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Das fantastische Kapitel der Stammzellen

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»Wenn du die Absicht hast, dich zu erneuern, tu es jeden Tag.«

KONFUZIUS

Stammzellen sind sehr besondere »Golden Angels«, die milliardenfach still und heimlich darüber entscheiden, ob wir fit und energiegeladen Tag für Tag unser Leben meistern können, ob Wunden heilen, Krankheiten überwunden werden – oder ob wir in einen schleichenden Prozess der Akkuentladung eintreten, der dazu führt, dass die Selbstheilungskräfte fatal versiegen.

Deshalb macht es sehr viel Sinn, zunächst einen kleinen Einblick in den aktuellen Stand der Stammzellenforschung zu gewinnen, um dann die Tragik in ihrer ganzen Bandbreite verstehen zu können – dass nämlich auch Stammzellen altern. Denn die detailgenaue Kenntnis der Alterungsprozesse bringt auch ungeahnte Chancen mit sich. Stammzellen sind zunächst vor allem eins: unendlich potent. Sämtliche Stammzellentypen enthalten schon im Namen dieses magisch-archaische Adjektiv »potent«. Und sie tragen es zu Recht. Sie sind – so dürfen wir hoffentlich behaupten – neben der befruchteten Eizelle die Wiege des Lebens und der Erneuerung. Das Faszinierende an ihnen: Sie leben in uns von der Eizelle bis zur Bahre – und sie machen im Laufe dieses gemeinsamen Lebens eine enorme Entwicklung durch.

Was ist denn so »potent« an jedem ihrer Typen? Stammzellen sind hochprofessionelle Ersatzspieler im täglichen Werden und Vergehen der Milliarden Zellen des Körpers. Je nach Alter und Wohnsitz im Körper sind sie entweder Liberos, können sie also alle der rund 200 Zelltypen des Körpers bilden oder ersetzen, aus denen wir bestehen. Oder sie sind Profispieler, die nur bestimmte Gewebszellen perfekt ersetzen können.

Die fantastische Potenz als Libero ist ihnen allerdings nur äußerst kurz gegeben, als embryonale Stammzellen nämlich. Nur in ihren ersten Lebensstunden als Eizelle und während der ersten zwei, drei Zellteilungen binnen etwa 36 Stunden sind sie geradezu gottähnlich, nämlich totipotent. Aus ihnen wird alles – oder nichts. Aus ihnen kann sich ein kompletter Mensch entwickeln und die ihn ernährende mütterliche Plazenta (zum Teil zumindest) noch dazu.

Nach 36 Stunden ist es dann aber schon vorbei mit der Allmächtigkeit. Denn aus dem kleinen Zellhaufen entsteht die Blastocyste, die sich in der Gebärmutter einnistet. In ihr finden wir die ältere Generation embryonaler Stammzellen. Sie sind immer noch enorm potent: Jede dieser Stammzellen kann sich zu jedem menschlichen Gewebe entwickeln, zu Haut-, Knochen-, Blut-, Herzmuskelzellen, eben zu den unterschiedlichst spezialisierten Zellen. Deshalb sind sie für Forschung und Therapien so unendlich interessant.

Aus ihnen könnten im Labor ganze Organe gezüchtet werden, die so manche Organtransplantationen überflüssig werden ließen. Da aber eine stammzellenliefernde Blastocyste bei der Entnahme aus dem Mutterleib unweigerlich zerstört würde, ist diese Forschung höchst fragwürdig. Auch wenn es sich bei dem »Ausgangsmaterial« um Hunderte im Reagenzglas befruchtete Eizellen handeln würde, die niemals in eine Gebärmutter eingepflanzt würden, bleibt der grundsätzliche ethische Konflikt, werdendes Leben für die Stammzellengewinnung zu töten. Deshalb ist dieser Weg der regenerativen Medizin zumindest in Deutschland verboten. Auf jeden Fall sind all diese Stammzellen vor allem eins: pluripotent. Und das ist fantastisch. Sie sind nicht Alles-, aber Vielkönner!

So, und dann werden die Stammzellen erwachsen, adulte Stammzellen. In dieser Hinsicht also sind Neugeborene »erwachsen«! Denn mit der Geburt verlieren die Stammzellen ihre Vielkönner-Potenz. Sie werden multipotent. Und das ist immer noch bewundernswert! Adulte Stammzellen können nämlich alle Zellen desjenigen Organs bilden, in dem sie vorkommen. So können sich neuronale Stammzellen zu allen Zelltypen des Nervengewebes entwickeln (Nervenzellen und Gliazellen etwa), aber nicht zu Zellen des Fettgewebes oder des Knochens. Blutbildende Zellen im Knochenmark können alle Blutzellen bilden (rote und weiße Blutkörperchen, Blutplättchen etc.), aber keine Nervenzellen usw.


Die verschiedenen Stammzelltypen lassen sich grundsätzlich nach zwei Eigenschaften gliedern – Herkunft und Entwicklungsfähigkeit. Dabei gibt es erhebliche Unterschiede: Die Stammzellen eines Embryos sind wesentlich wandelbarer als Stammzellen, die einen erwachsenen Körper erneuern.

A. Die entwicklungsfähigste Stammzelle ist die befruchtete Eizzelle. Diese Eizelle ist totipotent (wörtlich ein Alleskönner): Aus ihr kann ein Mensch entstehen. Diese Fähigkeit geht jedoch bereits nach der zweiten oder dritten Zellteilung endgültig verloren.

B. Einige Tage nach der Befruchtung entwickelt sich die sogenannte Blastozyste, die sich in der Gebärmutter einnistet. Aus diesem Stadium werden die embryonalen Stammzellen gewonnen. Es kann sich aus diesen jedes menschliche Gewebe entwickeln, aber kein vollständiger Mensch mehr. Deshalb bezeichnet man sie als pluripotent (Vielkönner). iPS-Zellen sind diesen ähnlich und können künstlich hergestellt werden (dazu unten mehr).

C. Ab der Geburt sprechen wir von adulten Stammzellen. Sie können nur noch die Zellen eines einzelnen Organs hervorbringen, in dem sie ansässig sind (unter anderem Knochenmark, Haut und Fett). Sie sind multipotente Zellen (Mehrkönner).

Und worin liegt nun der biologische Sinn, dieses komplexe Stammzellen-System zu entwickeln? Ganz einfach: Normale Körperzellen sind nur noch unipotent und damit keine Stammzellen mehr. Das heißt, sie können sich zwar teilen und exakte Zellkopien bilden, bevor sie selbst sterben (Darmzellen zum Beispiel leben nur 36 Stunden!). Und auch diese Fähigkeit der Zellteilung funktioniert nur eine gewisse Zeitspanne, dann tritt der programmierte Zelltod nach HAYFLICK ein, den wir ja bereits kennengelernt haben. Es braucht also gewissermaßen ein hochpotentes Heilungssystem, um die vielen Millionen Zellen zu ersetzen und die wegen ihrer starken Beanspruchung täglich unwiderruflich zugrunde gehen. So ist das Knochenmark zum Beispiel ein hocheffizienter Produktionsbetrieb für blutbildende Stammzellen: 300 Milliarden bildet es pro Tag!

Betrachten wir die einzigartige Fähigkeit genauer, die sämtliche Typen der Stammzellen besitzen, die sie zu dem großartigen Reparatursystem unseres Körpers machen und auch zur großen Hoffnung auf eine innovative regenerative Medizin des 21. Jahrhunderts: Stammzellen sind nicht auf der Einbahnstraße »Sich-Teilen-oder-Sterben« unterwegs – was das Schicksal der normalen Körperzellen ist. Stammzellen können ihre Funktion im Körper dual ausüben, je nachdem, was gerade nötig ist: Sie können sich selbst identisch teilen und damit kopieren, um ihr Überleben für Heilungs- und Regenerationsaufgaben auf Dauer sicherzustellen. Wird zum Beispiel ein Muskel stark belastet, oder tritt sogar ein Muskelfaserriss auf, dann teilen sich die adulten Stammzellen im Muskelgewebe nach einem asymmetrischen Mechanismus. Die eine Tochterzelle ist wieder eine »Vielkönnerzelle«, also weitgehend undifferenziert und weiterhin Rettungssanitäter. Sie kann also bei Bedarf weiter die verschiedensten Zellen des Muskels bilden. Die andere Zelle aber ist unipotent. Sie ist genau die Zelle, die der Muskel gerade benötigt. Sie wird Teil der regenerierten Muskelfaser, kann sich als solche auch weiter teilen, wird aber eines Tages absterben und vom Körper abgebaut. Wenn aber intensiv erneuert oder repariert werden muss, dann teilt sich die Stammzelle auch in zwei unipotente Zellen. Damit »opfert« sie sozusagen ihre Stammzellenfunktion, kann aber so schnell und effizient helfen.


Die Teilung von Stammzellen erfolgt entweder symmetrisch (A) oder asymmetrisch (B). Sie ergibt zwei Stammzellen sowie zwei Tochterzellen (Gewebezellen) oder aber jeweils eine Kopie der ursprünglichen Stammzelle und darüber hinaus eine Tochter (Gewebezelle).

Unter der sogenannten Proliferation versteht man das schnelle Wachstum oder auch die Vermehrung von Zellen.

Spätestens jetzt geht uns ein Licht auf: Wenn Stammzellen im normalen Prozess der Zellerneuerung – wie im Darmepithel (die Zellschicht an der Innenseite des Darms), aber auch zum Beispiel bei der Wundheilung oder Muskelregeneration – so hochpräzise wirksam sind, weshalb sollte man sie dann nicht im ganz großen Stil für die moderne Biomedizin einsetzen, als multipotente Heilmittel sozusagen, wenn diese auf adulten Stammzellen basieren? Und noch weiter gedacht: Als pluripotente, also noch wesentlich umfangreicher wirksame Heilmittel, könnte man embryonale Stammzellen nutzen – wenn es gelänge, sie künstlich herzustellen, also ohne dafür auf Embryonen zurückgreifen zu müssen. Das wäre toll oder? Dazu weiter unten mehr!

Adulte Stammzellen, die direkt dem Körper eines Patienten (oder eines passenden Spenders) entnommen werden, setzt man bereits seit über 40 Jahren bei der Therapie von Blutkrebs und Lymphomen ein. Die Heilkraft anderer adulter Stammzellentypen wird bei Lähmungen durch Wirbelsäulenverletzungen, bei Parkinson- und Herzinfarkt-Patienten und auch bei Arthritis und anderen Knorpel- und Knochenschädigungen erforscht und getestet – zum Teil mit erstaunlichem Erfolg.

Enorme Chancen auf revolutionäre Therapieformen (und Gewinne) eröffnen sich aber, wenn man weitergeht und Stammzellen manipuliert. Das Ziel ist, körpereigene und damit gut verträgliche Ersatzmaterialien für Organe oder Organteile zu züchten (der Fachausdruck dafür: »Tissue Engineering«). Im Prinzip muss man nicht unbedingt Stammzellen verwenden, um aus Körperzellen neue Herzklappen, Blutgefäße, Knochen oder Haut herzustellen, die keine Abwehrreaktionen des Immunsystems hervorzurufen. Bei der einfachsten Methode lässt man unipolare, ausdifferenzierte Körperzellen in einem Kulturmedium mithilfe von Wachstumsfaktoren auf einem Gerüst (»Scaffold«) zu neuen Blutgefäßen oder Knorpelgewebe auswachsen und implantiert diese dann.


Für die Herstellung von menschlichen Geweben außerhalb des Körpers wird dem Patienten eine kleine Gewebeprobe entnommen und für die Isolation von Zellen genutzt. Diese Zellen lassen sich mithilfe von Zellkulturtechniken vermehren und anschließend für die Besiedlung einer biologischen oder synthetischen Trägerstruktur (Scaffold) einsetzen. Diese Methode hat gegenüber der sogenannten Allotransplantation, also der Transplantation von Gewebe eines Menschen in einen anderen Menschen, den Vorteil, dass durch die Verwendung von patienteneigenen Zellen auf eine lebenslange Immunsuppression verzichtet werden kann.

Für komplexere Regenerationsaufgaben ist diese Methode jedoch nicht geeignet. Spannend ist das »einfache« Tissue Engineering aber für die medizinische Forschung und die pharmazeutische Industrie, Wirkstoffe können an künstlich erzeugtem Gewebe getestet werden. Ein Segen für alle Tiere, die bislang in solchen Testverfahren grauenhaft leiden müssen. Auch künstliches Fleisch könnte auf diese Weise produziert werden. Kaum auszudenken, wenn die Quälerei in der Massentierhaltung endlich ein Ende hätte! Die Verwendung von adulten Stammzellen öffnet allerdings noch größere Chancen für die regenerative Medizin: Da sie multipotent sind, können komplexere Gewebe aus ihnen entwickelt werden. Je nach späterem Einsatzgebiet im Körper müssen sie aber wie aus dem Knochenmark oder inneren Organen im besten und einfachsten Falle aus dem Fettgewebe gewonnen werden. Letzteres bedeutet ja einen nur kleineren chirurgischen Eingriff in Form einer Fettabsaugung.

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