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Verbindlichkeit?

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Die Kernfrage war die nach der Kompetenz der Synode. Vielfach wurde und wird als Merkmal ihre Verbindlichkeit herausgehoben. Allerdings ist diese Aussage mehrdeutig. Bezieht Verbindlichkeit sich auf den Synodenvorgang, das Ereignis, meint sie die erwähnte souveräne Selbstbindung des Episkopats an das Statut und damit an ein bestimmtes Gesprächsarrangement.

Bezieht sich der Begriff auf die Ergebnisse der Synode, ihre Schlussabstimmungen, wird es komplizierter. Das universalkirchliche Recht kannte damals (wie heute) gesetzgebende Gremien nur oberhalb der Bistümer, nämlich Konzilien als Versammlungen von Bischöfen (gesamtkirchliche = ökumenische bzw. teilkirchliche = Plenar- und Provinzialkonzilien) sowie nachkonziliar begrenzt die Bischofskonferenz. Im Bistum war (und ist) der Diözesanbischof einziger Gesetzgeber. Diözesansynoden konnten nur beraten, altkodikarisch ausschließlich mit Klerikerstimmen, seit dem Konzil auch unter Einbeziehung von Laien, wobei hierfür „sehr bald in fast ängstlicher Reaktion auf gewisse Forderungen nach Mitbestimmung der Laien“131 eine Klerikermehrheit sichergestellt sein musste.

Die 18 Dokumente der Würzburger Synode mit der formalen Bezeichnung „Beschluss“ stellen ein ebenso umfangreiches wie nach Inhalten, Sprechweise und formaler Eigenart divergentes Textkonvolut dar. Der „Beschluss“ über die ausländischen Arbeitnehmer etwa besteht aus (kursiv gesetzten) Beschlusstexten und hinzugefügten Begründungen, über die nicht abgestimmt wurde.132 Weit überwiegend bieten die Texte jeweils eine Situationsanalyse, theologische Grundüberlegungen und praktische Folgerungen für das konkrete kirchliche Leben in Gestalt von allgemeinen pastoralen Richtlinien.133 Bei Letzteren handelt es sich allerdings nicht im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs um praktische Anweisungen einer höheren Instanz, sondern um durch intensive Beratung und Beschließung als theologisch und argumentativ überzeugend ausgewiesene Anregungen, Impulse und Appelle, „auf die praktische Durchführung drängende […] Kernaussagen“134, von denen (nur) moralisch erwartet werden konnte, dass sie sich in den Bistümern auswirkten bis durchsetzten.135 Steile und missverständliche Formulierungen, etwa zum Synodenbeschluss zum Religionsunterricht, wie: „Sehr deutlich ist auch zu sagen, daß dieser Beschluß verbindlich ist und daß es nicht im Belieben des Lehrers liegt, welches Konzept von Religionsunterricht er seinen Stunden zugrunde legt“136, oder: „Es sollte selbstverständlich sein, daß der Synodenbeschluß in allen Schulbuch- und Lehrplankommissionen zum Maßstab und zur Richtlinie gemacht werden muß“137, sollen die Bedeutung des Textes gegen befürchtete Widerstände appellativ unterstreichen, treffen seinen formalen Rang aber sicher nicht.

Etwa 250 nach Umfang, Konkretion, Nachdrücklichkeit und Adressaten unterschiedliche Auffassungsoptionen oder Handlungsvorschläge sind unter der Bezeichnung „Empfehlung“ als besonders vorteilhaft und nützlich herausgehoben.138 Solche beschlossenen Ratschläge oder Bitten waren schon dem Namen nach ebenfalls nicht verbindlich.139 Auch hier wurde bisweilen versucht, die rechtliche Unverbindlichkeit dieser Texte und damit ihre Durchsetzungsschwäche durch missverständliche Formulierungen und moralische Appelle zu überbrücken, wenn etwa unter der Überschrift „Gesetzgeberische Akte und Rechtskraft“ erläutert wird, warum gerade auf Anordnungen verzichtet wurde und es dann heißt:

„Zwar haben die Empfehlungen keine Gesetzeskraft im strengen Sinn [gibt es eine andere?; N. L.], doch entspringen sie samt und sonders der Bereitschaft zur Hilfe aus christlicher Mitverantwortung. Gegenseitige Hochachtung und ein tatkräftiges Wohlwollen lassen auf eine reiche Frucht der Empfehlungen hoffen“140.

Reine Hoffnungstexte waren die sogenannten „Voten“, d. h. Wünsche an den Apostolischen Stuhl. Nur in dieser Form durften Gegenstände beraten werden, die gesamtkirchlicher Regelung unterlagen (Art. 11 Abs. 3 SynSt).141

Verbindlich waren allein jene Beschlüsse, die „Anordnungen“ enthielten. Sie sollten als Gesetze der Bischofskonferenz oder als Diözesangesetz mit der Veröffentlichung in den diözesanen Amtsblättern in Kraft treten (Art. 14 Abs. 2 SynSt). Hier lag der Knackpunkt der Würzburger „Spezialanfertigung im kirchlichen Synodalwesen“142. Anders als auf bisherigen Synoden sollte es nicht um eine reine Beratungsversammlung gehen, mit deren Ergebnissen die Bischöfe sich anschließend befassten, um zu entscheiden, ob sie sie akzeptieren und gegebenenfalls umsetzen wollten. Stattdessen wurde das Gremium Bischofskonferenz in das größere Gremium Synode integriert und in ein Zusammenwirken eingebunden und gleichzeitig durch eine Reihe von statuarischen Sicherungen garantiert, dass weder die Konferenz noch die einzelnen Diözesanbischöfe in ihrer hierarchischen Leitungskompetenz, insbesondere zur Gesetzgebung, beeinträchtigt wurden. So konnte die Bischofskonferenz nicht nur ganze Themenbereiche vollständig aus der Synodenbefassung ausklammern, indem sie ihr Einvernehmen verweigerte (Art. 11 SynSt). Sie konnte auch bei bereits zugelassenen Themen jedwede Beschlussfassung verhindern, indem sie erklärte, einer Vorlage aus Gründen der verbindlichen Glaubens- und Sittenlehre der Kirche nicht zustimmen zu können (Art. 13 Abs. 3 SynSt), wobei dann eine Überarbeitung und Neuvorlage möglich blieb. Eine Beschlussfassung mit Anordnungen konnte sie verhindern, indem sie erklärte, die Gesetzgebung versagen zu müssen (Art. 13 Abs. 4 SynSt).143 Die Formulierungen „nicht zu können“ bzw. „zu müssen“ sind eine kirchlich übliche Weise, Machtworte im verbalen Ohnmachtsgestus zu sprechen. Kardinal Höffner hatte bereits im Vorfeld der Synode das Vetorecht der Bischöfe so begründet:

„Auf der gemeinsamen Synode der deutschen Bistümer muss die von Christus selber der Kirche gegebene hierarchische Grundordnung in Erscheinung treten. Ohne Anerkennung der Stellung der Bischöfe und des ihnen von Christus übertragenen Dienstes kann die Synode nicht wirksam werden. … Aus der hierarchischen Grundordnung der Kirche ergibt sich, dass die Synode … nicht schlechthin und in jeder Hinsicht nach den Regeln einer politischen Demokratie verfahren kann“144.

Das Konzil hatte die Gläubigen ermahnt, Entscheidungen gegenüber, welche die

„geweihten Hirten in Stellvertretung Christi als Lehrer und Leiter der Kirche festsetzen, in christlichem Gehorsam bereitwillig auf[zu]nehmen nach dem Beispiel Christi, der durch seinen Gehorsam bis zum Tode den seligen Weg der Freiheit der Kinder Gottes für alle Menschen eröffnet hat“ (LG 37,2).

Zwar sollten „die geweihten Hirten … die Würde und Verantwortung der Laien in der Kirche anerkennen und fördern“ und „mit väterlicher Liebe … Vorhaben, Eingaben und Wünsche, die die Laien ihnen vorlegen, aufmerksam in Christus in Erwägung ziehen“ (LG 37,3). Aber für den traurigen Fall, dass sie hinter diesen moralischen Anforderungen zurückblieben, etwa ihre Autorität überzogen, gab und gibt es keine irdischen Rechtsmittel, sondern nur das vorbeugende Gebet.145 Die Laien „sollen auch nicht unterlassen, ihre Vorgesetzten Gott zu empfehlen, die ja wachen, um Rechenschaft für unsere Seelen zu geben, damit sie das mit Freude tun können und nicht mit Seufzen“ (LG 37,2). Im Zweifel half und hilft auch konziliar gegen Machtmissbrauch nur: Beten.

Um das genaue Zusammenspiel von Bischöfen und Synode und insbesondere die Mitwirkung der Laien zu verstehen, kann es helfen, sich die einzelnen Entstehungsphasen bewusst zu machen, die ein kirchliches Gesetz in der Regel146 durchläuft. Am Anfang steht die Gesetzesinitiative. Sie kann von jedem Gläubigen ausgehen. Das Konzil hatte ja auch den Laien die Möglichkeit zugesprochen, je nach Wissen, Zuständigkeit und Stellung selbst oder in von der Kirche festgesetzten Einrichtungen den Hirten ihre Meinung in kirchlichen Gemeinwohlbelangen mitzuteilen, allerdings „immer in Wahrhaftigkeit, Mut und Klugheit, mit Ehrfurcht und Liebe gegenüber denen, die aufgrund ihres geweihten Amtes die Stelle Christi vertreten“ (LG 37,1). Nur solche – im Urteil der Hirten – qualifizierte Meinungsäußerungen sind relevant, was den Hirten ermöglicht, von Sachdiskussionen gerne in Stil- und Formfragen auszuweichen und Meinungsäußerungen als im Stil verfehlt und daher irrelevant zu disqualifizieren.

Die weiteren Etappen, zunächst die Festlegung des Gesetzesinhalts und die Gesetzesausfertigung, d. h. die Erklärung der Verbindlichkeit des fixierten Gesetzeswortlauts, sind im Rahmen des überlieferten Glaubens Sache des Gesetzgebers. Beide Phasen folgten in Würzburg nicht wie üblich erst im Anschluss an die Synodenberatung, sondern wurden in sie integriert. Die Hauptlast der Vorbereitung der Vorlagen trugen die Sachkommissionen. Hier stellten auch Laien ihre Glaubenserfahrung, Sachkenntnis und Sichtweise den Hirten unterstützend und beratend zur Verfügung und konnten so unmittelbar auf die Führungstätigkeit der Bischöfe Einfluss nehmen. Die Bischofskonferenz wirkte an der Erarbeitung und an der in der Regel zweifachen Lesung der Beschlussvorlagen positiv mit. Sie konnte vor jeder Lesung und unabhängig von vorliegenden Wortmeldungen dazu Stellung nehmen und hat durch zahlreiche Anträge die Vorlagengestalt gesteuert. Mit besonderem Nachdruck geschah dies, wenn sie ihrer Pflicht nachkam, etwaige Bedenken gegen eine Vorlage aus Gründen ihrer Lehrautorität oder ihres Gesetzgebungsrechts spätestens vor der zweiten Lesung zu äußern (Art. 12 Abs. 5 SynSt). Damit wurde nicht nur ihre Leitungsverantwortung betont, sondern auch die Debatte frühzeitig fokussiert und das Gespräch zwischen Synode und Bischofskonferenz rechtzeitig eingeleitet, um Differenzen zu beseitigen und den Gesetzesinhalt in einer Weise zu modellieren, die den Bedenken der Hierarchen Rechnung trug und den Einsatz ihres Vetorechts überflüssig machte.147

Die Gesetzgebungskompetenz blieb je nach materieller Zuständigkeit bei der Bischofskonferenz bzw. dem einzelnen Diözesanbischof. Verzichtete die Bischofskonferenz auf ein Veto, kam damit der entscheidende gesetzgebende Wille zum Ausdruck, die Anordnung im erarbeiteten Wortlaut verbindlich werden zu lassen, falls sie die erforderliche Mehrheit in der Synodenschlussabstimmung erreichte. Würde die Mehrheit verfehlt, blieb es der Bischofskonferenz oder dem Diözesanbischof gleichwohl rechtlich unbenommen, die Vorlage dennoch als Gesetz zu erlassen.148 Die Synode beschloss somit über eine Vorlage, die in Entstehung und Endgestalt auf der vorgängigen Entscheidung durch die zuständigen Bischöfe beruhte.

Die Gesetzesverpflichtung oder -geltung schließlich entstand erst durch die autoritative Verkündung oder Promulgation des Gesetzes in den Amtsblättern der Bistümer als Gesetze der Bischofskonferenz149 oder des jeweiligen Diözesanbischofs. Eine Pflicht der Bischöfe, die Beschlüsse zu promulgieren, enthielt das Statut nicht150, wenngleich es sicher kein synodenfreundlicher Akt gewesen wäre, die Promulgation zu unterlassen.

Die Täuschung

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