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Der Mensch ist so alt wie seine Stammzellen

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Welchen Einfluss haben nun also adulte Stammzellen auf unser Altern? Gegenfrage: Gibt es adulte Stammzellen, die stärker »alt machen« als andere? Und welche Typen sind das nach aktuellem Forschungsstand? Wie es derzeit aussieht, sind es die blutbildenden, sogenannten hämatopoetischen Stammzellen HSC (zur Erinnerung: Sie bilden rund 300 Milliarden dieser Stammzellen pro Tag!) und die gewebsbildenden MSC, die mesenchymalen Stammzellen (diese erneuern Fettgewebe, Knochen und Knorpel). Beide Stammzellentypen scheinen einem Alterungsprozess zu unterliegen. Die blutbildenden Stammzellen HSC bauen offenbar mit den Jahren so ab, dass sie ihre Aufgaben für das Immunsystem nicht mehr oder zumindest nur noch stark eingeschränkt erfüllen können. Die Folge: Häufigere Infektionskrankheiten, verlangsamter Erholungsprozess, chronische Entzündungen, die Krebsrate steigt an, besonders zum Beispiel die chronische lymphatische B-Zell-Leukämie. Das Leibniz-Institut für Altersforschung fand einen deutlichen Zusammenhang zwischen Alter und Mutationsrate der HSC. Bei Menschen unter 40 bis 45 Jahren fanden sie keinerlei mutierte blutbildende Stammzellen. Bei den 70-Jährigen fanden sie diese aber sehr häufig, nämlich bei der Hälfte aller Untersuchten und in großer Zahl. Diese mutierten Zellen bilden »Klone«. Das heißt, es vagabundieren im Blut mehr und mehr zusammengeballte, funktionsuntüchtige HSC, die Entzündungen auslösen. Die Wissenschaftler vermuten, dass solch chronische Entzündungen eine große Rolle bei Schlaganfällen, Demenz oder auch Herzinfarkten spielen.

Mesenchymale Stammzellen (MSC), die Knochen, Knorpel und Fettgewebe bilden, haben sich als besonders »multipotent« herausgestellt. Im Labor konnten sie unter den richtigen Bedingungen dazu angeregt werden, auch viele andere Zellarten zu bilden, nämlich Herz-, Leber-, Nerven- und Blutgefäßzellen.

So sind natürlich die Hoffnungen enorm, mithilfe von MSC ganz groß in die Stammzellentherapie verschiedenster Erkrankungen und Verletzungen einsteigen zu können. Dazu später mehr. Doch kommen wir zunächst zu ihrer Rolle beim Alterungsprozess.

Leider erwischt es eben auch sie. Ältere MSC können sich nicht so gut teilen, sie können sich auch nicht mehr so perfekt zum Zielgewebe, in dem sie heilen oder aushelfen sollen, differenzieren. Und das bedeutet konkret: Hautwunden oder Knochenbrüche heilen nicht gut und – besonders gravierend nach Herzinfarkten oder Schlaganfällen regeneriert sich das betroffene Gewebe deutlich schlechter. Wir haben in unseren Forschungsteams in Stanford und an der TU München besonders die verminderte Wundheilung bei älteren Menschen und Diabetikern unter die Lupe genommen. Hier spielen hochspannende Schutzräume für Stammzellen eine herausragende Rolle: die Stammzellen-Nischen.


In ihrem natürlichen Umfeld bilden MSC Knochen, Knorpel und Fettgewebe. Im Labor können sie auch dazu angeregt werden, viele andere Zellarten zu bilden, nämlich Herz-, Leber-, Nerven- und Blutgefäßzellen.

Stammzellen-Nischen wurden zuerst als Schutzräume blutbildender Stammzellen im Knochenmark entdeckt (inzwischen fand man heraus, dass alle adulten Stammzellen über die wertvollen Rückzugsorte verfügen). Das Faszinierende an ihnen: Sie scheinen einen großen Einfluss auf die Alterung der HSC, also ihrer Schützlinge, zu haben. Die Stammzellen, die sich in Nischen aufhalten, sind vor Alterung geschützt. Im Mausversuch fand man auch in alten Tieren genauso teilungsfreudige und regenerationsfreudige HSC wie in jungen Mäusen. Offenbar produzieren diese Nischen Proteine, die die Stammzellen in eine Art »Winterschlaf« versetzen und damit jung halten. Gerade diese Nischen scheinen aber besonders verwundbar für bestimmte Chemotherapien zu sein.

Das könnte erklären, weshalb manche Chemos bei älteren Menschen so gravierende Nebenwirkungen haben. Prof. GEIGER und sein Team vom Institut für Molekulare Medizin Ulm fanden heraus, dass das Altern der blutbildenden Zellen durch das Altern der Nischenzellen selbst beschleunigt wird. Diese bilden das Protein Osteopontin, das die Stammzellen funktionsfähig hält. Im Alter produzieren die Nischenzellen dann weniger Osteopontin, die Stammzelle wird unterversorgt und funktioniert nur noch eingeschränkt. Das Gute: Durch Osteopontin-Gabe konnten die Forscher die Schutzraumzellen und die Stammzellen selbst regenerieren und verjüngen. Ein weiterer Baustein der Hoffnung!

Wir (Dominik und Team) haben uns in jüngster Zeit auf die Erforschung von mesenchymalen Stammzellen (MSC) und ihrer Alterung konzentriert. Wir wollten wissen, weshalb ältere MSC in ihrer Leistung so stark nachlassen. Wir machten dabei eine frappierende Entdeckung, als wir die Stammzell-Nischen der MSC mit den neuesten hochauflösenden Instrumenten erforschten und die Wundheilung bei älteren Menschen und bei Diabetespatienten untersuchten, die ja ebenfalls von Wundheilungsstörungen heimgesucht werden. Denn im Labor zeigte sich schnell: Nur junge MSC konnten die Wundheilung verbessern. MSC von älteren Spendern konnten das nicht.

Dies stand im Widerspruch zur Beobachtung, dass in den Stammzellen-Nischen des Fettgewebes und des Knochenmarks, die wir untersuchten, alles in Ordnung schien. Ältere Menschen hatten in ihren Nischen genauso viele Stammzellen wie jüngere Probanden – und die Stammzellen sahen auch genauso aus. Bei der Klärung der Ursache eilte uns die brandneue Technologie der hochauflösenden Genexpressionsanalyse zu Hilfe. Das Ergebnis dieser Untersuchung ließ uns staunen. Es lässt sich am besten im Vergleich mit einer Schulklasse erläutern: Die Stammzellen-Nischen stellen wir uns als Klassenraum vor. Darin sitzen jede Menge Schüler, die sich zwar zunächst nicht groß unterscheiden, aber enorm unterschiedliche Leistungen erbringen. Die Klasse ist sozusagen in verschieden talentierte Schüler gruppiert, im Fachjargon »Subpopulationen« genannt. Die einen Gruppen sind hochmotiviert, arbeiten effizient und mit tollen Ergebnissen, andere Gruppen hängen eher herum und sind einfach faul. Bislang konnte man lediglich die Leistung der gesamten Klasse im Durchschnitt messen, und die wird mit dem Alter deutlich schlechter. Wir aber konnten die Einzelleistungen messen, und dabei kam etwas extrem Wichtiges heraus: Die Klasse bleibt zwar gleich groß im Alter. Doch die Gruppe der Spitzenschüler, also die der Leistungsträger, wird immer kleiner, bis sie sogar komplett verschwindet. Leider sind das gerade die Zellen, die wir schon bei den blutbildenden Stammzellen (HSC) als »Winterschläfer« kennengelernt haben. Diese Untergruppe ist dafür bekannt, dass sie sich im Fall der Fälle ganz schnell aus der Ruhephase aufrappeln und sofort zur Reparatur und Heilung aufbrechen kann. Das Altern von MSC beruht also auf dem Verlust der besonders guten Schüler in der Stammzellen-Klasse und damit der überproportionalen Zunahme der unterdurchschnittlichen Schüler.

Doch auch hier gilt: Was für eine Chance tut sich da auf! Man müsste, um der altersbedingten Stammzellen-Erschöpfung zu begegnen, nur eine kleine Gruppe von Schulkameraden ersetzen! Ansatzweise ist das sogar bereits gelungen. Mithilfe des anspruchsvollen Verfahrens des genetischen Fingerabdrucks konnten wir auch in Stammzellen-Nischen von alten oder diabeteskranken Spendern einige der »guten Schüler« identifizieren und isolieren. Und diese »guten Schüler« waren dann im Versuch bei der Wundheilung absolut genauso leistungsfähig wie ihre jüngeren Kollegen! Mit diesen hochpotenten Stammzellen kann also mangelnde Regeneration ausgeglichen werden. Was also bleibt zu tun? Genau diese Musterschüler im Labor zu züchten und den Patienten bzw. alten Menschen zurückzugeben, um die alte, kraftvolle Zusammensetzung in der Stammzellen-Nische wiederherzustellen – die»Regeneration der Subpopulation in den Stammzellen-Nischen«. Wir bleiben dran!

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