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4. Typologie

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Schon im Mittelalter war eine hermeneutische Lesart der Bibel etabliert, die man gemeinhin als typologisch bezeichnet. Der Begriff beschreibt eine Methode der Bibelinterpretation, bei der aufgrund inhaltlicher Gemeinsamkeiten die im Alten Testament beschriebenen Personen oder Ereignisse mit neutestamentlichen Begebenheiten oder mit Christus selbst in Beziehung gesetzt werden (LCI 4, 395–404). Der im Alten Testament beschriebene Teil dieser Gegenüberstellung wird dabei als Typus aufgefasst, als Vorwegnahme und Präfiguration eines neutestamentlichen Ereignisses oder als Verweis auf Christus und das von ihm ausgehende Heil, das die Erfüllung oder den Antitypus der alttestamentlichen Vorankündigung bedeutet. Der griechische Begriff typos (τύπος), den die lateinische Bibelübersetzung, die Vulgata, mit figura übersetzt, begegnet schon in der Bibel: „Dennoch herrschte der Tod von Adam an bis Mose auch über die, die nicht gesündigt hatten durch die gleiche Übertretung wie Adam, welcher ist ein Bild dessen, der kommen sollte“ (Röm 5, 14). Dort finden sich in den Evangelien auch die frühesten literarischen Zeugnisse typologischen Denkens und Argumentierens. So wird im Johannes-Evangelium (Joh 3, 14) ein Zusammenhang zwischen der im Vierten Buch Mose geschilderten Aufrichtung der ehernen Schlange (Num 21, 8–9) mit der Kreuzigung Jesu hergestellt. Und im Matthäus-Evangelium (Mt 12, 40) wird der dreitägige Aufenthalt des Propheten Jona im Bauch des Fisches mit dem ebenfalls dreitägigen Aufenthalt Christi unter der Erde parallelisiert. Durch Tertullian und den Kirchenvater Augustinus wurde diese Denkweise aufgegriffen und um etliche Zusammenstellungen erweitert (Dunn 2004; Geerlings 2002).

Ähnlichkeitsbeziehungen

Theologisches Fundament der typologischen Exegese ist der Glaube an den gottgegebenen Zusammenhang zwischen Altem und Neuem Testament, die „concordia veteris et novi testamenti“ (PL 94, 720c). Es galt dabei als unbezweifelbar, dass die typoi oder figurae von dem einen Gott gewollt und bewusst hergestellt seien. In ausgeklügelten Bildprogrammen wurden Szenen aus dem Neuen Testament den als Typus aufgefassten Szenen aus dem Alten zugeordnet. Die neutestamentliche Szene, der Antitypus, bestimmte dabei nach der im Neuen Testament geschilderten Ereignisfolge die Chronologie, während die Szenen des Alten Testaments in beliebiger Reihenfolge zugeordnet werden konnten. Die theologische Suche nach Übereinstimmungen |27|(concordantiae) oder Ähnlichkeiten (similitudines) wurde im Laufe der Zeit immer weiter ausgedehnt. Indem man von der Idee eines übergreifenden Heilsplans getragen auch außerhalb der Bibel nach möglichen Analogien zu den dort geschilderten Ereignissen der Heilsgeschichte zu suchen begann, wurden den biblischen Fakten auch Analogien aus dem Bereich der Naturgeschichte, aus Sagen und Legenden gegenübergestellt.

Die Typologie wurde in der frühen Neuzeit zu einer universellen Denk- und Anschauungsform (Ohly 1977, 338–400; Ohly 1979), die in ihren vielfältigen Ausprägungen kaum präzise von der Allegorie und anderen Formen symbolischen Denkens zu unterscheiden ist. Erst seit dem 19. Jahrhundert wurden systematische Versuche einer terminologischen Unterscheidung unternommen. Deshalb folgt die neuere Forschung der pragmatischen Definition, „dass Typologie vor allem auf realhistorische Vergleiche abzielt, d.h. als eine Methode der Geschichtsbetrachtung und -deutung definiert werden kann, wohingegen die Allegorie stärker mit ‚spirituellen‘ Vergleichen befasst ist, die dem Bereich abstrakter Ideen oder Konzepte angehören“ (Linke 2014, 14). Neuere Forschungen zeigen dabei zugleich, dass die Typologie kein typisch mittelalterliches Denk- oder Darstellungsprinzip war, sondern auch in der frühen Neuzeit verbreitet war und vielfältig praktiziert wurde.

Schon wegen des Variantenreichtums typologischer Deutungs- und Darstellungsmuster kann die typologische Praxis bildlichen Erzählens in der frühen Neuzeit hier nicht einmal ansatzweise repräsentativ dargestellt werden. Mit und neben der theologischen Methode der Bibelexegese hatte sich im Verlauf des Mittelalters eine in vielfältigen Zusammenhängen verwandte typologische Bildkunst entwickelt. Die Bilder bezogen dabei ihre Wirkung nicht mehr allein aus der inhaltlichen Verknüpfung, sondern zunehmend aus visuell erfahrbaren Bezügen zwischen Typus und Antitypus. Zu den klassischen Bildpaarungen traten als eine erweiterte Form bildlichen Erzählens auch Bildreihungen, innerhalb derer dann oft nicht mehr allein über die Inhalte, sondern auch über die Form visuell argumentiert wurde (vgl. Pippal 1987; Mohnhaupt 2000; Ganz/Thürlemann 2010; Blum 2012; Linke 2014).

Ein breites Spektrum an formal und inhaltlich argumentierenden typologischen Verweisen bietet das sogenannte Goldene Wunder (Abb. 3). Es ist das größte und am besten erhaltene Antwerpener Schnitzretabel des 16. Jahrhunderts. Ausweislich eines in Abschrift bewahrt gebliebenen Vertrages wurde es 1521 von den Dortmunder Franziskanern bei dem Antwerpener Bildschnitzer Jan Gillisz Wrage in Auftrag gegeben, der Teile des Auftrages an andere Antwerpener Werkstätten delegierte. Die Ausführung der gemalten Teile verantwortete der Maler Adrian van Overbeck, der seinerseits wieder andere Maler anstellte. Mit Blick auf die Komplexität des ikonographischen Programms steht zu vermuten, dass die Besteller bezüglich der darzustellenden Szenen genaue Vorgaben machten. Zwar ist ein geschriebenes Programm für dieses Altarwerk nicht bezeugt, doch lassen zahlreiche erhaltene Verträge Rückschlüsse auf diese verbreitete Praxis zu. Schon weil der Preis des Werkes 646 Goldgulden betrug, werden die Besteller nichts dem Zufall |28|überlassen haben. Das war eine gewaltige Summe, denn eine Kogge, das seinerzeit verbreitetste Seeschiff, kostete im Antwerpen jener Jahre in der Regel nur zwischen 30 und 150 Gulden. Das kostbare Werk gelangte auf mehreren Ochsengespannen an seinen Bestimmungsort.


Abb. 3: Jan Gillisz Wrage u.a. (Bildschnitzer), Adrian van Overbeck u.a. (Maler), Ehemaliger Hochaltar der Franziskanerkirche: Das „Goldene Wunder“, 1521 Maße in geöffnetem Zustand: 565 × 740 cm Dortmund, St. Petri-Kirche

Welzel/Lentes/Schlie 2003; Kat. Dortmund 2006, 379.

Jenseitsvorsorge

Vermutlich war es ein kollektives Geschenk an das Kloster, wobei Aufzeichnungen über die einstigen Stifter leider nicht erhalten sind. Doch die |29|Tatsache, dass ein Franziskanerkloster über so viel Geld verfügte, erklärt sich fraglos aus dem damals verbreiteten Bemühen um Jenseitsvorsorge. Hier muss man sich vergegenwärtigen, dass für einen frommen Christen der Tod nicht das definitive Ende bedeutete. Für die Gläubigen jener Tage war die in der Bibel greifbare Heilslehre von einer Realpräsenz, die mit dem schönen deutschen Begriff der Glaubensgewissheit recht zutreffend beschrieben ist. Das verlorene Paradies, der Himmel der Seligen und die Hölle der Verdammten waren zwar nicht für jedermann mit Händen zu greifen, doch waren sie deshalb nicht weniger real als die Luft zum Atmen. Das endgültige Ende der zeitlich begrenzten, weltlichen Ordo war genauso gewiss wie die darauf folgende Errichtung jener ewigen göttlichen Ordnung, die in der Bibel verheißen ward. Wer starb, setzte seine diesseitige Existenz im Jenseits fort, wo er – genau wie die im Diesseits Lebenden – auf den Tag des Jüngsten Gerichts und die Auferstehung wartete. Wer um eine kohärente Jenseitsvorstellung bemüht war, musste sich fragen, wo eigentlich die Toten blieben, die weit vor dem Termin des Jüngsten Gerichts verstorben waren (Jezler 1994, 13–26). Als Antwort darauf wurde bereits im 12. Jahrhundert die Idee des Fegefeuers systematisiert, das als zeitlich beschränkte Hölle den Durchgang zum Himmel ermöglichte (Merkt 2005). Die wirklich bösen Sünder gelangten direkt in die ewige Verdammnis, alle gewöhnlichen Menschen konnten ihre Schuld im Fegefeuer büßen und danach mit einer Aufnahme in den Himmel rechnen. In jedem Fall durfte man spätestens mit dem Tage des Weltgerichts auf Erlösung hoffen. Dabei galt es als förderlich, wenn auch nach dem Tod Bußopfer für die Seele des Verstorbenen dargebracht wurden, um dessen Leiden im Fegefeuer zu verkürzen. Den Namen eines Toten während der Messfeier zu vergegenwärtigen kam der Reinigung der Seelen im Jenseits zugute. Die Vorstellung vom Fegefeuer stand im Zentrum mittelalterlicher Frömmigkeit. Die Stiftung von Seelenmessen konstituierte eine in jedem Gottesdienst von neuem beschworene Gemeinschaft der Lebenden und der Toten. Die Memoria bestimmte als der Jenseitsvorsorge verbundene Kultur der Erinnerung die soziale Praxis und das alltägliche Leben (Oexle 1995). Diese Form der Memorialkultur reichte weit über den liturgischkirchlichen Raum hinaus, denn die Akte der Jenseitsvorsorge entfalteten im Diesseits öffentliche Wirkung. Sie dienten nämlich auch der Repräsentation der Stifter und der Legitimierung ihrer gesellschaftlichen Ansprüche und ihrer sozialen Positionen. Als visuelle Manifestationen des kulturellen Gedächtnisses konnten Bilder nicht nur die Memoria garantieren, sondern zugleich im Hier und Jetzt Macht- oder Herrschaftsansprüche legitimieren (Le-Goff 1992).

Wandelretabel

Das Altarwerk der Dortmunder Franziskaner ist ein Wandelretabel, das zwei Flügelpaare besitzt, die drei verschiedene, auf den Rhythmus des Kirchenjahres abgestimmte Wandlungen erlauben. Im geschlossenen Zustand ist die Anbetung des Sakraments gezeigt. Die nächste Wandlung zeigt einen umfangreichen Zyklus zum Leben Jesu, inklusive der legendären Genealogie seiner Vorfahren mütterlicherseits. Nicht nur das Leben der Mutter Mariens, |30|der hl. Anna, ist gezeigt, sondern auch in großer Ausführlichkeit die Vita der Urgroßmutter Christi, der hl. Emerentia. Die prächtigste Ansicht bietet als dritte Wandlung der geschnitzte und über die Maßen reich vergoldete Schrein, dem das Altarwerk seinen modernen Namen verdankt. Die Pracht und Vielfalt der auf mehr als dreißig Gefache verteilten Bilderzählung, mit hunderten farbig gefassten und vergoldeten Figuren, macht es dem modernen Betrachter schwer, die zahlreichen formalen und inhaltlichen Bezüge zwischen Außen- und Innenseite des Retabels zu entdecken. Zentral platziert ist auf dieser wichtigsten Schauseite die legendäre Messe des hl. Papstes Gregor, über der, im größten Gefach, die Kreuzigung gezeigt ist (Schlie 2003). Genau wie die darunter angeordnete Darstellung der Mater Dolorosa, der trauernden Mutter Gottes, wird mit dieser Szene das darum herum angeordnete Passionsgeschehen unterbrochen. Diese Szenen transportieren nicht nur die Idee des Mitleids und der idealen Nachfolge Christi, sondern verweisen zugleich auf das Messopfer und die Vorstellung der Erlösung der sündigen Menschheit durch den Kreuzestod Christi.

Erlösungshoffnung

Die Macht der Eucharistie und die ihr verbundene Erlösungshoffnung illustriert auch die Alltagsseite des Retabels. Sie zeigt in einer über mehrere Bildfelder ausgebreiteten Erzählung den Papst und den Kaiser, Kleriker und Laien in Anbetung der in einer Monstranz auf dem Altar stehenden Hostie. Kompositorisch und inhaltlich bedeutet die Darstellung einen Brückenschlag zur Messe des hl. Gregor, bei der Christus leibhaftig in Erscheinung trat (Hoffmann 2003). Die Fürbitte des hl. Gregor hatte dereinst Kaiser Trajan aus dem Fegefeuer erlöst, so wie die Fürbitte von Kaiser und Papst vor dem Altar direkt auf die vor dem Altar gezeigten Seelen bezogen scheint. Ihre Errettung aus den Qualen des Fegefeuers führt die Wirksamkeit der in einer prächtigen Schaumonstranz präsentierten Hostie und die ihr verbundenen Segnungen sinnfällig vor Augen. Diese Bezüge sind vor allem im akuten Vollzug einer Messe vor dem Retabel unmittelbar verständlich, genau wie das Motiv der oben gezeigten Engel. Sie verweisen auf die Gegenwart des Himmlischen während der Messfeier und darauf, dass jede auf Erden zelebrierte Messe auch im Himmel gefeiert wird. Weniger unmittelbar erschließen sich die Szenen des als Bild im Bild gezeigten Retabels, die links und rechts eines vergitterten Tabernakels angebracht sind, das der Aufbewahrung der Hostien diente. Die gemalten Szenen illustrieren eine Begebenheit aus dem Alten Testament. Im ersten Buch Mose (Gen 14, 17–20) wird die Begegnung Abrahams mit dem Stadtkönig von Jerusalem Melchisedech geschildert, der den von einem Kriegszug Heimkehrenden mit Brot und Wein empfing. Die immer wieder dargestellte Szene wurde schon im spätantiken Canon Missae als typologischer Verweis auf die Eucharistie gedeutet (PL 78, 27C–27D). Dieser alttestamentliche Verweis auf Brot und Wein wurde, genau wie die im zweiten Buch Mose (Ex 16) geschilderte Mannalese, als Präfiguration des Abendmals verstanden. Die Anbetung der Eucharistie tritt dabei nicht nur mit dieser als Bild im Bild angebrachten Darstellung in Dialog, sondern zugleich mit dem Bildschmuck der Predella. Die vier Bilder der |31|Sockelzone des Dortmunder Retabels greifen den typologischen Bezug des Hauptbildes auf. Die linke Tafel zeigt, diesmal in ein Bild zusammengeführt, wiederum die Begegnung zwischen Abraham und Melchisedech. Korrespondierend ist rechts außen die als Präfiguration des Altarsakraments verstandene Mannalese gezeigt. Diese Bilder rahmen zwei Darstellungen, in denen mit der Beichte und dem Empfang der Kommunion zwei für den Stand der Gnade unerlässliche Sakramente gezeigt werden. Die Darstellung des Bußsakraments und des Empfangs der Gaben von Brot und Wein, die den Leib und das Blut Christi repräsentieren, veranschaulicht die von den liturgischen Handlungen ausgehende Heilswirkung. In der Kirche, in der das Retabel einst stand, wurde während der Messe das im Bild Symbolisierte performativ nachvollzogen. Es muss hier nicht eigens betont werden, dass die Brüder des Dortmunder Franziskanerklosters dieses Werk dank ihrer religiösen Bildung mit anderen Augen sahen als das weniger gebildete Laienpublikum. Zudem konnten nur Geistliche das Werk aus nächster Nähe betrachten, denn nur sie hatten zutritt zum Chor der Kirche. Doch um die Pracht dieses Retabels zu würdigen oder die vertrauten Figuren der Heilsgeschichte zu identifizieren mag ein Blick aus der Ferne genügt haben.

Einführung in die frühneuzeitliche Ikonographie

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