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3. Fürs Sehen gemacht

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Architektur und Bildwerke wurden von Beginn an geschaffen, um gesehen, betrachtet und bewundert zu werden. Dieser schon für die Produktion von Kunstwerken wesentliche Aspekt ist auch für deren Wahrnehmung zentral. Eine differenzierte ikonographische Analyse muss dabei stets auch der spezifischen durch das jeweilige Medium vermittelten Auffassung Rechnung tragen, die – ob intentional oder ungewollt – das individuelle Erscheinungsbild |16|eines Kunstwerkes bestimmt. Zugleich strukturiert und leitet die Form eines Werkes den Prozess des Sehens. Weder ein Gebäude, noch eine Skulptur oder ein Bild und seine Gegenstände lassen sich auf einen Blick erfassen. Die Form der Gestaltung, Licht und Schatten, Formen und Farben wirken blicklenkend. Auch und gerade bei Bildern muss sich die schon von Erwin Panofsky angemahnte genaue Betrachtung deshalb nicht allein der gezeigten Gegenstände versichern, sondern auch den strukturierenden Formen ihrer Anordnung, ihrer Farbigkeit und Beleuchtung.

Medienhistorische Analyse

Die Form eines Werkes ist sein medienspezifischer Inhalt, weshalb die Inhaltsdeutung stets auch der Form Rechnung tragen muss. Diese Einführung ist methodisch deshalb weniger der „interpretierenden Ikonographie“ verpflichtet, die Form und Inhalt gleichsam als Gegensatz auffasst, als vielmehr der von Carsten-Peter Warncke 1987 etablierten medienhistorischen Analyse. Diese Methode bedeutet den Versuch der systematischen Rekonstruktion historischer Medienverständnisse. Ausgangspunkt ist dabei die Beobachtung, dass jedes Medium seine eigene Geschichtlichkeit hat, die es zu berücksichtigen gilt. Da das Sehen und Erleben von Bildern einem historischen und kulturellen Wandel unterworfen sind, muss bei der Rekonstruktion historischer Medienverständnisse entsprechend sensibel vorgegangen werden. Der Ausgangspunkt sind die Werke selbst, die stets Spuren der Bedingungen in sich tragen, unter denen sie geschaffen wurden. Sie sind stets Ergebnis eines künstlerischen Prozesses und nicht allein das Symbol oder Symptom der Kultur ihrer Entstehungszeit. Es gilt also stets auch das spezifisch Künstlerische in der Umsetzung eines Themas zu bedenken, das zugleich ebenfalls wieder eine inhaltliche Dimension repräsentiert. Die thematischen und motivischen Inhalte sind stets an ein Medium gebunden, in dessen materieller Gestaltung Strukturen ablesbar werden, in denen sich inhaltliche Aspekte aussprechen. Es sind also nicht nur die Stoffe von Bedeutung, denen beispielsweise die Themen einer bildlichen Darstellung entnommen sind, sondern auch die jeweilige Auffassung des gewählten Themas und die medienspezifischen Bedingungen seiner Erscheinung (Büttner/Gottdang 2006, 16–19). Frühneuzeitliche Bilder sind nie bloße Übersetzungen von Texten in ein anderes Medium und Bauten keine Stein gewordene Transformation einer literarisch verfassten Doktrin. Und dennoch sind die materiellen Monumente der Überlieferung untrennbar mit dem Denken der Zeit verbunden, in der sie entstanden.

Weil die Werke der Bildenden Kunst stets von dem Medienverständnis geprägt sind, das zur Zeit ihrer Entstehung gültig war, kann man Werke der Bau- und Bildkünste aufgrund gemeinsamer Eigenschaften, die gemeinhin unter dem Begriff „Stil“ subsummiert werden, oft erstaunlich genau zeitlich und räumlich einordnen (Brückle 2003). Der Stil eines Kunstwerkes ist mittelbar Ausdruck einer bestimmten Vorstellung davon, wie ein Werk zu sein habe und was es leisten kann oder soll. Dabei werden nicht nur die individuellen Vorstellungen eines Künstlers wirksam, sondern auch die in einer Zeit oder Region weithin geteilten Ideen. So trafen die Werke einst auf ein |17|Publikum, das ebenfalls eine mehr oder weniger konkrete Idee davon hatte, wie ein Werk zu verfertigen und zu betrachten sei. Für die Betrachtung und Analyse von Bildern hat das zur Folge, dass es „das Bild“ als eine der Zeit enthobene Konstante weder gibt noch gab. „Es gibt unveränderliche und veränderliche Determinanten, die es konstituieren. Die Art ihres Zusammenwirkens wird immer wieder neu bestimmt. Deswegen hat das Medium bereits an sich eine Geschichte. Weil das Medium aber Voraussetzung des Kunstwerks ist, müssen wir die besonderen Formen der Geschichtlichkeit kennen, um jenes verstehen zu können“ (Warncke 1987, 10). In jedem Bild materialisiert sich die zur Zeit seiner Verfertigung gültige Medienauffassung, die gleichsam in einem engen Wechselspiel und Austausch von den verfertigten Bildern beeinflusst wird. Anders als das materielle Bild bleibt die Auffassung von dem, was ein Bild sei, wie man es anzufertigen und zu betrachten habe, was man von ihm erwarten und was in ihm ausgedrückt sei, zwar ohne physische Substanz, aber doch in jeder Weise substantiell. Doch ist es eben nicht überzeitlich. Vielmehr wird es über die Zeiten hin immer wieder neu ausgehandelt und an den materiellen Objekten und im Austausch mit ihnen entwickelt. Der sprachliche Diskurs wird durch die materiell manifestierten Bilder geprägt, wie die Bilder durch Sprache und Denken. Die materielle Form eines Werkes wird nicht allein durch individuelle künstlerische Entscheidungen bestimmt, sondern auch durch mediale Diskurse, die sich gleichermaßen in der physischen Substanz aussprechen.

Um diese Wechselbeziehung der inhaltlichen Reflexion verfügbar zu machen, bedarf es einer Sprache, die gleichermaßen Form und Inhalt des jeweils zeitgebundenen Mediendiskurses ist. Erst im Zusammenspiel des materiellen Objektes und der jeweils gültigen Medienauffassung wird ein Bild zu dem, als das es erscheint. Seine intentionale Bedeutung gewinnt es dabei nur innerhalb des Diskurses, in dem und aus dem heraus es verfertigt wurde (Warncke 1987, 60–63). Bilder und Bauten stehen prinzipiell einer schier unendlichen Zahl von Rezeptions- und Wahrnehmungsmöglichkeiten offen (Eco 1973). Doch gilt an dieser Stelle, was der Historiker Reinhart Koselleck (1995, 153) das „Vetorecht der Quellen“ nannte. Die zahlreich erhaltenen materiellen Zeugnisse, Bilder, Urkunden und Dokumente legen zwar nicht fest, was man über historische Zusammenhänge sagen kann oder soll, aber sie bestimmen durchaus, was nicht gesagt werden darf.

Sehen und Verstehen

Die genaue analysierende Betrachtung ist als heuristischer Zugang unabdingbare Voraussetzung der Deutung eines Kunstwerkes. Doch ist jede Betrachtung zugleich mittelbar eine Interpretation, denn es gibt keinen unschuldigen Blick, wie es auch keine unschuldigen Bilder gibt (Bringéus 1982, 5f.). Die subjektive Betrachtung bedarf mithin eines methodischen Korrektivs, da die individuelle Beobachtung durch persönliche Erfahrungen und die kulturellen Muster der eigenen Zeit geprägt ist. So läuft man bei der vermeintlich neutralen Betrachtung Gefahr, durch die Projektion impliziten Wissens, Stereotype zu reproduzieren und simple, aber ahistorische Erklärungsmuster zu entwickeln. Eine Lösung für dieses Problem bei der Betrachtung |18|historischer Kunstwerke bieten zeitgenössische Texte, die den damaligen Umgang mit Bildern beleuchten und in denen die Erwartungshaltung des zeitgenössischen Publikums oder historische Rezeptionsgewohnheiten dokumentiert sind. Selbstverständlich eröffnen auch derartige Texte hermeneutische Probleme. Auch dürfen sie keinesfalls mit der tatsächlichen Rezeption gleichgesetzt werden. Aber man kann mit ihrer Hilfe zumindest jenen Möglichkeitsraum aufzeigen, in dem sich die Intentionen der Verfertiger und der Betrachter von Kunst- und Bildwerken damals bewegten. Die Kunstwerke und die auf ihre Produktion und Rezeption bezogenen textlichen Quellen sind gleichermaßen Teil jenes historischen Diskurses, der die Erwartungen der Künstler und ihres Publikums an den Medientransfer zwischen Werken und Worten koordinierte. Auch wenn diese Texte weder mit damaligen Sichtweisen noch mit den damals gültigen Regeln des Medientransfers identisch sind, lassen sich an ihnen doch die Mechanismen der wechselseitigen inhaltlichen Übertragung von Bildern und Sprache ablesen (Heinen 1996, 15f.).

Die ikonographische Analyse und Interpretation von Werken der Bildenden Kunst der frühen Neuzeit muss den historischen Wandlungen der Medienverständnisse Rechnung tragen. Jede Interpretation ist historisch gebunden, wie auch jeder von Menschen gefertigte Gegenstand Ausdruck einer spezifischen Form von Geschichtlichkeit ist. Eine vom Objekt ausgehende Analyse sollte deshalb stets so genau wie möglich zu ergründen versuchen, was der jeweilige Gegenstand über seine Zeit, seine Herkunft und seine ursprüngliche Intention verrät. Dabei kann und soll es nicht darum gehen, einem Kunstwerk irgendwelche Vorstellungen überzustülpen, die als für seine Zeit typisch gelten. Wer das tut, läuft Gefahr, Zirkelschlüssen zu erliegen. Vielmehr muss es darum gehen, die Herkunft eines Objektes möglichst genau zu bestimmen und außerhalb des Werkes liegende Quellen zu seiner einst intendierten Funktion für die Deutung heranzuziehen. Dazu gehört die möglichst präzise Bestimmung seines Herstellers. Genauso wichtig sind aber auch Informationen über die einstigen Besteller oder Besitzer und die Orte und Formen der zeitgenössischen Wahrnehmung.

Einführung in die frühneuzeitliche Ikonographie

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