Читать книгу Goettle und der Kaiser von Biberach - Olaf Nägele - Страница 11

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»Wie geht es dir?«, schnarrte es aus dem Telefonhörer.

Greta Gerber erstarrte. Seine Stimme genügte, um sie unverzüglich in den Gefühlssumpf zu stoßen, dem sie so mühsam entkommen war.

»Was willst du?«, erwiderte sie scharf. Sie war wütend. Wie konnte er es wagen, im Büro anzurufen? Was erdreistete er sich, sich noch einmal in ihr Leben zu drängen, nachdem er den knallharten Schnitt vollzogen hatte?

»Ich vermisse dich. Ich muss dich sehen.«

Er sagte es so zärtlich, dass ihr ein wohliger Schauer über den Rücken lief. Sie vermisste ihn auch, aber wusste, dass sie besser beraten war, ihm das nicht zu zeigen. Richards Problem war, dass er Entscheidungen traf und sie kurz danach widerrief. Daran würde sich nie etwas ändern, das war ihr im letzten Jahr immer wieder schmerzhaft in Erinnerung gerufen worden.

»Was ist? Lässt dich deine Frau wieder mal nicht ran? Hat sie endlich erkannt, was für ein Drecksack du bist?«, fauchte sie ihn an.

Greta senkte die Stimme und legte eine Hand um die Muschel des Telefons. Kollege Schneider sah herüber und grinste frech. Für einen Moment hatte sie vergessen, dass sie nicht allein im Raum war, zudem mit einem Menschen, den sie nicht besonders gut kannte. Sie senkte die Stimme und wandte sich wieder ihrem Gesprächspartner zu.

»Lass mich in Ruhe, hörst du?«

»Wir können doch noch mal über alles reden.«

»Sag nicht reden, wenn du vögeln meinst. Ich will weder das eine noch das andere. Um genau zu sein: Ich will dich nie, nie, nie mehr wiedersehen.«

Sie knallte den Hörer auf die Gabel und schlug mit der Faust auf den Tisch. Was bildete sich dieser Typ eigentlich ein? Dass sie bereitstand wie eine läufige Hündin, wenn er nur mit dem Schwanz wedelte? Wie viel räumliche Distanz musste denn noch zwischen ihm und ihr liegen, damit er sie endlich in Frieden ließ? Noch einmal ließ sie die Faust auf den Schreibtisch krachen.

»Guten Morgen, Frau Gerber. Wenn Sie mit der rabiaten Behandlung des Arbeitsplatzes fertig sind, würde ich gern mal mit Ihnen über die Sache Seitz sprechen. Sind Sie schon ein Stück weitergekommen?«

Kriminalrat Seidel, Leiter des Kriminalkommissariats Biberach, war hinter sie getreten und sah seine neue Mitarbeiterin über die Ränder seiner Brille an. Seine Stirn hatte er in Falten gelegt, was bei ihm ein untrügliches Zeichen des Missfallens war. Greta bemerkte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Zu peinlich, dass ihr neuer Chef die emotionale Entgleisung am Telefon mitbekommen hatte.

Sie sortierte die Unterlagen aus der Akte Seitz und schüttelte den Kopf. Die bisherige Ermittlung hatte noch keine neuen Anhaltspunkte ergeben.

In die Villa von Kurt Seitz im Panoramaweg war eingebrochen worden. Außer ein bisschen Kleingeld war nichts entwendet worden, der Schaden belief sich auf wenige Hundert Euro. Wesentlich brisanter war jedoch die Entdeckung, dass auch eine Pistole, die Seitz als Mitglied des Schützenvereins besitzen dufte, aus dem Waffenschrank fehlte. Und das wiederum konnte bedeuten, dass der nun bewaffnete Täter vorhatte, weitere Schandtaten zu begehen. Die unausgesprochene Mahnung ihres Vorgesetzten zur Eile war also durchaus berechtigt, fand Greta.

»Wir warten noch auf den Abschlussbericht der Spurensicherung«, antwortete sie. »Wir haben am Tatort Blut gefunden, das höchstwahrscheinlich von dem Einbrecher stammt. Er hat sich offenbar verletzt, als er die Scheibe eingeschlagen hat. Vielleicht haben wir jemanden im Datenbestand, auf den die DNA passt.«

Seidel schob seine Brille nach oben und schnaubte. »Gut, aber beeilen Sie sich. Mir wird ganz flau bei dem Gedanken, dass in unserer Stadt ein Bewaffneter sein Unwesen treibt. Wir müssen ihn unbedingt dingfest machen, bevor etwas passiert.«

Greta hätte gern erwidert, dass nicht zwingend davon ausgegangen werden konnte, dass sich der Täter noch in der Stadt aufhielt, aber sie kam nicht mehr dazu. Der Vorgesetzte verschwand so schnell durch die Tür, wie er aufgetaucht war.

Sie nahm sich die Akte und besah sich die Fotos, die die Spurensicherung vom Tatort gemacht hatte. Der Einbrecher war ziemlich plump vorgegangen. Er hatte eine Fensterscheibe mit einem Stein eingeworfen, den Hebel umgelegt und sich so Zutritt zur Villa verschafft. Ein paar Schränke waren durchwühlt und die Haushaltskasse geleert worden, in der sich laut Seitz’ Aussage 200 Euro befunden hatten. Relativ zielstrebig schien er zu den Waffenschränken geschritten zu sein. Den massiven Holzmöbeln hatte er heftig mit einer Axt oder einem Beil zugesetzt. Aus dem einen hatte er eine kleinkalibrige Pistole entnommen und aus dem anderen die Munition dazu. Offenbar hatte er gewusst, dass Waffe und Munition getrennt aufbewahrt werden müssen.

Dennoch: Ein Profi war das nicht, dachte Greta.

Für diese Vermutung sprach, dass er sämtliche wertvollen Gegenstände in der Villa unberührt gelassen hatte. Die Pokale, die Medaillen, eine Münzsammlung, die auf dem freien Markt einige Tausend Euro eingebracht hätte – alles befand sich noch an den angestammten Plätzen. Und es war relativ eindeutig, dass sich der Täter in dem Haus der Familie Seitz gut ausgekannt hatte und wusste, an welchen Stellen er suchen musste.

Die Befragung des Hausherrn und seiner Gattin hatte keine Anhaltspunkte ergeben. Sie waren zum Zeitpunkt der Tat bei einer Lesung in der Stadtbibliothek gewesen. Und leider gab es auf dem Seitz’schen Anwesen keine Alarmanlage.

»Bei ons gibt’s doch nix Rechts zum hola. Für des bissle Gruschd lohnt sich der Aufwand net«, hatte Kurt Seitz Gretas Frage abgeschmettert. »Außerdem isch mei Frau so dappig, die dät andauernd die Sirene auslösa.«

Während er seine Freude über den eigenen Witz hinausgluckste, hatte seine Gattin neben ihm gestanden und süßsauer gelächelt.

Auch die Befragung der Nachbarschaft hatte keine Anhaltspunkte gebracht. Niemand hatte etwas gesehen oder gehört.

Nach dem Mittagessen gehe ich mal im Labor vorbei und mache denen ein bisschen Feuer unter dem Hintern, dachte Greta, schlug die Akte zu und begab sich in Richtung Kantine.

»Was haben Sie denn an vegetarischen Gerichten?«

Greta wusste inzwischen, dass es eigentlich überflüssig war, den Kantinenpächter Amesmaier danach zu fragen. Vegetarier oder gar Veganer deklarierte er als persönliche Feinde, er hielt Menschen, die sich so ernährten, für pervers.

»Kässpätzle könnet Se han«, lautete seine Antwort.

»Ich ernähre mich seit drei Wochen fast ausschließlich von Kässpätzle. Und heute ist mir nicht danach. Haben Sie noch etwas anderes?«

Amesmaier rührte mit seiner Schöpfkelle in dem Behälter mit Soße und sah sie angriffslustig an. »No esset Se halt an Salat. Onser Kartoffelsalat isch ganz frisch.«

»Ja klar, den Sie sicher mit Fleischbrühe angemacht haben.«

»Jo freilich, wie denn sonschd?«

Der Küchenchef wischte sich die Hände an der nicht mehr ganz sauberen Kochjacke ab. Greta stöhnte. Er begriff es einfach nicht.

»Dann geben Sie mir ein Käsebrötchen.«

»Die sen aus.«

»Meine Güte, gibt es wenigstens einen Apfel?«

»Hem mer heut net. Heut gibt’s Rote Grütze zum Nochtisch.«

»Die natürlich mit Gelatine gemacht ist. Und somit für Vegetarier auch ausscheidet.«

»Do isch bloß Obschd dren ond koi Floisch.«

Greta verzichtete darauf, Amesmaier über den Zusammenhang von Gelatine und Rinderknochen aufzuklären. Ihr knurrte der Magen, außerdem war es verplemperte Zeit, dem Koch etwas über die vegetarische Esskultur zu erläutern. Selbst wenn er es verstanden hätte, würde er nicht von seinem bisherigen fleischgerichtsatten Speiseplan abweichen.

»Na gut, dann nehme ich die Kässpätzle«, seufzte sie.

»Warom et glei so«, antwortete der Kantinenchef und schöpfte mit der Kelle, die eben noch in Soße gebadet hatte, die gelbe, schleimige Masse auf einen Teller. Wortlos nahm die Hauptkommissarin ihn in Empfang.

Ganz ruhig bleiben, befahl sie sich und nahm sich fest vor, am nächsten Tag das Essen von zu Hause mitzubringen.

Ihr Mobiltelefon klingelte. Greta schob den Teller, den sie nur halb geleert hatte, zur Seite und nahm ab. Kriminalrat Seidel atmete schwer.

»Zwei Badegäste haben eine männliche Leiche am See bei Ummendorf gefunden. Das Opfer weist offenbar eine Schusswunde auf und war in einem Sack verpackt. Unfassbar.«

»Okay, ich fahre sofort hin.«

Greta notierte sich die Adresse des Fundorts, wollte aufspringen und besann sich dann doch einer gemächlicheren Bewegung, zumal die Kässpätzle im Magen zu einem mächtigen Gebilde aufgequollen waren, dessen Gewicht sie in den Stuhl drücken wollte. Auf dem Weg zum Ausgang sah sie Schneider mit Kollegen an einem Tisch sitzen. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Wir haben einen Fall. Ein Toter am Badesee bei Ummendorf. Erschossen. Wir müssen da sofort hin.«

»Ein erschossener Toter? Och Mönsch, ich esse doch gerade«, maulte Schneider und sah sein fast unberührtes Schnitzel wehmütig an.

»Dann nehmen Sie halt das Stück totes Tier mit«, grantelte Greta. »Aber wehe, Sie krümeln damit im Dienstwagen rum. Dann sorge ich dafür, dass Ihnen die nächste Innenreinigung in Rechnung gestellt wird.«

Schneider grummelte noch ein paar Flüche in seinen nicht vorhandenen Bart, warf sein Besteck auf den Teller und folgte ihr.

Durch und durch Schwabe, dachte Greta. Dieser Schneider hungerte lieber, als die Kosten für eine Autoreinigung zu übernehmen.

Am Ufer des Sees waren die Kolleginnen und Kollegen der Spurensicherung schon zugange. Es wurde fotografiert, jeder Grashalm umgedreht, nach Haaren, Hautschuppen, Zigarettenkippen, Fußspuren, nach Kleinigkeiten gesucht, die einen Hinweis auf den Täter geben konnten. Greta blinzelte gegen die blendende Maisonne an, die alle Pflanzen und Gegenstände zum Leuchten brachte.

Sie kroch unter dem Absperrband hindurch, bewegte sich auf die Spurensicherer zu, kniete sich neben den Mann, der die Leiche untersuchte, und stellte sich vor.

»Oliver Raible von der Gerichtsmedizin in Ulm«, erwiderte der Mittdreißiger, der in seinem weißen Schutzanzug ein wenig wie ein Spermium aus Woody Allens Film »Was Sie schon immer über Sex wissen wollten …« aussah.

Greta Gerber nickte anerkennend. Trotz der längeren Anreise war er noch vor der Polizei vor Ort.

»Sie sind wohl hergeflogen. Respekt«, sagte sie.

Raible lächelte. »Ich wohne in Biberach, daher musste ich meine Flugkünste nicht unter Beweis stellen.«

»Lässt sich schon etwas über die Todesursache und den Zeitpunkt der Tat sagen?«

Raible drehte den Kopf des Opfers zur Seite. Greta kämpfte angesichts der klaffenden Wunde an der rechten Schläfe mit dem Würgereiz, und auch Schneider nahm eine Gesichtsfarbe an, die ihm mühelos einen Nebenjob in einer Geisterbahn verschafft hätte.

»Ich würde sagen, Kopfschuss mit einer kleinkalibrigen Pistole aus nächster Nähe. Und vorher hat er mit einem schweren Gegenstand offenbar eins übergebraten bekommen. Der Todeszeitpunkt liegt schon ein paar Tage zurück. Mehr kann ich erst …«

»Nach der Obduktion sagen«, ergänzte Greta den Satz.

Raible schnitt eine Grimasse. »Na ja, er lag eine ganze Weile im Wasser. In diesem weißen Plastiksack hat er gesteckt, der wahrscheinlich mit Steinen beschwert war, um ihn am Grund zu halten. Irgendwann ist das Plastik gerissen und er wurde nach oben geschwemmt. Ein Glück, dass noch nicht so viele Badegäste hier sind.«

Greta schauderte bei dem Gedanken, dass planschende Kinder den Toten hätten entdecken können. »Haben wir die Tatwaffe?«

Raible schüttelte den Kopf. »Die Taucher sind bestellt und werden den See absuchen.«

»Hatte das Opfer Papiere bei sich?«

Erneut verneinte der Mediziner. »Keine Brieftasche, keine Papiere. Er hatte lediglich ein bisschen Kleingeld dabei.«

»Wer hat ihn gefunden?«

»Die zwei Athleten da drüben.«

Raible wies mit dem Kopf nach links.

Greta sah zwei übergewichtige Männer in Badehose auf einer Bank sitzen, die einem Polizisten Rede und Antwort standen. Sie ging zu ihnen, stellte sich vor und begann mit der Befragung.

»Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen?«

»Mir waret beim Schwemma und hen den Sack g’seha ond na hab i zum Markus g’sagt: Guck amol, da schwemmt a Gugg. Do hen welche wieder ihren Gruschd ens Wasser g’schmissa. I sag’s Ihne, i ben ganz fertig.«

Greta sah Schneider Hilfe suchend an.

»Die beiden haben den Sack, in dem sich der Tote befand, im Wasser treiben sehen und waren der Meinung, dass da Umweltsünder Unrat entsorgt haben. Er ist sehr aufgewühlt«, übersetzte ihr Assistent.

»Ja, ond dann hem mir die Gugg rausg’fischt ond no isch ons erschd an Chrischtboom uffganga.«

»Chrischtboom«, wiederholte die Hauptkommissarin Greta Gerber tonlos, Schneider verdrehte die Augen.

»Sie haben den Sack an Land gebracht und haben entdeckt, welch brisanter Inhalt in ihm steckt. Da sei ihnen ein Licht aufgegangen.«

Sie nickte und gab dem Sprecher der beiden ein Zeichen fortzufahren.

»Der Markus isch dann zum Bademoischder g’wetzt ond hot d’Polizei angrufa.«

Schneider holte Luft, um zur Übersetzung anzusetzen, doch Greta stoppte ihn mit einer Handbewegung. »Haben Sie etwas angefasst?«

»Ag’langt hem mer nix.«

»Was?«

»Nein, hat er gesagt.«

Greta wandte sich an den Polizisten, der alles eifrig mitnotiert hatte.

»Nehmen Sie die Personalien der beiden Herren auf und versuchen Sie, ein Porträt des Toten anzufertigen. Also eines, das ihn unversehrt zeigt. Es ist davon auszugehen, dass wir einen Aufruf über die Medien machen müssen, und wir wollen die Bevölkerung ja nicht schocken. Und Sie, Herr Schneider, fahren ins Büro zurück und sehen den Ordner mit den Vermisstenanzeigen durch. Vielleicht befindet sich dieser Herr ja darunter.«

Schneider schnaubte empört. »Und was machen Sie?«

»Ich sehe mich hier noch ein bisschen um. Die Frage ist, wie konnte der Täter die Leiche hierherbringen? Das Gelände ist doch eingezäunt.«

»Aber et überall«, meldete sich einer der beiden Badegäste. »Dohenta, beim Angel- und Gewässerschutzverei, da kommt mr ans Ufer. Isch aber verbota.«

Da hat sich der Täter wohl mehrfach strafbar gemacht, dachte Greta.

Als sie drei Stunden später das Büro betrat, bereitete sich Denis Schneider gerade auf seinen Feierabend vor. Die blonden Haare hatte er nach hinten gegelt, eine schwere Duftwolke umwaberte seine Gestalt, seine Alltags-Uniform hatte er gegen ein blaues Poloshirt, eine ockerfarbene Chino-Jeans und Sneakers mit Troddeln getauscht. Vor allem Letzteres empfand Greta Gerber als schweren Verstoß gegen jegliche Ästhetik. Die Bommel an den Schuhen, ein Symbol der 80er, dieser Dekade, in dem sich nahezu jeder modemäßig zum Affen gemacht hatte, hatten in dieser Zeit nichts zu suchen. Oder sollte tatsächlich die Rückkehr zu Schulterpolster und Dauerwelle auf der Agenda der Modeschöpfer stehen?

»Wo wollen Sie denn hin?«

Schneider richtete den Kragen seines Shirts und sah sie erstaunt an.

»Es ist Freitagabend. Ich gehe zum Fußball. Wieso?«

Greta konnte es nicht fassen. Sie hatte sich schon oft mit der oberschwäbischen Gemütlichkeit konfrontiert gesehen, vor allem in Dienstleistungsbereichen wie Restaurant, Bäckereien und Ämtern, aber dass der Kollege eine solche Wurstigkeit bei einem Mordfall an den Tag legte, sprengte alle Grenzen. Sie musste sich beherrschen, damit sie nicht die Contenance verlor.

»Haben Sie irgendeinen Hinweis auf die Identität des Opfers gefunden?«, fragte sie gedämpft.

»Nein, es wird im Moment niemand im näheren Umkreis vermisst.«

Schneider besah sich im Spiegel, strich mit der Hand über seine gebändigte Haarpracht und nickte selbstgefällig.

»Ist das Bild von dem Toten fertig?«

»Liegt auf Ihrem Schreibtisch.«

Greta betrachtete das Bild des Mannes genauer. Der Vollbart konnte seine markanten Züge nicht kaschieren, seine braunen Augen lagen tief in den Höhlen. Sie starrten leblos in die Ferne, es waren die Augen eines Avatars, an einer Maschine rekonstruiert, der Natur lediglich nachempfunden. Und dennoch war das durch und durch ein Mensch, der hier abgebildet war. Die Haare waren eindeutig gefärbt, das Schwarz wies einen deutlichen Blaustich auf.

»Das Foto ist schon an die Medien raus. Es wird in den Regionalnachrichten gesendet, und die Zeitung wird es morgen auch drucken. Außerdem hat der Chef mich gebeten, Ihnen auszurichten, dass er morgen eine Pressekonferenz geben will. Er möchte, dass Sie dabei sind.«

Greta schluckte. Sie war nicht unbedingt erpicht darauf, mit Journalisten zu sprechen, die ihrer Meinung nach nur auf eine Schlagzeile aus waren. Diese Typen lauerten doch nur auf eine Chance, der Polizei irgendeinen Ermittlungsfehler nachweisen zu können, um die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken zu versetzen. Sie schüttelte den Gedanken ab.

»Und wer verfolgt Ihrer Meinung nach die Hinweise, die wir durch den Aufruf bekommen?«

Gretas Stimme klang aggressiver, als sie es wollte.

Schneider sah sie an, als hätte sie ihm eröffnet, er könne nun mit der Raumreinigung beginnen.

»Frau Behrmann ist noch da. Und Sie. Sie leiten doch die Ermittlungen. Außerdem bin ich jederzeit zu erreichen. So wie gestern, als ich Sie von Ihrem Date erlöst habe.«

Er zog sein Smartphone aus der Tasche und hielt es in die Höhe.

Greta spürte, dass hinter Schneiders Zynismus noch etwas anderes steckte. Er verhielt sich ihr gegenüber korrekt, aber nicht kollegial, befolgte ihre Anweisungen mit Unmut, machte nicht mehr als nötig. Dienst nach Vorschrift nannte man das wohl, aber diese Einstellung war bei der Polizei, und erst recht bei einem Mordfall, mehr als fehl am Platz.

Greta änderte die Strategie. »Herr Schneider, ich weiß, das ist neu für Sie. Aber wir haben es mit einem Mord zu tun, ich brauche Sie hier. Und sei es nur, um mir die Anrufe zu übersetzen.«

Sie lächelte, um die Scherzhaftigkeit der Bemerkung hervorzuheben, doch ihr Kollege hatte den Humor offensichtlich bereits in den Feierabend geschickt.

»Ich bin Polizist, nicht Übersetzer. Und ich bin auch nicht der, der die gesamte Drecksarbeit macht. Außerdem bin ich dienstlich im Stadion.«

Er schnappte sich seinen Lederblouson vom Garderobenständer, schlüpfte in einer fließenden Bewegung hinein und klopfte sich mit dem Zeigefinger auf die Brust.

»Das Bild des Toten habe ich natürlich bei mir. Vielleicht kennt einer der rund 5.000 Fans des 1. FC Oberschwaben das Opfer. Ich muss los, damit ich noch alle befragen kann.« Er lächelte schief und verschwand.

Greta starrte dem Kollegen mit offenem Mund hinterher, dann ließ sie sich auf ihren Schreibtischstuhl sinken.

»Herzlich willkommen in Biberach«, seufzte sie.

Goettle und der Kaiser von Biberach

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