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Kapitel 6: die nette Omi von nebenan

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»Iiih, das ist ja eklig«, sagte die Hexe und schüttelte sich.

»Wo habt ihr denn diesen Dreck her?« Sie warf das Buch angewidert in die Ecke. Wulfhelm entschloss sich, erst einmal schweigend abzuwarten, wie die Dinge sich entwickelten.

»Was ist passiert?«, stöhnte Harika, die gerade aus dem Wunderland zurückkehrte.

Wulfhelm winkte Schweigen gebietend ab und konzentrierte sich wieder auf die Hexe.

»He, was macht ihr in diesem Käfig? So etwas, ich kann mich an gar nichts erinnern ... Wartet, ich lasse euch erst mal hinaus und dann setze ich einen schönen Kräutertee auf.« Sie nestelte eifrig am Schloss des Käfigs herum.

»Kinder setzt euch doch, ich habe ja so selten Besuch. Ach ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Myrna und wer seid ihr? Wo kommt ihr her? Ihr müsst mir alles erzählen.« Während sie munter vor sich herplapperte und über das Wetter und ihr Leben im Wald tratschte, bereitete sie einen aromatisch duftenden Tee zu und holte Kekse aus einem kleinen Vorratsschrank. Wulfhelm und Harika sahen sich unterdessen unsicher an. Der Zauberstab lag immer noch auf dem Tisch und Wulfhelm erinnerte sich der Ausrüstung, die immer noch in ihrer Deckung vor dem Haus lag. Er entschuldigte sich kurz, um sie zu holen.

Als er vor die Tür der Hütte trat, stürzten die Gedanken über ihm zusammen. War das nun ein Trick oder hatte er es geschafft? Harika war allein mit der unheimlichen Frau, also beeilte er sich, seinen Rucksack zu holen. Als er wieder auf dem Rückweg zur Hütte war, bemerkte er zwei Orks, die auf einem Baum hockten und vergeblich versuchten, sich wie Äste zu benehmen. Sie hatten die Arme ausgebreitet und gaben von Zeit zu Zeit ein leises Rauschen von sich. Es wirkte einfach lächerlich und grotesk. Wulfhelm signalisierte ihnen, dass alles nach Plan verlief, und stapfte zurück zur Tür.

Die Frauen waren in eine angeregte Unterhaltung vertieft, Tassen mit dampfendem Tee vor sich. Wulfhelm setzte sich und beäugte skeptisch die Tasse, die vor ihm stand. So ganz traute er der Sache immer noch nicht, musste jedoch feststellen, dass das Kräutergebräu vielleicht nicht besonders schmeckte, aber eine wohltuende Wirkung hatte. Während Wulfhelm dem Gespräch der Frauen lauschte, mümmelte er gedankenverloren an einem der Kekse. Erst jetzt spürte er, wie hungrig er eigentlich war, und griff immer wieder zum Tablett, um sich Nachschub zu besorgen.

»Ach Kindchen, das war ja einer der Gründe, warum ich in die Abgeschiedenheit des Waldes gezogen war. In Kaisersruh waren die Männer auch so engstirnig. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich um Anerkennung und Gleichberechtigung gerungen habe, als selbstständige Unternehmerin. Wir hatten sogar einen eigenen Frauenkreis gegründet, aber bald musste ich einsehen, dass wir gegen Windmühlen ankämpften. Also machte ich meinen Laden dicht und zog in den Wald, wo ich den Waldbewohnern helfen konnte. Sie zollten mir Anerkennung und halfen mir dieses Häuschen zu bauen.« Harika hing gebannt, das Kinn auf die Hände aufgestützt, an den Lippen der Hexe und nickte ab und zu oder warf einen zustimmenden Kommentar ein. Wulfhelm kannte die Nummer irgendwoher und dachte nicht im Traum daran sich einzumischen. Er starrte in der Hütte umher, bis er der zwei Orks vom Baum gewahr wurde, die durch ein Fenster sahen und sich den Pelz rauften. Einer zog sich gerade mit dem Zeigefinger über die Kehle und zeigte auf die Hexe. Sie schienen irgendwie aufgeregt zu sein und zogen die merkwürdigsten Grimassen. Wulfhelm sah so gebannt zu den Orks, um ihre Körpersprache zu entschlüsseln, dass ihm ganz entgangen war, wie die Unterhaltung am Tisch verstummt war.

»Sind das Freunde von dir?«, fragte Myrna und hob tadelnd den Zeigefinger. »Das hättest du mir doch sagen können. Was ist das für ein Benehmen sie einfach draußen stehen zu lassen. Sie werden sich noch erkälten. So bitte sie doch herein.«

Oh, oh. Die Sache schien schon wieder zu entgleisen. Wulfhelm ging hinaus und lehnte sich an die Tür, um erst mal tief durchzuatmen. Die Orks bogen gerade um die Hüttenecke und kamen wild gestikulierend auf ihn zu.

»Hey, Mann! Was ist hier los?«, eröffnete der Größere von ihnen das Gespräch. »Seid ihr lebensmüde? Die Alte wird euch mit ihrem Geschwafel einlullen und dann grillen!«

»Moment, Moment!«, winkte Wulfhelm ab. »Ihr werdet sehen, sie hat sich total verändert.«

Die Orks sahen ihn abschätzend an und Wulf besann sich seiner Rolle als großer Zauberer.

»Ähm, ich wollte sagen ... Ich habe sie verzaubert. Sie wird euch keinen Unbill mehr zufügen«, trumpfte er auf und vollführte einen improvisierten Stepptanz, wobei er wild, Zauberformeln imitierend, mit den Armen ruderte. Die Orks sahen noch skeptischer drein und Wulfhelm wurde das Gefühl nicht los, dass er insgeheim in die Klapsmühle gesteckt wurde.

»Äh ... Kommt doch einfach mit rein und überzeugt euch selbst«, sagte er und tat, als wäre er tödlich beleidigt. Für einen Moment sah es so aus, als würden die Orks das Hasenpanier ergreifen, doch schließlich rissen sie sich zusammen und erklärten sich bereit Wulf zu folgen. Er führte sie in die Hütte, wo die Hexe schon damit beschäftigt war, zwei weitere Gedecke aufzutischen. Die Orks sahen sich unsicher in der Hütte um und kamen nur zögernd näher.

»Warum so schüchtern? Ich beiße nicht«, verkündete Myrna und lächelte die Monster gewinnend an. Aus den Gesichtern der Orks konnte Wulfhelm ablesen, dass sie das genaue Gegenteil vermuteten, und er versuchte, die Atmosphäre etwas aufzulockern: »Die zwei hier gehören zu einer großen Gruppe, die ihr Lager in der Nähe der tausendjährigen Buche aufgeschlagen haben.«

»Oh, vielleicht sollte ich mal vorbeischauen. So eine Art Nachbarschaftsbesuch, versteht ihr?«

Die Orks schüttelten verneinend die Köpfe. »Das ist doch wirklich nicht nötig«, versicherten sie wie aus einem Mund.

»Ach, das macht mir keine Umstände«, winkte die alte Frau lässig ab.

»Wir müssen jetzt aber gehen«, sagte der größere Ork und schob seinen Begleiter in Richtung Tür.

»Sie haben ihren Tee ja gar nicht angerührt«, sagte Myrna, nachdem die Monster gegangen waren.

Wulfhelm und Harika blieben noch ein paar Stunden bei Myrna, die jetzt unablässig in einem großen Kessel rührte und verschiedene Zutaten hinzufügte. Vorher hatte sie den Wald wieder in Ordnung gebracht, nachdem sie bei dem düsteren Anblick fast in Ohnmacht gefallen war. Der Bodennebel hatte sich inzwischen vollkommen aufgelöst und die Sonne schien nun auch wieder durch das Blätterdach. Dieses Panorama hatte etwas ungemein Friedliches und Beruhigendes.

Während Harika sich weiter mit der Hexe unterhielt, experimentierte Wulfhelm vor der Hütte mit seinen Artefakten und kennzeichnete die Ringe und Stäbe, deren Funktion er herausfand mit einem Zettel, den er aus seinem Zauberbuch herausriss und mit Baumharz festklebte.

Diese Arbeit war nicht ganz ungefährlich und in ihrem Verlauf wurde ein Baum vom Blitz getroffen, ein unscheinbarer Pilz wuchs auf das Zehnfache seiner Größe an und ein Wildschwein wurde liebestoll und verfolgte Wulfhelm einige Meilen durch den Wald, bis er es abschütteln konnte. Erschöpft ließ er sich vor der Hütte nieder und versuchte wieder zu Atem zu kommen, als sich die Tür öffnete und die beiden Frauen heraustraten.

Sie zogen einen großen Handwagen hinter sich her, auf dem der Kessel stand, in dem die Hexe vorhin noch gekocht hatte. Wulfhelm versuchte, einen Blick in das Innere des Kessels zu werfen, stellte jedoch enttäuscht fest, dass er mit einem Tuch zugedeckt war. Er wollte nicht neugierig erscheinen, daher fragte er nicht. Stattdessen schwelgte er in Fantasien über einen mächtigen Zaubertrank und überlegte, was Myrna damit vorhatte. Da sich der schwer beladene Handwagen nur mühsam über den weichen Waldboden ziehen ließ, wurde auch Wulf eingespannt von hinten zu schieben, während sich die Frauen an der Deichsel abmühten. Mit gelindem Unbehagen stellte Wulfhelm fest, dass sie sich dem Lager der Monster näherten. Auch wenn er seinen Teil des Vertrages erfüllt hatte, zog er doch eine bessere Gesellschaft vor. Die Oger hatten ihn so hungrig angesehen, vielleicht würden sie sich nicht an die Abmachung halten. Plötzlich bremsten die Frauen den Handwagen ab, und als Wulfhelm aus seinen Überlegungen aufschreckte, standen sie bereits mitten im Lager.

Die Monster standen in kleinen Gruppen auf dem Platz verteilt und diskutierten eifrig. Aus einigen lauter gesprochenen Wortfetzen entnahm Wulfhelm, dass die Gespräche um den plötzlichen Sinneswandel der bösen Hexe kreisten und ob man dem Luder trauen konnte, oder alles ein Trick war. Außerdem wurden empörte Rufe laut, was aus dem schönen, finsteren Wald geworden war. Die Monster schienen sie noch nicht bemerkt zu haben, denn keines von ihnen machte Anstalten sich um sie zu kümmern.

»Hallo, da sind wir!«, rief die Hexe wie eine Großmutter, die in den Sommerferien ihren Sohn besuchte. Die Gespräche verstummten und eisige Stille breitete sich aus. Eine Zeit lang standen beide Parteien einfach da und beäugten sich. Wulfhelm erschien es, als wären die Monster zu Stein erstarrt, denn sie bewegten sich nicht einmal, um sich am Ohr zu kratzen.

»Hey, ihr müsst schon etwas lockerer werden, wenn wir eine gute, nachbarschaftliche Beziehung aufbauen wollen«, brach Myrna das Schweigen.

»Was meint sie?«, klang das Flüstern eines Goblins herüber.

Der angesprochene Ork zuckte die Schultern.

»Meinst du das ernst, oder ist das wieder einer Deiner fiesen Tricks?«, ertönte die Stimme eines Monsters, das sich in der Geborgenheit der hintersten Reihe der Gruppe wähnte.

»Natürlich meine ich es ernst. Was ist das überhaupt für eine merkwürdige Frage?«

»Und was du da mitbringen?«, brummte ein Oger und zeigte auf den Kessel. Wulfhelm wurde hellhörig. Das interessierte ihn aber auch.

»Ich habe einen kleinen Umtrunk mitgebracht, leckere Waldbeerenlimonade.«

»LIMONADE!?«, rief die Gruppe einstimmig und ein entsetzter Ausdruck zeigte sich auf den Gesichtern der Monster.

»Ja, wir könnten ein Lagerfeuer anzünden, und lustige Lieder singen.« Sofort trat Unruhe auf und die Monster debattierten aufgeregt, welches Lied am lustigsten war.

»Das ‚Schädelspalterlied‘ ist lustig«, klang es aus der Menge. Ein Ork winkte gelangweilt ab. »Ach was! Der ‚Wir-bringen-Tod-und-Pestilenz-Song‘ ist viel lustiger.«

»Wie wäre es mit ‚Wir jagen und wir fressen sie‘?«

»Kannst du nicht einmal an was anderes denken?«

»Nöö!«

»Ich sage nur ‚Streitaxt-Blues‘.«

»Viel zu melancholisch.«

»HALT!«, rief Myrna und schüttelte verzweifelt den Kopf. »DAS sollen lustige Lieder sein?«

»Na klar, woran hast du denn gedacht?«, fragte ein Goblin und sah sich Hilfe suchend nach seinen Kameraden um.

»Nun ja ... ‚Es war ein lust‘ger Wandersmann‘ oder ‚Das Fest der acht Zwerge‘, aber doch nicht so ein brutales Zeug.«

»Das Fest der acht Zwerge?«, fragte ein Ork gequält.

»Ich dachte, es waren nur sieben Zwerge!«, rief ein Goblin vorlaut.

»So was will ich nicht singen«, schmollte ein Oger und schlug beiläufig gegen einen jungen Baum, der dabei versehentlich umkippte.

»He, wartet mal!«, rief Borgra, »Wir brauchen uns von der doch nichts sagen zu lassen. Schließlich ist sie jetzt nicht mehr böse. Außerdem wollen wir erst, dass sie unsere Kameraden am Froschteich zurückverwandelt.«

»Ach ja, stimmt ja!«, meinte ein Oger und flüsterte Borgra etwas ins Ohr. Der Ork verdrehte die Augen und klopfte dem Oger freundschaftlich auf die Schulter.

»Glaub‘ mir Dicker, die ist viel zu zäh«, flüsterte er zurück.

»Was ist los?«, fragte Myrna und blickte die beiden Geheimniskrämer herausfordernd an.

Wulfhelm zog Harika beiseite und erläuterte ihr, warum es am Besten war, jetzt langsam von der Bildfläche zu verschwinden.

»Wir können sie doch nicht bei diesen Unholden lassen!«, empörte sich die Kriegerin.

»Glaub mir, Myrna kommt sehr gut ohne uns zurecht«, erwiderte Wulf gereizt.

»Ich habe das Gefühl, dass sich die Angelegenheit in naher Zukunft zuspitzen wird«, verteidigte Harika ihren Standpunkt.

»Ein Grund mehr, um aus der Schusslinie zu verschwinden. Myrna ist vielleicht nicht mehr böse, aber sie hat immer noch ihre Zaubersprüche. Oder möchtest du vielleicht bei einem Glas Limonade am Lagerfeuer sitzen und ‚Es war ein lust‘ger Wandersmann‘ singen?«

»Hm. Vielleicht hast du recht. Gut, lass uns verduften, bevor es jemandem auffällt.«

Nachdem sie sich klammheimlich verkrümelt und das Pferd vom Hexenhaus geholt hatten, schlugen sie wieder die nördliche Richtung ein. Harika war der Meinung, dass man in Myrnas Heimatstadt, Kaisersruh, vielleicht weiterkommen würde, zumal dort der letzte bekannte Aufenthaltsort des Zepters war. Als die Nacht hereinbrach, waren sie schon ein ganzes Stück vom Lager der Monster entfernt.

Trotz Wulfs wiederholter Beschwichtigungen hatte Harika ein schlechtes Gewissen, weil sie die Hexe allein bei den Ungeheuern gelassen hatten. Langsam färbten ihre Zweifel auf Wulfhelm ab und er begann sich wie ein gemeiner Verräter zu fühlen, nicht besser als die feigen Goblins, denen sie just entkommen waren. Schweigend schlugen sie ihr Lager auf und zehrten von den fast aufgebrauchten Vorräten. Harika wollte die erste Wache übernehmen, also legte sich Wulf in der Nähe des Feuers zur Ruhe und fiel in einen unruhigen Schlaf. Als die Kriegerin ihn wieder weckte, um sie bei der Wache abzulösen, fühlte er sich schlapp und seine Augen brannten. Während Harika sich in ihre Decke einrollte, bezog Wulf seinen Posten. Der Schlaf steckte ihm noch in allen Knochen und er fror so stark, das sein Gebiss laute Geräusche von sich gab.

»Gibt´s hier Klapperschlangen?«, fragte Harika alarmiert, »Ich hasse Schlangen!«

»K-K-keine S-S-Sorge. I-Ich b-b-bin´s n-nur«, brachte Wulf mühsam hervor.

Er hielt es für angebracht, seine Decke zu holen und ließ sich am heruntergebrannten Lagerfeuer nieder.

Nachdem er ein paar Äste auf die Glut gelegt hatte, sah er sich zu Harika um. Sie schlief schon tief und fest. Verdammt, er hatte gehofft, sich noch ein wenig mit ihr unterhalten zu können. Nun stand ihm eine einsame und lange Nacht bevor. Gelangweilt stocherte er mit einem Stock im Feuer und spähte in den finsteren Wald. Die Welt schien außerhalb des Scheins der Feuersstelle zu Ende zu sein. Die undurchdringliche Schwärze hob nicht gerade Wulfs Stimmung. Dazu kam das sichere Gefühl, dass sie beobachtet wurden.

Wulfhelm besaß einen guten Instinkt für solche Dinge, auch wenn Martor (der Rationelle) immer behauptet hatte, dass es sich dabei um einen gesunden Verfolgungswahn handelte, eine der Grundvoraussetzungen für den Magierberuf. Aber Wulf war fest davon überzeugt, dass eine Paranoia nicht auf Äste treten konnte. Er drehte sich langsam zur Quelle des Geräusches um und sah gerade noch einen Schatten hinter einem Baum verschwinden, also stocherte er wieder im Feuer und tat, als hätte er nichts bemerkt. Wieder spürte Wulfhelm, wie jemand in seinem Rücken herumschlich.

»Kommt heraus, ich habe Euch schon lange bemerkt«, sagte Wulf zum Lagerfeuer. Leise vor sich hin fluchend trat ein kleiner, junger Mann in dunkelbrauner Lederkleidung und einem Umhang aus grobem Stoff aus dem Dunkel. Sein Gesicht war schmutzverkrustet und die Kleidung wies mehrere Löcher auf. Von irgendwo oberhalb dieser etwas ungepflegten Erscheinung, die man in der Dunkelheit vielleicht mit einem Baumstumpf hätte verwechseln können, sahen Wulfhelm zwei leuchtend blaue Augen an, die sich vom Rest wie zwei Sterne am Nachthimmel hervorhoben.

»Bei meiner Treu! Es ist aber auch verdammt schwierig, sich auf diesem Boden anzuschleichen«, sagte der Mann und schien irgendwie deprimiert zu sein. Er ließ sich neben Wulfhelm nieder und starrte nachdenklich ins Lagerfeuer.

»Wer seid Ihr und was hattet Ihr überhaupt vor?«

»Nun, ich sah das Lagerfeuer und dachte, ich könnte hier einen Happen zu Essen stehlen, aber das war ja wohl nichts. Ich bin wohl doch ziemlich eingerostet«, entgegnete er niedergeschlagen.

»Ihr seid ein Dieb?« Wulfhelm sprang entsetzt auf, als hätte er diese Möglichkeit noch gar nicht in Betracht gezogen.

»Hauptberuflich. Darf ich mich vorstellen, Darius. Aber meine Freunde nennen mich Finger. Keine Sorge, ich tue Euch nichts.« Er stand auf und machte eine umständliche Verbeugung.

Vielleicht fragen sie sich jetzt, ob hier auch jemand einen Nachnamen hat. Das ist ganz einfach erklärt. Nachnamen konnten sich nur reiche Leute leisten, bei denen machte es auch einen Sinn, denn Geldsendungen und ähnlich wichtige und wertvolle Dinge kamen sicherer an, wenn man die Auswahl auf wenige Faldors oder Telbas beschränkte. Bei den meisten Leuten waren Nachnamen nicht so wichtig. Es gab sowieso kein Telefonbuch, in die man sie hätte hineinschreiben können. Stattdessen wurden viele Leute nach ihrem Beruf benannt, etwa Arnulf der Schmied, Wutbrecht der Drachentöter usw.

»Ich heiße Wulfhelm und meine Freundin dort ist Harika. Kommt bloß nicht auf dumme Ideen, sie ist eine mächtige Kriegerin. Wenn Ihr mich umbringt, seid Ihr im selben Augenblick tot.«

»Euch umbringen? Hey, ich bin ein Dieb und kein Mörder. Ich habe auch meine Ehre.« sagte Darius eingeschnappt.

»Ihr wollt mich auf die Rolle nehmen, nicht wahr? Andere Leute zu beklauen kann doch nicht ehrenhaft sein.«

»Das vielleicht nicht gerade. Aber wir machen schon Unterschiede, wen wir bestehlen. Ich komme nämlich aus Kaisersruh, der Hauptstadt dieses Landes, in der viele reiche Leute leben.

Auf der anderen Seite gibt es auch sehr viele arme Leute, denen wir das Wenige, das sie besitzen nicht auch noch wegnehmen. Wir Diebe sind in einer Gilde organisiert, die uns allen ein Revier zuweist und sogar die Ärmsten der Armen unterstützt.

»Das ist ja sehr interessant«, staunte Wulfhelm, »Aber was macht Ihr dann hier in der Wildnis?«

»Ich war zu einem Erfahrungsaustausch in den Südlanden und bin jetzt auf dem Weg nach Hause.«

»Aus den Südlanden?«, fragte Wulfhelm verblüfft. »Sagt bloß, Ihr seid durch die Steppe der Verdammten gelaufen?«

»Was? Nein, natürlich nicht. Ich bin mit einem Schiff gefahren. Die Überfahrt ging aber nur bis zu einem kleinen Fischerdorf.«

Wulfhelm reichte Darius den Proviantbeutel und beobachtete interessiert, wie er sich gierig über den Inhalt hermachte. Während der Dieb das Essen herunter schlang, als wäre es seine letzte Mahlzeit, überlegte Wulfhelm, ob er diesem, von Berufswegen schon unehrlichen, Kerl etwas über ihre Mission verraten sollte. Die Diebesgilde könnte allerdings wertvolle Informationen besitzen, wo sich das Zepter befand.

»Wir suchen nach einem magischen Artefakt, dem Zepter von Ardavil. Wisst Ihr etwas darüber?«

Darius überlegte laut schmatzend und schüttelte den Kopf. Dann gab er einige unverständliche Laute von sich, die auf die unwahrscheinliche Menge an Nahrung in seinem Mund zurückzuführen waren.

»Entschuldigung. Ich wollte sagen, dass Ihr mit den Gildenmeistern sprechen müsst. Wenn Euch jemand aus unserer Zunft weiterhelfen kann, dann sie«, wiederholte Darius, nachdem es ihm gelungen war, den letzten Bissen herunter zu würgen.

»Ihr könnt mich begleiten, wenn Ihr mir versprecht, niemandem zu erzählen, wie dumm ich mich bei meinem Versuch Euch zu bestehlen angestellt habe.«

»Kein Problem«, versprach Wulf und hob feierlich die Hände.

»Wenigstens hat Eure Freundin mich nicht bemerkt. Ich hatte Euch nämlich schon beobachtet, als sie noch Wache hielt. Damit ist meine Berufsehre nicht vollständig zerstört.«

Die Weberin der Magie

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