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Der schlummernde Riese erwacht Makedoniens Aufstieg unter Philipp II.

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Makedonien war eine Stammesgesellschaft an der Peripherie der griechischen Poliswelt, zu deren Zivilisation es sich trotz seiner Randlage vehement bekannte. Seine aus verschiedenen Ethnien stammenden Bewohner, deren ursprüngliche Wohnsitze sich im Tal des Axios befanden, mussten lange gegen Illyrer, Thraker, Paionen und Griechen kämpfen, ehe sie das Land zwischen Haliakmon und Strymon, das im Süden durch die Ägäis und im Norden durch eine bis zum Donautal reichende Gebirgsgegend eingerahmt wird, als Territorialbesitz ihres sich kontinuierlich vergrößernden Stammesgebietes behaupten konnten. Die küstennahen Regionen Pierien, Bottiaia, Amphaxitis oder Mygdonia, die sich nach Osten hin bis zur Bisaltia und Krestonia ausdehnten und die von rauen Stämmen besiedelten Hochlandzonen Tymphaia, Elimeia, Eordaia, Orestis oder Lynkestis, die abseits des Radius der griechischen Kultur lagen, bildeten das Gerüst dieses heterogenen Landes.1 Nach außen hin waren seine Grenzen fließend. Sie wurden gegen wehrhafte Nachbarn verteidigt, gelegentlich auch erweitert. Der Zugang zum Meer war für die Pflege der Außenbeziehungen entscheidend.2 Die Küstenebene am Thermäischen Golf und an der Chalkidike bot vielfältige Möglichkeiten zur Anlage von Häfen und Stützpunkten für Navigation und Handel.

Eine von freien Bauern und Hirten3 getragene Acker- und Viehwirtschaft bildete die ökonomische Grundlage dieser seit dem 7. Jahrhundert fassbaren Stammesgesellschaft, in der mächtige Adelshäuser sowie eine Königsdynastie an der Spitze der sozialen Pyramide standen.

Die Natur des Landes prägte den Charakter und Lebensstil seiner Bewohner. Karge Landschaften wechselten sich mit saftigen Weiden und fruchtbaren Ebenen entlang der Flüsse ab. Hinzu gesellten sich Hanglagen im Hügelland, die günstige Bedingungen für Ackerbau, Viehzucht und Jagd boten. Da das Land sowohl Kontinentalklimazonen aufweist, als auch in den Küstengebieten vom Mittelmeer beeinflusst wird, brachte es die typischen Produkte beider Regionen hervor. Neben der Haltung und Zucht von Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen spielte der Getreide-, Oliven-, Obst- und Weinanbau eine wichtige Rolle. Allerdings hat wohl trotz der fruchtbaren Ebenen von Bermios, Monastir sowie der Gegend nördlich der Chalkidike, wo Weizen und vielfältige Obstsorten gediehen, keine nennenswerte Ausfuhr stattgefunden. Exportschlager war dagegen das reichlich vorhandene Holz der dicht bewaldeten Mittelgebirgszonen. Zur hohen Qualität dieses begehrten Rohstoffes kam ergänzend der Umstand hinzu, dass Griechenland nur geringe Holzvorkommen besaß und aufgrund seines großen Bedarfs für den Haus- und Schiffbau einen sicheren Abnehmer darstellte.4 Beachtenswert waren auch die Erträge des Fischfangs sowie der Abbau von Bodenschätzen wie Eisen, Kupfer, Gold und Silber.


Abb. 6: Makedonien, Griechenland und die Balkanregion.

Die geopolitische Randlage des Landes begünstigte eine Abschottung nach außen, womit Makedonien jedoch auch von den Handelsströmen und den politischen und kulturellen Einflüssen der mediterran geprägten Poliswelt teilweise ausgeschlossen blieb. Sein größtes Problem stellte die mangelnde innere Geschlossenheit dar, welche von auswärtigen Völkern gelegentlich ausgenutzt wurde, um sich auf seine Kosten auszubreiten. Urbane Zentren waren vor allem in Küstennähe entstanden, wo sich zahlreiche Griechen im Rahmen einer weit gespannten Kolonisationstätigkeit niedergelassen hatten: Methone, Pydna, Poteideia, Olynth, Amphipolis.5 Größere makedonische Städte wie Edessa, Dion, Aigai oder Pella gab es nur wenige. Da diese ursprünglichen Adelssitze erst nachträglich zu repräsentativen Herrscherresidenzen ausgebaut wurden, vermochte sich dort keine Bürgergesellschaft nach dem Vorbild der klassischen Poleis zu entfalten, die der wirtschaftlichen Dynamik entscheidende Impulse hätte geben können. Daher ist die ökonomische und soziale Entwicklung Makedoniens durch die Fortdauer archaischer Verhältnisse gekennzeichnet. Andererseits blieben der betulichen Stammesgesellschaft die krisenhaften Erschütterungen erspart, von denen große Teile Griechenlands im Gefolge des Peloponnesischen Krieges von 431 bis 404 heimgesucht wurden.6

Von den übrigen griechischen Stammesgesellschaften und Poleis hob sich Makedonien durch seine dem Griechischen nur weitläufig verwandte Sprache7, durch seine große territoriale Ausdehnung sowie durch seine monarchische Verfassung ab. Daneben gab es einen mit beträchtlicher Hausmacht ausgestatteten Adel, der in den Hochlandregionen faktisch unabhängig waltete und ein Mitspracherecht bei der Regierung des Landes und bei der Königswahl besaß, die allerdings von der Heeresversammlung bestätigt werden musste.8 Die Bedeutung der makedonischen Aristokratie verdeutlicht die bruchstückhaft erhaltene Abschrift eines Staatsvertrages aus dem 4. Jahrhundert, wo neben dem König und den Mitgliedern seines Hauses eine Reihe namentlich aufgeführter makedonischer Adliger die Vereinbarung mit beschworen hat.9 Mit Sicherheit ging die Initiative zu dieser breit angelegten Bekräftigung der Abmachung von den athenischen Vertragspartnern aus10, weil sie neben dem als schwach eingeschätzten König zusätzlich die maßgeblichen makedonischen Fürsten in die Pflicht nehmen wollten, um die Einhaltung des Abkommens zu gewährleisten.

Der König stand nicht über dem Adel, sondern galt als primus inter pares. Seine Befähigung zur Herrschaft musste er immer wieder unter Beweis stellen, wozu sich insbesondere Kriegszüge eigneten. Darauf spielt Aristoteles11 an, wenn er die makedonischen neben den spartanischen Königen einordnet, weil deren Herrschaftsansprüche auf die Heeresführung zurückgingen. Daher ist der Abstand zwischen König und Adligen in ähnlicher Weise einzuschränken wie bei den Protagonisten der homerischen Epen, von denen sich einige führende Geschlechter dieser randständigen Regionen ableiteten. Achilleus wurde als Ahnherr der Aiakiden, der epeirotischen Könige aus dem Stamm der Molosser in Anspruch genommen; Herakles, Zeus’ Sohn, galt als mythische Gründergestalt des Argeadenhauses, der makedonischen Monarchie.12

Ein Blick auf die Regierungstätigkeit der Argeaden bestätigt, wie untrennbar Amt und Leistung miteinander verwoben waren. Von ihnen wurden besondere militärische Qualitäten gefordert. Starke Persönlichkeiten auf dem Königsthron erlangten zeitweilig ein erdrückendes Übergewicht im Lande, während schwache Regenten zum Spielball konkurrierender Mächte werden konnten. Die Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zwischen den zentrifugalen Kräften zu wahren, belegen die zahllosen Fehden zwischen den regionalen Machteliten des Landes, bei denen Clangeist und Blutrache mehr als das Gesetz galten. Da es keine festen Regeln für die Nachfolge gab, brachen bei Thronvakanzen regelmäßig langwierige und überaus blutige Streitigkeiten innerhalb der Argeadendynastie aus. Der makedonische Thron war alles andere als ein Ruhekissen. Die politischen und militärischen Anforderungen an den jeweiligen König waren beträchtlich. Die meisten Argeaden bezahlten für die Zeit ihrer Regentschaft den hohen Preis eines gewaltsamen Todes.

Die Könige geboten über einen uneinheitlichen und schwer regierbaren Personenverband, der Ackerbauern aus dem Tiefland, Hirten aus den Mittelgebirgsgegenden, griechische Kolonisten sowie halbbarbarische Hochlandbewohner umfasste. Zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehörte die Jagd, daneben luden sie regelmäßig zu Tischgesellschaften ein, an denen der Hofstaat teilnahm.13 Auch bereisten sie häufig an der Spitze ihrer Gefährten das weite Land, um die Treuebande zu den zahlreichen Clans vor Ort zu festigen. Sie führten das makedonische Heeresaufgebot, übten priesterliche und richterliche Funktionen aus, prägten Münzen, leiteten geeignete Infrastrukturmaßnahmen ein, wie die Anlage von Straßen, den Bau von Hafenanlagen und veranlassten gelegentlich Stadtgründungen. Außerdem repräsentierten sie das Gemeinwesen nach außen, indem sie Verträge abschlossen und Bündnisse mit auswärtigen Staaten eingingen.14 Den griechischen Autoren, denen wir die Kenntnis der makedonischen Vergangenheit verdanken, erschienen diese Kompetenzen so umfangreich wie diejenigen der orientalischen Potentaten, weswegen sie die Herrschaft der Argeaden häufig als tyrannis bezeichneten.15 Erschwert wird eine solche Beurteilung allerdings durch den tiefgreifenden Wandel, den Makedonien unter Philipp II. (359–336) erfuhr, der den schlummernden Riesen am Rande der griechischen Welt binnen einer Generation zur Großmacht werden ließ.16 Möglicherweise haben die rasanten Umwälzungen dazu beigetragen, dass das Königtum der Argeaden nachträglich als unabhängiger und uneingeschränkter wahrgenommen wurde, als es von Beginn an war. Dafür bieten die aus großem zeitlichem Abstand heraus verfassten Berichte der antiken Autoren einige Anhaltspunkte, wenn sie die Fortschritte Makedoniens mit der Regierung Philipps II. gleichsetzten. So lesen wir bei Arrian: Philipp übernahm euch (die Makedonen) als Herumtreiber und Arme; viele von euch weideten, in Felle gekleidet, ihre wenigen Schafe in den Bergen und kämpften ohne viel Erfolg gegen die Illyrer, Triballer und ihre Nachbarn, die Thraker. Er hat euch anstatt der Felle Mäntel gegeben, euch im Kampf ebenbürtig gemacht, so dass ihr auf die Festigkeit von Forts nicht mehr vertrautet als auf eure eigene Tapferkeit und euch behaupten konntet. Er hat euch zu Bauherren von Städten gemacht und euch gute Gesetze und Sitten gebracht.17 Bei derartigen Äußerungen ist eine rückschauende Perspektive zu berücksichtigen. Nach der Erfahrung der eingangs skizzierten Diadochenzeit wurde Philipps II. Regierung als entscheidender Baustein für die spätere Entwicklung begriffen. Der König als Führer, Lehrer, Gesetzgeber und Wohltäter seines Volkes, wie er in den erhaltenen Textpassagen beschrieben wird, ist aber eine typisch hellenistische Sichtweise, die nur bedingt mit der politischen Realität des Stammeskönigtums, die vor der Ära der Diadochen bestand, übereinstimmt. Auf der anderen Seite sollten die berechtigten Vorbehalte gegen die Allmacht des Königs keineswegs zu einer allzu minimalistischen Vorstellung von der makedonischen Monarchie verleiten. Zwar setzte mit der Regierungszeit Philipps II. die überregionale Geltung Makedoniens ein18, wesentliche Grundlagen dafür sind jedoch lange vor ihm gelegt worden.19

Hier muss an Alexander I. (um 495–450) mit dem Beinamen Philhellen, Griechenfreund, erinnert werden, den ersten makedonischen König, von dem sich eine konkretere Vorstellung gewinnen lässt.20 Die von ihm in Umlauf gebrachte Legende von der argivischen Herkunft seiner Dynastie ermöglichte ihm und den Argeaden die Zulassung zu den Olympischen Spielen. Mit diesen propagandistischen Offensiven war eine wichtige Stufe des Annäherungsprozesses an die bewunderte hellenische Kulturwelt genommen. Gleichwohl musste er, so wie sein Vater Amyntas, der im 1. Perserkrieg dem Achaimeniden Dareios I. Gefolgschaft schuldete, nun im 2. Perserkrieg Xerxes, Dareios’ Sohn, Vasallendienste leisten. Doch er kollaborierte heimlich mit den vereinten Hellenen, und als diese nach der Schlacht bei Platää 479 das Heer des Xerxes aus Europa vertreiben konnten, sagte er sich von Persien los. Dank seiner Diplomatie21 und opportunistischen Machtpolitik vermochte er Makedoniens Einflussbereich östlich des Strymon auszuweiten, was zur Stärkung des Königtums beitrug.22 Anlässlich der Schilderung dieses Expansionsprozesses nennt ihn Herodot „Stratege und König“, was kein amtlicher Titel war, sondern die historische Umschreibung seiner gefestigten Machtposition.23 Seine Eroberungen unterschieden sich staatsrechtlich von denen seiner Vorgänger. Er nahm dabei keine Rücksicht auf aristokratische Sonderrechte, wie dies im alten Stammesgebiet der Makedonen bisher der Fall gewesen war. Alexander I. vereinigte die hinzugekommenen Gebiete mit den alten makedonischen Kernlandschaften zu einer Einheit. Er war der erste zum griechischen Kulturkreis gehörende Potentat, der sich in hoheitsvoller Herrscherattitüde unter Nennung seines Namens abbilden ließ.24 Seine Erfolge vergrößerten den Abstand zu den adligen Standesgenossen, was sein königliches Selbstbewusstsein stärkte. Dieses neue Herrschaftsverständnis kommt in seinen Münzbildern besonders zum Tragen, in denen sich ein Hang zur Individualisierung mit dem Bedürfnis nach Repräsentation verbindet.


Abb. 7: Alexander I. Philhellen. Oktodrachme aus Makedonien.

Anschließend rückte König Archelaos (413–399) in den Blickpunkt der antiken Autoren. Über ihn berichtet der athenische Historiker Thukydides25, dass seine Leistungen im Bereich der Landesverteidigung und der Militärreformen bedeutender waren als die aller seiner Vorgänger. Er fand in der griechischen Öffentlichkeit starke Beachtung, weil unter seinem dynamischen Regiment das wachsende politische Gewicht Makedoniens in der Poliswelt immer deutlicher spürbar wurde und sich sein Hof zum Magneten für prominente Vertreter des griechischen Geisteslebens entwickelte.26 Künstler wie der Maler Zeuxis oder Dichter wie Pindar, Bakchylides, Aischylos, Timotheos, Agathon oder Choirilos, Naturwissenschaftler wie der Arzt Hippokrates waren schon früher Gäste am Argeadenhof gewesen. Der Tragödiendichter Euripides weilte als Tischgenosse des Archelaos lange in Pella. Aus dieser Begegnung erwuchs eine rege schriftstellerische Tätigkeit, die in Euripides’ Archelaos einen Höhepunkt erreichte. Diese Schrift ist Ausdruck der zeitgenössischen Anschauungen eines ethischen Königtums, angereichert mit einem Loblied auf die makedonische Herrscherdynastie.27 Dass aber die Meinungen der Griechen über Archelaos auseinandergingen, belegt die kritische Einschätzung seiner wachsenden Machtstellung, zumal sie gegenüber griechischen Staaten eingesetzt wurde. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe der Despotie und Barbarei28 weisen voraus auf die seinem späteren Nachfolger Philipp II. aus ähnlichen Gründen zuteil gewordene Beurteilung.

Als Philipp II. im Alter von etwa 22 Jahren 359 die Regentschaft für Amyntas IV.29 übernahm – den unmündigen Sohn seines zusammen mit Tausenden von Makedonen gegen die Illyrer gefallenen Bruders Perdikkas III. –, steckte das Land in einer hoffnungslosen Lage. Angesichts der umstrittenen Amtsführung seiner Vorgänger zerfiel die Königsmacht zusehends.30 Philipps II. Vorgänger hatten nicht verhindern können, dass Makedonien zeitweise in Abhängigkeit von den Illyrern, Athen, Theben oder Olynth geriet. So verbrachte Philipp II. drei Jahre als Geisel im Theben des Epameinondas und Pelopidas. Dort konnte er aus unmittelbarer Anschauung Einblicke in die Ränkespiele und das politische Tauziehen der sich mißtrauisch beäugenden griechischen Staaten gewinnen, denn von 371 bis 362 war die böotische Stadt zur Führungsmacht aufgestiegen, und so bot der unfreiwillige Aufenthalt in Theben dem heranwachsenden Prinzen in den Bereichen Diplomatie und Politikgestaltung genügend Lehrstoff.31

Nun stand der überraschend an die Spitze des makedonischen Staates gelangte junge Regent vor der schwierigen Aufgabe, die im Westen eingedrungenen Illyrer sowie die im Norden sich ausbreitenden Paionen abzuwehren. Außerdem musste er seine Stellung gegen die Ansprüche einiger Konkurrenten aus dem Argeadenhaus absichern. So versuchten Pausanias mit thrakischer und Argaios mit athenischer Hilfe, ihn aus der Regentschaft zu verdrängen. Doch Philipp II. reagierte schnell und entschlossen, indem er zunächst die Ansprüche der Thronprätendenten abwehrte und dann die im Norden eingedrungenen Paionen vertrieb. Besetzte makedonische Regionen wurden wiedergewonnen und die obermakedonischen Fürstentümer Lynkestis und Orestis in das Staatsgebiet einbezogen. Ferner vereinbarte er mit den Athenern, Amphipolis zu erobern und ihnen anschließend die Stadt zu übergeben, wohingegen diese sich im Gegenzug verpflichteten, Pydna an Makedonien abzutreten.32 Dann zog er mit seinem Heer nach Westen. Er übte Rache für den Tod seines Bruders, indem er die Illyrer besiegte, die daraufhin Westmakedonien räumen mussten.

Derartige Erfolge dienten nicht nur der Stabilisierung der labilen Nordwestgrenze, sondern erhöhten zusätzlich das Prestige des angeschlagenen Argeadenhauses.33 Bereits die ersten Aktionen Philipps II. nahmen sein später immer deutlicher sichtbar werdendes politisches Credo vorweg: Makedonien dürfe nie wieder zum Spielball fremder Mächte verkommen. Diesem Ziel ordnete sich die darauffolgende expansive Außenpolitik unter, die durch Diplomatie, Einschüchterung, Geschick, Militärinterventionen, wechselnde Allianzen, Rücksichtslosigkeit und Machtbewusstsein geprägt war.

Im Jahr 357 brachte er das strategisch wichtige Amphipolis unter seine Kontrolle, weigerte sich jedoch – entgegen der eingegangenen Verpflichtung –, die Stadt an Athen abzutreten, weil sich Makedoniens Zugang zur See nun erheblich verbesserte. Dadurch geriet er aber mit Athen in Konflikt, welches diese Gegend als eigenes Interessengebiet beanspruchte. Als Antwort auf die neue Machtbildung im Norden der Ägäis entstand eine starke antimakedonische Partei in Athen, die in Demosthenes ihren prominentesten Sprecher finden sollte.34 Philipps II. nächstes Ziel war Poteideia, das er 356 stürmte und plünderte und danach Olynth, der Führungsmacht des Chalkidischen Bundes, überließ.35

Nach diesen Erfolgen ließ sich Philipp II. von der Heeresversammlung zum König proklamieren.36 Es war ein kühn inszenierter Staatsstreich, dem aber das Votum des Heeres Legitimität verlieh. Auf diese Weise beendete er die Regentschaft, die er bisher in seiner Eigenschaft als Vormund ausgeübt hatte, und trat von nun an als rechtmäßiger König auf; er ließ jedoch den minderjährigen Amyntas IV. am Leben. Möglicherweise spielte die Geburt seines Sohnes Alexander dabei eine Rolle, denn ab diesem Zeitpunkt konnte Philipp II. einen akzeptablen Thronerben vorweisen. Anschließend leitete er innere Reformen ein, um seine Stellung gegenüber dem Adel zu festigen. Ein erhöhtes Militärpotenzial schuf die Voraussetzung, um seine ausgreifende Außenpolitik fortzusetzen, welche freilich durch die desolate Lage der Polisstaaten, die sich in unzähligen Fehden gegenseitig schwächten, begünstigt wurde.

Durch das Aufstellen einer leistungsfähigen Kavallerie und einer äußerst disziplinierten Fußtruppe sind bereits im 5. Jahrhundert die Grundlagen der später herausragenden makedonischen Armee gelegt worden. Neben der traditionell starken Adelsreiterei, den Hetairoi37, nahm die umstrukturierte Infanterie nun eine gleichwertige Stellung ein. Ihre Mitglieder wurden durch Verleihung des Titels Pezhetairoi, Kampfgefährten zu Fuß, in eine größere Nähe zur Reiterei gerückt und standen nach dieser Rangerhöhung auch in einem engeren Verhältnis zum König. Ihre Zahl erfuhr eine beträchtliche Steigerung. Der allein dadurch erzielte Vorsprung gegenüber Konkurrenten wurde durch die verbesserte Ausrüstung noch vergrößert. Ihre Hauptwaffe war die drei bis fünf Meter lange Stoßlanze, die Sarissa.38 Trotz der Größe und des Gewichts konnten auf Grund des hohen Trainingsstandes mit dieser Waffe außerordentlich flexible Bewegungen ausgeführt werden. Als geschlossene Phalanx waren die mit Sarissen ausgestatteten Truppen extrem schlagkräftig. Sie konnten sich jederzeit mit den als unbesiegbar geltenden griechischen Fußtruppen, den Hopliten, messen. Zudem verfügte das makedonische Heer über die beweglicheren Hypaspisten, die mit einem größeren Schild und einer kurzen Lanze ausgerüstet waren und als Sturmtruppe fungierten. Als Flankenschutz zur schwer bewaffneten Reiterei agierte eine leichte Kavallerie.39

Zusätzlich verbesserte Philipp II. die Schlagkraft seiner Armee, indem er taktische Änderungen einführte und die makedonischen Eliteeinheiten durch griechische Hopliten, kretische Bogenschützen, thessalische, illyrische und thrakische Reiterformationen ergänzte. Er verstand es, die verschiedenen Waffengattungen im Gefecht effizient aufeinander abzustimmen. Hinzu gesellte sich die Taktik der schiefen Schlachtordnung des Epameinondas. Während seines Aufenthalts in Theben hatte er deren enorme Wirkung kennen gelernt und später zur Grundlage seiner Kriegführung erhoben. Der Hetairenreiterei kam der offensive Part zu, während die Phalanx der Pezhetairoi defensiv agierte. Die taktische Offensive war dabei nicht auf einen bestimmten Flügel fixiert, sondern er richtete die Aufstellung seines Heeres flexibel nach der Schlachtordnung des Feindes oder der Beschaffenheit des jeweiligen Geländes aus.

Philipps II. territoriale Erwerbungen dienten nicht nur der Stärkung der Monarchie, sondern ebenso der wirtschaftlichen Absicherung seiner stets wachsenden Armee, womit sich deren Effizienz wiederum erhöhte. Die mit großzügigen Landparzellen belohnten Soldaten bildeten, ähnlich wie die Spartaner, eine jederzeit einsatzbereite Militärkaste, die sich weitgehend dem Kriegshandwerk widmete. Mit diesem zahlenmäßig beachtlichen, professionell geführten und hervorragend ausgebildeten Heer konnten weder die Balkanstämme noch die meisten Polisstaaten des Ägäisraumes konkurrieren. Gestützt auf dies planvoll geschmiedete Machtinstrument, forcierte Philipp II. nach der Phase der Herrschaftssicherung den Aufstieg seines Landes. Allerdings war der eingeschlagene expansionistische Kurs nicht ohne Risiko: Er lief Gefahr, die Kräfte Makedoniens zu überfordern und bei Rückschlägen schwerwiegende Nachteile heraufzubeschwören. Doch solange außenpolitische Fortschritte erzielt werden konnten, blieb Kritik aus.

Ein weiterer erfolgreicher Feldzug in Thrakien verschaffte ihm den Besitz der Goldbergwerke im Pangaiongebirge, womit er eine starke finanzielle Basis zur Fortsetzung seiner künftigen außenpolitischen Projekte gewann.40 Durch die kontinuierliche Ausbeutung der äußerst ergiebigen Minen konnte Makedonien seine Staatsfinanzen langfristig erheblich aufbessern und den Grundstein für eine florierende Wirtschaftspolitik legen. Währenddessen vermochte der tüchtige Feldherr Parmenion die Illyrer zu schlagen und damit die stets gefährdete Westgrenze zu sichern. Schließlich gelang es, die mit Athen verbündete Polis Pydna einzunehmen, womit Philipp II. das makedonische Staatsgebiet nach Süden arrondierte. Durch die Gründung der Stadt Philippoi in Thrakien, nordöstlich von Amphipolis, versorgte er sein militärisches Gefolge mit Land und setzte sich gleichzeitig ein Denkmal für seine jüngsten Erfolge.41 Damit war das Beispiel gegeben, das später von seinem Sohn Alexander vielfach imitiert werden sollte.

Etwa zum gleichen Zeitpunkt, als der energische Argeadenherrscher die Regierungsgeschäfte übernahm, vollzog sich eine Wachablösung im Perserreich. Mit Artaxerxes III. Ochos, dessen Regierung sich fast mit Philipps II.Amtszeit decken sollte (359–338), bestieg eine durchsetzungsfähige Person den Achaimenidenthron, die ihrem makedonischen Pendant durchaus ebenbürtig war. Artaxerxes’ III. entschiedenes Auftreten rettete die Einheit des Vielvölkerstaates, die durch innere Rivalitäten sowie Aufstände an der Peripherie wie in Phönikien, Zypern oder Ägypten zunehmend bedroht wurde.42 Für diese Kriege wurden immer mehr griechische Söldner verpflichtet, die sich aufgrund ihrer Ausbildung und Bewaffnung den orientalischen Truppen überlegen zeigten. Auf ihre Kampfkraft stützte sich zusehends die Macht der persischen Könige und Satrapen.43 Einen Augenzeugenbericht darüber konnten die an den persischen Angelegenheiten interessierten Zeitgenossen aus der Feder des athenischen Feldherrn Xenophon in dessen Anabasis lesen.

Ebenso wie das Reich der Achaimeniden war auch die Monarchie der Argeaden, wenn auch in einem erheblich kleineren Maßstab, ein Vielvölkerstaat. Sein multiethnischer Charakter ergab sich nicht nur daraus, dass hier makedonische, griechische, illyrische, thrakische und phrygische Bevölkerungsgruppen beheimatet waren, sondern das Land diente stets auch als Sammelbecken für Exilsuchende, Vertriebene und Kolonisten aus den unterschiedlichsten Gegenden Griechenlands und dem Perserreich. Die makedonischen Könige boten zahllosen griechischen Flüchtlingen neue Siedlungsgebiete und verbanden auf diese Weise Erfordernisse der Landerschließung mit der bewussten Hellenisierung ihres Territoriums.44 In dem nach außen dynamisch auftretenden Balkanstaat begegneten sich makedonische Lebensart und griechische Kultur, Orient und Okzident.

Im Jahr 356 wurde Philipp II. direkt in die internen Auseinandersetzungen des Achaimenidenreiches hineingezogen, als sich der persische Satrap Artabazos45 mit der Unterstützung Athens gegen Artaxerxes III. erhob. Nach dem Scheitern des Umsturzversuchs bat er um Aufnahme am Hof von Pella. Der makedonische König entsprach dieser Bitte und verschaffte sich dadurch eine genaue Kenntnis über die Verhältnisse der westlichen Länder des Perserreiches.46 Der orientalische Potentat kam mit seiner Familie nach Makedonien. Darunter befand sich auch seine Tochter Barsine47, die etwas älter als der gerade geborene Prinz Alexander war. Beide lernten sich als Kinder in Pella kennen. Dabei war damals nicht absehbar, dass aus dieser Begegnung eine starke emotionale Beziehung erwachsen könnte, die geradezu zukunftsweisend werden sollte. Alexander machte Barsine später zu seiner Geliebten und verschaffte ihr einen bevorzugten Platz in seiner unmittelbaren Umgebung. Sie sollte ihm einen Sohn schenken, der den Namen des mythischen Urahns des makedonischen Königshauses tragen wird: Herakles.48

Dank des fulminanten Regierungsauftaktes Philipps II. hatte sich die Lage seines Heimatlandes grundlegend gewandelt. Er vermochte die kriegstüchtigen Hochlandbewohner in seinen Staat zu integrieren, indem er ihre faktisch autonom regierenden Fürsten an sich band. Damit gelang es dem politisch, diplomatisch und militärisch versierten Herrscher, seinen Thron zu festigen. Denn durch seine spektakulären Eroberungen war das Staatsgebiet nach allen Richtungen erweitert worden. Binnen weniger Jahre hatte Philipp II. Makedonien aus seiner Isolation herausgeführt und das ehemals von fremden Mächten (Athen, Theben, Illyrien) unterjochte Königreich als eine Achtung gebietende Größe im Konzert der griechischen Staaten etabliert. Doch dies war lediglich das Präludium einer viel umfassenderen und ehrgeizigeren Außenpolitik. Mit Philipp II., der weitsichtig, planvoll und wenn nötig skrupellos sein Ziel eines starken, unabhängigen Makedoniens verfolgte, wurde ein neues Kapitel in der Geschichte seines Landes aufgeschlagen.

Alexander der Große

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