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»Und jetzt konzentriert euch. Der Atem fließt direkt in eure Muskeln, der Körper ist angespannt. Bündelt eure Energie und nehmt sie mit in den Schlag. Eure Hände werden zu geschärften Äxten, die sich butterweich durch das Holz arbeiten.«

»Jetzt leg scho des Brettle na. I han a g’scheite Wuat, da muss i koi Energie mehr bündla, um Kleinholz draus zum macha.«

Karatetrainer Daniel Bischoffsberger öffnete die Augen und sah den Eleven strafend an, der es gewagt hatte, seine Konzentrationsphase auf das Empfindlichste zu stören.

Andreas Goettle erwiderte seinen Blick in seiner ureigenen Weise, die man fast als rebellisch bezeichnen konnte. Es hatte keinen Zweck, den etwas untersetzten Mittfünfziger mit hohem Haaransatz, dessen dunkle Augen unter buschigen Brauen angriffslustig funkelten, zurechtzuweisen. Goettle, der in seinem weißen Kampfanzug wie eine unkolorierte Version seines sonstigen Erscheinungsbilds wirkte – schließlich trug er als katholischer Gemeindepfarrer von Biberach ausschließlich schwarze Kleidung –, ließ sich von nichts und niemandem in die Schranken weisen, und schon gar nicht, wenn er im Harnisch stand.

Bischoffsberger seufzte, legte ein Holzbrett auf die dafür vorgesehene Vorrichtung, machte eine einladende Geste und überließ dem Geistlichen mit dem blauen Gürtel den Vortritt. Mit stoischer Miene und ausgeprägter Zornesfalte auf der Stirn brachte sich Goettle in Position, presste die schmalen Lippen aufeinander, holte mit dem rechten Arm weit aus und zerschmetterte unter dem Ausstoß eines wilden Schreis – der sich rein lautmalerisch an der Kante eines beliebten schwäbischen Fluchs entlanghangelte – das Brett. Die anderen Karateschüler applaudierten.

»Reschpekt, Herr Pfarrer. Des Brettle hot koi Schahs ghet«, befand Renate Münzenmaier, mit 65 Jahren die älteste Teilnehmerin des Kurses. Eigentlich hatte die rüstige Dame gar keine Karateausbildung nötig. Sie hatte eine Zunge, die schärfer war als eine geschliffene Axt. Wenn sie sich in eine ihrer gefürchteten Litaneien hineinsteigerte, dann ermüdete jegliches Material. So sah es zumindest Andreas Goettle, der sich tagtäglich mit seiner Haushälterin konfrontiert sah und sich nicht selten ihrer bissigen Angriffe erwehren musste.

»I kann mir des scho denka, wem der Schlag g’olta hot«, krächzte die agile Seniorin und kicherte. Wenn sie lachte, dann schien es, als rollte eine Welle durch ihren massiven Leib, die sich langsam von unten ausdehnte, Bauch und Busen ergriff und schließlich den Kopf zum Wackeln brachte. 94 Kilogramm, ohne Schuhe.

Die anderen Karateschüler grinsten. Es war ein offenes Geheimnis, dass es vor allem einer war, der das Blut des Gemeindeseelsorgers in Wallung bringen konnte. Landrat Helmut Mössinger. Durch seine unbestreitbare Nähe zur Industrie – schließlich hatte er lange die Geschicke der IHK geleitet – förderte er so ziemlich jede Idee, die das Zeug hatte, das oberschwäbische Idyll aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken. Auf sein Geheiß wurden Wellness-Tempel inmitten von Naturschutzgebieten errichtet und für den Stadion-Neubau des 1. FC Oberschwaben vor den Toren Ummendorfs waren mehrere Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche vernichtet worden. Mobilfunkmasten und Windräder wurden in die Landschaft gesetzt, als gälte es, sein Revier zu markieren. Die Steuergelder wurden mit offenen Händen ausgegeben, als kämen sie aus einer nie versiegenden Quelle, und selbst Umweltschützer und Naturfreund Goettle hatte wenig Verständnis für die sündhaft teure Errichtung der beiden Fledermausbrücken, die über die Nordwestumfahrung führten. Offenbar wollten auch die kleinen Vampire nicht mit dem Bauwerk in Verbindung gebracht werden, denn bislang nutzten sie es so gut wie nicht.

Für Andreas Goettle war jeder Eingriff in die Schöpfung eine unverzeihliche Sünde. »Niemand vergeht sich ungestraft am Werk Gottes«, lautete seine Devise, und wann immer Landrat Mössinger mit einer neuen Idee aufwartete, scharte der rührige Geistliche Oppositionelle um sich, um einen Sturm der Revolte anzuzetteln. Mal mit Erfolg, mal ohne.

»Welche Idee ist es denn dieses Mal, die dich so aufbringt, Andreas?«, erkundigte sich Daniel Bischoffsberger. Ihm war klar, dass er das Training so nicht fortführen konnte. Der aufgebrachte Pfarrer würde jede Gelegenheit nützen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Goettle strich sich mit der linken über die schmerzende Schlaghand und verzog das Gesicht. »I sag bloß oins: Fracking. Der Siach verhandelt mit a paar Engländer, die hier in der Region nach Erdgas sucha wellet. Dabei presset se an Haufa Gift in de Boda, damit Risse em Stoi entstandet ond des Gas entweicha kann. Des Gift hemmer dann au em Trinkwasser, ond irgendwann laufet mir älle mit zwoi Köpf rum.«

»Bloß net. Bei meiner Migräne halt i des net aus«, warf Renate Münzenmaier ein.

Der Karatelehrer legte seinem Schüler die Hand auf die Schulter und hoffte, ihn durch diese versöhnliche Geste beruhigen zu können.

»Ja, wir haben alle gesehen, wie sehr dich das aufregt. Aber du solltest dich da mehr aus der Energie nehmen.«

Goettle betrachtete einen Moment lang die zwei Hälften des Brettes, das er eben zerschlagen hatte, und senkte mit schuldbeladener Miene den Kopf, als wollte er das Holz um Verzeihung bitten.

»’s isch doch wohr. Die machet älles he, als dät denne älles g’höra. Und des bloß, weil der Schofsegg… des verirrte Schaf seinen Hals net voll g’nuag kriaga kann. Ond sei Kumpel, der Erlbacher von der Sparkass, isch sofort mit a paar Milliona dabei.«

»Das stimmt. Aber wenn unsereins einen Privatkredit will, dann wird erst ein umfangreiches Rating durchgeführt, bei dem immer nur ein Ergebnis herauskommt: Nix gibt’s«, meldete sich Eleni Theadopoulo zu Wort.

Die Deutschlehrerin mit griechischen Wurzeln am Pestalozzi-Gymnasium gehörte einer Vereinigung von Naturschützerinnen an, die sich den exotischen Namen »Grüne Minnen Oberschwaben« gegeben hatten. Zehn Damen hatten sich zu einer schlagkräftigen Truppe zusammengerottet, die, wann immer sich die Gelegenheit bot, durch Störaktionen von sich reden machte. Besonders unter dem Engagement der Frauen zu leiden hatte der Erlebnistierpark Jägerhof in Pfullendorf. Bereits drei Mal war es ihnen gelungen, nächtens einzudringen und die Tiere aus ihren Stallungen zu befreien. Sehr zur Freude von Pfullendorfs Bevölkerung, die sich kräftig amüsierte, als ein Lama in die Bäckerei Schockenrieder hineinspazierte und eine ordentliche Pfütze auf den Streuselkuchen aus eigener Herstellung spie. »Des Tierle hot halt G’schmack«, hieß es da, und: »Des war’s erschde Mol, dass der Kucha net furztrocka war.«

Die Ordnungshüter wiederum hatten für die Aktionen der Widerständlerinnen kein Verständnis. Einen ganzen Tag lang pirschten sie Hasen, Meerschweinchen, einem Esel und drei Ponys hinterher, die den Verkehr in der Stadt lahmlegten.

Eigentlich wäre ein Diener des Herrn, wie es Pfarrer Goettle nun mal war, zu mehr Neutralität verpflichtet gewesen, aber er unterstützte die »Minnen«, so gut er konnte. Und wenn er nur während seiner leidenschaftlichen Sonntagspredigten in St. Frieder zum Sympathisantentum aufrief.

»Oifach mol a bissle mitdenka«, brüllte er die Kirchgänger zuweilen an, wenn sie ihm zu viel Lethargie an den Tag legten. »Au mol nolanga. Wenn der liebe Gott g’wollt hätt, dass ihr bloß bled guckat, no dätet ihr als große Glotzbebbel durch die Landschaft kugla. Er hot euch aber au a Hirn geba, ond des darf mr au mol benutza.«

Gleichgültigkeit, Diplomatie oder Zurückhaltung gehörten nicht zum Portfolio der Eigenschaften, die Goettle in sich vereinte. Er war einer, der sich einmischte, der den Menschen Hoffnung gab, der in seinem Leben viel bewirkt hatte. Schon als Schüler hatte er sich in der Katholischen Kirchenjugend engagiert. Er hatte sich für die Belange von älteren oder sozial schwachen Menschen eingesetzt und damit den Grundstein für sein Engagement in praktizierter Nächstenliebe gelegt. Als Referendar hatte er die Friedensaktivitäten der katholischen Kirche in der ehemaligen DDR begleitet, und später zog es ihn in die Favelas von Rio de Janeiro, in denen er Schulen aufgebaut hatte.

Andreas Goettle war einer, der seinen Worten Taten folgen ließ. Wenn er verkündete, dass es an der Zeit sei, die Kindertageseinrichtung im Ort auf Vordermann zu bringen, dann stand er am nächsten Morgen mit seinem Werkzeugkasten vor der Tür und legte Hand an. Wenn er den Senioren im Altenstift versprach, einen Ausflug zu organisieren, den sie so schnell nicht vergessen sollten, dann konnten die Damen und Herren schon die Rucksäcke packen. Die Bierverkostung in der Schussenrieder Brauerei vor einigen Jahren war noch allen Beteiligten in bester Erinnerung geblieben, zumal sich der Geistliche einen Zweiliterkrug aus dem Bierkrugmuseum mit Gerstensaft füllen ließ und diesen tatsächlich in einem Zug leerte. Ja, Andreas Goettle wusste, wie man sich Respekt bei den Gemeindemitgliedern verschaffte. Und demzufolge war er auch sehr beliebt. Anders konnte man es wohl nicht erklären, dass er seit Jahren den Beinamen »Liebs Herr Goettle von Biberach« hatte.

Goettle und der Kaiser von Biberach

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