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Die Verwandlung der Welt nach Alexander

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Als Alexander im Jahr 356 geboren wurde, war seine makedonische Heimat eine in ihrer staatlichen Existenz stets gefährdete und von Feinden bedrohte Mittelmacht. Die griechische Poliswelt prägte immer noch das politische Geschehen in der Ägäis, und über allen stand das Perserreich als die dominierende Weltmacht. Als er im Jahr 323 starb, waren Makedonien die stärkste Macht seiner Zeit, Griechenland ein Anhängsel Makedoniens und das Perserreich bloße Makulatur geworden. Eine raschere und radikalere Verwandlung der politischen Landkarte der alten Welt, wie sie sich unter Alexanders Einfluss innerhalb von etwa elf Jahren vollzogen hat, ist schwer vorstellbar. Dazwischen lag ein beispielloser Kriegszug, in dessen Verlauf die aus Makedonien und Griechenland ausgezogenen Gefährten Alexanders ein Gebiet eroberten, das sich von der unteren Donau bis zum Indus, vom Nilland bis zur Arabischen Wüste, vom Roten Meer bis zum Kaukasus erstreckte.

Zu einem Einheitsstaat ist die enorme und heterogene Landmasse, die Alexanders Befehlsgewalt unterstand, keinesfalls verschmolzen. Vielmehr bildeten diese Länder ein buntes Mosaik von Territorien mit unterschiedlichen ökonomischen Strukturen (phönikische Handelsrepubliken, Agrarland Ägypten, Nomadenwirtschaft im iranischen Hochland), Staatsformen (griechische Poleis, mesopotamische Tempelstaaten, Territorialstaaten in Makedonien, Ägypten, Lydien, Karien, baktrische Stammesgesellschaften), Religionen (griechischer Olymp, ägyptische Gottheiten, babylonischer Mardukkult, zoroastrische Lehre), Sprachen (Griechisch, Ägyptisch, Aramäisch, Persisch) und Rechtsordnungen. Eine Verzahnung der makedonischen und persischen Eliten mag Alexander als das Gerüst seiner Staatsgründung vorgeschwebt haben. Doch trotz mancher Versuche konnte es zu keiner Assimilation kommen, und sein plötzlicher Tod machte ohnehin derartige Ansätze zunichte. Die Zukunft des Eroberungswerks hing von der Haltung der makedonischen Führungsschicht ab.

Über Nacht mussten Alexanders Gefährten die Herrschaft über ein immenses Territorium übernehmen. Da es keinerlei Vorkehrungen für den Ernstfall gegeben zu haben scheint, reagierten die Beteiligten hektisch auf das plötzlich eingetretene Machtvakuum. Perdikkas trat als Sprecher der makedonischen Kriegerelite auf. Er fühlte sich dazu legitimiert, weil er den Siegelring vom sterbenden König erhalten hatte.1 Sein Vorschlag, den noch ungeborenen männlichen Nachkommen Alexanders von der iranischen Fürstentochter Roxane als Nachfolger anzuerkennen – tatsächlich gebar sie kurz darauf einen Sohn –, lief auf die Einsetzung eines Regentschaftsrates hinaus.2 Dieser Schachzug, der den Interessen des makedonischen Adels entgegenkam, bedeutete faktisch eine Vertagung der Nachfolgeregelung. Dagegen opponierten die Fußtruppen, die Alexanders Bruder Philipp Arrhidaios als König favorisierten.3 Nach heftigen Kontroversen einigte man sich auf eine Doppelbesetzung des makedonischen Throns.4 Alexander IV. und Philipp III. Arrhidaios verkörperten eine Verlegenheitslösung, deren Brüchigkeit bereits bei ihrem Zustandekommen kaum verhehlt werden konnte.

Dadurch wurde der Zusammenhalt der eroberten Gebiete in Frage gestellt. Da weder Alexander IV. noch Philipp Arrhidaios als regierungsfähig galten, gestaltete sich die Besetzung der Leitungspositionen zu einem erbitterten Wettbewerb, der unter der makedonischen Militäraristokratie entschieden wurde.5 Wie zu erwarten, war dieser Streit um die Macht kaum auf friedlichem Weg zu lösen. Daher sind die Jahre nach Alexanders Tod ausgefüllt von militärischen Auseinandersetzungen und wechselnden Allianzen zwischen seinen Nachfolgern, den Diadochen, im Wettlauf um die Herrschaft über den Orient, Makedonien und Griechenland.

Eine Generation lang wüteten unzählige Kriege. Die Diadochen hoben ständig Heere aus, führten sie von einem Kampfplatz zum nächsten, verwüsteten und plünderten Landschaften, Städte und Tempel. Anarchie beherrschte die politische Szene in Ost und West. Fast jährlich änderten sich die Konstellationen. Oberstes Ziel der Kriegsherren war zunächst der Besitz eines möglichst großen Areals der unter Alexander eroberten Länder, um so eine günstige Ausgangsposition für die weitere Ausdehnung des eigenen Herrschaftsbereiches zu gewinnen. Darüber, wie die krisengeschüttelten politischen Verhältnisse zu gestalten seien, gab es unter Alexanders Weggefährten konträre Auffassungen. Antipater, Polyperchon und Eumenes6 versuchten die Reichseinheit unter der schwachen Oberherrschaft der verbliebenen Verwandten Alexanders zu retten.7 Dagegen wandten sich Perdikkas und Antigonos, die selbst zu regieren beanspruchten.8 Schließlich erstrebten Seleukos, Lysimachos, Ptolemaios und Kassander eigene Teilherrschaften.9 Diese miteinander konkurrierenden Zielsetzungen waren die Ursache für die nach Alexanders Tod ausgebrochenen Konflikte, die erst mit der Schlacht von Kurupedion 281, die das Ende der Diadochenkriege markiert, halbwegs befriedigend entschieden werden konnten.10

Rückblickend lässt sich die Diadochenära in zwei unterschiedliche Phasen einteilen. Die erste umfasste die blutigen Kämpfe um Land und Herrschaft. Der Wettstreit der einzelnen Monarchen um die Hegemonie bestimmte die zweite Phase. War es im Alexanderreich gelungen, große Teile der westlich-orientalischen Welt unter einer allgemein anerkannten Leitung zusammenzufassen und damit einen Schritt zur Verwirklichung einer im Osten keineswegs fremden Universalmonarchie zu vollziehen, so stellten die Diadochenreiche das Gegenteil davon dar. Partikularismus und gegenseitige Rivalität erwiesen sich als die bestimmenden Merkmale des hellenistischen11 Staatensystems.

Der äußere Glanz der Expeditionen Alexanders konnte nicht verhindern, dass vieles Stückwerk geblieben war und dass den Diadochen die Bewahrung der Reichseinheit misslang. Zu sehr waren die heterogenen politischen Verhältnisse in den eroberten Territorien nur durch die charismatische Person Alexanders verklammert worden, als dass einem anderen die Nachfolge glücken konnte. Die Gründe für die Desintegration des Reiches sind nicht nur bei den in Frage kommenden Erben Alexanders zu suchen. Sie lagen vor allem in den Methoden seiner Herrschaftsausübung begründet, die von der Kooperation zwischen den makedonischen und persischen Eliten abhing, aber stets auf Skepsis bei der makedonischen Führungsschicht gestoßen war. Zeitweise schien es zwar, als ob die unnachgiebige Haltung Alexanders seine Kritiker zum Einlenken bewogen habe, wie beim Versöhnungsfest in Opis. Doch dies geschah aus Loyalität zum König, keineswegs aus Überzeugung. So war es nur folgerichtig, dass nach Alexanders Tod der Idee eines makedonisch-persischen Imperiums eine Absage erteilt wurde. Die Westorientierung setzte sich durch. Die Folgen dieses Tauziehens waren nicht nur weitreichend für die Konstituierung des künftigen Herrschaftsgebietes, sondern auch für die nachträgliche politische Ausrichtung; denn das Schwergewicht verschob sich von den orientalischen Machtzentren Babylon, Susa, Persepolis und Ekbatana nach Westen. Die Ägäis verwandelte sich in der Diadochenzeit zum Gravitationszentrum der hellenistischen Politik: Pella, Ephesos, Pergamon, Rhodos, Seleukia, Antiochia am Orontes oder Alexandria am Nil werden die Mittelpunkte der hellenistischen Welt.12

In Anlehnung an die makedonische und persische Regierungspraxis setzte sich die Monarchie als Staatsform in den neu gegründeten Staaten durch.13 Der König herrschte darin weitgehend uneingeschränkt. Vielerorts genoss er göttliche Verehrung. Das eroberte Land und die Menschen gingen in sein Eigentum über, das er nach Gutdünken mit treu ergebenen Gefolgsleuten teilen konnte. Damit wurde freilich der verfügbare Besitz erheblich geschmälert. Legitimiert wurde der Thronanspruch einer Dynastie durch Eroberung und Inbesitznahme des Landes oder, wie es in der Anfangszeit vorkam, durch Berufung auf eine besondere Nähe zu Alexander. So bemächtigte sich Ptolemaios des Leichnams Alexanders, um ihn in Memphis beizusetzen14, wodurch er bei den Makedonen Ansprüche auf dessen Nachfolge geltend machen konnte, um die Herrschaft seiner Dynastie über Ägypten zu legitimieren. Andere Prätendenten versuchten ebenfalls durch den Verweis auf enge Beziehungen zu Alexander oder durch ihre Zugehörigkeit zum makedonischen Adel eine weitere Legitimationsquelle für ihre Ambition anzuführen, da die Heeresversammlung ein gewichtiges Mitspracherecht bei der Anerkennung eines Herrschaftsanspruches besaß.15


Abb. 2: Reiterstatuette des Ptolemaios II. Philadelphos (283–246).

Alexanders Vorbildfunktion lässt sich an einer König Ptolemaios II. Philadelphos zugeeigneten Reiterstatuette deutlich ablesen. Im Gesicht des Reiters tritt ein „alexanderhaftes Aussehen“ zutage: Jugendlichkeit, Fernblick und gelocktes Haar.16 Wir sehen ferner nur den Reiter – das Pferd ist verloren –, der eine Elefantenhaut über die Brust geknotet und über den Kopf sowie den linken Arm geschwungen hat. Bereits auf Münzprägungen Alexanders finden wir das Motiv der Elefantenhaut, die den von Haar umschlossenen Kopf verdeckt. Der Elefant signalisiert als Tier des Dionysos, dass der Herrscher, der sich seit Alexander als neuer Dionysos begriff, unbesiegbar war. Gleichzeitig wurde durch die sichtbare Nähe des Abgebildeten zu dem Gott der mythische Überbau des hellenistischen Königtums sinnfällig zum Ausdruck gebracht.

Neben der Betonung einer nahen Beziehung zu Alexander waren vor allem die Kontrolle der Armee und die Leitung der Verwaltung die wesentlichen Stützen der hellenistischen Monarchien. Das Heer rekrutierte sich vornehmlich aus Makedonen und Griechen, die aus der Beute der eroberten Gebiete, etwa durch Landzuweisungen, entlohnt wurden. Die Arbeitskraft der ansässigen Bevölkerung, die von der Regierungsbeteiligung ausgeschlossen blieb, bildete die ökonomische Grundlage der neuen Staaten. Die Einheimischen mussten Steuern und Abgaben entrichten und wurden in politischer und ökonomischer Abhängigkeit gehalten. Sie lebten auf dem flachen Land, das häufig zu Gunsten der Stadt von der Regierungszentrale vernachlässigt wurde.17 Die Stadt war Mittelpunkt des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens.18 Die Königsresidenzen entwickelten sich zu den Brennpunkten der hellenistischen Reiche.19 Hier regierte der König, tagte der Kronrat, hier waren auch die Spitzen der Verwaltung und des Militärs angesiedelt. Dies führte zu einer Zentralisierung des politischen und ökonomischen Lebens sowie zur Konzentration des Kulturbetriebs auf die großen Metropolen. Anders als die Bewohner der klassischen Poliswelt war der Bürger einer hellenistischen Residenzstadt Untertan eines Territorialstaates.20

Hier fühlte man sich als Kosmopolit. In diesem Sinne konnte dann die stoische Philosophie die Zugehörigkeit aller Menschen zur Gemeinschaft der Weltbürger postulieren und in Anlehnung an platonische Lehrsätze einen Katalog entwickeln, der die Verhaltensnormen für den idealen Monarchen festlegte. Denn vom Königshaus gingen die wesentlichen Impulse aus. Im Auftrag der Herrscher errichteten Architekten schachbrettartig angelegte Städte nach dem Vorbild des Hippodamos von Milet, legten Wissenschaftler Sammlungen und Bibliotheken an, und ein Heer von Gelehrten schuf die Grundlagen für Philosophie und Naturwissenschaft der hellenistischen Ära, deren wichtigste Schulen bis in die römische Kaiserzeit hinein ihren Einfluss behaupten konnten. Die Abhängigkeit der Künste und Wissenschaften vom Monarchen wurzelte im Mäzenatentum der Herrscher, die nicht nur politisch und ökonomisch das Sagen hatten, sondern ebenso eine kulturelle Dominanz ihrer Residenz gegenüber den konkurrierenden Höfen anstrebten.21 Doch sosehr eine Vielzahl analoger Strukturen auf sämtliche hellenistischen Reiche zutraf, so gab es im Einzelnen große Differenzen. Ihre Lebensdauer war unterschiedlich, und in einigen von ihnen sind Sonderentwicklungen zu beobachten. Eines verband sie jedoch miteinander: Sie alle wurden im Verlauf des 2. und 1. Jahrhunderts eine Beute des aufstrebenden Rom, das auf dem Boden des einstigen Alexanderreiches sein Weltreich begründete.22

Die Machtkämpfe der Diadochen veränderten nicht nur die politische Landkarte des Vorderen Orients, sondern auch die des griechischen Mutterlandes. Sofern die Poleis nicht stark genug waren, um den Anfechtungen der Territorialmächte zu widerstehen oder in Form von Föderationen eine eigene Machtstellung aufzubauen, gerieten sie in die Abhängigkeit der Könige von Makedonien.23 Hier vermochte sich die von Antigonos begründete Dynastie zu behaupten. Dem war die Auslöschung von Alexanders Verwandten und Nachkommen vorangegangen. Zuerst wurde Philipp III. Arrhidaios im Jahr 317 beseitigt. Ein Jahr später ließ Kassander, um die Macht in Makedonien zu erlangen, Alexander IV. sowie Roxane in Gewahrsam nehmen und danach ermorden, womit die altmakedonische Königsdynastie erlosch.24 Herakles, der gemeinsame Sohn von Alexander und Barsine, fiel kurz darauf den Nachstellungen Polyperchons zum Opfer.25 Schließlich misslangen Kassanders Bemühungen, sich und seinem Haus die Herrschaft in Makedonien zu sichern. Erst nach heftigen Machtkämpfen vermochten die Nachkommen der Diadochen Antigonos, Demetrios und Antigonos II. die Herrschaft ihrer Familie im makedonischen Stammland zu begründen.26

Nachdem die Antigonidendynastie etabliert war, präsentierte sich Makedonien als ein konsolidiertes Staatswesen, das die seit Philipp II. bestehenden Hegemonieansprüche auf Griechenland aufrechterhalten konnte. Zudem verfügte es über ein unersetzliches Reservoir an Soldaten und Verwaltungspersonal für die Führungsebenen der hellenistischen Höfe. Dadurch erlangte das Antigonidenreich zeitweise eine Schlüsselstellung im Machtgerangel mit seinen Konkurrenten. Aufgrund seiner geostrategischen Lage kontrollierte Makedonien die Balkanhalbinsel und die Nordägäis.27 Die überkommenen gesellschaftlichen Strukturen behielten hier im Wesentlichen ihre Geltung. Damit erreichte die Kluft zwischen Hofstaat und Regierten nie das Ausmaß, das beispielsweise das Ptolemäerreich kennzeichnete. Seit der Regierung des Antigonos Gonatas (272–239) galt die Maxime vom Königtum als „ehrenvolle Knechtschaft“, eine Auffassung, die zweifellos auf stoische Einflüsse zurückging. Zahlreiche Gelehrte wie Zenon oder Hieronymos von Kardia pflegten freundschaftlichen Umgang mit dem makedonischen König, der seine Residenz in Pella zu einem kulturellen Zentrum ausbaute.28 Anders als das Seleukidenreich erlebte Makedonien keinen allmählichen Zerfall seiner einstigen Macht. Bis zum Vorabend der römischen Invasion vermochten die Antigoniden die territoriale Einheit und Größe ihres Staatsgebietes zu bewahren. Schließlich wurde Makedonien seine geographische Lage zum Verhängnis. Dem Ansturm der nach der Niederschlagung Karthagos übermächtigen römischen Republik konnte es nicht standhalten, und so wurde das Land als erster Nachfolgestaat Alexanders römische Provinz.29

Das Seleukidenreich, von Seleukos, einem Gefährten Alexanders, gegründet, war zunächst der größte hellenistische Flächenstaat. Es umfasste fast das gesamte frühere Perserreich. Die auf orientalische Verwaltungstradition zurückgehende Satrapieneinteilung wurde beibehalten.30 Doch förderte diese Dezentralisierung der Herrschaft – wie gegen Ende des Perserreiches – die Selbständigkeitsbestrebungen der Statthalter und verstärkte damit die Auflösungstendenzen. Das Seleukidenreich erwies sich als wesentlich schwieriger zu regieren als beispielsweise das zentral geleitete Ägypten oder Makedonien. Der Herrscherkult als ideologische Klammer der Zentralregierung konnte sich erst später als im Ptolemäerreich etablieren, da hier – im Gegensatz zum Pharaonenland Ägypten – die Herrscherapotheose nicht traditionell verwurzelt war.

Legitimiert wurde die Regierung der Seleukidendynastie durch das Recht des Siegers auf das eroberte Land.31 Zwar beanspruchte der König die Führungsfunktion, aber der Rat der Freunde, dem die Spitzen der Armee und Verwaltung angehörten, wirkte bei der Regierung des Landes mit. Die makedonisch-griechische Militärelite stellte die Oberschicht der äußerst heterogenen seleukidischen Gesellschaft dar. Ihre Angehörigen wohnten in den großen Städten des Landes wie Antiochia, Seleukia oder Ephesos beziehungsweise auf den Domänen, die das Rückgrat der Wirtschaft bildeten. Die seleukidische Reichspolitik war gekennzeichnet von den Versuchen ihrer Könige, den Orient zu gräzisieren. Als Werkzeug dazu diente eine nach Alexanders Vorbild gestaltete Siedlungspolitik. Zahlreiche Städtegründungen sollten griechische Kolonisten anlocken und durch einen Kranz von Militärstationen und Kulturzentren das erodierende Staatsgebiet schützen.32 Doch den zahlreichen zentrifugalen Kräften zeigte sich das Seleukidenreich auf Dauer nicht gewachsen. Schon in der Mitte des 3. Jahrhunderts gingen Baktrien und Parthien verloren.33 Um Koilesyrien mussten die Seleukiden einen langen Krieg gegen die Ptolemäer führen, der die Substanz des Reiches angriff und letztlich ergebnislos verlief.34 Das anschaulichste Beispiel der allmählichen Desintegration des Seleukidenreiches bot Judäa. Unter der Herrschaft Antiochos’ IV. Epiphanes (175–164), der ein Verfechter der Hellenisierung war, kam es wegen der Religionspolitik zu einem unerbittlich geführten Krieg mit den Juden. Als der König neben der Jahweverehrung den Zeuskult in Jerusalem einführen wollte, erhob sich der Widerstand der als Makkabäer bekannt gewordenen Hasmonäer, eines angesehenen Priestergeschlechts. Am Ende dieser Auseinandersetzung stand die Abtrennung der jüdischen Gebiete vom Seleukidenreich.35 In Kleinasien hatten sich schon vorher einige Territorien gelöst und unter Führung von einheimischen Dynasten ihre Selbständigkeit behauptet wie etwa in Galatien und Pergamon. Die größte Gefahr für die Integrität des Seleukidenreichs drohte aber vom Westen.36 Mit Roms Eingreifen in die politischen Verhältnisse der östlichen Mittelmeerwelt verkleinerte sich das Reich erneut und blieb schließlich auf den Besitz von Syrien beschränkt. Im Jahr 64 zogen die Römer die Konsequenz ihrer imperialen Eroberungspolitik. Gnaeus Pompeius, der sich als einer der ersten Römer in die Nachfolge Alexanders stellte, eroberte Syrien, welches danach eine Provinz des römischen Weltreichs wurde.37


Abb. 3: Seleukos. Tetradrachme aus Susa.


Abb. 4: Ptolemaios I., Tetradrachme aus Alexandria.

Das vom Alexandergefährten Ptolemaios gegründete Reich stach durch die Fülle seiner Ressourcen hervor. Es war zudem ein relativ geschlossenes Staatswesen.38 Obwohl das Nilland sein Herzstück bildete, dehnten sich die ptolemäischen Besitzungen von der Kyrenaika im Westen bis nach Phönikien im Osten und Zypern im Norden aus. Die Ptolemäer besaßen zeitweilig Landbesitz an der West- und Südküste Kleinasiens und stritten sich mit den Antigoniden und Seleukiden um Einfluss in Griechenland, in der Ägäis und in Syrien. Eine dünne griechisch-makedonische Oberschicht herrschte hier über die große Masse der alteingesessenen ägyptischen Bevölkerung.

Alexandria, die Residenz der Ptolemäer, fungierte als Machtzentrale des Reiches.39 Hier stand das prächtige Grabmal Alexanders, den man als Gott verehrte. Während Alexandria eine eingeschränkte Lokalautonomie besaß, wurde das übrige Land in Bezirke aufgeteilt und von einem Verwaltungsapparat kontrolliert, dessen Führungsspitze aus Makedonen und Griechen bestand, während einheimische Ägypter in untergeordneten Stellungen anzutreffen waren.40 Das straff organisierte Heer königlicher Amtsträger, ein Erbe der Pharaonenzeit, ermöglichte den Ausbau einer staatlichen Monopolwirtschaft. Sie beruhte auf der Arbeitskraft der einheimischen Bevölkerung und brachte der Staatskasse beträchtliche Summen ein. Ein Beispiel für die oft unmenschlichen Bedingungen der Zwangswirtschaft ist die Goldförderung im Süden des Landes. Hier wurden Sträflinge, aber auch politisch Missliebige samt ihren Familien zur Steigerung der königlichen Einnahmen rücksichtslos ausgebeutet. Um die Stabilität der Sozialordnung gewährleisten und den inneren Frieden bewahren zu können, war es von entscheidender Bedeutung, die einheimischen Eliten für sich zu gewinnen; besonders die einflussreiche Priesterschaft. Dies gelang durch Gewährung von Vergünstigungen und indem man alte Privilegien bestätigte. Im Gegenzug verpflichteten sich die Religionsführer, die Regierung der landesfremden Ptolemäer zu dulden. Die finanziellen Mittel der ägyptischen Könige überstiegen die der anderen hellenistischen Monarchien. Sie waren Eigentümer des Landes, das den Einheimischen zur Pacht überlassen wurde, und bezogen riesige Summen aus der Ausbeutung der vielfältigen Ressourcen.

Ähnlich wie das Seleukidenreich zerbröckelte die Macht der Ptolemäer eher langsam.41 Nach langer Agonie verleibte Augustus ein Jahr nach der Seeschlacht bei Actium 31 das Land dem Römerreich ein und errichtete dort die erste kaiserliche Provinz, die durch ihre Ressourcen, vor allem die Getreidelieferungen, eine wesentliche Stütze der Herrschaft der römischen Caesaren wurde.42

Gegenüber der politischen und ökonomischen Kleingliedrigkeit der griechischen Poliswelt im 4. Jahrhundert bietet die Ära Alexanders insofern ein verändertes Bild, als die Einheit des tradierten Wirtschafts- und Handelsraums um den Orient erweitert und somit eine Intensivierung der absatzorientierten Produktion und des Austausches möglich wurde. Gefördert wurde dies zudem durch ein gut funktionierendes Währungssystem und Bankwesen. Ein Innovationsschub im Bereich der Agrartechnik – die Züchtung ertragreicherer Pflanzen- und Nutztierarten, der technologische Fortschritt bei Bewässerungs- und Kanalisationsanlagen –, aber auch im Schiffbau, verbunden mit dem Auffinden neuer Rohstoffvorkommen und dem Zugang zu Handelswegen bis nach Zentralasien, Afrika und Nordeuropa, erschloss wirtschaftlich ergiebige Absatzmärkte, vor allem an den Höfen, in den königlichen Residenzen und in den neu gegründeten Städten. Die griechischen Poleis des Mutterlandes, ökonomisch durch Kriege zunehmend zerrüttet, rückten unter diesen Bedingungen nach einer kurzen Erholung an den Rand des Wirtschaftsgeschehens. Günstiger gelegene Handelsplätze, vor allem Rhodos, gewannen an Bedeutung und politischer Macht. In Ägypten spielte der staatswirtschaftliche Dirigismus eine wichtige Rolle. Vielerorts vertiefte sich die Kluft zwischen Reich und Arm. Eine neuerliche soziale Polarisierung wird erkennbar, gegenüber der das Schwinden der politischen Einflussmöglichkeiten für breite Bevölkerungskreise im Umfeld der monarchischen Herrschaftssysteme an Bedeutung verliert.


Abb. 5: Die hellenistische Staatenwelt.

Die Errichtung monarchischer Systeme korrespondierte mit einer Abnahme des allgemeinen politischen Interesses des einzelnen Bürgers, was sich erheblich auf den Kulturbetrieb auswirkte. So suchte und fand die intellektuelle und künstlerische Produktion neue Themen und Betätigungsfelder, indem sie verstärkt die Privatsphäre als Thema für sich erschloss. Auf der anderen Seite entwickelte sich in den neuen Machtzentren eine vom Herrscher geförderte Hofdichtung. Mit dem Tod des Euripides 406 und des Aristophanes 388 ging die Zeit der klassischen Dramaturgie zu Ende. Menander (342–290) verlieh der Theaterdichtung in der Neuen Komödie eine Renaissance; eine erste Blüte erlebte die aufkeimende gelehrte Dichtung, die in Kallimachos von Kyrene und Apollonios von Rhodos ihre markantesten Exponenten fand.43 In der Geschichtsschreibung ragte Polybios von Megalopolis heraus. Methodisch stand er in der analytischen Tradition des Thukydides. Thematisch verknüpfte er die Berichterstattung über die Ereignisse in Ost und West und wurde so der erste Universalhistoriker des Altertums.44

Die Nachfolger Alexanders zeigten in der Baukunst einen starken Hang zur repräsentativen Architektur: Paläste, Denkmäler, Theater, Hallen oder Tempel prägten die Stadtbilder ihrer Residenzen. Die Königsburg in Pergamon, das Mausoleum in Halikarnassos, der Tempel des Apollo in Didyma oder die Stoa des Attalos in Athen sind beredte Beispiele für die Monumentalität und Kreativität der vorherrschenden Kunstrichtung.45 Die Bildhauerei und Plastik passten sich diesem Trend an.46 Der heute sich in Berlin befindende Pergamonaltar, ein hochragendes Zeusheiligtum mit Freitreppe, auf dem der Kampf der Götter und Giganten als Allegorie der Kriege zwischen Pergamon und den Galatern dargestellt wird, und die Laokoongruppe im Vatikan sind die markantesten Zeugnisse der hellenistischen Kunst. Wie in der Skulptur, der bildenden Kunst oder der Architektur gingen in den meisten Bereichen des geistigen Lebens die Impulse von den Königshöfen aus. Alexandria entwickelte sich zum Mittelpunkt des hellenistischen Kulturbetriebs; dessen Herzstück war das von Ptolemaios I. ins Leben gerufene Museion, die bedeutendste Lehr- und Forschungsstätte des Altertums.

Das Charakteristikum des neuen Kulturlebens war die Ausbildung von Einzelwissenschaften, die aus der Philosophie hervorgegangen waren. Die exakten Naturwissenschaften erlebten einen Aufschwung. In der Medizin entdeckte der in Alexandria wirkende Herophilos das Nervensystem und wurde zum Begründer der Anatomie. Erasistratos verfeinerte die Chirurgie. In den Ärzteschulen von Alexandria, Kos, Pergamon oder Knidos wirkten namhafte Mediziner. Ihre therapeutischen Einrichtungen zogen Patienten aus aller Welt an. Von grundlegender Bedeutung erwies sich der Beitrag der hellenistischen Wissenschaft im Bereich der Mathematik. Mit dem Alexandriner Eukleides verbindet sich die Erinnerung an einen der Väter der Geometrie. Apollonios von Perge begründete die Trigonometrie, führte die Ellipsen, Hyperbeln und Parabeln in die Mathematik ein. Der alles überragende Naturwissenschaftler aber war Archimedes von Syrakus. Er entdeckte das Hebelgesetz, das spezifische Gewicht und berechnete die Kreiszahl Pi. Seine Kriegsmaschinen, die bei der Belagerung seiner Heimatstadt Syrakus eingesetzt wurden, erzielten eine große Wirkung. Auch in der Astronomie und Geographie wurden herausragende Entdeckungen gemacht. Hipparchos von Bithynien berechnete die Bahnen der Planeten sowie das Sonnenjahr. Aristarchos begründete das heliozentrische Weltbild, wonach die Sonne und nicht die Erde den Mittelpunkt unseres Astralsystems bildet. Der Alexandriner Eratosthenes, der von der Kugelgestalt unseres Planeten ausging, berechnete dessen Umfang ziemlich genau.47

Neben Alexandria als Zentrum der hellenistischen Wissenschaft behauptete sich Athen als Ausgangspunkt der neuen Denkerschulen. Die platonische Philosophie strahlte von der Akademie auf die antike Welt aus. Im Lykeion fand die von Aristoteles inspirierte Schule eine Heimat. Große Bedeutung erlangten vor allem die neuen Denkrichtungen der Stoiker und Epikureer. Die von Zenon aus Kition begründete stoische Lehre – ihren Namen erhielt sie von der Stoa poikile, der bunten Halle in Athen, wo sie ihren Sitz hatte – entwickelte sich zur einflussreichsten geistigen Bewegung des Altertums. Die Grundlage der Stoa war die Tugendlehre. Ihre Anhänger teilten die Überzeugung, dass der im Einklang mit der Natur beziehungsweise mit dem göttlichen Gesetz lebende Mensch mit Hilfe der Vernunft den richtigen Weg zu einem erfüllten Dasein finden könne. Die Stoa war kosmopolitisch. Ihr politisches Ideal wurde durch einen Weltstaat verkörpert, in dem der Herrscher gemäß der göttlichen Ordnung regierte und die Eintracht zwischen den Menschen gewährleistete.48 Der aus Samos stammende Epikur, der 307/306 seine Lehranstalt in Athen eröffnete, verkündete die Zähmung der Begierden. Wichtig sei jedoch nicht der Vorgang der Befriedigung einer maßlosen Gier, sondern das im Inneren wachsende Glück, das zur Unerschütterlichkeit eines in sich selbst ruhenden Geistes führe. Der Epikureismus wandte sich gegen unkontrollierte Emotionen, schätzte jede politische Tätigkeit gering ein und verkündete als Ideal die Erfahrung einer harmonischen menschlichen Verbundenheit innerhalb einer kleinen überschaubaren Gruppe.49

Besondere Bedeutung kam den hellenistischen Kult- und Glaubensgemeinschaften zu. Aufgrund des politischen Zerfalls der Poliswelt war die traditionelle olympische Religion zeitweilig in den Hintergrund geraten. Auch vermochte der aus politischen Rücksichten eingeführte Herrscherkult keinen echten Ersatz für das Schwinden des alten Götterglaubens zu bieten.50 Große Bedeutung erlangte dagegen Tyche, eine allegorische Figur, die das Schicksal oder die Vorsehung verkörperte und als Symbol für eine höhere Macht oder als Stadtgottheit Verehrung fand. In diesem Zusammenhang lässt sich ein Hang zu religiöser Abstraktion beobachten. Der polisbezogene Götterglaube löste sich immer mehr in der Idee einer umfassenden Gottesvorstellung auf. Das Hauptmerkmal der neuen Religiosität war aber der Aufschwung, den die aus dem Osten stammenden Mysterienkulte nahmen. Durch die Begegnung mit dem Griechentum gingen sie neue Synthesen ein, die ihnen den Weg nach Westen eröffneten. Der ägyptische Isiskult, die Verehrung des syrischen Sonnengottes Baal-Helios, die Mysterien des Mithras und der Kybele fanden rasche Verbreitung. Überall entstanden Kultgemeinden dieser neuen Erlösungsreligionen. Sie entwickelten Rituale und ethische Normen, gaben ihren Anhängern festen Halt und Hoffnung auf ein besseres Jenseits. Die großen religiösen Bewegungen des Ostens eroberten nach und nach die westliche Welt. Sie bereiteten dabei den Nährboden, auf dem Jahrhunderte später das Christentum seinen Siegeslauf antreten konnte.51

Sieht man von der Wirkmächtigkeit des römischen Imperiums ab, so haben Alexander und seine Nachfolger die Geschicke der alten Welt am nachhaltigsten geprägt. Ihre Leistung bestand darin, die Schnittmenge zwischen Orient und Okzident erheblich ausgeweitet zu haben. Kultursymbiose, Expansion der griechischen Zivilisation im Osten und die Aufnahme östlicher Ideen, Kulte und Lebensformen im Westen sind nur einige der Stichworte, die diesen vielschichtigen Austausch- und Transformationsprozess kennzeichnen. Die Balkanhalbinsel, der Ägäisraum, Ägypten, die Levante, Kleinasien und der Vordere Orient sind bis zur Ausbreitung des Islam die Kerngebiete der hellenistischen Weltkultur geblieben. Seit dem 3. Jahrhundert strahlte sie nach Westen aus, wo sie in Karthago und in Rom eine neue Heimat fand. Es ist kein Zufall, dass Rom zu dem Zeitpunkt, an dem die hellenistische Beeinflussung am größten war, seine republikanische Staatsordnung in eine monarchische umwandelte. Die politische Entwicklung, die Kultur und Religion der römischen Kaiserzeit und damit wesentliche Grundlagen des neuzeitlichen Europa sind ohne das Erbe Alexanders und des Hellenismus kaum vorstellbar.

Mit der summarischen Beschreibung einiger Entwicklungslinien der auf Alexander zurückgehenden Veränderungen der antiken Welt sind wir den Ereignissen weit vorausgeeilt. Nun gilt es, den Faden des historischen Ablaufs aufzunehmen, um die einzelnen Stationen, die dazu geführt haben, zu dokumentieren und darauf aufbauend den Stellenwert von Alexanders Biographie in diesem Kontext zu ermitteln.

Alexander der Große

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