Читать книгу Altern wird heilbar - Nina Ruge - Страница 32

Die Zombiezellen

Оглавление

Aber der Reihe nach. Als erster hat LEONARD HAYFLICK den Pfad für die Entdeckung der Zombiezellen geebnet, als er 1961 begann, nach den Ursachen des Alterns auf Zellebene zu suchen. Damals hätten ihn so manche als »Idioten« beschimpft, erinnert er sich selbst. Niemand wollte HAYFLICKs Theorie ernsthaft diskutieren. Heute sieht das ganz anders aus. Sie erinnern sich sicher an das HAYFLICK-Limit (siehe ab >). Seine Theorie besagt ja, dass sich jede Körperzelle – ausgenommen sind Stammzellen und Krebszellen – nur begrenzt teilen kann. Wie eine Streifenkarte in der U-Bahn zum Beispiel nur zehnmal gestempelt werden kann, bis sie verfällt, teilen sich Körperzellen nur so oft, wie es in ihrem genetischen Programm angelegt ist. Dann ist Schluss. Zellen können aber auch dann untergehen, wenn die DNA beschädigt wurde, durch Replikationsfehler, Sauerstoffradikale, Zellgifte etc.

Aber Schluss ist nicht Schluss. Entweder leitet die Zelle bei starker Störung ihren Selbstmord, die Apoptose, ein (die wir auch schon kennengelernt haben) und wird vom Immunsystem identifiziert und aufgelöst, worauf aus Stammzellen dann gesunder Zellnachschub geschickt wird. Oder aber, und jetzt kommt es: Oder aber sie verwandelt sich in eine Untote. Sie teilt sich zwar nicht mehr, aber ihr Stoffwechsel läuft auf Hochtouren. Jede unserer Körperzellen, die ihr Limit erreicht hat, kann auf diese Weise seneszent werden. Was der Auslöser dafür ist, den Weg des Selbstmords oder des Zombies einzuschlagen, das ist bislang nicht geklärt.

Was macht denn nun die Untoten zu Untoten – und was ist ihr biologischer Sinn? Zunächst: Seneszente Zellen kommen in allen Säugetieren und in allen Altersstufen vor. VALERY KRIZHANOVSKY vom Weizman Institut für Wissenschaften in Israel gelang es vor Kurzem, deren Zahl bei Mäusen zu bestimmen. Während bei jungen Mäusen höchstens ein Prozent aller Zellen seneszent waren, betrug der Anteil der Zombiezellen in einigen Organen zweijähriger Mäuse bis zu 20 Prozent. Unglaublich viele Untote schleppen nicht nur Mäuse mit sich herum!

Seneszente Zellen haben zwar ihre Teilung eingestellt, aber sie sind hochaktiv, indem sie Hunderte verschiedener Proteine produzieren: Zytokine, also Steuerungsproteine, Wachstumsfaktoren sowie Proteasen (das sind Enzyme, die große Proteine spalten). Damit können die Untoten direkt benachbarte Zellen beeinflussen (ähnlich wie der »Faule-Apfel-im-Korb-Effekt« oder wie ein Virus), und zwar meist nicht zum Guten: Sie rufen unter anderem Entzündungsreaktionen hervor – die ja für etliche der altersbedingten Krankheiten verantwortlich gemacht werden. Wie ein Zombievirus veranlassen sie in der Nähe befindliche gesunde Zellen, sich an der Funktionsstörung zu beteiligen. So reicht das Injizieren einer geringen Zahl von seneszenten Zellen in junge Mäuse bereits aus, um sie deutlich zu schwächen, gebrechlich zu machen und ihnen anhaltende Gesundheitsprobleme zu bereiten.

JUDITH CAMPISI vom Buck’s Institute for Research on Aging in Kalifornien bezeichnete diesen Proteinschwall der Zombiezellen als »seneszenzassoziierten sekretorischen Phänotyp« (SASP) – der uns offenbar im Laufe unseres Alterns zum Verhängnis wird.

Ich (Dominik) lernte Prof. JUDITH CAMPISI im Jahr 2014 kennen, als wir beide zu einer Expertenkonferenz in Orlando, Florida eingeladen waren. Als ich mit ihr auf dem Podium stand, um über meine Ergebnisse zur Stammzellalterung zu berichten, war ich zugegebenermaßen ein wenig nervös, denn sie war bereits damals eine sehr bekannte Wissenschaftlerin. Ich war beeindruckt von der Prägnanz, mit der sie den »evolutionären Balanceakt« von Zombiezellen erläuterte.

Natürlich haben seneszente Zellen eine elementar wichtige Funktion, um unseren Körper gesund zu halten, sonst hätte die Evolution nicht zugelassen, dass sie über die Jahrtausende hinweg in uns präsent sind. Zum einen hat sich der Mechanismus des »Nicht-mehr-Teilens« entwickelt, um den Körper vor mutierten oder verletzten Zellen zu schützen. Das heißt, die Seneszenz tritt dann ein, wenn höchste Gefahr droht: Zellen, die durch Mutation zum Beispiel zu Tumorzellen würden, stellen durch diesen – noch nicht erforschten – Mechanismus ihre Teilungen ein. Ihr tödliches Potenzial können sie damit nicht an ihre Tochterzellen weitergeben. Die Seneszenz ist insofern ein Selbstschutz vor Krebserkrankungen. Viele solcher Zellen auf dem Weg zur Entartung töten sich durch Apoptose selbst. Weshalb aber verfallen andere in dieses merkwürdige stoffwechselaktive Dasein der Untoten? Weil offenbar viele der Proteine, die sie produzieren, auch sehr positive Effekte haben – in jungen Körpern, wohlgemerkt. Offenbar regen sie in benachbartem Gewebe Reparatursysteme an, um zerstörte Zellen zu regenerieren. Ebenso können sie bei der Wundheilung helfen. Manche der Proteine wirken auch als eine Art Notsignal, um dem Immunsystem zu signalisieren: »Diese Zellen schaffen es nicht – bitte beseitigen!«

Prof. CAMPISI kam dann auf die andere Waagschale der »evolutionären Balance« und damit auf dunkle Seite der Zombiezellen zu sprechen. Seneszente Zellen entstehen also, um Krebs zu verhindern. Das erklärt, weshalb junge Menschen selten daran erkranken. Sie werden aber zum Schadensfall, wenn sie im Körper lange aktiv bleiben, was bei der Alterung passiert. Unser Immunsystem scheint mit der Zeit vom Ansturm der seneszenten Zellen überfordert zu sein – und kann nicht mehr auf sie zu reagieren. Nach Prof. CAMPISI spielt es für die Evolution keine Rolle, was nach dem Kinderkriegen mit uns passiert. Ab dem Alter von 50 Jahren sammeln sich Zellen an, anstatt dass sie effektiv aussortiert werden. Deshalb stellt sich laut ihr für die Forschung die Frage, wie die Zellen eliminiert werden und das Gewebe in jugendlichere Zustände zurückversetzt werden kann. Prof. CAMPISI gründete deshalb bereits 2011 gemeinsam mit einem weiteren Star der Seneszenzforschung, JAN van DEURSEN, in San Francisco die Firma Unity Biotechnology, um Senolytika zu entwickeln, von denen man sich die Anti-Aging-Wunderwaffe der Zukunft erhofft. Der Produktname ist Programm. Er setzt sich aus »Senescence« und »lytic – zerstörend« zusammen. Es geht also um Wirkstoffe, die Untote endgültig ins Jenseits befördern, die seneszente Zellen ein für alle Mal killen, ohne dabei gesunde Zellen zu schädigen.

Altern wird heilbar

Подняться наверх