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Band 105 Marshal Logan und der gefährliche Auftrag

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Es klopfte an die Tür des Büros von Richter Humphrey. Der Richter blickte von seiner Arbeit auf und rief: »Herein!«

Die Tür ging auf, ein Mann von etwa fünfzig Jahren trat in das Büro. Er hatte den Hut abgenommen. Seine Haare waren grau. Ein Grinsen zog seine Lippen in die Breite. »Hallo, Jerome.«

Ein erfreuter Zug glitt über das Gesicht des Richters. »Hallo, Joshua. Gott, hab ich dich lange nicht gesehen.« Der Richter erhob sich, kam um seinen Schreibtisch herum und streckte dem Besucher die Hand hin.

Dieser schüttelte sie. »Ja, es sind wohl sieben oder acht Jahre, Jerome. Mein Gott, wie die Zeit vergeht. Wie geht es dir?«

»Mir geht es gut. Und dir?«

»Ich habe eine Herde Longhorns nach Amarillo gebracht und werde einige Tage in der Stadt bleiben.«

Joshua Brewster ahnte nicht, dass er für immer in Amarillo bleiben sollte. Seine letzten Stunden waren angebrochen ...

Die Hände der beiden Männer lösten sich. »Setz dich«, forderte der Richter seinen Besucher auf und wies auf einen der Stühle, die um einen kleinen, runden Tisch gruppiert waren. Auch der Richter setzte sich an den Tisch. »Erzähle, Joshua. Wie ist es dir in all den Jahren ergangen?«

»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich züchte nach wie vor Rinder am Dry Devils River. Meine beiden Kinder sind in der Zwischenzeit erwachsene Leute geworden. Erzähl mir von dir, Jerome. Du hast ja eine steile Karriere gemacht, nachdem du damals aus dem Val Verde County weggegangen bist. Ich habe schon gehört, dass du oberster Gerichtsherr hier im Panhandle bist.«

»Oftmals ein harter Job, das darfst du mir glauben.«

»Wie geht es deiner Frau?«

Der Richter erzählte, dann berichtete Joshua Brewster über sein Leben im Süden, und so verging mehr als eine Stunde, bis sich Brewster wieder verabschiedete. Er versprach, noch einmal beim Richter vorbeizuschauen, ehe er Amarillo verließ ...

*


Es war Abend. Im Cristal Palace in Amarillo summte es wie in einem Bienenkorb. Die drei Bedienungen hatten alle Hände voll zu tun. An einigen Tischen wurde Karten gespielt; Black Jack und Poker. Stimmen schwirrten durcheinander, vermischte sich mit dem Gelächter der Männer, die Stimmung war ausgelassen und nichts deutete darauf hin, dass der Tod den Saloon bereits betreten hatte.

Er begleitete Joshua Brewster, der jetzt in den Schankraum gekommen war. Die Flügel der Pendeltür schlugen hinter ihm aus. Er schaute sich um. Dann ging er zu einem Tisch, an dem drei Männer saßen, die gekleidet waren wie Cowboys. »Hallo, Leute. Ihr habt die Stadt also noch nicht verlassen.«

Es waren Reiter der Treibermannschaft, die Brewster eingestellt hatte, um die Herde nach Amarillo zu bringen. Junge Burschen, denen die Verwegenheit in die Gesichter geschrieben stand.

»Wir bleiben noch einen oder zwei Tage hier«, sagte Dennis Carter, ein blonder Bursche mit blauen Augen.

»Wohin werdet ihr dann reiten?«, wollte Brewster wissen.

»Hinauf nach Kansas. Dort gibt es sicher einen Job für uns.«

»Solltet ihr im nächsten Herbst wieder in den Süden kommen, habe ich sicher wieder eine Arbeit für euch.«

»Wir werden es sehen.«

An einem der Tische, an dem gepokert wurde, warf ein Mann seine Karten hin und erhob sich mit einem Ruck. Sein Stuhl rutschte polternd zurück, der Mann knirschte: »Ich habe heute kein Glück. Verdammt! Darum steige ich aus, ehe ich meine letzten Dollars verliere. Das Glück ist wohl tatsächlich ein Rindvieh und sucht seinesgleichen.« Er schob sich den Stetson aus der Stirn und ging zum Tresen. »Gib mir einen doppelten Whisky, Jeff!«

»Will jemand für ihn einsteigen?«, fragte der Spielertyp, der die Bank hielt.

»Ein Spielchen kann nicht schaden«, murmelte Joshua Brewster und erhob sich. »Ich steige ein«, sagte er laut genug, so dass ihn der Mann am anderen Tisch hören konnte. Er ging zu dem Spieltisch hin, ließ sich nieder und zog seine Brieftasche aus der Innentasche seiner Weste.

»Wir spielen ohne Limit«, sagte der Spieler, ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, der einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd trug, das am Hals von einer weinroten Schnürsenkelkrawatte zusammengehalten wurde. Er hatte ein scharfliniges Gesicht, das von einem pulvergrauen Augenpaar beherrscht wurde. »Einsatz sind fünf Dollar, jede Karte kostet einen Dollar. Wer nicht mehr setzen kann, muss aussteigen.«

»Dann geben Sie mal die Karten aus«, forderte Brewster und grinste. Vor ihm lagen zweihundert Dollar.

Er bekam zwei Buben und kaufte drei Karten. Es blieb bei den beiden Buben. Der Spieler links vom Bankhalter setzte fünf Dollar. Der nächste Spieler hielt mit, und auch Brewster schob fünf Dollar in den Pot. Der Bankhalter erhöhte um zehn Dollar. Der nächste Spieler stieg aus, der andere wollte sehen, auch Brewster passte. Das Spiel ging an die Bank. Neue Karten wurden ausgegeben, die Einsätze wurden in die Tischmitte geschoben. Brewster kaufte wieder drei Karten und hielt schließlich drei Neunen in der Hand. Er steigerte mit, bis nur noch der Spieler links vom Bankhalter mit von der Partie war. Der Mann sagte: »Ihre zwanzig, Mister, und noch mal zwanzig drauf. Wenn Sie sehen wollen, müssen Sie zwanzig Bucks bringen.«

Brewster schob den geforderten Betrag in die Tischmitte. Dann zeigten sie ihre Karten. Der andere Spieler hatte zwei Paare; Assen und Zehner. Der Pot ging an den Rancher aus dem Val Verde County.

Sie spielten mit wechselndem Glück. Es ging auf Mitternacht zu, als Brewster ein Full House bekam. Der Bankhalter kaufte zwei Karten und der Rancher vermutete, dass er über einen Dreier verfügte. Sie begannen zu setzen. Der Spieler, der die Bank hielt, trieb den Einsatz immer weiter in die Höhe. Die beiden anderen Männer stiegen aus. Brewster ging mit. Dann war das Geld, das er vor sich auf dem Tisch liegen hatte, alle. Er holte weiteres aus seiner Brieftasche und schließlich lagen mehr als tausend Dollar im Pot.

Der Bankhalter sagte: »Ihre fünfzig und weitere hundert.«

Brewster schob zweihundert Dollar in die Tischmitte. »Ich erhöhe um hundert.«

»Okay. Und noch einmal hundert drauf.« Auch der Spieler legte zweihundert Dollar auf den Haufen Geld in der Tischmitte.

Langsam wurde Brewster unsicher. Er spürte Erregung. Sein Herzschlag hatte sich beschleunigt. Es war viel Geld, das sich im Pot befand, und wenn er verlor, war das ein herber Verlust. Er entschloss sich, das Spiel zu beenden und warf einen Hunderter in die Tischmitte. »Ich will sehen.«

Der Spieler legte seine Karten mit den Bildern nach oben auf den Tisch. »Vier Damen.«

Einen Moment lang wurde es Brewster schwindlig. Er stieß scharf die Luft durch die Nase aus. Dann grollte er: »Wie können Sie vier Damen haben, Mister. Eine Dame habe ich abgelegt. Es gibt keine fünf Damen in einem Spiel.«

Der Spieler kniff die Augen zusammen. Sein starrer Blick verkrallte sich an Joshua Brewster. »Was wollen Sie damit sagen?«

»Dass Sie falsch gespielt haben.«

Wie von Schnüren gezogen erhob sich der Spieler. »Das lasse ich mir nicht bieten.«

»Eine andere Antwort gibt es nicht. Bei fünf Damen ist eine zu viel im Spiel. Aber ich will mich nicht mit Ihnen streiten, Mister. Ich nehme mein Geld wieder heraus und ...«

»Der Pot gehört mir!«

Die Worte fielen wie Hammerschläge. Füße scharrten, Stühle wurden gerückt. In der Runde war man auf den Streit aufmerksam geworden. Die Gespräche verstummten. Die Atmosphäre im Saloon war plötzlich angespannt und gefährlich. Die Luft schien zu knistern wie vor einem schweren Gewitter.

»Sie sollten Vernunft annehmen«, murmelte Brewster. Er hielt dem stechenden Blick des Spielers stand. »Hier ...« Er drehte die Karten um, die er abgelegt hatte. Tatsächlich befand sich eine Dame darunter.

Der Spieler sagte: »Ich weiß nicht, wer die fünfte Dame ins Spiel gebracht hat. Ich jedenfalls nicht. Und darum gehört der Pot mir.«

»Nein.« Brewster schüttelte den Kopf. »Notfalls holen wir den Sheriff und ...« Er griff unter seine Jacke.

Der Spieler zog blitzschnell seinen Revolver und feuerte. Brewster bekam die Kugel in die Brust und kippte samt Stuhl nach hinten um. Seine Hand rutschte unter der Jacke hervor. Sie hielt die Brieftasche. »Ich – ich wollte doch nur ...« Seine Stimme erstarb. Ein Gurgeln kämpfte sich in seiner Brust hoch und platzte über seine Lippen.

Vor dem Gesicht des Spielers schwebte eine Pulverdampfwolke. Ein Rauchfaden kräuselte aus der Mündung des Bullcolts, den er unter der Jacke hervorgezaubert hatte. Seine Augen flackerten.

»Verdammt!«, rief jemand. »Der Mann war unbewaffnet.«

Jemand kniete bei dem Verletzten ab. Brewster murmelte mit verlöschender Stimme. »Holt Richter Humphrey her. Schnell. Es – es ist sehr wichtig. Bitte, holt den Richter ...«

Der Spieler schwenkte den Revolver in die Runde. Er vermittelte einen gehetzten Ausdruck. »Er griff unter die Jacke, und ich dachte, er greift nach einem Revolver«, hechelte er. »Versucht nur nicht, mich aufzuhalten. Es – es war ein Unfall. Er hätte nicht unter seine Jacke greifen sollen ...«

Er schob sich zum Ausgang. Niemand hinderte ihn. Er war voll Panik, und das machte ihn unberechenbar und gefährlich. Dann war er draußen. Da standen einige Pferde. Er band eines der Tiere los und schwang sich in den Sattel. Hart trieb er das Tier an ...

*


Es war früher Morgen, als jemand an die Tür meiner Unterkunft klopfte. Ich lag noch im Bett. Das Zimmer teilte ich mir mit einigen anderen Marshals. Sie waren – abgesehen von meinem Partner Joe Hawk – irgendwo im Panhandle unterwegs. Im nächsten Bett lag Joe. Ich richtete meinen Oberkörper auf und rief: »Wer ist draußen?«

Es war Simon Calispel, der Sekretär des Richters. Er sagte: »Raus aus den Betten, ihr faule Bande. Der Richter will euch sehen. Also schwingt die müden Hufe!«

Joe schoss von seinem Bett in die Höhe. »Ich mache der kleinen Kanaille einen Knoten in den Hals ...«

Simon verschwand wie der Blitz.

Es war immer dasselbe mit den beiden.

Ich erhob mich, ging zu der Waschschüssel auf einem eisernen Dreibein und warf mir einige Hände voll Wasser ins Gesicht. Vor dem Fenster hing noch die Morgendämmerung. Es wunderte mich, dass der Richter um diese Zeit schon im Dienst war. Ich griff nach dem Handtuch, das an der Wand hing ...

Zwanzig Minuten später betraten wir das Büro des Richters. Humphrey sah müde aus. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe. Sein Gesicht war ausgesprochen ernst. »Guten Morgen, Marshals«, begrüßte er uns. »Bitte, nehmen Sie Platz.«

Wir setzten uns an den kleinen, runden Tisch.

»Ich habe einen besonderen Auftrag für Sie«, sagte der Richter. »Heute Nacht wurde im Cristal Palace ein alter Freund von mir erschossen. Sein Name ist Joshua Brewster. Er betreibt eine Ranch unten im Val Verde County. Um die Ranch ist es nicht besonders gut bestellt. Darum hat Josh eine Herde nach Amarillo getrieben. Der Erlös der Herde – 20.000 Dollar – ist dafür bestimmt, eine Hypothek bei der Bank in Comstock abzulösen.«

Der Richter machte eine Pause.

Joe und ich schwiegen.

Der Richter fuhr fort: »Der Mann, der Josh erschoss, heißt James Lancer. Er erschoss Josh, als dieser in die Tasche griff, um seine Brieftasche herauszuholen. Der Bursche ist geflohen, als er merkte, dass er einen waffenlosen Mann niedergeschossen hat.«

»Wir sollen ihn schnappen und zurückbringen, wie?«, fragte Joe.

»Das wird Ihr Job sein, Joe«, versetzte der Richter, dann heftete er seinen Blick auf mich. »Mit seinem letzten Atemzug hat mich Josh gebeten, sicherzustellen, dass die 20.000 Dollar auf jeden Fall die Dry Devils Ranch erreichen. Ohne das Geld kommt sie unter den Hammer. Darum bitte ich Sie, Logan, das Geld auf die Ranch zu bringen.«

»Kann nicht jemand anderes ...?«

»Es ist mir sehr wichtig, Logan.«

Ich konnte mich der Bitte des Richters nicht verschließen.

*


Das Geld war bei der Bank hinterlegt. Ich sattelte mein Pferd, verabschiedete mich von Joe, dessen Job es war, James Lancer zu stellen und nach Amarillo zurückzubringen, dann schwang ich mich in den Sattel und ritt zur Bank.

Richter Humphrey hatte bereits mit dem Bankier gesprochen. Er händigte mir ohne große Formalitäten die Satteltaschen mit dem Geld aus. Als ich die Bank verließ, sah ich einige junge Kerle in der Nähe herumlungern. Sie waren gekleidet wie Cowboys und schauten zu mir her. Ich schnallte die Taschen hinter meinem Sattel fest und saß auf. Mit einem Schenkeldruck trieb ich mein Pferd an. Es war ein Rotbrauner, der sich leicht führen ließ. Er setzte sich in Bewegung. Ich wandte mich in eine Gasse, die nach Süden aus der Stadt führte.

Wenig später lag Amarillo hinter mir. Hin und wieder schaute ich mich um. Hügel begrenzten jedoch mein Blickfeld. Mir kamen die Kerle in den Sinn, die mich beim Verlassen der Bank beobachtet hatten, und ein beklemmendes Gefühl machte sich in mir breit. Ich folgte den Windungen zwischen den Hügeln. Das Gras war staubig. Der Wind brachte den feinen Staub, der alles puderte, von Süden, vom Llano Estacado herauf. Es war ein klarer, kalter Tag im Dezember. Bäume und Sträucher waren entlaubt. Schnee war noch nicht gefallen. Die Sonne schien und der Himmel, der sich über mir spannte, war blau. Hier und dort zogen weiße Wolken.

Dumpf pochten die Hufe meines Pferdes. Weiße Dampfwolken standen vor den Nüstern des Tieres. Ich schaute zurück und konnte die Spur, die mein Pferd hinterließ, deutlich erkennen. Sie zog sich wie ein dunkler Strich durchs kniehohe Gras. Als ich einmal auf einen Hügel ritt, um auf meiner Fährte zurückzublicken, sah ich die fünf Reiter. Mir war klar, dass sie mich verfolgten. Schlagartig wurde mir bewusst, dass es ein Himmelfahrtskommando war, mit dem mich der Richter betraut hatte.

Ich ritt weiter, wandte mich aber nach Westen, um auf felsiges Terrain zu geraten, wo ich hoffte, meine Spur zu verwischen. Meile um Meile zog ich dahin. Die Vegetation wurde karger, und schließlich ritt ich zwischen die ersten Felsen. Der Boden war steinig, manchmal klirrte es, wenn ein Hufeisen gegen Gestein schlug. Die Vegetation bestand aus Mesquitesträuchern und dornigen Comas.

Die Wüste schien nur aus totem Gestein, Wind und Staub zu bestehen. Wispernd strich der Wind an den kahlen Felsen entlang, raschelte in den Zweigen der halbverdorrten Sträucher und wühlte im feinkörnigen Sand, der das ganze Land wie grauer Puder überzog. Gerölltrümmer lagen überall umher und zwangen mich, manchmal große Bogen zu reiten. Vor mir erhob sich eine Hügelkette mit steilen Geröllfeldern, und ich befürchtete schon, dass ich mitten hindurchreiten musste, als ich den schmalen Pfad entdeckte, der sich in Windungen über einen der Hügel hinwegzog.

Ich folgte diesem Pfad, durchritt ein staubiges Tal, folgte einem aufsteigenden Canyon zu einem Bergsattel, dann ging es wieder einen sich abwärts senkenden Canyon hinunter. Der Canyon war tief und ich hatte das Gefühl, ins Innere der Erde hinabzusteigen.

Und als ich aus dem Canyon hinausritt, kam mir aus einer Schlucht ein Reiter entgegen. Er saß vornübergeneigt im Sattel, sein Pferd ging im Schritt. Das Gesicht des Mannes lag im Schatten der Hutkrempe.

Ich hielt an. Mein Pferd trat auf der Stelle. Ich nahm es in die Kandare. In mir loderte die Flamme des Misstrauens. Die Kerle, die mich vor der Bank in Amarillo beobachtet hatten, kamen mir wieder in den Sinn. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung, dass es sich um die Treibermannschaft handelte, die mit Joshua Brewster die Herde nach Amarillo gebracht und die Brewster nach erfolgreichem Trieb entlassen hatte.

Dann war der Bursche heran. Er hatte die rechte Hand unter die linke Achsel geklemmt. Er hob das Gesicht. Der Bursche war höchstens Mitte zwanzig und stoppelbärtig. Und unvermittelt zog er seine Hand unter der Achsel hervor. Sie hielt einen Revolver. Ich gab meinem Pferd die Sporen. Aus dem Stand sprang das Tier an, und ehe sich der Bursche versah, rammte mein Pferd das seine. Zugleich zog ich den Remington.

Der Kerl wurde aus dem Sattel katapultiert und krachte auf den Boden. Ich jagt davon, auf die Schlucht zu, aus der der Bursche gekommen war. Ein Schuss krachte, aber die Kugel verfehlte mich. Dann stob ich zwischen die Felsen. Als ich mich einmal umschaute, sah ich, dass zwei Reiter hinter mir hersprengten. Sie mussten irgendwo zwischen den Felsen gesteckt haben. Die Hufe trappelten und die Echos vervielfältigten die hämmernden Geräusche. Die Schlucht war voll vom Krachen der Hufe. Und dann sah ich zwei Reiter, die mir den Weg versperrten. Ich zerrte mein Pferd in den Stand und sprang ab. Mit zwei Griffen löste ich die Taschen mit dem Geld vom Sattel, dann schnappte ich mir die Winchester und rannte in einen Felsriss, der sich rechterhand öffnete. Eisige Luft strömte mir entgegen. Der Boden stieg an. Er war geröllübersät. Der Riss erweiterte sich. Das Poltern der Hufe holte mich ein. Der Anstieg wurde immer steiler. Unter meinen Schritten löste sich Geröll und kollerte in die Tiefe.

Bald pumpten meine Lungen. Ich spürte, wie mir trotz der Kälte der Schweiß ausbrach. Dann endete der Anstieg und ich befand mich auf einem Plateau, aus dem zerklüftete Felsen ragten. Der Wind trieb Staubwirbel vor sich her. Ich verschnaufte kurz und lauschte hinter mich. Das Poltern von Geröll verriet mir, dass meine Verfolger auf dem natürlichen Pfad zwischen den Felsen nach oben kamen.

Ich lief ein Stück über das Plateau und versteckte mich zwischen den Felsen. Herzschlag und Atmung nahmen bei mir wieder den regulären Rhythmus auf. Ich hatte die Satteltaschen zu meinen Füßen abgestellt und hielt mit beiden Händen die Winchester. Eine Patrone befand sich in der Kammer.

Und dann kamen drei der Kerle. Sie liefen sofort auseinander und gingen in Deckung. Ich hörte ihre Stimmen. Sie verständigten sich gegenseitig. Und dann sah ich einen von ihnen hinter einem Felsen hervortreten. Er bewegte sich geduckt, in seinen Händen lag das Gewehr. Er hielt es schräg vor seiner Brust. Langsam näherte er sich mir. Ich schoss. Die Kugel pflügte vor seinen Füßen den Boden und ließ den Staub spritzen. Der Bursche stieß sich ab und rannte wie von Furien gehetzt in Deckung. Und dann krachten die Gewehre der drei. Es war ein hämmerndes Stakkato. Querschläger quarrten ohrenbetäubend. Schlagartig brach der Krach ab. Pulverdampf zerflatterte über den Deckungen. Wie ein Leichentuch senkte sich die Stille zwischen die Felsen.

»Gib auf, Marshal!«, schrie einer rau. »Wir kriegen dich.«

Ich gab keine Antwort sondern zog mich zurück, darauf bedacht, immer die Felsen zwischen mir und meinen Gegnern zu haben. Dann musste ich ein Stück freies Terrain überqueren, ehe mir wieder Felsen Deckung boten. Ich spurtete los. Ein Schuss peitschte. Ich schlug einen Haken. Dann erreichte ich die Felsen und sprang in einen Felsspalt, der mir Schutz bot.

Die Kerle griffen an. In der Zwischenzeit hatten sich auch die beiden anderen hinzugesellt. Es wurde für mich brenzlig. Einer der Kerle verließ seine Deckung und rannte zu nächsten. Ehe er sie erreichte, schoss ich ihm eine Kugel ins Bein. Er stürzte und kroch zwischen die Felsen, dann erklang seine schmerzgepresste Stimme: »Er hat mich erwischt! O verdammt, er hat mir eine Kugel in den Oberschenkel geknallt.«

Ich setzte mich in Bewegung. Die Satteltaschen hatte ich mir über die Schulter gehängt. Im Gewirr der Felsen gelang es mir, mich abzusetzen. Ich beobachtete die Kerle, wie sie das Plateau verließen. Es war ihnen wohl zu gefährlich geworden, mich offen anzugreifen. Einer stürzte sich schwer auf seinen Komplizen. Es war der Kerl, dem ich eine Kugel ins Bein geschossen hatte.

Ich hatte kein Pferd. Zu Fuß machte ich mich auf den Weg nach Süden. Mir war klar, dass die Kerle nicht aufgeben würden.

*


»Es ist ein glatter Durchschuss«, sagte Dennis Carter.

Herb Callagher saß am Boden. Er hatte die Hose hinuntergelassen. Blut sickerte aus den beiden Wunden, die die Kugel in seinen Oberschenkel gerissen hatte.

Jim Morgan kam mit einer Binde, die er aus der Satteltasche genommen hatte, und machte sich daran, die Wunden zu verbinden. »Daran stirbst du nicht.«

Jesse Jackson räusperte sich und sagte: »Er kommt nicht weit ohne Pferd. Irgendwo weiter südlich werden wir ihn abfangen. Und dann werden wir keine Rücksicht mehr auf sein Leben nehmen.«

»Der Hurensohn ist gefährlicher als ein Nest voller Klapperschlangen«, bemerkte John Prewitt. »Wir dürfen ihn auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen.«

Dennis Carter ergriff das Wort: »Wir versuchen, seine Spur aufzunehmen. Jesse hat recht. Ohne Pferd kommt er nicht weit. Wenn wir ihn eingeholt haben, kreisen wir ihn ein. Und dann ...«

»Das gefällt mir nicht«, murmelte Herb Callagher, dem der Schmerz die Tränen in die Augen trieb. »Mord an einem U.S. Marshal ist sicher kein Kavaliersdelikt. Sind es 20.000 Dollar wert, dafür gejagt zu werden wie ein tollwütiger Hund und am Ende vielleicht gehängt zu werden?«

»Wir verschwinden aus Texas, sobald wir das Geld haben«, erklärte Dennis Carter. »Außerdem wird nie jemand erfahren, was aus dem Marshal wurde. In diesem Land kann ein Mann verschwinden wie ein Sandkorn in der Wüste. Mach dir keine Sorgen, Herb.«

Dann hatte Jim Morgan die Wunde verbunden. Herb Callagher erhob sich stöhnend und zog seine Hose in die Höhe. Das Hosenbein war am Oberschenkel blutgetränkt. Er schloss die Hose. »Dafür werde ich diesem Hurensohn die Haut streifenweise abziehen.«

Dennis Carter zog seinen Tabakbeutel aus der Jackentasche und drehte sich eine Zigarette. Als sie brannte, sagte er: »Jesse, John, versucht, seine Spur aufzunehmen. Und wenn ihr sie gefunden habt, gebt uns Rauchzeichen. Wir warten hier.«

Jesse Jackson und John Prewitt stiegen auf ihre Pferde und ritten davon. Die Nasen ihrer Pferde wiesen nach Westen.

Nach zwei Stunden kamen sie zurück. Jackson legte beide Hände auf das Sattelhorn und beugte den Oberkörper ein wenig nach vorn. »Nichts. Der Hundesohn scheint sich in Luft aufgelöst zu haben. Aber die nächste Stadt weiter südlich ist Canyon. Dort versucht er vielleicht, sich ein Pferd zu beschaffen. Wir sollten dem Ort einen Besuch abstatten.«

»Reiten wir«, sagte Dennis Carter, der so etwas wie die Rolle des Anführers des Rudels einnahm.

*


Meine Füße brannten. Ich hatte mich wieder nach Osten gewandt und folgte dem Palo Duro Creek in den gleichnamigen Canyon. Die Felsen zu beiden Seiten erhoben sich steil und muteten mich himmelhoch an. Es ging auf den Abend zu. In der Schlucht war es schon düster. Langsam wurde für mich jeder Schritt zur Tortur. Aber ich hatte ein Ziel. Und das war der Ort Canyon. Dort wollte ich mir ein Pferd beschaffen und die Nacht verbringen.

Mechanisch setzte ich einen Fuß vor den anderen. Der Creek rauschte und gurgelte. Hier und dort wuchs am Ufer ein Strauch. Es gab keinen Weg. Felsen ragten aus dem Boden. Ich schaute nach oben. Der Wind trieb Staubfahnen über die Ränder der Felsen. Im Canyon war es windstill.

Schnell kam die Finsternis. Am Himmel flimmerten Myriaden von Sternen. Der Mond war noch hinter den Felsen im Osten verborgen. Meine Füße wurden schwer wie Blei. Leise klirrten meine Sporen. In der Schlucht war es finster. Mit dem Einbruch der Nacht hatte die Kälte zugenommen.

Irgendwann sah ich weit vor mir einige Lichter. Erleichtert atmete ich auf. Ich hatte Canyon erreicht. Der Anblick der Lichter beflügelte mich. Ich mobilisierte noch einmal sämtliche Reserven, die in mir steckten. Die Lichter rückten näher. Und dann taumelte ich zwischen die ersten Häuser der Stadt. Aus den Schornsteinen stieg Rauch. Es roch nach verbranntem Holz. Viele der Häuser lagen schon in Dunkelheit.

Ich ging zum Mietstall. Das Tor war geschlossen. Ich hob den Riegel aus der Verankerung und öffnete einen der Torflügel. Er knarrte in den Angeln. Warme Luft schlug mir entgegen, durchsetzt von der Ausdünstung der Pferde und dem Geruch von Heu und Stroh. Ich riss ein Schwefelholz an, vager Lichtschein umgab mich, der allerdings schon nach einem halten Schritt endete. Neben dem Tor hing an der Wand eine Lampe an einem Nagel. Ich nahm sie herunter und zündete sie an. Es schepperte, als ich den Glaszylinder wieder über die Flamme stülpte. Das Licht kroch auseinander.

Eine Leiter führte hinauf zum Heuboden. Ich stieg sie empor und löschte oben die Laterne. Dann legte ich mich ins Stroh.

Lautes Knarren weckte mich. Es war düster. Durch die Ritzen zwischen den Brettern der Stallwand sickerte Tageslicht. In den schrägen Bahnen tanzten winzige Staubpartikel. Ich erhob mich und klopfte Heureste von meiner Kleidung. Dann stieg ich nach unten. Überrascht musterte mich der Stallmann. Er kannte mich. »Guten Morgen, Marshal«, grüßte er.

»Ich war so frei und habe hier im Stall übernachtet«, sagte ich. »Sie haben doch sicher nichts dagegen.«

»Warum sollte ich? Wann sind Sie denn angekommen?«

»Irgendwann gegen Mitternacht. Ich bin auf dem Weg nach Süden und habe mein Pferd verloren. Einige Banditen haben es mir abgejagt. Sie werden mir ein Reittier leihen müssen.«

»Waren es fünf Kerle, Marshal, die Ihnen das Pferd abjagten?«

»Ja, das kann hinkommen.«

»Die sind in der Stadt. Einer von ihnen hat eine Kugel im Bein und hat ärztliche Hilfe in Anspruch genommen.«

»Das sind sie«, sagte ich. »Sie befinden sich noch in Canyon?«

»Ja. An Ihrer Stelle würde ich mich aber nicht mit den fünf Burschen anlegen. Das sind keine Anfänger. Ich kann Männer einschätzen. Und die fünf sind Wölfe.«

Ich nagte an meiner Unterlippe. Dann sagte ich: »Wahrscheinlich haben Sie recht. Suchen Sie mir ein gutes und ausdauerndes Pferd aus und legen Sie ihm einen Sattel auf. Ich werde unverzüglich die Stadt verlassen.«

»Warum hat es das Quintett auf Sie abgesehen, Marshal?«

»Sie sind hinter dem Geld her, das sich hier in diesen Satteltaschen befindet«, antwortete ich. »20.000 Dollar, die ich ins Val Verde County zu bringen habe. Diese Summe bringt so manchen Mann auf krumme Gedanken.«

Der Stallmann pfiff zwischen den Zähnen. »Das ist eine Menge Geld.«

Er holte ein Pferd aus einer Box. Es war ein hochbeiniger Grauer mit breiter Brust, was Schnelligkeit und Ausdauer verriet. »Ist der in Ordnung?«, fragte der Stallmann.

Ich nickte.

Er sattelte und zäumte ihn. Ich schnallte zuletzt die Satteltaschen fest und versenkte mein Gewehr im Sattelschuh, dann führte ich das Pferd aus dem Stall und saß auf. Ich ritt nicht auf die Straße, sondern benutzte eine Gasse, um die Stadt zu verlassen. Die nächste Stadt, Tulia, war etwa vierzig Meilen von Canyon entfernt. Ich wollte sie bis zum Abend erreichen.

*


Grazia Esteban schaute aus dem verstaubten Fenster. Es war um die Mitte des Vormittags. Auf der Straße und den Gehsteigen bewegten sich einige Passanten. Ein Mann erregte die Aufmerksamkeit der schönen Mexikanerin. Er war Ende zwanzig und kam langbeinig über die Straße. Ein Lächeln umspielte die sinnlichen Lippen der Frau. Ihre dunklen Augen begannen in einem besonderen Licht zu glänzen. Sie wandte sich vom Fenster ab.

Ja, Grazia Esteban war eine sehr schöne Frau von fünfundzwanzig Jahren. Sie hatte lange, schwarze Haare, die in sanften Wellen auf ihren Rücken und ihre Schultern fielen. Ihr Gesicht verriet Rasse, sie war schlank, aber dennoch wohlproportioniert und mittelgroß.

Es klopfte gegen ihre Tür.

»Es ist offen.«

Die Tür ging auf, Jack Webb betrat das Zimmer. Der Ranchersohn blickte düster drein. Von ihm ging etwas aus, das Grazia seltsam berührte. Ihr Lächeln erlosch. »Hola, Cariño«, sagte die Frau. Erwartungsvoll-fragend musterte sie den Mann.

Dieser baute sich vor ihr auf, stemmte beide Hände in die Seiten und sagte grollend: »Ich habe mich gestern mit Kim Merewither verlobt. Wir wollen heiraten.«

Grazia war wie vor den Kopf gestoßen. »Aber ...«

»Kein aber! Es ist so.«

»Aber sagtest du nicht, dass du mich liebst und dass ich deine Frau ...«

Er verzog geringschätzig den Mund. »Sicher, das sagte ich.« Er zeigte ein scharfes Grinsen, das jedoch seine Augen nicht erreichte. »Schließlich musste ich dich mit etwas ködern. Anders hätte ich dich wohl kaum bekommen.« Sein Grinsen zerrann, seine Brauen schoben sich düster zusammen. »Damit ist Schluss. Ich hatte nie vor, dich zu heiraten. Das hätte mein Vater auch gar nicht geduldet.«

Grazias Gesicht verzerrte sich. »Ich kann das nicht glauben.«

Er winkte ungeduldig ab. »Diese Stadt lebt im Schatten meines Vaters, und eines Tages wird sie in meinem Schatten leben. Für dich gibt es hier keinen Platz mehr, Honey. Du weißt, was ich meine.«

»Du – du willst mich aus dem Weg haben. Por Dios, was bist du für ein Schuft. All die Monate war ich dir recht. Du – du hat mich benutzt, du hast mich schamlos ausgenutzt. Du heiratest Kim Merewither doch nur, weil ihr Vater ein reicher Viehhändler ist und ...«

Hart unterbrach er sie: »So ist es. Was bist du denn? Ein mexikanisches Flittchen, das jeden Abend im Saloon singt. Denkst du wirklich, mein Vater ließe zu, dass du dich auf der Ranch einnistest? Niemals! Nimm es hin, wie es ist. In einer Stunde fährt die Postkutsche nach Süden. Nimm sie, Honey. Ich kann dich fertigmachen. Das weißt du sicher. Ich kann dafür sorgen, dass du hier keinen Fuß mehr auf die Erde kriegst. Also sei vernünftig und verschwinde.«

»Du bist ein verdammtes Schwein.«

Er zog auf und schlug ihr die flache Hand ins Gesicht. Seine Finger zeichneten sich rot auf ihrer Wange ab. »Das ist nur ein kleiner Vorgeschmack von dem, was du zu erwarten hast, wenn du nicht verschwindest!«, zischte Jack Webb. Er packte sie am Oberarm, schob sie zum Bett und versetzte ihr einen Stoß, der sie auf die Liegestatt warf. »Bevor ich jedoch gehe, will ich dich noch einmal haben, Honey. Also stell dich nicht an und zieh dich aus ...«

Er begann, seine Hose aufzuknöpfen.

»Du – du musst verrückt sein!«, stieß Grazia hervor. »Wie könnte ich dir noch zu Willen sein? Geh zu deiner Kim! Ich ...«

Er beugte sich über sie und schlug ihr den Handrücken bretterhart auf den Mund. Ihre Lippe platzte auf, Blut rann über ihr Kinn. Ein Aufschrei entrang sich ihr. »Hier gilt nur ein Wille!«, knurrte Jack Webb. »Und das ist meiner. Also, zieh dich aus! Oder muss ich mir mit Gewalt nehmen, was du mir freiwillig nicht geben willst?«

Ein Blick in sein Gesicht verriet Grazia all die Skrupellosigkeit, die in ihm steckte. Seine Worte und sein Verhalten waren erschreckend in ihrer Unmissverständlichkeit. In seinen Augen glitzerte ein böses Licht der Unduldsamkeit und der Habgier.

Grazia warf sich herum. Ihre Hand fuhr unter das Kopfkissen. Als sie wieder zum Vorschein kam, hielt sie einen Derringer. Sie richtete ihn auf Jack Webb und zischte: »Verschwinde aus meinem Zimmer, Jack, oder ich erschieße dich!«

Er erstarrte. In seinem Gesicht arbeitete es. Dann knirschte er: »Das würdest du nicht wagen.«

»Doch!«, versetzte sie mit klirrender Stimme.

Er lachte rasselnd. »Nein, o nein, das wagst du nicht. Mein Vater würde dir den schönen Hals lang ziehen. Also, nimm das Spielzeug runter und lass es über dich ergehen. In einer Stunde verlässt du die Stadt und ...«

»Ich zähle bis drei! Und wenn du dann nicht zur Tür hinaus bist, schieße ich.«

Er fuhr fort, seine Hose aufzuknöpfen. »Du bluffst doch nur, Honey. Komm, nimm Vernunft an. Ich werde es dir noch einmal richtig besorgen und du wirst ...«

»Eins!«

Er warf sich auf sie. Grazia drückte ab. Ein zerrinnender Ton brach aus Jack Webbs Kehle. Seine Gestalt erschlaffte auf der Frau. Grazia wand sich unter ihm hervor. Entsetzt starrte sie ihn an. In seinen Mundwinkeln zuckte es. »Hölle«, keuchte er. »Du – du hast mir – eine Kugel ...«

Er bäumte sich auf, fiel zurück und war tot. Ausdruckslosigkeit senkte sich in sein Gesicht – es war die absolute Leere des Todes ...

»O mein Gott!«, entrang es sich der Frau. Sie war fassungslos, in ihren Augen irrlichterte es. Schlagartig wurde ihr die Tragweite ihres tödlichen Schusses bewusst. Kalt und stürmisch kam die Angst vor Big Adam Webb, dem Boss der Diamant-W Ranch.

Grazia zwang sich zur Ruhe. Ihre Hand, die den Derringer hielt, hing schlaff nach unten. Im Saloon unten war noch kein Betrieb. Sie fragte sich, ob jemand auf der Straße den Schuss gehört hatte. Grazia ging zum Fenster, schob es in die Höhe und beugte sich hinaus. Vor dem Saloon hielt sich niemand auf. Wahrscheinlich war der Knall des Derringers gar nicht bis auf die Straße gedrungen.

Die Frau wandte sich ab. Auf dem Bett lag der tote Ranchersohn. Seine gebrochenen Augen drückten Unglauben und das letzte Entsetzens seines Lebens aus. Grazia schluckte würgend. Ihr Kehlkopf rutschte hinauf und hinunter. Sekundenlang stand sie wie gebannt auf der Stelle, die linke Hand auf den Halsansatz gepresst, also versuchte sie so, ihren fliegenden Atem zu beruhigen.

Schließlich aber kam Leben in ihre Gestalt. Sie legte den Derringer auf den Tisch, öffnete den Kleiderschrank, nahm eine Reisetasche heraus und begann, sie mit ihren Utensilien vollzustopfen. Wahllos warf sie alles an Kleidung hinein, was ihr in die Hände fiel. Zuoberst verpackte sie den Derringer, dann zog sie sich eine warme Jacke an und verließ das Zimmer. Sie sperrte es von außen ab.

Im Schankraum befand sich niemand. Grazia verließ den Saloon durch die Hintertür. Auf Schleichwegen erreichte sie den Mietstall. Der Stallbursche machte große Augen, als er sie sah. »Sie, Señorita«, sagte er erstaunt.

»Man hat mich aus der Stadt gewiesen«, sagte Grazia. »Ich brauche ein Pferd und einen Wagen. Einen Einspänner. Ich kann alles bezahlen.«

»Wie bitte? Wer hat Sie aus der Stadt gewiesen?«

»Jack Webb, im Namen von Big Adam Webb.«

»Aber, ich dachte ...«

»Er hat mich nur ausgenutzt. Gestern hat er sich mit Kim Merewither verlobt, und nun bin ich ihm im Weg. Er hat mir eine Stunde Zeit gegeben. Die Stunde ist gleich vorbei. Können Sie mir einen Wagen und ein Pferd verkaufen?«

»Natürlich, Señorita. Ich spanne das Pferd an. Warten Sie nur wenige Minuten.«

»Beeilen Sie sich.«

Der Stallbursche machte sich an die Arbeit. Und während er ein Pferd vor den Buggy spannte, sagte er: »Webb ist vor einer halben Stunde in die Stadt gekommen. Er hat sein Pferd bei mir untergestellt. Ich war schon verwundert, weil er mitten in der Woche am helllichten Tag in die Stadt kam und ich sagte mir, dass es schon ein besonderer Grund sein müsse, das ihn herführt. Wo ist er jetzt?«

»Im Saloon.«

Schweigend vollendete der Stallmann seine Arbeit. Grazia zahlte das Gespann, verstaute ihr Gepäck hinter dem Sitz, dann stieg sie in den Wagen. Der Stallbursche reichte ihr die Zügel. »Hüh!« Sie ließ die Zügel auf den Rücken des Pferdes klatschen. Das Tier zog an, der Wagen setzte sich in Bewegung. Der Stallmann blickte der Frau hinterher. Ein ungewisses Gefühl sagte ihm, dass etwas nicht stimmte. Woher es rührte, entzog sich seinem Verstand.

*


»Mein Sohn ist tot, sagst du«, stieß Big Adam Webb hervor. »Erschossen! Und dieses Satansweib ist spurlos verschwunden!«

Die Stimme des Ranchers klang wie fernes Donnergrollen. Sie wies einen unheilvollen Unterton auf. Durchdringend starrte Webb den Mann aus Abernathy an, der ihm die Hiobbotschaft überbracht hatte. Sie befanden sich in der Halle des Ranchhauses. Sie war prunkvoll eingerichtet. Schwere Polstermöbel nahmen die Mitte des Raumes ein. An den Wänden standen Vitrinen mit viel Kristall. Die Wand über einem offenen Kamin war mit alten Waffen und indianischen Handarbeiten dekoriert.

Big Adam strich sich mit fahriger Geste über die Augen. Schwerfällig ging er zu einem der Sessel und ließ sich hineinfallen. »Und niemand in der Stadt will den Schuss gehört haben«, murmelte er.

»Ihr Sohn kam kurz vor zehn Uhr in die Stadt. Er hat sein Pferd im Mietstall untergestellt. Dann ging er in den Saloon und besuchte sofort die Sängerin in ihrem Zimmer. Was dort geschah, weiß niemand. Vom Stallmann weiß ich, dass Grazia einen Wagen und ein Pferd kaufte und die Stadt verließ.«

»Jack war mein einziger Sohn.« Der Rancher murmelte es wie im Selbstgespräch vor sich hin. Gedankenverloren starrte er auf die Tischplatte. In seinem Gesicht zuckten die Muskeln. Nur das Ticken des Regulators an der Wand war zu vernehmen. Rhythmisch schwang das Messingpendel der Uhr hin und her. Der Bote aus der Stadt hatte trotz der Uhr das Gefühl, dass die Zeit plötzlich stillstand.

Das änderte sich, als sich der Rancher mit einem Ruck erhob. Ein entschlossener Ausdruck prägte jeden Zug seines kantigen Gesichts. »Ich reite mit den verfügbaren Männern in die Stadt.« Er ging zur Tür und riss sie auf, trat hinaus auf die Veranda, legte beide Hände auf das Geländer und brüllte: »Wilson!«

Aus einem Anbau, in dem das Ranch Office untergebracht war, trat ein hochgewachsener Mann. »Hier, Boss. Was gibt es?«

»Jack ist tot«, grollte der Rancher. »Die mexikanische Hure hat ihn erschossen. Wir reiten in die Stadt. Jag alle verfügbaren Männer in die Sättel.«

»Was?!«

»Du hast richtig gehört. Mein Sohn ist tot. Soeben hat man mir die Nachricht überbracht. Lass mein Pferd satteln. In einer Viertelstunde reiten wir.«

Fünfzehn Minuten später waren ein halbes Dutzend Reiter auf dem Weg nach Abernathy. Der Rancher ritt mit Trauer im Herzen. Er war erschüttert und fassungslos – aber da war noch mehr. Da war verzehrender Hass – Hass auf die Frau, die seinen Sohn auf dem Gewissen hatte. Ein Hass, der kein Verständnis, keine Zugeständnisse und keine Versöhnung kannte.

Der Ranch ritt mit seinem Vormann Hank Wilson an der Spitze des kleinen Rudels. Die Hufe rissen kleine Staubwolken in die klare Luft. Der Mann aus Abernathy hatte sich der Crew angeschlossen. Er ritt am Ende. Die Männer ritten in dumpfes Schweigen versunken. Die Hufe pochten, Gebissketten klirrten, Sattelleder knarrte. Manchmal wieherte ein Pferd.

Sie erreichten die Stadt nach einer Stunde. Menschen standen auf der breiten, staubigen Main Street in Gruppen zusammen. Sie gestikulierten und debattierten. Als das Rudel auftauchte, brachen die Gespräche ab. Mit gemischten Gefühlen beobachteten die Menschen den kleinen Pulk.

Big Adam ritt zum Haus des Totengräbers und saß ab. »Wartet hier auf mich«, sagte er halblaut, dann ging er sattelsteif hinein. Der Undertaker empfing ihn in der Halle des Hauses. Auf zwei Böcken stand ein offener Sarg, in dem Jack Webb lag. Sein spitzes Gesicht mutete wächsern an. Man hatte ihm die Augen geschlossen. Big Adam trat vor den Sarg hin, sein Blick saugte sich am Gesicht seines Sohnes fest. »Warum hast du keine Kerzen angezündet, Kellog?«

»Ich – ich dachte, Sie – Sie werden ihn auf der Ranch aufbahren und beerdigen. Darum ...«

»Schon gut. Du hast recht. Jack soll auf der Ranch neben seiner Mutter seine letzte Ruhe finden. Bring ihn auf die Ranch, Kellog, und bahre ihn in der Halle des Haupthauses auf. Wir werden ihn begraben, wenn ich zurück bin.«

Der Rancher schwang auf den Absätzen herum und marschierte nach draußen. Dort saß er auf. »Zum Saloon, Leute.«

Sie setzten die Pferde in Bewegung. Ein kalter Hauch schien durch die Stadt zu ziehen. Big Adam verströmte eine tödliche Entschlossenheit. Seine Mannschaft vermittelte einen unübersehbaren Eindruck von Wucht und Stärke. Vor dem Saloon zügelten sie die Pferde und saßen ab. Nachdem sie die Pferde angebunden hatten, gingen sie hinein. Ihre Schritte riefen ein hallendes Echo auf den Dielen des Fußbodens wach. Ihre Sporen klirrten. Die Männer, die sich im Schankraum befanden, schwiegen. Die Leute von der Diamant-W gingen zum Tresen und bauten sich dort auf. »Whisky«, forderte Big Adam.

Der Keeper stellte sechs Gläser vor die Männer hin, angelte sich eine Flasche Whisky und schenkte ein. Der Rancher trank das Glas mit einem Zug leer. »In welche Richtung ist die dreckige Hure geflohen?«

»Einige Leute sahen sie in Richtung Süden die Stadt verlassen«, antwortete der Keeper.

»In Ordnung. Trinkt aus, Leute. Ich will sie vor dem Abend noch einholen.«

Der Ranch machte kehrt und ging zur Tür. Seine Männer beeilten sich, ihm zu folgen. Wenig später stob das Rudel in wilder Karriere aus der Stadt. Es gab keine Schonung für die Pferde. Der Pulk zog eine Staubfahne hinter sich her. Die Poststraße nach Lubbock war von Wagenrädern zerfurcht und von Hufen aufgewühlt. Den Pferden trat weißer Schaum vor die Nüstern. Der Reitwind bog die Krempen der Hüte vorne senkrecht in die Höhe. Die Halstücher flatterten.

»Wir müssen das Tempo drosseln, Boss!«, schrie der Vormann. »Andernfalls halten sie keine halbe Stunde mehr durch.«

Widerwillig fiel der Rancher seinem Pferd in die Zügel. Die Tiere röchelten und röhrten. Ihre Flanken zitterten. Das Fell war dunkel vom Schweiß. Auch die anderen Reiter reduzierten die Geschwindigkeit. Sie ließen die Pferde eine Viertelstunde im Schritt gehen und verschnaufen. Dann trieben sie sie wieder an. Big Adam war voll tödlicher Ungeduld. In ihm wühlte eine böse Leidenschaft. Er wollte seinen Sohn rächen. Dabei spielte es für ihn keine Rolle, dass er eine Frau jagte. Sie hatte seinen Sohn getötet, und nur das zählte. Dafür musste sie büßen.

In einem hämmernden Stakkato stoben die Reiter dahin. Und als die Sonne im Südwesten stand, sahen sie weit vor sich auf der Straße den einsamen Wagen. Ein Stück weiter bohrte sich die Straße zwischen die Hügel. Big Adam riss sein Pferd in den Stand. Der Pulk kam zum stehen. »Wir haben sie eingeholt. Vorwärts, Männer, schnappt sie euch. Ich will dieses Weibsbild hängen sehen. Schnappt sie euch!«

Die Reiter spornten ihre Pferde an ...

*


Grazia vernahm den brandenden Hufschlag und wandte sich um. Der Schreck ging tief. Das Herz drohte ihr in der Brust zu zerspringen. Sie trieb das Pferd an. Der Wagen rumpelte und holperte. Die Frau wurde durch und durch geschüttelt. An ihr schien die Gegend vorbeizufliegen. Es ging zwischen die Hügel. Immer wieder ließ sie die Zügelleinen auf den Rücken des Pferdes klatschen. »Lauf!«, feuerte sie mit schriller Stimme das Tier an.

Angst umkrallte Grazias Herz und wütete in ihren Eingeweiden. ‚Angst‘ war vielleicht gar nicht das richtige Wort, um auszudrücken, was sie empfand. Panik kroch in ihr hoch. Beim Gedanken daran, was Big Adam mit ihr anstellen würde, drohte ihr das Blut in den Adern zu gefrieren. Ihre Nerven lagen blank. Ein Laut, der sich anhörte wie trockenes Schluchzen, entrang sich ihr.

Noch wirbelten die Hufe des Pferdes in einem regelmäßigen Rhythmus. Aber wie lange hielt das Tier noch durch? Sie hatte es nach ihrer Flucht aus Abernathy nicht geschont, weil sie mit Verfolgung gerechnet hatte. Das machte sich nun bemerkbar. Bald würde sich der Hufewirbel verlangsamen ...

»Hüh, hüh, lauf!«

Das Pferd schien das Letzte aus sich herauszuholen. Grazia schaute über die Schulter zurück. Die Reiter hatten aufgeholt. Das Grauen griff mit knöcherner Klaue nach ihr. Ein eisiger Schauer rann ihr über den Rücken hinunter.

Das Pferd konnte nicht mehr. Es wurde langsamer. Grazia versuchte es mit schrillem Geschrei und mit den Zügeln anzufeuern. Vergebens. Das Tier war total verausgabt. Schaum tropfte von seinen Nüstern.

Schnell holten die Reiter auf. Und dann überholte einer das Fuhrwerk, ritt neben das dahinstolpernde Pferd und griff nach dem Zaumzeug. Er brachte das Gespann zum Stehen. Grazia sprang ab und versuchte zu Fuß zwischen die Hügel zu fliehen. Einer der Reiter folgte ihr und ritt sie über den Haufen. Sie stürzte. Ihre Finger verkrallten sich im gefrorenen Boden. Ihre Nägel brachen. Stoßweise atmete sie, ihre Augen flackerten.

Die Reiter kreisten sie ein. Hank Wilson, der Vormann, stieg vom Pferd und trat vor Grazia hin. »Steh auf.«

Als sie nicht sogleich reagierte, packte er sie an den Oberarmen und zerrte sie auf die Beine. Die Frau konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ihre Zähne schlugen wie im Schüttelfrost aufeinander. »Es – es war Notwehr«, stammelte sie. »Jack – wollte mich vergewaltigen.«

»Erzähl das dem Teufel in der Hölle«, erwiderte der Vormann kalt. Dann schaute er einen der Cowboys an. »Nimm mein Pferd, Curly. Ich fahre mit der Lady im Wagen.«

Er bugsierte Grazia zu dem Buggy und nötigte sie, einzusteigen. Er setzte sich neben sie und angelte sich die Zügel. Dann fuhren sie zurück. Die Reiter eskortierten sie. Grazias Hals war trocken wie Wüstensand. Das Herz schlug ihr bis zum Hals hinauf. Ihre Gedanken wirbelten. Die Aussichtslosigkeit ihrer Situation drohte sie wie mit tonnenschweren Gewichten zu erdrücken.

Sie kamen bei Big Adam an. Schwer und wuchtig saß der grauhaarige Rancher auf seinem lehmgelben Wallach. Sein Gesicht hatte sich verkniffen. Seine Augen blickten hart wie Bachkiesel. Der Wagen kam zum Stehen, das Rumpeln und Poltern endete. Auch die Hufschläge und anderen Geräusche verklangen. Nur das Schnauben und Prusten der Pferde war zu vernehmen.

Der Rancher erhob seine Stimme: »Du hast Jack ermordet.«

Grazia zog den Kopf zwischen die Schultern. Ihre Stimmbänder wollten ihr nicht gehorchen. Sie musste zweimal ansetzen, dann sagte sie mit belegter Stimme: »Ich wollte Ihren Sohn nicht töten, Sir. Aber nachdem er mich geschlagen hat, versuchte er mich zu vergewaltigen. Ich setzte mich zur Wehr und bedrohte ihn mit dem Derringer. Er – er ...«

»Du bist ein dreckiges Flittchen. Du hast dich meinem Jungen an den Hals geworfen, weil du dachtest, er würde dich heiraten. Ich weiß alles. Um dich zu nehmen, brauchte er dich nicht zu vergewaltigen. – Hängt sie auf, Leute.«

»Nein!« Gellend schrie es Grazia. »Es – es war ein Unfall! Er stürzte sich auf mich und der Schuss löste sich. Ich – ich will vor ein ordentliches Gericht gestellt werden. Darauf habe ich ein Recht.«

Big Adam nickte seinem Vormann zu. Dieser gab den Männern einen Wink. Zwei saßen ab und packten Grazia. Ein dritter nahm sein Lasso vom Sattel und ritt zu einer Eiche mit dicken, ausladenden Ästen. Über einen dieser Äste warf er das Lasso.

Grazias Hände wurden mit einer Lederschnur auf den Rücken gefesselt. Dann setzte man sie auf ein Pferd und führte es unter die vom Ast baumelnde Schlinge. Einer ritt heran und griff nach der Schlinge. In dem Moment, als er sie der Frau über den Kopf streifen wollte, peitschte ein Schuss.

Die Männer riss es herum. Auf dem Kamm des Hügel weiter westlich verhielt ein Reiter. An seiner linken Brustseite schimmerte ein Stern. Er feuerte noch einmal einen Schuss in die Luft ab, dann trieb er sein Pferd an ...

*


Ich erreichte das Rudel. Stechende Augen taxierten mich, schienen mich einzuschätzen, die Kerle machten sich ein Bild von mir. Einer, der war ungefähr Mitte fünfzig und grauhaarig, stach mir in die Augen. Er verströmte natürliche Autorität und Unduldsamkeit. Der Mann war dazu geboren, Anordnungen zu erteilen, zu loben und zu tadeln und – zu bestrafen. Er starrte mich düster an.

Die Hände der anderen befanden sich nahe bei den Revolvern. Das war eine hartgesottene hartbeinige Mannschaft, die ihrem Boss gehorchte wie Landsknechte ihrem Fürsten. Die Gesichter waren verkniffen, ein Hauch von Unerbittlichkeit und Gnadenlosigkeit ging von ihnen aus.

»Ich habe einiges gegen Lynchjustiz einzuwenden«, rief ich und ließ den Grauhaarigen nicht aus den Augen. »Mein Name ist Bill Logan. Ich bin Deputy Marshal des Bezirksgerichts in Amarillo.«

»Ich sehe Ihren Stern, Marshal«, grollte der Grauhaarige. »Mein Name ist Adam Webb. Man nennt mich Big Adam. Diese Frau hat meinen Sohn ermordet. Und dafür strafe ich sie. Das ist legitim und mein gutes Recht.«

Ich schüttelte den Kopf. »Sie irren sich, Webb. Die Zeit, in der jemand ohne entsprechenden gerichtlichen Beschluss gehängt werden durfte, ist vorbei.«

»Sie ist eine Mörderin, und auf Mord gibt es nur eine Antwort.«

»Es stimmt nicht!«, rief die Frau mit hartem Akzent. »Sein Sohn versuchte mich zu vergewaltigen. Ich habe mich nur gewehrt. Als er sich auf mich stürzte, löste sich der Schuss. Es war ein Unfall, außerdem setzte ich mich nur zur Wehr.«

»Macht weiter«, gebot Adam Webb. »Und Sie sollten sich raushalten, Marshal. Ich tue nur, was getan werden muss. In Abernathy gibt es kein Gesetz. Wir sind auf uns alleine gestellt. Das Gesetz vertrete in diesem Fall ich.«

Einer der Männer legte der Frau den Strick um den Hals und zog die Schlinge ein wenig zu. Ich konnte das Entsetzen in den Augen der Lady erkennen. »Sie – Sie dürfen es nicht zulassen, Marshal«, keuchte sie.

Ich richtete das Gewehr auf Adam Webb und sagte hart: »In dem Moment, in dem Sie den Befehl geben, das Pferd unter ihr wegzutreiben, schieße ich Sie aus dem Sattel. Mir scheint, das ist die einzige Sprache, die Sie verstehen, Mister.«

»Meine Leute würden Sie in Fetzen schießen, Marshal«, drohte Webb.

»Allerdings werden Sie nicht mehr viel davon haben«, versetzte ich kalt und repetierte. Das scharfe, metallische Geräusch hing für einen Sekundenbruchteil in der Luft, dann versank es. »Nimm der Frau den Strick wieder ab!«, kommandierte ich. »Mach schon.«

Aus den Augenwinkeln sah ich eine Bewegung. Ich zuckte halb herum und feuerte, repetierte sofort wieder und richtete das Gewehr erneut auf Adam Webb. Der Bursche, der nach dem Revolver gegriffen hatte, stürzte vom Pferd. Ein langgezogenes Stöhnen war zu vernehmen.

Im Gesicht des Ranchers arbeitete es krampfhaft. Seine Kiefer mahlten. Seine Lippen waren nur ein dünner, messerrückenscharfer Strich. In seinen Augen las ich die tödliche Drohung. Es war ein stummes Duell. Unsere Blicke kreuzten sich wie Degenklingen. Schließlich nickte Webb. »Okay, Lane, nimm ihr den Strick ab.« Und an mich gewandt sagte der Rancher: »Aber in dieser Sache ist nicht das letzte Wort gesprochen, Marshal.«

Zwei Männer saßen ab und kümmerten sich um den Verwundeten. Ich hatte ihm eine Kugel in die Schulter geschossen.

»Ich bringe die Frau nach Lubbock und übergebe sie dort dem Sheriff«, erklärte ich. »Er wird ermitteln, was sich zugetragen hat, und das Gericht wird ein entsprechendes Urteil fällen. Sie, Webb, sind weder Richter noch Henker. Das Gesetz der freien Weide gibt es nicht mehr.«

»Sie hat meinen Jungen ermordet«, knurrte der Rancher, kaum die Lippen bewegend. »Und dafür wird sie sterben. Ich verlasse mich nicht auf die so genannte Gerechtigkeit. Die Gesetze haben Lücken. Sie darf nicht ungeschoren davonkommen.«

»Ich sehe es schon«, sagte ich. »Sie sind nicht zur Vernunft zu bringen. Na schön. Ich werde Ihnen die Möglichkeit nehmen, uns zu folgen. Runter von den Pferden!«

»Bis jetzt geht es nur um die Frau«, grollte der Rancher. »Sie sind nur eine Figur in diesem Spiel, Marshal. Sie sollten aber vermeiden, sich meinen persönlichen Zorn zuzuziehen. Ich warne Sie.«

»Absteigen!«

Der Rancher dachte nicht daran, meiner Aufforderung Folge zu leisten. Ich schoss seinem Pferd eine Kugel zwischen die Vorderhufe. Erdreich spritzte. Das Tier stieg erschreckt auf die Hinterhand und wieherte. Sofort lud ich nach und ließ die Mündung der Winchester über die Kerle pendeln.

Der Rancher hatte Mühe, sich im Sattel zu behaupten und sein Pferd wieder unter Kontrolle zu bringen.

»Mit der nächsten Kugel schieße ich Ihnen das Pferd unter dem Hintern weg!«, drohte ich.

Die Mundwinkel des Ranchers zeigten tiefe Kerben. Ein rasselnder Atemzug entrang sich ihm. Das Flirren in seinen Augen verriet, wie sehr die Wut in ihm wütete.

»Ich warte nicht mehr lange«, stieß ich hervor.

Plötzlich schwang sich Webb vom Pferd. »Das werden Sie büßen, Marshal.«

»Sparen Sie sich Ihre Drohungen.«

»Steigt ab, Leute. Er sitzt am längeren Hebel. Aber noch ist nicht aller Tage Abend.«

Sie schwangen sich aus den Sätteln.

»Und jetzt legt eure Waffen ab!«, befahl ich.

Zähneknirschend kamen sie meinem Befehl nach. Und dann gebot ich ihnen, zu verschwinden. Einer stützte den Verwundeten. Von ihnen ging eine stumme Prophezeiung aus. Die Feindschaft berührte mich wie ein heißer Atem. Adam Webb drohte nicht mehr. Ich blickte den Kerlen nach, bis sie hinter einem Hügel aus meinem Blickfeld verschwanden. Dann ritt ich zu der Frau hin und knüpfte ihre Handfessel auf. Ich saß ab und half ihr vom Pferd.

»Sie hat der Himmel geschickt, Marshal.«

»Sieht so aus«, erwiderte ich. »Machen wir, dass wir wegkommen von hier.«

Ich band die sechs Pferde mit dem Diamant-Brandzeichen zusammen, indem ich immer den Zügel eines Tieres am Sattelhorn des anderes festzurrte. Das vorderste Pferd band ich am Buggy fest. Dasselbe machte ich mit meinem Pferd. Dann half ich der Mexikanerin in den Buggy und setzte mich neben sie. Ich trieb das Pferd an. Die Achsen quietschten leise in den Naben. Ich spürte, dass mich die Frau von der Seite beobachtete.

*


»Dieser verdammte Bastard!«, fluchte der Rancher.

»Ohne Pferde sind wir aufgeschmissen«, gab Hank Wilson, der Vormann, zu bedenken.«

»Ich weiß, verdammt! Holen wir unsere Revolver.«

Die Waffen lagen dort im Gras, wo sie sie hingeworfen hatten. Der Marshal hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie aufzusammeln. Ihre Gewehre steckten in den Scabbards an den Sätteln der Pferde. Webb schickte einen der Cowboys auf einen Hügel, damit er Ausschau nach dem Buggy hielt. Der Cowboy kam zurück und sagte: »Sie sind zwischen den Hügeln verschwunden. Zur Hölle mit diesem Marshal. Bis Abernathy sind es gut und gerne zehn Meilen, und bis Lubbock ist es genauso weit. Wir werden einen halben Tag unterwegs sein.«

»Jammern bringt uns nicht weiter«, knurrte der Vormann. »Es gibt nur die beiden Möglichkeiten. Umkehren oder nach Lubbock laufen.«

»Wir gehen nach Lubbock«, stieß Webb hervor.

Das Rudel setzte sich in Bewegung. In den Gesichtern spiegelte sich wider, was die Männer empfanden. Ihr Zorn auf den Marshal war grenzenlos ...

*


»Er hat mir das Blaue vom Himmel versprochen«, erzählte Grazia Esteban. »Immer wieder beteuerte er, wie sehr er mich liebt und dass er mich auch gegen den Willen seines Vaters heiraten würde. Ich vertraute ihm und gab ihm alles, was eine Frau einem Mann geben kann. Aber dann kam er auf mein Zimmer, eröffnete mir, dass er sich mit Kim Merewither verlobt habe und dass er sie heiraten werde. Er schlug mich, und dann verlangte er von mir, dass ich mich ihm ...«

Grazias Stimme brach.

»Erzählen Sie weiter«, forderte ich.

»Ich – ich nahm den Derringer und bedrohte ihn. Doch er ließ sich nicht beirren und stürzte sich auf mich. Da löste sich der Schuss. Ich wollte ihn nicht töten. Es – es war eine Verkettung unglücklicher Umstände.«

»Wohin wollten Sie fliehen?«, fragte ich.

»Zu meinem Bruder Sebastiano. Er besitzt am Arroyo de la Zorra, jenseits des Rio Grande, eine Hazienda. Zu ihm will ich. Bei ihm kann ich leben.«

»Ich muss Sie dem Sheriff in Lubbock übergeben«, sagte ich. »Die Umstände des Todes von Jack Webb müssen geklärt werden.«

»Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt, Marshal. Das Gericht wird mir glauben müssen. Ich habe in Notwehr gehandelt. Bitte, Marshal, glauben Sie mir. Ich will nicht, dass man mich in Lubbock festhält. Big Adam wird kommen, und er wird nicht ruhen, bis ich elend an einem Strick krepiere. Bringen Sie mich zu meinem Bruder, Marshal. Der Arroyo de la Zorra befindet sich in der Nähe von Del Rio.«

»In diese Gegend muss ich auch«, sagte ich. Dann schüttelte ich den Kopf. »Ich muss Sie nach Lubbock bringen. Schließlich haben Sie einen Mann erschossen.«

Grazia seufzte. »Sind Sie in einer besonderen Mission unterwegs?«

»Ja«, versetzte ich kurz angebunden.

Von da an schwiegen wir.

Die Sonne näherte sich unaufhaltsam dem Westen. Es war kalt. Der Himmel im Osten verfärbte sich grau. Dann ging die Sonne unter und die Düsternis kam. Schnell wurde es finster. Ich wollte an diesem Abend noch Lubbock erreichen. Bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt hatte ich keine Lust, die Nacht im Freien zu verbringen.

Zu beiden Seiten des Weges buckelten die Hügel und Tafelberge. Sie erinnerten an riesige, geduckt daliegende, lauernde Raubtiere aus grauer Vorzeit. Am Himmel blinkten die Sterne. Im Osten schob sich groß und kugelrund der Mond über den Horizont. Wir zogen in den Schattenfeldern der Anhöhen nach Süden.

Und dann sah ich weit vor uns die Lichter von Lubbock. Zehn Minuten später passierten wir die ersten Häuser der Stadt. Aus vielen Fenstern fiel Licht. Ich war schon einige Male hier und kannte mich aus. Mein erster Weg führte mich zum Sheriff's Office. Es war erleuchtet. Ich zügelte das Pferd. Das Poltern und Quietschen endete. Lose schlang ich die Zügel um den Bremshebel, dann stieg ich aus dem Wagen. »Wenn Ihre Geschichte stimmt, dann haben Sie nichts zu befürchten, Ma'am«, sagte ich und half Grazia, auszusteigen. Sie holte ihre Reisetasche aus dem Buggy.

Ich klopfte gegen die Tür des Büros und wurde aufgefordert, einzutreten. Ich ließ Grazia den Vortritt. Hinter mir drückte ich die Tür zu. Am Schreibtisch saß ein Mann und musterte uns interessiert. Ich stellte mich vor, dann sagte ich: »Bei der Lady handelt es sich um Grazia Esteban. Sie hat in Abernathy Jack Webb erschossen. Sie behauptet, es war Notwehr.«

»Big Adam Webb wollte mich hängen«, stieß Grazia hervor. »Ich hatte schon den Strick um den Hals. Der Marshal hat mich gerettet. – Ich bin unschuldig. Als ich Jack erschoss, geschah das in Notwehr.«

Der Gesetzeshüter erhob sich. »Ich bin Deputy Sheriff Matt Jones. Wenn das so ist, muss ich Sie in Gewahrsam nehmen, Lady«, sagte er. »Morgen früh wird Sheriff Wilcox entscheiden, was mit Ihnen zu geschehen hat.« Er holte einen Schlüsselbund aus einem Schub seines Schreibtisches. Dann zündete er eine Laterne an, die auf einem Brett an der Wand stand. »Folgen Sie mir.« Er ging zu einer Tür und öffnete sie. Ich konnte Gitterstäbe sehen. Die Tür führte in den Zellentrakt.

Grazia starrte mich an. Ich nickte. Sie atmete tief durch, dann setzte sie sich in Bewegung und ging am Deputy vorbei in den Zellentrakt. Eine raue Stimme erklang: »Was ist denn das? Gütiger Gott, eine Frau! Und was für eine! Das ist eine Göttin!«

Ich vernahm das Scheppern einer Gittertür.

Wieder erklang die raue Stimme: »Warum sperrst du sie nicht zu uns in die Zelle, Deputy? Wir würden eine Menge Spaß mit ihr haben. Du gönnst uns aber auch gar nichts.«

»Halt die Klappe, Mason!«

Der Deputy kam zurück und schloss die Tür. »Was ist dran an ihrer Geschichte?«

»Sie klingt glaubhaft. Und es gibt keinen Zeugen. Man wird ihre Aussage kaum widerlegen können.«

»Ich habe von Big Adam Webb gehört«, erklärte der Deputy. »Ein Weidekönig. Sein Wort ist oben in Abernathy Gesetz.«

»Ich habe ihn kennengelernt«, antwortete ich, und dann erzählte ich die Geschichte von meinem Zusammentreffen mit der Webb-Mannschaft. Aufmerksam hörte der Deputy zu, er unterbrach mich mit keinem Wort. Schließlich sagte er, als ich geendet hatte: »Das sieht Webb ähnlich. Er hält sich für den lieben Gott. Nun, Sie haben ihm einen gehörigen Denkzettel verpasst, Marshal. Ich glaube aber nicht, dass ihn das zur Vernunft bringen wird. Im Gegenteil – es wird seinen Zorn schüren.«

»Ich musste mir die Kerle vom Hals schaffen.«

»Ich denke, Sie bleiben die Nacht über in der Stadt.«

»Sicher.«

Ich verließ den Deputy und fuhr zum Mietstall. Eine Laterne an der Stallwand warf einen großen Lichtkreis auf den Boden vor dem Stall. Auch im Stallinnern brannte eine Laterne. Vor dem Tor hielt ich an. Der Stallmann kam aus dem Verschlag, der ihm als Stall Office und Aufenthaltsraum diente. Ich wies auf die Pferde und sagte: »Ich habe die Tiere Adam Webb und seinen Leuten abgenommen und bitte Sie, sich um sie zu kümmern. Das ist mein Pferd. Ich werde die Nacht über in Lubbock bleiben. Der Wagen und das Gespannpferd gehören einer Lady namens Grazia Esteban. Kümmern Sie sich auch um dieses Pferd. Ich weiß nicht, wann es die Lady abholen kann.«

Ich schnallte die Satteltaschen mit dem Geld los, nahm mein Gewehr und verließ den Mietstall. Unter meinen Stiefelsohlen mahlte Staub. Melodisch klirrten meine Sporen. Aus einem Saloon, der auf meinem Weg zum Hotel lag, drang wüster Lärm. Ich verspürte Hunger und Durst.

Die Rezeption im Hotel war verwaist. Ich schlug mit der flachen Hand auf die Glocke, die da stand. Aus einer Tür kam ein Mann mittleren Alters. Ich mietete für die Nacht ein Zimmer und brachte die Satteltaschen hinauf. Dann schloss ich die Tür ab und ging in einen Saloon, um etwas zu essen und mir ein Bier zu genehmigen ...

*


Herb Callagher stöhnte langanhaltend. Die Cowboys, die ins Banditentum abgerutscht waren, hatten in einem Schober übernachtet, in dem die Ranch Heu für die Winterfütterung gehortet hatte. Durch die Ritzen in der Stallwand sickerte das Morgengrau. Im Stall roch es nach Heu.

»Was ist?«, fragte Dennis Carter.

»O verdammt, mein Bein schmerzt, dass ich es fast nicht mehr aushalte. Wahrscheinlich hat sich die Wunde entzündet. Ich muss einen Arzt aufsuchen.«

»Du hältst uns nur auf«, maulte Jim Morgan.

»Du bist ein dreckiger Bastard!«, zischte Callagher, dann stöhnte er wieder.

Dennis Carter schälte sich aus seiner Decke und reckte sich. Auch die anderen standen auf. Einer öffnete das Scheunentor. Sofort kroch Helligkeit zwischen die Wände. Frische Luft zog herein.

Die Kerle aßen Pemmican und tranken dazu Wasser. Dann rollten sie sich Zigaretten und rauchten. Zwischen ihnen hing Schweigen. Carter brach es, indem er sagte: »Bis Lubbock sind es nur noch ein paar Meilen. Wir bringen dich dort zum Arzt, Herb. Wir werden allerdings nicht darauf warten, bis du wieder reiten kannst. Deinen Anteil an dem Geld kannst du streichen.«

»Das ist nicht fair. Immerhin hat mir die Jagd auf das Geld die Kugel eingebrockt. Zur Hölle, Dennis, das ist unfair.«

»Was ist schon fair, Herb?«

»Die Pest an deinen Hals.«

»Satteln wir die Pferde«, bestimmte Carter. »Und dann reiten wir. Bin neugierig, ob der Marshal vor uns Lubbock erreicht hat. Wenn nicht, warten wir vor der Stadt auf ihn.«

»Und wenn doch«, warf John Prewitt hin, »dann geht die Jagd weiter. Wenn nötig, warten wir auf der Dry Devils Ranch auf den Sternschlepper.«

Sie legten ihren Pferden die Sättel auf und zäumten die Tiere. Dann brachen sie auf.

*


Es war hell, als ich das Hotel verließ. Die Satteltaschen mit dem Geld hatte ich mir über die Schulter gehängt. Das Gewehr trug ich links am langen Arm. Mein Weg führte mich ins Sheriff's Office. Der Deputy vom Vorabend und ein weiterer Mann waren anwesend. Bei dem Burschen handelte es sich um den Sheriff. Der Deputy stellte mich vor. Der Sheriff reichte mir die Hand, dann sagte er: »Ich habe die Mexikanerin verhört. Ihre Version der Geschichte klingt glaubhaft. Außerdem gibt es nichts, was das Gegenteil beweisen könnte. Ich werde mit dem Bezirksankläger sprechen, und dann lassen wir sie wohl laufen.«

Eigentlich hatte ich nichts anderes erwartet.

Der Sheriff fuhr fort: »In der Nacht ist Big Adam mit einigen seiner Männer in der Stadt angekommen. Big Adam war vor einer Stunde hier. Er hat geschworen, nicht eher zu ruhen, bis Grazia Esteban am Ende eines Stricks hängt.«

»Er ist sturer als ein Longhorn«, knurrte ich. »Grazia will zu ihrem Bruder Sebastiano zum Arroyo de la Zorra. Der Schwur des Ranchers darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Er wird nur warten, bis sie die Stadt verlässt. Und dann ...«

Ich fuhr mir mit der flachen Hand quer über den Hals.

»Das ist zu befürchten«, sagte der Sheriff. »Ich kann sie leider nicht beschützen.«

»Ich muss in die Gegend von Comstock«, erklärte ich. »Falls Sie Grazia laufen lassen, kann sie sich mir anschließen. Kann ich sie sprechen?«

»Natürlich.«

Der Sheriff begleitete mich in den Zellentrakt. In einer Zelle befanden sich zwei Gefangene. Kerle, in deren Gesichter die Verkommenheit geschrieben stand und die Spuren eines liederlichen Lebenswandels aufwiesen. Sie grinsten schief. Ihre Gebisse waren lückenhaft. Das waren Sattelstrolche der übelsten Art und Weise.

Grazia saß auf der Pritsche. Jetzt erhob sie sich und kam an die Gitterwand, umfasste zwei der zolldicken Eisenstäbe mit ihren Händen. Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe. Sie sah blass aus. Müde schaute sie mich an. Mir wurde wieder bewusst, wie schön sie war. Kein Mann konnte sich ihrer Ausstrahlung entziehen. Sie schlug jeden Mann in ihren Bann.

Ich sagte: »Der Sheriff glaubt Ihnen Ihre Version der Geschichte, Grazia. Er spricht mit dem Ankläger, und wenn dieser zu demselben Ergebnis kommt, wird man Sie laufen lassen.«

»Darauf wartet Big Adam nur. Sobald ich diese Stadt verlasse, werde ich ihm ausgeliefert sein. Was das bedeutet, brauche ich Ihnen nicht zu sagen, Marshal.«

»Machen Sie sich keine Sorgen, Grazia«, sagte ich. »Wenn Sie freigelassen werden, bringe ich Sie zu Ihrem Bruder nach Mexiko. Ich muss zum Dry Devils Creek. Auf die paar Meilen bis nach Mexiko wird es mir dann auch nicht mehr ankommen.«

»Big Adam wird vor Ihrem Stern nicht haltmachen, Marshal«, gab der Sheriff zu bedenken.

»Ich brauche einen Vorsprung«, antwortete ich und schaute Grazia an. »Können Sie reiten?«

»Sicher. Ich bin auf einer Hazienda aufgewachsen.«

Ich wandte mich an den Sheriff. »Sie müssen mir helfen, Sheriff.«

»Wie?«

»Hören Sie ...«

*


Adam Webb und seine Männer hatten in einem Boarding House übernachtet. Jetzt verließen sie die Unterkunft. Vom Deputy Sheriff hatten sie erfahren, in welchem Mietstall der Marshal ihre Pferde abgegeben hatte. Sie suchten ihn auf und holten ihre Gewehre.

Sie waren zu fünft. Der Mann, der eine Kugel in die Schulter bekommen hatte, war im Boarding House geblieben. Als sie den Hof des Mietstalles verlassen wollten, kamen ihnen der Sheriff und zwei Gehilfen entgegen. Sie blieben stehen. Der Sheriff war mit einer Winchester, seine Gehilfen waren mit Schrotflinten bewaffnet. Die drei Gesetzeshüter hielten ebenfalls an. Brad Wilcox, der Sheriff, sagte: »Ich habe mit dem Marshal gesprochen. Er hat die Aussage der Frau bestätigt, dass Sie sie hängen wollten, Webb. Der Marshal verhinderte den Lynchmord im letzten Moment.«

»Was wollen Sie, Sheriff?«

»Es handelt sich um einen versuchten Mord, Webb. Bei aller Trauer um Ihren Sohn – sie hatten kein Recht, der Frau einen Strick um den Hals zu legen. Um zu bestrafen, sind die Gesetze da. Lassen Sie Ihre Waffen fallen. Ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes.«

»Sie sind wohl übergeschnappt!«, presste der Rancher hervor.

Die drei Gesetzeshüter schlugen die Waffen an. Die Deputys spannten die Hähne der Shotguns. Wilcox repetierte. »Ich rate Ihnen, uns keine Schwierigkeiten zu machen. Sonst zwingen Sie uns, von der Waffe Gebrauch zu machen.«

Webb mahlte mit den Zähnen. Nach vorne gekrümmt stand er da und atmete stoßweise. Plötzlich sagte er: »Das habe ich diesem verdammten Marshal zu verdanken, nicht wahr?«

»Sie haben es sich selber zuzuschreiben, Webb«, kam die gleichmütige Antwort des Sheriffs.

»O verdammt!« Der Rancher ließ das Gewehr fallen, dann setzte er sich in Bewegung. »Von dir kleinem Licht lasse ich mich nicht aufhalten!«, fauchte er und griff den Sheriff an. Aber Wilcox war ein erfahrener Mann. Er steppte einen halben Schritt zur Seite, ließ den Rancher ins Leere laufen, und als dieser sich ihm wild zuwandte, schlug er mit dem Gewehr zu. Webb bekam den Lauf schräg über das Gesicht und ging auf das linke Knie nieder. Aus einer Platzwunde an seiner Stirn rann Blut.

»Widerstand gegen die Staatsgewalt«, knurrte der Sheriff. »Ihr Konto wächst, Webb. Das Gericht hat sicher kein Verständnis dafür.«

Die Männer, die Webb begleiteten, unternahmen angesichts der drohend auf sie angeschlagenen Schrotflinten nichts.

»Die Gewehre runter!«, peitschte die Stimme des Sheriffs.

»Tut, was er sagt«, sagte der Vormann.

Die Gewehre flogen in den Staub.

»Und jetzt lasst die Revolver folgen.«

Auch dieser Anordnung kamen die Reiter nach. Dann trieben die drei Gesetzeshüter das Rudel vor sich her zum Office. Sie wurden auf die Zellen verteilt. Hinter ihnen schlossen sich die Gittertüren. Der Sheriff schloss die Tür zu Grazias Zelle auf und sagte: »Ich habe mit dem Ankläger gesprochen, Ma'am. Er ist der Auffassung, dass es sich nicht lohnt, Anklage zu erheben, weil ein Verfahren in Ihrem Fall sowieso mit einem Freispruch enden würde. Sie sind frei.«

Grazia nahm ihre Reisetasche und verließ die Zelle.

»Mir entgehst du nicht, Mörderin!«, prophezeite Big Adam. »Ich kriege dich. Es gibt keinen Platz auf Erden, an dem du dich vor mir verstecken könntest.« Der Rancher schaute den Sheriff an. »Gibt es in Lubbock einen Rechtsanwalt?«

»Sicher. Lubbock ist eine große Stadt.«

»Ihre Kommentare können Sie sich sparen, Sheriff. Ich will den Anwalt sprechen. Und zwar gleich.«

»Ich werde ihm Bescheid sagen«, versprach der Sheriff.

Grazia verließ den Zellentrakt, ohne den Rancher eines Blickes zu würdigen. Als sie das Office verließ, kam Logan die Straße heruntergeritten. Er führte an der Longe ein Sattelpferd mit sich. Im Scabbard steckte ein Gewehr. Hinter dem Sattel war eine Decke festgeschnallt. Bei Grazia zügelte der Marshal und saß ab. Ein zufriedenes Grinsen umspielte seinen Mund. »Wenn es dem Sheriff gelingt, Webb lange genug festzuhalten, dann können wir einen guten Vorsprung herausreiten.«

*


Dennis Carter und seine Kumpane kamen nach Lubbock. Sie ritten den ersten Mietstall an, der an ihrem Weg lag. Vor dem Tor saßen sie ab. Lediglich Herb Callagher blieb im Sattel. Er sah schlecht aus. Seine Augen waren rotgerändert und glänzten fiebrig. Der Stallmann schritt über die Schattengrenze unter dem Tor und schaute die Kerle der Reihe nach an. Dann sagte er: »Guten Morgen, Gentlemen. Sie sehen ziemlich mitgenommen aus. Haben wohl einen langen Ritt hinter sich.«

»Wir haben Rinder nach Amarillo getrieben«, erklärte Dennis Carter, »und sind nun auf dem Rückweg ins Val Verde County. Einer unserer Freunde hat eine Kugel ins Bein bekommen. Die Wunde hat sich entzündet. Wo findet er einen Arzt?«

Der Stallmann beschrieb den Weg. Callagher setzte wortlos sein Pferd in Bewegung und ritt zurück auf die Straße.

»Eine Frage«, sagte Carter an den Stallmann gewandt. »Ist ein Deputy Marshal nach Lubbock gekommen?«

»Ich habe keine Ahnung«, antwortete der Stallmann. »Es gibt vier Ställe in der Stadt. Wenn er gekommen ist, muss er nicht unbedingt diesen angeritten haben. Müsst ihr den Marshal fürchten?«

Carter gab darauf keine Antwort. Sie nahmen ihre Gewehre und verließen den Stall. Wenig später betraten sie einen Saloon. Einige Männer bevölkerten ihn. Sie suchten sich einen leeren Tisch und ließen sich nieder. Als der Keeper fragte, was sie wollten, bestellten sie Bier.

Einer der Gäste sagte laut: »Ich bin gespannt, wie lange der Sheriff den Rancher und seine Leute festhalten kann. Bancroft hat sich der Sache angenommen. Und Bancroft ist ein Fuchs. Er findet gewiss einen Weg, um die Kerle freizukriegen.«

Ein anderer antwortete: »Adam Webb ist reich. Er gehört zu den Mächtigen im Lande. Einem solchen Burschen drehen sie keinen Strick. Ich gehe jede Wette ein, dass er in spätestens sechs Stunden auf freiem Fuß ist.«

Als der Keeper die Biere brachte, hielt ihn Carter am Arm fest und fragte: »Was ist denn vorgefallen? Von welchem Rancher ist die Rede?«

»Ach, das ist so eine Sache«, erwiderte der Keeper. »In der Nacht kam ein U.S. Deputy Marshal mit einer Mexikanerin in die Stadt und übergab sie dem Sheriff. Sie hat in Abernathy den Sohn des reichsten Ranchers erschossen. Der Sheriff sperrte sie ein. Einige Stunden später kamen Big Adam, der Rancher, und seine Leute in die Stadt. Zu Fuß – der Marshal hatte ihnen die Pferde weggenommen. Webb war hinter der Lady her, die seinen Sohn abgeknallt hat. Er hat sie irgendwo zwischen Abernathy und Lubbock auch eingeholt. In dem Moment, als er sie hängen wollte, kam der Marshal ...«

»Weiter«, drängte Carter.

»Nun, die Mexikanerin berief sich auf Notwehr und ihre Angaben waren nicht zu widerlegen. Der Sheriff ließ sie laufen. Dafür sperrte er Webb und seine Leute ein; man wirft ihnen versuchten Mord vor, bei dem Rancher kommt außerdem Widerstand gegen die Staatsgewalt hinzu.«

»Danke.« Carter ließ den Arm des Keepers los, und der Mann ging davon. An seine Kumpane gewandt sagte Carter: »Interessant.«

»Die Frage ist, ob sich der Marshal noch in der Stadt befindet«, sagte Jesse Jackson.

»Das finden wir heraus.« Die Stimme Carters hob sich. »Befindet sich der Marshal noch in der Stadt?«, fragte er laut.

»Nein. Er hat mit der Mexikanerin, nachdem sie der Sheriff auf freien Fuß setzte, die Stadt verlassen.«

»In welche Richtung sind sie geritten?«

»Nach Süden.«

Leise sagte Carter: »Mit dem Weib kommt er nicht so schnell voran. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn einholen.«

»Ihn und die Mexikanerin«, bemerkte Jim Morgan.

Versonnen schaute Carter seinen Kumpan an. Plötzlich nickte er und sagte: »Du hast recht, Jim. Ich glaube, ich muss ein paar Takte mit diesem Rancher sprechen.«

Carter trank einen Schluck, dann erhob er sich mit einem Ruck. »Wartet hier auf mich. Ich gehe zum Gefängnis.«

Er verließ den Saloon. Im Sheriff's Office traf er auf einen Deputy. Carter sagte: »Ich möchte Webb sprechen. Es ist wichtig.«

»Legen Sie Ihren Revolver hier auf den Schreibtisch«, sagte der Deputy. Und nachdem Carter der Aufforderung nachgekommen war, führte ihn der Deputy in den Zellentrakt. »Dieser Mann möchte sie sprechen, Webb«, erklärte der Sheriffsgehilfe. Dann verließ er den Zellentrakt.

Webb und seine Männer waren in zwei Zellen eingeschlossen. Insgesamt gab es vier Käfige. In der dritten Zelle befanden sich zwei weitere Gefangene. Der Ranch trat an die Gitterwand heran. »Ich bin Adam Webb«, gab er zu verstehen. »Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?«

»Mein Name ist Carter – Dennis Carter. Ich habe gehört, Sie sind scharf auf den Kopf der Mexikanerin.«

»Was wissen Sie von der Geschichte?«

»Nun, sie hat Ihren Sohn erschossen und Sie möchten sie dafür zur Rechenschaft ziehen. Allerdings hat man Ihnen hier in Lubbock einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht.«

»Was wollen Sie?«

»Was ist Ihnen die Lady wert?«

Der Rancher schaute verbissen drein. Dann grollte er: »Es ist nur eine Frage von Stunden, bis wir wieder in Freiheit sind. Und dann werde ich das Luder jagen, bis ihm die Zunge zum Hals heraushängt.«

»Ein Marshal begleitet die Frau.«

»Dem ziehe ich die Haut streifenweise ab.«

»Nun, die beiden werden viele Stunden Vorsprung haben, bis Sie vielleicht freikommen – wenn Sie überhaupt freikommen. Es ist lediglich eine Frage des Preises, Webb. Machen Sie mir ein vernünftiges Angebot, und ich serviere Ihnen die Lady auf dem silbernen Tablett.«

»Tausend Dollar.«

»Das ist ein guter Preis. Ich bin einverstanden. Wir werden Ihnen die Lady bringen.«

Carter verließ den Zellentrakt. Im Office fragte er den Deputy: »Wie hoch sind Webbs Chancen, freigelassen zu werden?«

»Der Rechtsanwalt und der Sheriff befinden sich gerade beim Richter. So viel ich weiß, will Webb eine Kaution hinterlegen. Wenn sie hoch genug ausfällt, wird ihn der Richter wohl auf freien Fuß lassen. Webb hat viel zu viel zu verlieren, als dass Fluchtgefahr bestünde.«

Carter kehrte in den Saloon zurück. »Trinkt aus, Leute, wir reiten.«

*


»Was haben Sie im Süden zu tun, Marshal?«, fragte Grazia.

Wir ritten Steigbügel an Steigbügel. Manchmal schaute ich nach hinten. Ich wusste nicht, wie lange der Sheriff von Lubbock den Rancher und seine Leute festhalten konnte. Einen Mann wie Adam Webb festzuhalten war schwer, wenn er sich nicht gerade eines Kapitalverbrechens schuldig gemacht hatte. Ich hatte auch die Kerle nicht vergessen, die mir von Amarillo aus gefolgt waren. Sie waren nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Das Land hinter uns war leer, wie ausgestorben. Nichts deutete darauf hin, dass wir verfolgt wurden.

»Ich habe dort dienstlich zu tun«, sagte ich ausweichend.

»Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet, Marshal.«

»Ich tue nur meine Pflicht.«

»Nein, es ist nicht Ihre Pflicht, mich zu beschützen. Wie kann ich das je wieder gutmachen?«

»Vergessen Sie's.«

»Sie müssen mich auf die Hazienda meines Bruders begleiten und dort unser Gast sein.«

»Erst habe ich in der Nähe von Comstock etwas zu erledigen. Ja, dann bringe ich Sie nach Mexiko.«

»Mein Bruder wird es Ihnen zu danken wissen.«

»Was hat Sie in die Staaten verschlagen?«, fragte ich.

»Das ist keine schöne Geschichte«, antwortete sie. »Ich bin einem Mann gefolgt. Als ich mich in ihn verliebte, ahnte ich nicht, dass er ein Glücksritter und Abenteurer war. Nun, wir zogen vier Jahre lang durch Texas, New Mexico und Arizona, und eines Tages wurde Ben Hendrik am Spieltisch erschossen. Ich schämte mich, nach Mexiko zurückzukehren und begann zu singen und zu tanzen. Damit habe ich mich über Wasser gehalten. Nun aber habe ich Jack Webb erschossen. Sicher bin ich nur bei meinem Bruder am Arroyo de la Zorra. Dorthin wagt sich Big Adam mit Sicherheit nicht.«

Das Gespräch schlief ein. Mir war klar, dass Grazia die Höhen und Tiefen des Lebens kennengelernt hatte. Sicher war ihr eine Reihe von Lektionen erteilt worden, die sie geformt und geprägt hatten.

Als ich mich wieder einmal umwandte, sah ich Staub. Es war mehr Staub, als dass ihn nur der Wind hochgewirbelt haben konnte.

Da kamen Reiter!

Ich sagte: »Wahrscheinlich werden wir verfolgt. Wir weichen nach Westen aus und lassen Tahoka liegen. Das bedeutet, dass wir eine Nacht im Freien verbringen müssen. Aber wir schaffen das. Die nächste Stadt ist Lamesa. Wir können sie morgen Abend erreichen.«

»Warum erwarten wir die Kerle nicht und schießen sie von den Pferden?«

»Weil ich es hasse, auf Menschen zu schießen.«

Ich zog mein Pferd halb um die rechte Hand und ritt von der Straße. Grazia folgte mir. Wir zogen nach Südwesten und erreichten felsiges Gebiet. Die Felswüste zog sich bis weit nach New Mexico hinein. Hier hoffte ich unsere Spur zu verwischen.

Nach einer Stunde schlugen wir wieder die Route nach Süden ein. Der Abend kam, und dann die Nacht. Es wurde empfindlich kalt. Wir hielten bei einer Gruppe von Büschen in einer Senke an und saßen ab. Nachdem wir die Pferde angebunden hatten, sammelte ich trockenes Holz, und dann machte ich ein Feuer. Die Flammen züngelten. Licht- und Schattenreflexe zuckten über uns hinweg. Im unwirklichen Licht sah das Gesicht der Frau besonders rassig und gelöst aus. Wir schnallten unsere Decken los und breiteten sie am Boden aus. Dann nahmen wir den Pferden die Sättel ab. Sie sollten uns als Kopfkissen dienen. Das Feuer verbreitete Wärme. Ich holte aus meiner Satteltasche Trockenfleisch und Brot und teilte es mit Grazia. Wir aßen.

»Weshalb haben Sie eigentlich zwei Satteltaschenpaare bei sich?«, fragte Grazia nach einer Weile.

Ich überlegte nur kurz. »Um meine persönlichen Dinge unterzubringen. Ich verbringe die meiste Zeit im Sattel. Das ist der Grund.«

Sie musterte mich zweifelnd, dann rollte sie sich neben dem Feuer in ihre Decke. In ihren Augen spiegelte sich der Feuerschein. Ich sagte: »Ich suche noch etwas Holz zusammen, damit wir das Feuer die Nacht über in Gang halten können. Andernfalls sind wir morgen früh steifgefroren.«

Ich entfernte mich. Zwischen den Büschen hielt ich an. Ich konnte unseren Lagerplatz gut sehen. In der Hitze knackte das Holz. Manchmal sprühten Funken. Im Wechselspiel von Licht und Schatten beobachtete ich die Frau. Dazu bog ich mit der linken Hand das Zweiggespinst etwas zur Seite, um besser sehen zu können.

Grazia erhob sich und ging zu meiner Decke, kniete nieder und zog die Satteltaschen zu sich heran. Sie machte sich daran, sie aufzuschnallen. Ich verließ mein Versteck und näherte mich der Frau. Sie wandte mir die Seite zu und richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Satteltaschen.

»Was tun Sie da?«

Sie zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Ihr Gesicht ruckte zu mir herum. »Ich – ich ...«

»Finger weg von den Taschen!«, gebot ich.

»Ich wollte doch nur ...«

»Seien Sie still!« Ich war echt wütend und empfand ihr Verhalten als Vertrauensbruch. »Gehen Sie weg von meiner Decke!«

Sie erhob sich. Mit gesenktem Kopf sagte sie: »Es tut mir leid.«

Danach trat sie zur Seite. Ich bückte mich nach den Satteltaschen. Eine hatte sie bereits geöffnet. Sie wusste also, dass ich Geld beförderte. Ich schloss die Tasche und sagte: »Das Geld ist für eine Ranch in der Nähe von Comstock bestimmt. Und ich werde es dort abliefern.«

Ich sprach den letzten Satz mit Nachdruck.

»Misstrauen Sie mir?«, fragte Grazia.

»Kann ich Ihnen trauen?«

»Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet.«

»Warum haben Sie sich an den Satteltaschen vergriffen?«

»Ich war einfach neugierig. Es – es tut mir wirklich leid.«

Ich schnallte die Tasche zu und warf sie auf den Boden. »Es sind 20.000 Dollar. Ist Ihre Neugierde nun gestillt?«

Grazia setzte sich auf ihre Decke. »Ja. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Marshal. Ich habe kein Interesse an dem Geld.«

»Dann kann ich ja beruhigt Holz sammeln, wie?«

»Ja. Sie können wirklich unbesorgt sein.«

Ich entfernte mich wieder. Nach einiger Zeit kam ich mit einem Arm voll Feuerholz zurück. Die Satteltaschen lagen noch so da, wie ich sie zurückgelassen hatte. Grazia schaute mich mit großen Augen an. Ich warf das Holz auf den Boden. »Schlafen Sie«, sagte ich. »Vor uns liegen noch viele Meilen und der Ritt nach Mexiko ist sicher kein Zuckerschlecken. Einige Kerle sind hinter dem Geld her. Ja, Sie hören schon richtig. Nicht nur Sie werden gejagt. Und den Schuften, die mich jagen, ist nichts heilig.«

Bald verkündeten tiefe, regelmäßige Atemzüge, dass Grazia eingeschlafen war. Hinter uns lagen über zehn Stunden im Sattel, und die Strapazen hatten an ihrer Substanz gezehrt. Ich fand keinen Schlaf. Immer wieder öffnete ich die Augen und blickte zum Himmel hinauf. Manchmal warf ich Holz ins Feuer. Irgendwo in der Ferne bellte ein Coyote. Die Jäger der Nacht waren aktiv. Und irgendwann übermannte auch mich der Schlaf.

Als ich hochschreckte, lichtete sich die Dunkelheit. Die Sterne begannen zu verblassen. Der Himmel am östlichen Horizont verfärbte sich schwefelgelb. Ich setzte mich auf. Grazia schlief noch. Das Feuer war heruntergebrannt, glühte aber noch. Ich warf Holz in die Glut und blies hinein. Die Flammen begannen zu flackern. Eins der Pferde erhob sich. Das Tier prustete. Jetzt ruckte auch das andere Pferd in die Höhe. Ich beugte mich über Grazia und rüttelte sie an der Schulter. »Aufstehen«, sagte ich. »Es geht weiter.«

Sie richtete sich auf und rieb sich die Augen. »Ich fühle mich wie gerädert.«

»Es wird sicher nicht besser werden«, versetzte ich und rollte meine Decke zusammen. Dann trug ich meinen Sattel zu meinem Pferd. Insgesamt benötigten wir etwa zwanzig Minuten, den Lagerplatz abzubrechen. Dann saßen wir auf und ritten los.

»Warum hat man Sie mit diesem Auftrag betraut, Logan?«, fragte Grazia, während wir dahinzogen.

Ich erzählte ihr die Geschichte von Joshua Brewster. Dann ritten wir in Schweigen versunken. Jeder hing seinen Gedanken nach. Ich hätte gerne gewusst, was hinter Grazias Stirn vorging. Ich kannte diese Frau nicht. Alles, was ich von ihr wusste, war, dass sie die vergangenen Jahre mehr oder weniger als Abenteurerin verbracht hatte. Ich konnte ihren Charakter nicht einschätzen.

Ich beschloss, auf der Hut zu sein.

*


Big Adam und seine Männer waren gegen eine Kaution von insgesamt tausend Dollar auf freien Fuß gesetzt worden. Jetzt stoben sie in wilder Karriere nach Süden. Sie hatten mitten in der Nacht Tahoka erreicht und im Mietstall übernachtet. Am Morgen hatten sie erfahren, dass der Marshal und die Frau nicht in der Stadt angekommen waren. Dennis Carter und seine Kumpane hatten sich in der Stadt befunden. Sie waren fast zur gleichen Zeit aufgebrochen. Big Adam hatte sein Angebot erneuert, den Cowboys tausend Dollar zu zahlen, wenn sie ihm die Mexikanerin brächten.

Der Pulk ritt in Intervallen. Eine Stunde schnell, dann ließen die Reiter die Pferde wieder eine halbe Stunde im Schritt gehen und verschnaufen. So kamen sie schnell vorwärts, ohne die Pferde zu verausgaben.

Von Dennis Carter und seinen Komplizen war nichts zu sehen. Hank Wilson, der Vormann, ritt neben seinem Boss. Die Cowboys folgten. Sie ließen die Pferde wieder einmal verschnaufen. Es ging auf Mittag zu. Obwohl die Sonne schien, war es eisig kalt. Ein heller, klarer Wintertag ...

»Was ist, wenn der Marshal und das Weib auch nicht nach Lamesa gekommen sind?«, fragte Hank Wilson.

»Wir werden bei diesem Tempo die Stadt am späten Nachmittag erreichen«, erwiderte der Rancher. »Dann werden wir es sehen.«

»Was ist, wenn sie Lamesa nicht angeritten haben?«, wiederholte der Vormann seine Frage.

»Dann reiten wir nach Big Spring«, versetzte der Rancher. Er schoss seinem Vormann einen schnellen Seitenblick zu. »Ich habe geschworen, dem Weib bis zum Südpol zu folgen, wenn es sein muss. Ich will diese mexikanische Hure hängen sehen.«

»Die Männer fehlen auf der Ranch«, gab der Vormann zu bedenken.

»Die Ranch!«, schnaubte Big Adam verächtlich. »Sie ist für mich nicht mehr wichtig.« Und plötzlich brach es aus dem Rancher bitter heraus: »Mein Sohn, für den ich alles aufgebaut habe, ist tot. Wenn ich einmal sterbe, werden irgendwelche Neffen und Nichten über meinen Besitz herfallen wie die Aasgeier – Leute, die ich nicht mal richtig kenne. Die Ranch ist zweitrangig geworden.«

Der Vormann war betroffen.

Der Rancher fuhr fort: »Das Weib hat alles zerstört, wofür ich lebte und arbeitete. Dafür fordere ich Rechenschaft. Ich will die verdammte Hure tot sehen. Das ist alles, was ich noch will im Leben.« Seine Stimme sank herab. »Zur Hölle, es ist alles sinnlos geworden. Ich habe, als ich am Double Mountain Fork die Ranch gründete, gegen zweibeiniges und vierbeiniges Raubzeug gekämpft, ich musste mich gegen Indianer zur Wehr setzen, und ich musste meinen Platz behaupten, als die Regierung das Land zu besiedeln begann. Ich bin groß geworden und habe mir eine Position im Lande erkämpft, die mir niemand streitig machen kann. Ich beherrsche das Land am Fluss und die Menschen dort tanzen nach meiner Pfeife. Ich habe es zu Macht, Ansehen und Reichtum gebracht. Wofür das alles?«

Der Vormann wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Aber er spürte, wie sehr sein Boss verbittert war und mit dem Schicksal haderte. Und er konnte ermessen, wie groß der Hass war, den Big Adam hegte. Er musste monströs sein.

Noch einmal ergriff der Rancher das Wort: »Ich kann keinen von euch zwingen, mit mir zu reiten. Doch für denjenigen, der aussteigt, gibt es künftig keinen Platz mehr im Hale County.«

Der Vormann verzog das Gesicht. »Keiner von uns denkt daran, auszusteigen, Boss.«

*


Wir waren wieder nach Südosten gezogen und gegen Abend tauchte vor uns Lamesa auf. Die Sonne war untergegangen und der Himmel im Westen schien zu glühen. Die Schatten waren verblasst. In den Fenstern der Häuser brach sich das letzte Licht des Tages.

Wir hatten angehalten. Was erwartete uns in der Stadt? Ich wollte Grazia keine zweite Nacht im Freien zumuten. Die Gefahr, der ich mich aussetzte, war nicht zu unterschätzen.

Die Pferde traten unruhig auf der Stelle und peitschten mit den Schweifen. Ich beobachtete die Stadt. Von ihr schien Unheil auszugehen. Ich sagte: »Warten Sie hier, Grazia. Ich reite voraus und sehe mich um. Es ist nicht auszuschließen, dass wir erwartet werden.«

Grazia saß ab und führte ihr Pferd zu einem Buschgürtel, band es an einen Ast und sagte: »Was soll ich tun, wenn Sie nicht zurückkehren, Logan?«

»Dann rate ich Ihnen, die Stadt zu meiden und sich nach Big Spring durchzuschlagen. Die Stadt liegt etwa fünfzig Meilen südöstlich von hier. Sie werden jedenfalls alleine zusehen müssen, wie Sie durchkommen, Grazia.«

»Ich bete, dass Sie zurückkehren, Logan.«

Ich ritt weiter. Langsam näherte ich mich der Stadt. Ich betrat sie durch eine Gasse. Dort, wo die Gasse in die Main Street mündete, hielt ich an. Die Abenddämmerung begann sich zwischen die Häuser zu senken. Aus den Kaminen stieg Rauch. Der Geruch von verbranntem Holz stieg mir in die Nase. Auf der Main Street befand sich fast niemand. Ein Stück weiter unten gingen zwei Männer. Links von mir zog ein Mann eine zweirädrige Karre quer über die Fahrbahn. Der Haltbalken vor dem Saloon war verwaist.

Ich ritt hin. In mir war Beklemmung. Sollte die Stadt zu einem blutigen Meilenstein auf meinem Weg nach Süden werden? Dumpfe Ahnungen erfüllten mich – Ahnungen, an deren Ende etwas Dunkles, Unheilvolles stand. Vor dem Hitchrack saß ich ab. Lose schlang ich den Zügel um den Querbalken, dann nahm ich die Satteltaschen mit dem Geld ab und ging hinein. Im Schankraum war es düster. An einem Tisch saßen drei Männer und musterten mich. Ich ging zum Tresen und verlangte einen Whisky.

Der Keeper sagte, nachdem er mir den Drink eingeschenkt hatte: »Am späten Nachmittag sind vier Kerle nach Lamesa gekommen, Marshal. Etwas später kamen fünf weitere. Diejenigen, die zuerst gekommen sind, ritten weiter. Die fünf anderen haben sich in der Stadt verteilt. Kann es sein, dass diese fünf auf Sie warten?«

Ich trank den Whisky. Wärme breitete sich in meinem Magen aus. Ich hatte mich also nicht geirrt, mein Gefühl hatte mich nicht getrogen. Die Gewissheit brachte meine Nerven zum Schwingen. Wahrscheinlich hatten sie mich beobachtet, als ich in die Stadt kam. Und wenn ich jetzt hinausging ...

Ich zahlte fünf Cent für den Whisky, dann stieß ich mich vom Tresen ab und schritt zur Tür. Über die geschwungenen Ränder der Pendeltür blickte ich nach draußen. Zwischen den Häusern begann sich schon die Dämmerung einzunisten. Aus den Fenstern mancher Häuser fiel Licht. Ich witterte und ließ meinem Instinkt freien Lauf. In mir läuteten die Alarmglocken.

Mit meinem Körper stieß ich die Türflügel auf. Meine Rechte lag auf dem Griff des Remingtons. Ich ging bis zum Geländer des Vorbaus und ließ meinen Blick in die Runde schweifen, schwenkte ihn die Fahrbahn hinauf und hinunter. Dann sprang ich auf die Straße.

Da erklang eine harte, brechende Stimme: »Auf dich sind fünf Revolver gerichtet, Marshal.«

Ich erstarrte. Mein Puls raste und jagte das Blut durch meine Adern. Gewaltsam zwang ich mich zur Ruhe und rief: »Sie hatten eine gute Nase, Big Adam. Leider muss ich Sie enttäuschen. Grazia Esteban und ich haben uns getrennt. Sie hat einen anderen Weg genommen, um nach Süden zu gelangen.«

Zwischen den Häusern kamen Männer hervor. Sie hielten die Revolver in den Fäusten. Ich sah den Rancher. Auch er hielt eine Waffe in der Hand. Langsam kamen sie von allen Seiten auf mich zu. Dann hielt der Rancher vor mir an. Sein Gesicht drückte nur Härte, Unerbittlichkeit und Unversöhnlichkeit aus. Er hob die Hand mit dem Revolver und zielte auf meinen Kopf. »Wo ist sie?«

»Ich sagte es Ihnen doch ...«

»Ich glaube dir kein Wort.«

»Es ist aber so.«

»Na schön, Marshal. Du willst es nicht anders. Packt ihn!«

Zwei der Kerle holsterten ihre Schießeisen und packten mich an den Armen. Sie drehten sie mir auf den Rücken. Die Satteltaschen fielen zu Boden. Ich hatte den beiden Cowboys nichts entgegenzusetzen. Sie drohten mir die Arme auszukugeln. Um dem Druck in den Schultergelenken entgegenzuwirken, machte ich das Kreuz hohl. »Sie sollten sich überlegen, was Sie tun, Webb!«, stieß ich hervor.

Seine Mundwinkel sanken geringschätzig nach unten. Ein brutaler Zug setzte sich in ihnen fest. Und dann hämmerte er mir die Faust in den Leib. »Wo ist die dreckige Hure?«

Der Schlag presste mir die Luft aus den Lungen. Ich hatte das Bedürfnis, mich nach vorn zu krümmen, doch die beiden Kerle, die mich festhielten, verhinderten dies. Ihre Hände waren wie Stahlklammern.

Ich schnappte erstickt nach Luft. Schwindelgefühl befiel mich. Schließlich kam der befreiende Atemzug und meine Lungen füllten sich mit frischem Sauerstoff. »Und wenn Sie mich totschlagen ...«

Wieder drosch er mir die Faust in den Leib. Ein dumpfer Ton brach aus meiner Kehle. Ich atmete schnell und stoßweise. Sekundenlang wurde mir schwarz vor den Augen. »Nimm die Zähne auseinander, Marshal. Du kannst dir Schmerzen ersparen.«

»Ich – ich sagte es bereits: Grazia und ich haben uns getrennt. Ich ...«

Der dritte Schlag des Ranchers traf mich. Und wieder nahm mir der Schlag die Luft. Benommenheit brandete gegen meinen Verstand an, graue Nebel schienen auf mich zuzukriechen. Ich japste verzweifelt und dachte: Er schlägt dich tot. O verdammt, er kennt keine Gnade und kein Erbarmen. Aber du kannst ihm doch die Frau nicht ausliefern. Du kannst es nicht tun. Heiliger Rauch ...

Ich überwand meine Not und keuchte: »Sie werden sich dafür verantworten müssen, Webb. In der Zwischenzeit geht einiges auf Ihr Konto. Denken Sie wirklich, dass Sie ungeschoren davonkommen?«

Die Antwort bestand in einem Schlag. Ich zog unwillkürlich die Beine an und hing einen Augenblick lang in der Luft. Der Schmerz in meinen Schultergelenken eskalierte. Ich schrie auf. Da erklang eine gellende Stimme: »Schluss jetzt! Wenn Sie noch einmal zuschlagen, schieße ich Ihnen eine Kugel in den Kopf.«

Ein Gewehr wurde repetiert ...

*


Es war Grazias Stimme gewesen, die gerufen hatte. Ein Schuss peitschte.

Noch einmal ließ die Frau ihre Stimme erklingen: »Ich spaße nicht, Webb. Und ich kann schießen. Lasst Logan los!«

Ich brach auf das linke Knie nieder und atmete gepresst. Es war eine große Not, gegen die ich anzukämpfen hatte. Ich hörte die grollende Stimme des Ranchers: »Da bist du ja, Lady. Die Mühsal, dir zu folgen, war also nicht umsonst. Denkst du im Ernst, dass du mir und meinen Männern noch entkommen kannst? Du wirst baumeln, Lady. Schnappt sie auch, Männer!«

Ich überwand in diesem Moment meine Not und richtete mich auf. Die Cowboys liefen auseinander. Auch der Rancher wollte sich in Bewegung setzen, aber ich stellte ihm ein Bein und er flog der Länge nach auf den Bauch. Sofort rollte er herum. Ich zog blitzschnell den Revolver und schlug ihn auf ihn an. Es knackte, als ich den Hahn spannte. Klickend rotierte die Trommel um eine Kammer weiter. Big Adam lag auf den Ellenbogen und starrte zu mir in die Höhe. »Pfeifen Sie Ihre Leute zurück, Webb!«, gebot ich mit klirrender Stimme.

»Nein. Was wollen Sie tun, Marshal? Wollen Sie mich erschießen?«

»Stehen Sie auf.«

Er erhob sich und belauerte mich mit tückischem Blick.

»Gehen Sie in den Saloon.« Ich winkte mit dem Revolver.

Der Rancher atmete schwer. Seine Brust hob und senkte sich. Einen Moment lang sah es so aus, als wollte er sich weigern, meinem Befehl Folge zu leisten. Ich senkte den Remington und zielte auf seinen Oberschenkel. »Wollen Sie eine Kugel ins Bein?«

Er setzte sich in Bewegung. Ich hob die Satteltaschen mit dem Geld auf und dirigierte den Rancher zum Schanktisch, nahm das Handschellenpaar von meinem Gürtel und fesselte ihn gegen den Handlauf aus Messing.

Draußen dröhnte ein Schuss. Ein Revolver antwortete. Ich rannte nach draußen. Auf dem Vorbau angelangt brüllte ich: »Ich habe Big Adam in meiner Gewalt. Wenn ihr Grazia Esteban auch nur ein einziges Haar krümmt, wird er es auszubaden haben. Ein Richter hat festgestellt, dass es keinen Grund gibt, sie anzuklagen. Fügt euch diesem Beschluss.«

Auf der anderen Straßenseite tauchte einer der Kerle in einer Passage zwischen den Häusern auf. Er schrie: »Was interessiert uns der richterliche Beschluss? Sie hat Jack Webb ermordet und nur das zählt. Fahr zur Hölle, Marshal!«

Der Kerl feuerte auf mich, in dem Moment jedoch, als er abdrückte, glitt ich zur Seite und die Kugel verfehlte mich. Mein Geschoss riss ihn von den Beinen. Ich tauchte unter dem Vorbaugeländer hindurch, band mein Pferd los und zerrte es zwischen die Häuser. Die Satteltaschen mit dem Geld schnallte ich fest. Dann führte ich das Pferd zu den Pferchen mit Schafen und Ziegen und band es an einer der Querstangen fest.

Ich holsterte den Remington und zog das Gewehr aus dem Scabbard, repetierte und lief zurück zur Main Street. Soeben schleppten zwei der Kerle Grazia zwischen zwei Häusern hervor. Sie wehrte sich gegen die beiden, zerrte, riss und schrie hysterisch. Ihre Haare flogen.

Ich lief in die Straße. Die beiden hielten an und starrten zu mir her. »Lasst sie los!« Ich hielt das Gewehr an der Hüfte im Anschlag. Mein Zeigefinger krümmte sich um den Abzug. Meine Finger steckten im Ladebügel.

Sie stießen Grazia in den Staub. Sie lag auf allen Vieren. Halbrechts hinter mir erklang es klirrend: »Du hast das Schicksal herausgefordert, Marshal. Nun musst du die Konsequenzen tragen.«

»Bleiben Sie unten, Grazia«, presste ich hervor, dann stieß ich mich ab. Ich flog zur Seite. Schüsse krachten. Aber die Kerle vermochten sich nicht schnell genug auf das so jäh veränderte Ziel einzustellen. Ich landete seitlich im Staub, rollte auf den Rücken, zuckte hoch und schoss. Der Bursche, der mich von hinten angerufen hatte, bäumte sich auf, dann brach er zusammen. Ich wälzte mich einige Male herum. Dort, wo ich eben noch gelegen hatte, fuhren die Projektile der anderen beiden Cowboys in den Boden. Ich kam auf den Bauch zu liegen, repetierte und schoss. Einer von ihnen wirbelte halb um seine Achse und kreiselte regelrecht zu Boden. Der andere feuerte noch einmal, dann warf er sich herum und ergriff die Flucht. Ich zielte sorgfältig, mein Schuss krachte. Sein rechtes Bein knickte ein wie eine morsche Stelze, er stürzte auf die Straße und schlitterte ein Stück auf dem Bauch dahin.

Pulverdampf wurde vom schralen Wind zerpflückt. Der letzte Knall verhallte mit geisterhaftem Geflüster. Dann senkte sich Stille in die Stadt. Stöhnen erreichte mein Gehör. Ich erhob mich. Staub rieselte von meiner Kleidung. Das Gewehr im Anschlag ging ich zu den beiden Kerlen hin, die auf der Straße lagen. Der Bursche, der meine Kugel in den Oberschenkel bekommen hatte, umklammerte das Bein mit beiden Händen. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor. Schmerz wühlte in seinen Zügen, aus blutunterlaufenen Augen schaute er mich an.

Ich hob seinen Revolver auf und schleuderte ihn über die Straße, wo er zwischen den Häusern im Unkraut landete. Dann ging ich zu dem anderen Mann hin. Er lag auf der Seite und hatte die Augen geschlossen. Aber er atmete. Auch seine Waffe warf ich fort. Dann schritt ich zu dem Burschen hin, den ich zuerst niederschoss. Auch er lebte, aber er hatte die Kugel in die Brust bekommen.

Menschen kamen auf die Straße. Ich rief: »Hole jemand den Doc her. Er wird gebraucht.«

Dann ging ich zu dem vierten Burschen. Er war tot. Nun, ich hatte nicht die Zeit gehabt, genau zu zielen. Diese Zeit hatten sie mir einfach nicht gelassen. Ein gallenbitterer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Ich hasste es, zu töten. Aber manchmal ging es eben nicht anders.

Grazia trat neben mich und sagte: »Du hast gekämpft wie ein Tiger, Gringo.« Sie ließ jetzt die Förmlichkeiten weg. »Nie habe ich einen Mann so kämpfen sehen.«

»Warum bist du in die Stadt gekommen?«, fragte ich und griff auch auf das vertraute Du zurück. »Es hätte ins Auge gehen können.«

»Ich ahnte, dass wir in der Stadt erwartet werden. Was sollte ich ohne dich tun, Logan? Alleine schaffe ich es nicht zum Arroyo de la Zorra. Und Big Adam hätte dich sicher getötet. Das konnte ich nicht zulassen.«

Wir gingen in den Saloon. Voll Hass starrte der Rancher die Frau an. Er irrlichterte in seinen Augen und sprach aus jedem Zug seines von Wind und Sonne gegerbten Gesichts. Hart traten die Backenknochen in seinem Gesicht hervor, so sehr biss er die Zähne zusammen.

»Einer Ihrer Männer ist tot«, sagte ich, »ein zweiter wird die Nacht wahrscheinlich nicht überleben. Zwei weitere sind verwundet. Das geht auf Ihr Konto, Webb.«

»Geh zur Hölle, Sternschlepper!«

»Was immer Sie auch anstellen, Webb«, knurrte ich. »Ihr Sohn wird dadurch nicht wieder lebendig. Wollen Sie nicht endlich die Unsinnigkeit Ihres Handelns einsehen?«

Der Rancher starrte mich nur verbissen an.

»Ich werde dafür sorgen, dass man Sie nach Lubbock bringt und dem Sheriff dort übergibt«, fuhr ich fort. »Dazu werde ich einen schriftlichen Bericht verfassen. Ich glaube nicht, dass man Sie ein weiteres Mal auf freien Fuß lässt. Aber das haben Sie sich selber zuzuschreiben.«

»Es gibt keinen Ort auf der Welt, an dem sich die Hure vor mir verkriechen kann«, presste der Rancher hervor. »Und es gibt genug Männer, die für fünfhundert oder tausend Dollar bis nach Feuerland reiten würden, um mir den Kopf der Lady zu bringen. Sie wird keine ruhige Minute mehr haben im Leben, und am Ende wird sie tot sein.«

Ich schloss die Handschelle auf, die um den Handlauf der Theke lag. »Gehen wir«, sagte ich.

»Wohin?«

»In den Mietstall.« Ich fesselte die Hände des Ranchers auf den Rücken. Dann nahm ich ihn am Oberarm und bugsierte ihn zum Ausgang. Grazia schloss sich uns an.

Im Mietstall kettete ich Adam Webb an eine eiserne Futterraufe. Dann holte ich mein Pferd und trug Grazia auf, ebenfalls ihr Tier zu holen. Wir stellten die Tiere im Mietstall ab. Ich nahm mein Gewehr und die Satteltaschen mit dem Geld. Beim Stallburschen erkundigte ich mich, ob es im Ort eine Bürgerwehr gab.

»Ja«, antwortete er, »die gibt es. Der Town Mayor führt sie an.«

»Wo wohnt der Bürgermeister?«

Der Stallmann beschrieb mir den Weg. Ich sagte zu Grazia: »Gehen Sie ins Hotel und mieten Sie für uns Zimmer. Warten Sie im Hotel auf mich. Sobald ich mit dem Bürgermeister gesprochen habe, gehen wir etwas essen.«

Ich fand das Haus des Town Mayors auf Anhieb. Eine Frau öffnete mir. »Ist der Bürgermeister zu sprechen?«

»Einen Augenblick.«

Gleich darauf zeigte sich ein Mann. »Was wollen Sie denn von mir?«

»Ich bin U.S. Deputy Marshal Bill Logan«, stellte ich mich vor.

Der Town Mayor nickte. »Ich war vorhin auf der Straße. Sie haben ziemlich für Furore gesorgt hier.«

»Adam Webb war hinter der Frau her, die mit mir reitet. Sie hat in Abernathy seinen Sohn erschossen. Es war Notwehr. Der Richter in Lubbock ließ sie laufen ...« Ich berichtete mit knappen Worten.

»Kommen Sie doch herein, Marshal«, sagte der Bürgermeister. »Zwischen Tür und Angel spricht es sich nicht so gut.«

Er führte mich in die Wohnstube. Sie war gediegen eingerichtet. Nachdem wir Platz genommen hatten, sagte ich: »Sie sind Anführer der Bürgerwehr von Lamesa.«

»Das ist richtig.«

»Adam Webb ist mein Gefangener. Er muss nach Lubbock zum Sheriff gebracht werden. Da ich selbst nicht die Zeit habe, ihn hinzubringen, wollte ich Sie bitten, den Transport durchzuführen. Ich werde einen schriftlichen Bericht für den Sheriff fertigen. Webb hat versucht, das Gesetz in die Hand zu nehmen. Versuchter Mord, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Nötigung, Körperverletzung. Er muss bestraft werden.«

»Ich gebe Ihnen recht«, erklärte der Bürgermeister. Seine Stimme hob sich. »In Ordnung, Marshal. Ich veranlasse, dass der Bursche nach Lubbock zum Sheriff gebracht wird. Sie können sich auf mich verlassen.«

*


Grazia und ich brachen am Morgen auf. Bis Big Spring waren es fünfzig Meilen. Wir würden diese Strecke nicht an einem Tag schaffen.

»Nachdem ich eine Nacht in einem Bett geschlafen habe, fühle ich mich wie neugeboren«, sagte Grazia.

»Wir werden die kommende Nacht wieder im Freien verbringen müssen«, sagte ich.

»Was ist mit den Kerlen, die dich verfolgen, Gringo?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht haben sie aufgegeben. Vielleicht erwarten sie uns irgendwo weiter südlich. Es ist auch möglich, dass sie hinter uns kommen. Dann werden sie in Lamesa erfahren, dass sie sich auf der richtigen Spur befinden.«

»Soll ich dir die Wahrheit über meinen Bruder erzählen?«

»Was ist mit ihm?«

»Als ich dir erzählte, dass er am Arroyo de la Zorra auf einer Hazienda lebt, war das die Wahrheit. Aber mein Bruder züchtet keine Rinder. Er kontrolliert das Grenzgebiet. Man nennt ihn El Lobo.«

Ich verstand. »Er ist also einer der Bravados, die das Grenzgebiet unsicher machen.«

»Die Bezeichnung Bravado würde Sebastiano sicherlich nicht gefallen.«

»Aber es ist so.«

»Er nimmt den Reichen und gibt den Armen.«

Ich lachte spöttisch auf. »Er selbst kommt aber sicher auch nicht schlecht weg dabei. – Was sagen die Rurales zu seinen Aktivitäten?«

»Sie lassen ihn in Ruhe. Mein Bruder hält das Gebiet um den Arroyo de la Zorra sauber. Er ist Herr über ein kleines Dorf. Es heißt La Morita. Die Menschen dort verehren ihn.«

»Nun, ich werde dich zu ihm bringen.«

»Du hast von ihm nichts zu befürchten.«

Gegen Mittag erreichten wir einen kleinen Creek. Der Flussgrund war steinig. Forellen schossen zwischen den Steinen hin und her. Wir beschlossen, zu rasten. Während Grazia die Pferde tränkte, sammelte ich Feuerholz. Als das Feuer brannte, machte ich mich daran, ein paar Forellen zu fangen. Ich war an einem Creek aufgewachsen und hatte schon als Junge Forellen mit der Hand gefangen. Sie flohen unter Steine. Ich erwischte drei Stück, tötete sie und nahm sie aus, rieb sie mit Salz ein, das ich in der Satteltasche hatte, dann spießten wir sie auf dünne Äste und hielten sie über das Feuer.

Die Fische mundeten vorzüglich. Nachdem wir gegessen hatten, drehte ich mir eine Zigarette, setzte sie mit einem glühenden Stück Holz in Brand und beobachtete Grazia, die zwischen die Büsche ging. Die Pferde standen am Flussufer und weideten. Wir hatten ihnen die Bauchgurte gelockert.

Nachdem ich geraucht hatte, nahm ich die Wasserflaschen von den Sätteln, schüttete das Wasser aus und machte mich daran, sie am Flussufer mit frischem Wasser zu füllen. Als ich hinter mir ein Geräusch vernahm, fuhr ich herum. Da schien auch schon die Welt vor meinen Augen zu explodieren. Schlagartig riss mein Denken, Dunkelheit schlug über mir zusammen ...

Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich nicht sogleich zurecht. Das erste, was mein Verstand erfasste, war leises Rauschen und Glucksen. Sekundenlang lag ich da, jeglichen Gedankens, jeglichen Willens beraubt. Dann wurde mir klar, dass die Geräusche der Creek verursachte, an dessen Ufer ich lag. Ich versuchte mich aufzurichten. Stechender Schmerz zuckte durch meinen Kopf und ließ mich gequält stöhnen. Und wieder griff die Benommenheit nach mir; sie kam wie eine graue, alles verschlingende Flut. Um mich herum schien sich alles zu drehen. Ich schloss die Augen und das Schwindelgefühl legte sich. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich klar. Vorsichtig bewegte ich mich.

Grazia und die Pferde waren fort. Ich begriff es mit schmerzlicher Klarheit. Sie hatte mich hereingelegt. Nur einen Augenblick war ich nicht auf der Hut gewesen.

Mir brummte der Schädel. Sie musste mit dem Gewehrkolben zugeschlagen haben. Vorsichtig tastete ich mit den Fingerkuppen über die Stelle. Da war eine ziemliche Beule. Da war aber auch Blut. Ich hatte eine Platzwunde davongetragen. Ich warf mir einige Hände von dem eiskalten Wasser ins Gesicht. Es belebte mich. Dann stand ich auf. Wieder hatte ich gegen eine Welle der Benommenheit anzukämpfen. Am Boden lag mein Stetson. Ich ging in die Knie und hob ihn auf. Dann drückte ich mich wieder hoch und stülpte ihn mir auf den Kopf. Meine Rechte tastete zum Holster und fühlte den Griff des Remington. Den Revolver hatte sie mir also gelassen.

Die Sonne hatte ihren Zenit überschritten. Ich marschierte los. Wenn ich Glück hatte, kam irgendwann die Postkutsche, die zwischen Big Spring und Lubbock verkehrte, und ich konnte mit ihr fahren.

Wie der geschwungene Leib einer riesigen Schlange lag die Straße vor mir. Ich war verbittert. Die Tatsache, dass ich das Geld verloren hatte, quälte mich. Ich schwor, es zurückzuholen. Nachdem ich ihr Big Adam und dessen Männer vom Hals geschafft hatte, ergriff Grazia die Gelegenheit beim Schopf. Sie war schlecht – abgrundtief verdorben. Das begriff ich jetzt.

Der Bestand der Dry Devils Ranch hing davon ab, dass der Kredit bei der Bank in Comstock abgelöst werden konnte. Der Sohn und die Tochter von Joshua Brewster warteten auf das Geld. Der Richter hatte ihnen einen Brief geschrieben und ihnen vom Tod ihres Vaters berichtet. Und er hatte ihnen zugesagt, dass er sichergestellt habe, dass das Geld sie erreichte.

Hatte Humphrey zu hohe Erwartungen in mich gesetzt?

Ich fühlte mich als Versager. Wie sollte ich dem Richter klarmachen, dass ich das Geld verloren hatte?

Ich marschierte vielleicht eine Stunde, als ich fernes Rumoren vernahm. Es erklang hinter mir. Ich drehte mich um und sah von weitem die Stagecoach kommen. Sie zog eine Staubfahne hinter sich her. Auf dem Bock saßen zwei Männer. Die Geräusche wurden deutlicher. Ich wartete am Straßenrand und hielt die Kutsche an. Der Kutscher stemmte sich gegen die Zügel. »Brrrh!« Er brachte die Pferde zum Stehen.

»Wo kommen Sie denn her in dieser Einöde?«, rief der Begleiter des Kutschers, zwischen dessen Beinen ein Gewehr stand, das er am Schaft festhielt.

»Man hat mir das Pferd gestohlen«, sagte ich. »Kann ich mit Ihnen fahren?«

»Steigen Sie ein, Marshal.«

Ich öffnete den Kutschenschlag und kletterte hinein. Zwei Männer saßen in der Kutsche. Einer war gekleidet wie ein Cowboy, der andere trug einen schwarzen Rock und einen weißen Kragen. Er las in einem Buch. Er war Priester, bei dem Buch handelte es sich um die Bibel. Er grüßte freundlich und lächelte mich an. »Der Verlust eines Pferdes ist schmerzlich«, sagte er. »Schlimmer aber ist es, vor den Augen unseres Herrn in Ungnade zu fallen.«

»Sicher haben Sie recht, Reverend«, antwortete ich, dann setzte ich mich neben den Burschen in Cowboytracht.

Die Kutsche ruckte an. Poltern und Rumpeln erklang. Die primitive Federung der Concord fing die Bodenunebenheiten nicht ab und so wurden wir durch und durch geschüttelt. Nach einer Stunde etwa erreichten wir eine Pferdewechselstation. Wir stiegen aus. Kutscher und Begleitmann stiegen vom Kutschbock. »Wie weit wollen Sie noch mitfahren?«, fragte mich der Kutscher. »Bis Big Spring sind es noch zwanzig Meilen. Es wird finster sein, wenn wir die Stadt erreichen.«

»Mal sehen, ob ich hier ein Pferd, einen Sattel und ein Gewehr bekommen kann«, erwiderte ich.

Der Stationer und sein Gehilfe machten sich daran, die Pferde auszuspannen. Die beiden anderen Reisenden gingen hin und her, um sich die Beine zu vertreten. Wahrscheinlich spürten sie jeden Knochen. Ich trat an den Stationer heran und stellte mich vor. Dann sagte ich: »Man hat mir das Pferd samt Sattel und Gewehr gestohlen. Können Sie mir mit einem Tier aus der Patsche helfen?«

»Was wir hier haben, sind keine Reitpferde«, versetzte der Stationer. »Sie kämen damit nicht sehr weit. Es wäre vielleicht ratsam, nach Big Spring mit der Kutsche zu fahren und sich dort ein Pferd zu besorgen.«

»Ist eine Mexikanerin mit zwei Pferden hier vorbeigekommen?«

Der Stationer musterte mich verdutzt, dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Sagen Sie bloß, ein Weib hat Ihnen den Gaul abgejagt.«

»Wer ist schon gegen einen hinterhältigen Schlag mit dem Gewehrkolben gefeit?«, kam meine Gegenfrage, dann wandte ich mich ab ...

*


Eine halbe Stunde später ging es weiter. Die Fahrt war eine Tortur, aber besser, als zu Fuß nach Big Spring zu laufen. Es war tatsächlich finster, als wir die Stadt erreichten. Ich wusste, dass es in Big Spring einen Sheriff gab. Die Kutsche fuhr bis zum Depot der Overland Mail Company, dort stieg ich aus. Ich reckte mich, dann marschierte ich zum Sheriff's Office. Ich traf den Sheriff in seinem Büro an. Sein Name war Sam Hanson. Ich erzählte ihm mit knappen Worten meine Geschichte. Er hörte mir schweigend zu. Dann sagte er: »Wenn eine Frau mit zwei Pferden in die Stadt gekommen wäre, wäre mir das sicher nicht entgangen. Wie es scheint, hat sie einen Bogen um die Stadt herumgemacht. Aber vier Kerle sind in der Stadt – vier heruntergekommene Typen, Sattelwölfe, und sie haben sich nach einem Mann und einer Frau erkundigt. Liege ich richtig, wenn ich annehme, dass die vier hinter Ihnen und der Mexikanerin her sind?«

»Sie möchten mir die 20.000 Dollar abjagen. Die Kerle verfolgen mich seit Amarillo. Nun, ich werde die vier Hombres enttäuschen müssen.«

»Ich nehme an, dass ich Ihnen ein Pferd, einen Sattel und ein Gewehr zur Verfügung stellen soll, Marshal«, sagte der Sheriff.

»Ich bitte darum«, erwiderte ich.

»Sie haben also vor, der Lady das Geld wieder abzujagen.«

»So ist es.«

Der Sheriff ging zu seinem Gewehrschrank und holte eine Winchester heraus, warf sie mir zu und sagte: »Für Munition müssen Sie schon selbst sorgen, Marshal. Mit Larry Haggan vom Mietstall spreche ich, damit er Ihnen ein Pferd und einen Sattel zur Verfügung stellt. Ich nehme an, Sie wollen morgen in aller Frühe weiterreiten.«

»Ich will keine Zeit verlieren.«

»Also gehen wir zum Mietstall.«

Der Stallmann saß auf einer Futterkiste und flickte im Schein einer Laterne ein Zaumzeug. Der Sheriff begrüßte den Stallmann, stellte mich vor und erklärte dann sein Anliegen. Als er geendet hatte, knurrte der Stallbursche: »Natürlich stelle ich Ihnen ein Pferd und einen Sattel zur Verfügung, Marshal. Der Stall öffnet früh um sieben Uhr. Wenn Sie kurz nach sieben hier sind, steht das Tier für Sie bereit.«

Ich bedankte mich.

Als wir wieder auf der Straße waren, fragte der Sheriff: »Was nun, Logan?«

Ich wusste, was er meinte. Grimmig versetzte ich: »Jetzt werde ich mir die vier Burschen vorknöpfen. Sie haben dagegen doch nichts einzuwenden, Sheriff?«

»Ich denke, Sie finden die Kerle im Saloon. Ich werde Ihnen den Rücken freihalten. Kaufen Sie den Kerlen den Schneid ab, Marshal.«

In der Nähe des Saloons trennten wir uns. Der Sheriff verschwand zwischen den Häusern. Die Nacht verschluckte ihn. Seine mahlenden Schritte verklangen.

Ich wartete ein paar Minuten, dann betrat ich den Saloon. Etwa die Hälfte der Tische war besetzt. Gemurmel erfüllte den Schankraum. Zigarettenrauch schlierte um die Lampen, die von der Decke hingen. Der Geruch von Bier und Schweiß stieg mir in die Nase. Die Türpendel schwangen hinter mir aus. An einem der runden Tische saßen die vier Kerle. Sie stachen mir sofort in die Augen. Sie waren verstaubt und stoppelbärtig.

Sie starrten mich an. Plötzlich erhoben sie sich wie auf ein geheimes Kommando und glitten auseinander. Ihre Hände legten sich auf die Knäufe der Revolver.

Im Saloon verstummten die Gespräche. Anspannung erfüllte plötzlich den Schankraum, unheilvolle Impulse schienen ihn zu durchströmen. Der Saloon glich einem Pulverfass, an dem die Lunte schon brannte.

Da ging die Hintertür auf und der Sheriff kam herein. Er hatte den Revolver in der Hand. Der Daumen lag quer über der Hammerplatte. Seine Stimme grollte: »Ihr könnt euch entspannen, ihr Schießbudenfiguren. Der Marshal will euch nur etwas klarmachen. Solltet ihr jedoch die raue Tour bevorzugen, so könnt ihr es gerne haben. Führt euch aber vor Augen, dass zwei von euch auf die Nasen fallen, ehe ihr die Revolver aus den Futteralen habt.«

»Was willst du?«, knirschte einer der Burschen und schaute mich herausfordernd an.

»Ich will euch nicht im Unklaren darüber lassen, dass ich das Geld nicht mehr habe. Ihr könnt also aufhören, mich zu verfolgen. Aber selbst wenn ich das Geld noch hätte, würde ich euch raten, die Jagd danach aufzugeben. Eure Gier bringt euch in Teufels Küche ...«

»Wer sagt dir denn, dass wir hinter dem Geld her sind«, dehnte einer der Burschen. Er war ungefähr Mitte zwanzig und blondhaarig. Sein Blick schien mich zu durchdringen und war genauso herausfordernd wie seine ganze Haltung. Seine Rechte umklammerte den Griff des Revolvers. »Vielleicht haben wir nur zufällig denselben Weg wie du, Marshal.«

»Ihr habt mit Brewster die Herde nach Amarillo getrieben, nicht wahr?«

Der Bursche nickte. »Ja. Und jetzt sind wir wieder auf dem Weg nach Süden.«

»Und warum habt ihr versucht, mich zu überfallen?«

Darauf gab der Cowboy keine Antwort.

Ich ergriff noch einmal das Wort: »Gebt es auf. Das Geld ist futsch.«

»Wo hast du denn die Mexikanerin gelassen, Marshal? Ihr Kopf ist Adam Webb eine Menge Geld wert.«

»Wollt ihr euch dieses Geld verdienen?«

»Vielleicht.«

»Ich weiß nicht, wo sich die Mexikanerin befindet. Sie hat sich von mir verabschiedet, ohne mir zu sagen, welchen Weg sie nimmt. Sie kann sich nach Osten oder Westen gewandt haben, vielleicht ist sie auch nach Norden zurückgeritten. In Big Spring ist sie jedenfalls nicht angekommen.«

»Du hast dir also von ihr das Geld abjagen lassen, Marshal. Nun, das spricht nicht gerade für dich.« Der Sprecher grinste höhnisch.

»Denk, was du willst«, versetzte ich gleichmütig. Ich ließ mich nicht provozieren. Mit dem letzten Wort setzte ich mich in Bewegung und ging zum Tresen. Der Sheriff gesellte sich zu mir. Wir bestellten uns jeder ein Bier. Die vier Kerle setzten sich wieder. Der Situation war die Brisanz genommen. Die anderen Gäste flüsterten miteinander. Ich beobachtete die vier Cowboys. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und tuschelten miteinander.

*


Der Sheriff stellte mir für die Nacht eine Gefängniszelle zur Verfügung. Am Morgen fand ich mich kurz nach sieben Uhr im Mietstall ein. Ein Schecke stand gesattelt und gezäumt im Mittelgang. Der Stallmann wünschte mir einen guten Morgen, dann sagte er: »Es ist ein schnelles und ausdauerndes Tier, Marshal. Sie werden Ihre Freude daran haben.«

Der Zügel war um einen der Tragebalken geschlungen. Ich knüpfte ihn auf und tätschelte dem Tier den Hals. Es schnaubte. »Sie bekommen das Pferd zurück«, versicherte ich. »Wenn nicht, wird man es Ihnen ersetzen. Das gleiche gilt für den Sattel. Ich danke Ihnen jedenfalls für Ihre Hilfe.«

»Keine Ursache, Marshal.«

Ich führte das Tier aus dem Stall und saß im Hof auf. Dann ritt ich zum Store. Er öffnete gerade. Ein Mann, der sich eine grüne Schürze umgebunden hatte, schob das eiserne Scherengitter vor dem Eingang zur Seite. Ich saß beim Haltebalken ab, band das Pferd an und sagte: »Ich brauche Munition für die Winchester.«

»Kommen Sie nur herein, Marshal. Ich war gestern Abend im Saloon. Ich glaube nicht, dass diese vier Burschen aufgeben. Sie werden jetzt wohl Jagd auf die Lady machen, die im Besitz des Geldes ist.«

»Wahrscheinlich«, erwiderte ich. »Es sind wohl unverbesserliche Narren.«

Wir gingen hinein. Ich kaufte vier Päckchen Munition, trug sie hinaus und verstaute sie in den Satteltaschen. Eines der Päckchen öffnete ich und lud das Gewehr auf. Patrone um Patrone schob ich in den Ladeschlitz. Der Storehalter beobachtete mich. Nachdem ich die Winchester geholstert hatte und aufgesessen war, sagte er: »Sie haben nicht vor, der höllischen Lady das Geld zu belassen, nicht wahr?«

»Nein, das habe ich nicht vor«, bestätigte ich. »Am Arroyo de la Zorra haust ihr Bruder auf einer Hazienda. Man nennt ihn El Lobo. Ein Bravado, der die Region dort unten beherrscht. Sie will zu ihm.«

»Von El Lobo habe ich schon gehört«, erklärte der Storehalter. »Ja, er ist ein Bandit. El Lobo war schon einige Male in Texas und hat hier Vieh gestohlen. Es gab Tote. Man hat die Texas Ranger mobilisiert, aber der Bursche ist ihnen bisher immer entschlüpft. Tja, Marshal, ich rate Ihnen nicht, den Rio Bravo zu überqueren. In Mexiko haben Sie nicht nur die Bravados dieses El Lobo zu fürchten, sondern auch die Rurales.«

Ich trieb das Pferd an. Als ich das Hotel passierte, sah ich einen der Cowboys, die hinter dem Geld her waren, auf dem Vorbau. Ich ritt hin und zügelte. Da es noch dunkel war, sah ich sein Gesicht nur als hellen Klecks. Trotzdem erkannte ich ihn. Es war der blonde Bursche, der gestern Abend im Saloon das Wort geführt hatte. »Ich hoffe, Sie nehmen Vernunft an.«

»Adam Webb hat uns tausend Dollar für den Kopf der Lady geboten.«

»Sie hat Jack Webb in Notwehr erschossen. Das Gericht in Lubbock hat es festgestellt. Aber das ist unerheblich. Big Adam befindet sich im Gewahrsam des Sheriffs von Lubbock. Er hat mit einer empfindlichen Gefängnisstrafe zu rechnen. Wie soll er euch tausend Dollar zahlen, wenn er im Zuchthaus sitzt?«

»Du willst mir doch nicht erzählen, dass du aufgibst, Marshal.«

»Ich habe keine Ahnung, wo ich Grazia Esteban suchen soll«, log ich.

Der Bursche lachte fast amüsiert auf. »Du bist ein Spürhund, Marshal, und du gibst das Geld nicht einfach auf. Du nicht. Selbst wenn du jetzt in nördliche Richtung die Stadt verlässt. Du kannst mir keinen Sand in die Augen streuen.«

»Ich warne Sie«, murmelte ich. »Meine Geduld hat Grenzen.«

»In der Wildnis haben Sie keinen, der Ihnen den Rücken stärkt, Marshal.«

Das war deutlich.

Der Bursche schwang herum und ging ins Hotel. Ich zog das Pferd halb um die rechte Hand, ruckte im Sattel und schnalzte mit der Zunge. Das Tier setzte sich in Bewegung.

Ich ritt nach Süden. Mir war Grazias Ziel bekannt. Darum musste ich mich nicht mit Spurensuche abgeben. Ich wollte die Lady am Arroyo de la Zorra, genauer gesagt in La Morita, abfangen. Was mich dort erwartete, wusste ich nicht. Aber ich war fest entschlossen, das Geld zurückzuholen. Es konnte ins Auge gehen. Denn ich würde die Grenze illegal überschreiten müssen. Wenn ich den Rurales in die Hände fiel, landete ich im Gefängnis. Mein Stern war dort unten gerade mal das Blech wert, aus dem er gestanzt war. Da war aber auch der Bruder von Grazia. Von ihm ging eine Gefahr aus, die ich jetzt noch nicht einzuschätzen vermochte.

Ich schaute mich immer wieder um. Von Verfolgern war nichts zu bemerken. Als die Sonne hoch im Zenit stand, erreichte ich einen Fluss. Ich tränkte das Pferd, füllte die Wasserflasche mit frischem Wasser und ritt weiter. Ich ritt querfeldein, überquerte Hügel und ritt durch staubige Senken. Die Nacht verbrachte ich auf einer Farm und schlief im Heuschober. Meile um Meile legte ich zurück. Wieder ging ein Tag zu Ende. Ich war über eine Woche unterwegs, dann erreichte ich Comstock. Ich erkundigte mich in der Stadt nach dem Weg zur Dry Devils Ranch und erhielt ihn beschrieben. Nachdem ich etwa eine weitere Stunde geritten war, erreichte ich die Ranch. Ich durchritt das hohe Galgentor und hielt vor dem Haupthaus an. In einem Corral standen ein Dutzend Pferde. Es gab einige Schuppen, eine Scheune und einen Stall. In der Remise standen zwei Fuhrwerke – leichte Schlutter-Wagen, wie sie auch die Armee verwendete. Alles wirkte gepflegt, sauber und ordentlich. Aus einem Schuppen trat ein bärtiger Mann und beobachtete mich. Er war mit einem blauen Overall bekleidet und trug einen verbeulten Hut.

Als ich mich aus dem Sattel schwang, ging die Tür des Haupthauses auf und eine junge Frau trat ins Freie. Sie war Anfang zwanzig und blondhaarig. Keine Schönheit – dennoch verströmt sie etwas, das sie attraktiv machte. Sie war mit einem langen, schwarzen Rock und einer grauen Bluse sowie einer schwarzen Weste bekleidet.

»Sie sind sicher der Marshal, den Richter Humphrey in seinem Brief angekündigt hat.«

Ich trat vor sie hin und reichte ihr die Hand. »Mein Name ist Bill Logan, Miss. Ja, ich bin im Auftrag des Richters ins Val Verde County geritten. Allerdings sind es keine erfreulichen Nachrichten, die ich bringe.«

»Kommen Sie ins Haus. Mein Bruder befindet sich mit unseren beiden Cowboys auf der Weide. Er kommt erst am Abend auf die Ranch.«

Als wir in der Küche am Tisch saßen, sagte ich: »Das mit Ihrem Vater tut mir sehr leid, Miss.«

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Hoffentlich erwischt man seinen Mörder. – Sie bringen schlechte Nachricht?«

»Ja. Man hat mir das Geld gestohlen.«

Sie zuckte zusammen. Ihr Mund wurde schmal. »Sie – Sie haben das Geld verloren«, stammelte sie entsetzt. Der Blick, mit dem sie mich anstarrte, ging mir durch und durch. Plötzlich schlug sie beide Hände vor das Gesicht. Die Verzweiflung brach sich Bahn. »Dann ist die Ranch verloren«, flüsterte sie erstickend. »Ohne das Geld kommt die Ranch unter den Hammer.«

»Wann ist die Hypothek fällig?«, fragte ich.

»Am 1. Januar.«

»Das heißt, ich habe zwei Wochen Zeit, das Geld wiederzubeschaffen.« Ich verlieh meiner Stimme Nachdruck, als ich sagte: »Ich tue alles, um das Geld für die Ranch zu retten, Miss. Kann ich die Nacht über auf der Ranch bleiben?«

Sie ließ die Hände sinken. Mit erloschenem Blick schaute sie mich an. »Das Geld war unsere letzte Hoffnung. Wenn es Ihnen nicht gelingt, es wiederzubeschaffen, wird man uns von Haus und Hof jagen. Wir müssten alles aufgeben, wofür mein Vater arbeitete und kämpfte.«

»Ich bringe es wieder«, versprach ich im Brustton der Überzeugung.«

*


Als es schon dunkel war, kam Virgil Brewster auf die Ranch. Er war dreiundzwanzig Jahre alt. Kath stellte mich vor, und dann sagte sie zu ihrem Bruder: »Es gibt keinen Grund, sich zu freuen, Virg. Dem Marshal wurde das Geld für die Herde geraubt. Und wenn wir bis zum 1. Januar nicht bezahlen können, dann nimmt man uns die Ranch weg.«

Der Gesichtsausdruck des jungen Mannes veränderte sich. Seine Brauen schoben sich zusammen. Finster fixierte er mich. Ich saß am Tisch in der Küche. Zornig flackerte es in den Augen des Burschen. Seine Lippen sprangen auseinander: »Sie haben sich das Geld abjagen lassen!«

»Man hat mich beraubt. Das ist richtig.«

»Eine Frau hat ihm das Geld gestohlen«, erklärte Kath. »Eine Mexikanerin – die Schwester von El Lobo.«

»Sie hat mich übel hereingelegt«, sagte ich. »Ich habe ihr das Leben gerettet und beschützte sie. In einem Moment, als ich unachtsam war, schlug sie mich mit dem Gewehr nieder. Ich ...«

»Zur Hölle, Marshal!«, stieß der Bursche hervor. »Sie hatten einen Auftrag zu erfüllen. Warum haben Sie sich mit dem Weib eingelassen? Hat sie Ihnen den Kopf verdreht? Oder machen Sie gar mit ihr gemeinsame Sache? O verdammt. Sie haben das Geld leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Wie konnte der Richter einen Mann wie Sie mit dieser Mission betrauen?«

»Ein Rancher wollte die Frau hängen«, sagte ich kehlig. »Sollte ich etwa zusehen? Na schön, Virgil. Ich kann Ihre Verbitterung verstehen. Dennoch tun Sie mir Unrecht. Grazia hat mir weder den Kopf verdreht, noch habe ich auch nur einen Moment vergessen, in welch wichtiger Mission ich unterwegs war. Die Kerle, die mit Ihrem Vater die Herde nach Amarillo trieben, waren hinter dem Geld her. Ich schoss mich mit den Männern des Ranchers, der Grazia hängen wollte. Mein Weg war nicht einfach. – Ich habe Ihrer Schwester versprochen, das Geld wiederzubeschaffen. Morgen früh reite ich zum Arroyo de la Zorra. Ich werde alles daransetzen, die Ranch für Sie zu retten. Es ist mir ein inneres Bedürfnis.«

»Ich werde dem Richter einen Brief schreiben und ihn aufklären, dass er einen unfähigen Mann mit dem Geld losschickte.« Bitter lachte der Bursche auf. »El Lobo hat seinen Namen nicht umsonst. Er ist ein zweibeiniger Wolf. Sobald Sie die Grenze überschreiten, wird man ihn informieren. Selbst wenn Sie es zum Arroyo de la Zorra schaffen und es Ihnen gelingen sollte, El Lobos Schwester das Geld wieder abzujagen: El Lobo wird Sie von seinen zweibeinigen Bluthunden jagen lassen. Ihre Chance ist die eines Regentropfens im Ozean, Marshal. Ihnen haben wir es zu verdanken, wenn man uns im Januar von unserem Grund und Boden jagt. Ich hasse Sie dafür.«

Ich erhob mich mit einem Ruck. Hart blickte mich der Bursche an. »Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen«, presste ich hervor und schoss Kath einen schnellen Blick zu. Im Laternenlicht glitzerten ihre Augen wie Glaskugeln. Von ihrem Gesicht war nicht abzulesen, ob sie die Meinung ihres Bruders teilte. Jetzt aber sagte sie: »Mein Bruder ist enttäuscht und verbittert. Verzeihen Sie ihm, Marshal. Ich habe Vertrauen zu Ihnen und bitte Sie, die Nacht über auf der Ranch zu bleiben.«

Virgil Brewster musterte seine Schwester düster. Unvermittelt machte er kehrt und verließ die Küche. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.

»Virg hängt an der Ranch«, erklärte Kath. »Er kann sich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass sie uns vielleicht bald nicht mehr gehört.« Sie senkte den Blick. »Auch ich hänge an der Ranch ...«

*


Vor mir lag der Rio Grande. Auf der anderen Seite begann Mexiko. Es war früher Nachmittag. Der Grenzfluss wälzte seine braunen Fluten nach Südosten. Strauchwerk säumte die Ufer. Ich ließ meinen Blick schweifen. Soweit das Auge reichte war nur ausgedörrtes Land zu sehen; Wildnis – menschenfeindliches Terrain, hügelig, felsig, karg.

Ich trieb mein Pferd in den Fluss. Schon bald musste das Tier schwimmen. In der Flussmitte war die Strömung ziemlich reißend. Wir wurden abgetrieben. Ich hielt mein Gewehr und den Remington in die Höhe, damit die Munition nicht nass wurde. Es war nicht auszuschließen, dass Wasser in die Patronen eindrang und das Pulver unbrauchbar machte. Da drüben aber hing von der Zuverlässigkeit meiner Waffen möglicherweise mein Leben ab.

Schließlich hatte der Schecke wieder Boden unter den Hufen. Wir erreichten das Ufer. Ich war nass bis über die Hüfte hinauf. Drüben schürte ich ein großes Feuer, an dem ich meine Kleidung trocknete und mich wärmte. Das nahm über eine Stunde in Anspruch. Dann ritt ich weiter. Die Gefahr konnte überall lauern, der Tod war allgegenwärtig. Als es Abend wurde, erreichte ich einen Fluss, der in den Rio Grande mündete. Der Beschreibung Kaths nach musste das der Arroyo de la Zorra sein. Ich beschloss, am Fluss zu lagern. Wieder schürte ich ein Feuer. Andernfalls wäre es zu kalt gewesen. Dicht beim Feuer rollte ich mich in meine Decke. Den Sattel benützte ich als Kopfkissen. Schlaf fand ich kaum. Als der Tag anbrach, ritt ich weiter. Ich ritt am Fluss entlang nach Süden. Nach sechs Stunden etwa lag eine Ortschaft vor mir. Ich verhielt auf dem Kamm eines Hügels. Vor den Vorderhufen meines Pferdes schwang sich der Hang steil nach unten. Es handelte sich um ein typisch mexikanisches Dorf. Die Häuser waren aus Holz oder Adobe. Sie hatten flache Dächer, die Dachsparren ragten aus den Frontwänden. In einigen Pferchen tummelten sich Schafe und Ziegen, auf einer Koppel standen zwei Milchkühe. Es gab auch einen Koben mit einem halben Dutzend Schweinen. Ein Mann schritt über den Dorfplatz und verschwand in einem Haus.

Ich ritt hinunter.

Die Häuser waren rund um eine große Plaza gruppiert. In der Mitte der Plaza befand sich der Brunnen. Da standen auch zwei uralte Bäume. Die Plaza war staubig. Leises Säuseln war zu vernehmen. Es war der Wind, der zwischen die Häuser strich und von ihnen gebrochen wurde. Staubspiralen trieben über den großen Platz mit dem Brunnen.

Ich zügelte beim Brunnen, schaute mich um und machte die Pulqueria aus. Ein hölzernes Schild über der Tür verriet sie. Ansonsten unterschied sich der Bau in nichts von den anderen Gebäuden. Ich saß ab und führte das Pferd am Zaumzeug. In die Wand der Pulqueria waren einige eiserne Ringe eingelassen. An einen band ich mein Pferd. Dann nahm ich mein Gewehr aus dem Scabbard und ging hinein.

In der Schänke war es düster. Die kleinen Fenster ließen kaum Licht in den Raum. Fünf Tische standen da. Auf ihnen standen Näpfe mit Talglichtern. Es gab eine Theke. Sie war aus grob gehobelten Brettern zusammengezimmert. Hier war alles einfach und primitiv. Hinter der Theke war niemand. Ich setzte mich an einen der Tische und rief: »Hallo, ist hier jemand?«

Eine Tür hinter der Theke öffnete sich und ein dicker Mann kam in den Gastraum. Seine schwarzen Haare glänzten ölig und waren glatt nach hinten gekämmt. »Buenos dias, Señor«, grüßte er. »Ah, ein Americano. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich möchte ein Bier und etwas zu essen. Außerdem brauche ich ein Zimmer für die Nacht. Ist das zu machen?«

»Gewiss, Señor.«

Der Gastwirt brachte mir ein Bier, dann sagte er: »Wenn Sie sich das Zimmer ansehen möchten, Señor.«

Ich trank einen Schluck, dann folgte ich dem Wirt durch die Hintertür hinaus in den Hof. Wir überquerten ihn. An den Stall war ein kleines Gebäude angebaut, dessen Tür der Wirt öffnete. »Das ist das Zimmer. Ich hoffe, Sie sind zufrieden, Señor.«

Der Boden des Raumes war nur festgestampft. Es gab ein Bett und einen Schrank. Auf einem Dreibein stand eine Waschschüssel, daneben stand am Boden ein verbeulter Blechkrug. An einem Nagel, der in die Wand geschlagen war, hing ein Handtuch.«

»In Ordnung«, sagte ich. »Ich nehme das Zimmer.

Als wir wieder in der Pulqueria waren, sagte der Wirt: »Sie tragen einen Stern. Ist es ein besonderer Grund, der Sie nach La Morita getrieben hat?«

»Ich warte hier auf jemand«, versetzte ich ausweichend.

»Das heißt also, dass Sie unter Umständen länger zu bleiben gedenken.«

»Möglicherweise. Haben Sie jemand, der sich um mein Pferd kümmert?«

»Mein Sohn Juan wird das übernehmen.« Der Wirt verschwand in der Küche. Ich hörte ihn sprechen, dann schepperte Geschirr. Gleich darauf war das Pochen von Hufen zu vernehmen.

Ich drehte mir eine Zigarette und rauchte. Ich gab mich keinen Illusionen hin. Ich befand mich in der Höhle des Löwen. Es war sicher nur eine Frage der Zeit, bis El Lobo erfuhr, dass sich ein amerikanischer Gesetzesmann in den Ort verirrt hatte.

Nach einer Viertelstunde etwa erschien der Wirt mit einer Pfanne. In der anderen Hand hielt er einen hölzernen Löffel. Er stellte die Pfanne vor mir auf den Tisch. Sie beinhaltete einen Pampf aus roten Bohnen und Fleischbrocken. Der Wirt gab mir den Löffel. »Lassen Sie es sich schmecken, Hombre. Es ist Ziegenfleisch. Ausgesprochen schmackhaft und gut gewürzt.«

Nun, ich hatte Hunger ...

Draußen erklangen Hufschläge, die sich schnell entfernten. Ich vermutete, dass der Sohn des Wirts losgeritten war, um El Lobo zu informieren.

Das Essen schmeckte in der Tat vorzüglich. Ich aß die ganze Pfanne leer. Dann ging ich in das Zimmer, verriegelte die Tür von ihnen und legte mich – angezogen wie ich war –, auf das Bett, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte zur Decke hinauf.

Ich wartete.

Fast zwei Stunden vergingen. Es wurde schon dämmrig. Hufschläge wurden laut. Sie endeten vor der Pulqueria. Ich erhob mich. In mir war Anspannung. Stimmen waren zu hören. Ich stand am Fenster und schaute hinaus. Sehen konnte ich die Reiter nicht, denn zwischen ihnen und meiner Unterkunft befand sich die Schänke. Ich wartete kurze Zeit, dann verließ ich das Zimmer, überquerte den Hof und betrat durch die Hintertür den Gastraum. Vier Männer bevölkerten ihn. Auf ihren Köpfen saßen wagenradgroße Sombreros. Sie waren mit Revolvern bewaffnet. Zwei von ihnen trugen schräg über der Brust einen Patronengurt. Ihre Gesichter waren bärtig und dunkel.

Ich setzte mich an einen Tisch, holte ein Streichholz aus der Tasche, riss es unter der Tischplatte an und hielt die kleine Flamme an den Docht des Talglichts. Lichtschein kroch über die Tischplatte.

»Gib uns Pulque, Santoz«, forderte einer der Ankömmlinge. Auch sie setzten sich. Sie taten so, als wäre ich Luft. Der Wirt trug eine Flasche und vier Gläser zu ihrem Tisch, schenkte ein und die Kerle tranken. Plötzlich erhob sich einer von ihnen und kam zu mir her. »Hola, Gringo.«

»Hola.«

»Was führt dich nach La Morita?«

»Ich habe hier eine Verabredung.«

»Mit wem?«

»Das geht dich nichts an.«

»Oha.«

Wir starrten uns an. Plötzlich grinste der Bursche. »El Lobo möchte dich sehen.«

»Ich habe von ihm gehört.«

»Dann wirst du ja nichts dagegen haben, uns zur Hazienda zu begleiten.«

»Nein, dagegen ist nichts einzuwenden.«

»Bueno. Santoz, lass sein Pferd satteln. Wir reiten in einer Viertelstunde.«

Der Bursche kehrte zu seinem Tisch zurück, setzte sich, nahm die Flasche und trank einen Schluck. Der Wirt war in der Küche verschwunden. Ich hörte seine Stimme. Er sprach spanisch. Ich konnte seinen Worten entnehmen, dass er seinen Sohn anwies, mein Pferd zu satteln. Dann kam er wieder in den Schankraum zurück.

Die vier Kerle schienen mich nicht mehr zu beachten. Vor den Fenstern hing die Abenddämmerung. Schließlich kam ein etwa siebzehnjähriger Bursche zur Tür herein. »Das Pferd ist gesattelt und steht vor der Tür«, erklärte in holprigem Englisch.

»Bist du bereit, Gringo?«, fragte mich der Bursche, der vorhin an meinem Tisch gewesen war.

Ich erhob mich.

Wenig später waren wir auf dem Weg.

*


Die Mexikaner unterhielten sich auf Spanisch und lachten viel. Ich ritt zwischen ihnen, gespannt auf das, was mich erwartete. Natürlich durfte ich El Lobo nicht auf die Nase binden, dass ich seine Schwester erwartete. Heißer Schreck durchzuckte mich, als ich daran dachte, dass sie vielleicht vor mir angekommen war. Doch diesen Gedanken verdrängte ich. Ich hatte keine Zeit verloren und war hart geritten. Ich war mir sicher, Grazia überholt zu haben.

Es war finster, als wir auf der Hazienda ankamen. Das Haupthaus war groß und feudal. Es besaß ein Stockwerk. Ein Balkon nahm die gesamte Breite der Vorderfront ein. Aus zwei Fenstern in der unteren Etage fiel Licht. Im rechten Winkel zum Haupthaus war ein weiteres Gebäude mit vielen Fenstern errichtet worden. Auch diese Fenster waren beleuchtet. Ich nahm an, dass es sich um die Mannschaftsunterkunft handelte.

»Absitzen!«

Wir stiegen von den Pferden. Ich band den Schecken an einen Holm. Drei der Kerle führten ihre Pferde davon. Der vierte ging zur Tür des Haupthauses und klopfte dagegen. Gleich darauf öffnete er die Tür und rief etwas auf Spanisch. Eine dunkle Stimme antwortete ihm, dann sagte der Bursche zu mir: »Geh hinein, Gringo. Der Padron erwartet dich.«

Ich ging an dem Mexikaner vorbei ins Haus. In einem Sessel saß ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren. Er trug eine schwarze Hose, ein weißes Hemd und eine ebenfalls schwarze, kurze Jacke, deren Knöpfe silbern schimmerten. Seine Haare waren schwarz und in der Mitte gescheitelt. Seine Oberlippe zierte ein sauber getrimmter Schnurrbart.

Jetzt erhob er sich und lächelte. In fast akzentfreiem Englisch sagte er: »Willkommen auf meiner Hazienda. Sie sind ein amerikanischer Gesetzeshüter. Was hat Sie über den Rio Bravo getrieben?«

Ich hatte mir eine Ausrede zurechtgelegt und sagte: »Ich bin hinter vier Banditen her. Ihre Spur führt am Arroyo de la Zorra entlang, und ich nehme an, dass sie nach La Morita reiten wollen. Ich will die Kerle in dem Dorf erwarten. Dagegen haben Sie doch sicher nichts einzuwenden, Señor Esteban.«

»Ihr Stern ist auf dieser Seite des Rio Bravo nichts wert.«

»Ich weiß. Dennoch möchte ich Sie bitten, mir keine Steine in den Weg zu legen. Es sind vier Mörder, auf die in den Staaten der Galgen wartet. Auf solche Leute legt ihr auf dieser Seite des Rio Grande doch sicher keinen Wert.«

»Wollen diese vier Gringos vielleicht zu mir?«

»Was sollten sie von Ihnen wollen? Mit derlei Gesindel umgeben Sie sich gewiss nicht.«

Esteban lächelte geschmeichelt. »Sie sind ein Mann nach meinem Geschmack, Marshal. Wie heißen Sie?«

»Bill Logan. Aber jeder nennt mich nur Logan.«

»Darf ich Sie auch so nennen?«

»Aber natürlich.«

»Bueno, Logan, ich bitte Sie, mein Gast zu sein. Wenn die vier Gringos ins Land kommen, werden sich meine Leute um sie kümmern. Ich werde Ihnen die vier servieren. Ich halte es für meine Pflicht, das Gesetz – auch wenn es nicht das Gesetz Mexikos ist –, zu unterstützen.«

»Sie sind ein echter Caballero, Señor Esteban.«

»Gastfreundschaft ist ein wichtiges Gebot, Marshal.«

Jetzt erst trat Esteban an mich heran und reichte mir die Hand. »Setzen Sie sich, Marshal. Was möchten Sie trinken? Ich habe echten Bourbon anzubieten.«

Er war ein Wolf im Schafspelz. Seine zuvorkommende Art war nur Fassade. In Wirklichkeit war er ein skrupelloser Bandit, an dessen Händen das Blut vieler Menschen klebte. Ich machte gute Miene zum bösen Spiel und setzte mich in einen der Sessel. Der Hausherr ging zu einer Vitrine und entnahm ihr zwei Kristallbecher sowie eine Karaffe mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Er stellte die Gläser auf den Tisch und goss ein. Dann prostete er mir zu. Sein Blick schien mich zu durchbohren – als versuchte er, meine geheimsten Gedanken zu ergründen. Wir tranken, dann sagte Esteban: »Ich stelle Ihnen in meinem Haus ein Zimmer zur Verfügung. Sie können hier wohnen, solange Sie möchten. Fühlen Sie sich bei mir wie zu Hause.«

*


Ich schlief wie ein Toter. Das Wiehern eines Pferdes weckte mich. Ich stand auf und ging zum Fenster. Das Zimmer befand sich in der oberen Etage des Hauses. Soeben stiegen im Hof Männer auf ihre Pferde. Ich zählte sie. Es waren zehn. Eine Stimme erklang, den Sprecher konnte ich nicht sehen. Er befand sich im toten Winkel zu mir. Dann stoben die Reiter davon. Bald markierte nur noch aufgewirbelter Staub ihren Weg. Nachdem ich gewaschen und angezogen war, begab ich mich nach unten. Ich traf Esteban in der Halle an. Er lächelte und sagte: »Ich habe meine Männer losgeschickt. Wenn es die Banditen wagen, zum Arroyo de la Zorra zu kommen, erwischen wir sie.«

»Sie sind sehr gastfreundlich.«

»Darauf lege ich ausgesprochenen Wert«, erklärte der Mexikaner. »Ich beschäftige natürlich mehr Männer als diese zehn, die ich losgeschickt habe. Die Vaqueros befinden sich auf der Weide. Auf der Hazienda befinden sich nur noch einige Helfer.«

Wir führten während des Frühstücks ein belangloses Gespräch. Ich fragte mich, wann Grazia auf der Hazienda ankommen würde. Beim Gedanken daran, dass sie die Kerle erwischt haben konnten, die mich seit Amarillo verfolgt hatten, erschrak ich. Wenn das der Fall war, dann war das Geld verloren und ich hatte Kath gegenüber ein leeres Versprechen abgegeben.

Ich versuchte, diesen Gedanken zur Seite zu schieben. Es wollte mir nicht gelingen.

Nun, ich will es kurz machen. Grazia kam am Nachmittag.

Sebastiano Esteban ging, als die Hufschläge erklangen, zum Fenster und schaute hinaus. »Ich traue meinen Augen nicht«, stieß er hervor, schritt zur Tür und trat ins Freie. Ich beobachtete vom Fenster aus die Frau, die langsam auf den Ranchhof ritt. Die Taschen mit dem Geld waren nach wie vor an meinem Sattel befestigt. Müde zogen die Pferde die Hufe durch den Staub. Sie gingen mit hängenden Köpfen.

Grazia führte mein Pferd an der Longe und sah ziemlich mitgenommen aus. Ihre Augen lagen in tiefen, dunklen Höhlen, hart traten die Backenknochen in ihrem Gesicht hervor. Ihre Haare hatten keinen Glanz mehr. Sie war verstaubt. Man sah ihr die Strapazen an, die hinter ihr lagen, an.

Ich hörte Estebans Stimme: »Träum ich oder wach ich? Bist du es wirklich, Schwester?«

»Ich bin es, Bruder.« Die Stimme der Frau klang staubheiser. »Hinter mir liegt die Hölle. Ich hoffe, du nimmst mich bei dir auf. Ich bin am Ende.«

Ich sah drei Männer aus den Schuppen und dem Stall kommen. Sie waren unbewaffnet. Von diesen Burschen ging keine Gefahr aus. Kurzentschlossen zog ich den Revolver und trat aus dem Haus. Ehe sich Esteban versah, schlang ich ihm von hinten den linken Arm um den Hals und drückte ihm die Mündung des Revolvers unter das Kinn.

»Was ...«

»Ruhe! Ich habe hier auf Ihre Schwester gewartet, Esteban.«

Grazia, die gerade dabei war, vom Pferd zu steigen, hielt mitten in der Bewegung inne. Überraschung und Schreck zeichneten ihre Züge. »Du?!«

»Ja, ich«, versetzte ich hart. »Steig ruhig ab, Lady. Du hast dich verschätzt. – Hören Sie zu, Esteban. Sie werden jetzt Ihren Männern befehlen, vier frische Pferde zu satteln. Sie werden mich in die Staaten begleiten.«

»Ich verstehe nicht.«

»Los, geben Sie den Befehl!«

Grazia stieg vom Pferd. In ihrem Gesicht arbeitete es.

Esteban rief: »Sattelt und zäumt vier Pferde. Macht schon.«

Die Helfer verschwanden im Stall.

Esteban ergriff das Wort: »Ich weiß nicht, was vorgefallen ist. Aber meine Leute werden dich jagen, Marshal, und am Ende wirst du tot sein. Dafür garantiere ich.«

»Wenn Ihre Leute klug sind, dann folgen sie uns nicht, Esteban. Sie sind mein Faustpfand, meine Lebensversicherung. – Bring die Satteltaschen mit dem Geld her, Grazia. Vorwärts.«

»Tu, was er sagt!«, gebot Esteban.

Grazia stand wie zu einer Salzsäule erstarrt da.

Ich spannte den Hahn.

»Verdammt!«, fluchte Esteban. »Willst du, dass er mich erschießt?«

Jetzt kam Leben in die Gestalt der Frau. Sie schnallte die Satteltaschen los und trug sie zu mir her, warf sie vor mir in den Staub und sagte gehässig: »Ich hätte dir eine Kugel verpassen sollen, Gringo. Es war mein Fehler.«

»Das hast du versäumt, Lady.«

Es dauerte nicht lange, dann wurden vier Sattelpferde in den Hof geführt. Ich gebot einem der Helfer, die Satteltaschen mit dem Geld an einem der Sättel festzuschnallen. Dann bugsierte ich Esteban zu den Pferden und befahl ihm, aufzusitzen. Ich holte die Gewehre von den Sätteln der beiden Pferde, mit denen Grazia gekommen war, schob eines in die Deckenrolle, das andere versenkte ich im Scabbard, dann schwang ich mich in den Sattel. Die Mündung des Remington deutete unverwandt auf den mexikanischen Banditen, der auf der Hazienda das Leben eines Edelmannes führte.

»Reiten wir.«

»Sagt Pablo Bescheid!«, rief Esteban, dann trieb er sein Pferd an.

Als die Hazienda nicht mehr zu sehen war, holsterte ich den Remington.

»Wollen Sie mich nicht endlich aufklären, Marshal?«, sagte Esteban in den pochenden Hufschlag hinein. »Was hat es mit dem Geld auf sich?«

»Es handelt sich um 20.000 Dollar. Das Geld gehört der Dry Devils Ranch. Ihre Schwester hat es geraubt. Sie hat in den Staaten einen Mann erschossen und war vor dessen Vater auf der Flucht. Ich habe sie vor dem Strick gerettet. Sie hat mir meine Hilfe schlecht vergolten.«

»Eine Menge Geld. – Sie haben mich also angelogen, Marshal. Es gibt die vier Banditen gar nicht. Sie haben sich mein Vertrauen erschlichen. Aber Sie sind ein mutiger Mann. Das erkenne ich an.«

»Ich habe versprochen, das Geld wiederzubeschaffen«, versetzte ich.

»Werden Sie mich an der Grenze laufen lassen?«

»Nein. Sie werden in Texas gesucht. Für die Menschen auf der anderen Seite des Rio Grande sind Sie zu einer Geißel geworden, El Lobo. Ihre Bravados raubten, plünderten, brandschatzten und mordeten in Texas. Auf Sie wartet in den Staaten der Strick.«

»Sie schaffen es nicht, Logan. Meine Leute ...«

»Hören Sie auf, mir mit Ihren Leuten zu drohen, Esteban. Sie können mich damit nicht beeindrucken.«

Ich verließ den Arroyo de la Zorra und wandte mich nach Osten. Der Boden war felsig und ich hoffte, so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen. Zwar hatte ich El Lobo als Geisel, aber das war kein echtes Faustpfand. Eine etwaige Drohung, ihn zu erschießen, wenn mir seine Leute zu eng auf die Pelle rückten, würde ich nie in die Tat umsetzen. Ich war kein Mörder. Und sicher wussten das seine Bravados auch.

Je länger ich darüber nachdachte, umso mehr kam ich zu dem Schluss, dass mir Esteban vielmehr ein Klotz am Bein war. Mit ihm als Geisel hatte ich zwar meinen Abgang von der Hazienda erzwungen, jetzt aber kam ich zu der Überzeugung, dass ich ohne ihn besser vorwärts kam.

Nachdem wir etwa zehn Meilen geritten waren, rief ich: »Halten Sie an, Esteban.«

Er zügelte. Ich gebot ihm abzusitzen. Auch ich stieg ab. »Ich werde Ihnen jetzt die Hände fesseln«, sagte ich, »und dann lasse ich Sie hier zurück. Sie haben Glück, dass ich es eilig habe, Esteban. Aber es ist sicher nur eine Frage der Zeit, bis auch Sie Ihr Schicksal ereilt.«

Der Mexikaner mahlte mit den Zähnen.

»Nehmen Sie Ihren Gürtel ab und werfen Sie ihn her.«

Er kam meiner Aufforderung nach.

»Umdrehen und Hände auf den Rücken! – Gut so.« Ich trat hinter Esteban und griff nach seiner rechten Hand. In dem Moment wirbelte er herum und warf sich auf mich. Ich ließ den Gürtel fallen und sprang zurück, drehte mich halb und entging den zupackenden Händen des Banditen. Er griff ins Leere und stolperte – von seinem eigenen Schwung getrieben – einen Schritt nach vorn. Ich drosch ihm von der Seite die Faust in den Leib, und als er sich nach vorne krümmte, hämmerte ich ihm die Linke in den Nacken. Er fiel auf das Gesicht. Sofort kam er auf alle viere hoch. Ich zog den Remington und schlug den Mexikaner damit nieder. Und dann band ich ihm die Hände auf dem Rücken zusammen.

Ich verknüpfte die Zügel der Pferde miteinander und band den langen Zügel eines der Tiere an das Horn meines Sattels. Dann stieg ich auf und ritt an. Die ledigen Pferde wurden mitgezerrt.

Ich bedauerte es, dass ich El Lobo nicht der amerikanischen Gerichtsbarkeit überantworten konnte. Aber ich musste Prioritäten setzen. Und Priorität war, das Geld in Sicherheit zu bringen.

Ich ließ die Pferde laufen. Die Dunkelheit kam. Ich ritt weiter. Irgendwann wechselte ich das Pferd. Gegen Mitternacht ließ ich zwei der Pferde frei. Ich nahm ihnen die Sättel und Zaumzeuge ab. Und dann erreichte ich den Rio Grande. Es war gefährlich, den Fluss in der Nacht zu überqueren, trotzdem riskierte ich es. Nass bis unter die Brust erreichte ich das amerikanische Ufer. Wenn ich mir nicht den Tod holen wollte, musste ich meine Kleidung trocknen. Ich ritt zwischen die Hügel, saß bei einer Gruppe von Büschen ab und machte Feuer.

Ich fühlte mich noch lange nicht sicher. Die Grenze war für Estebans Leute kein Hindernis. Ich trocknete meine Kleidung und wartete den Morgen ab. Dann ritt ich weiter.

Von einem Hügel aus sah ich das Rudel kommen. Die Bravados mussten die ganze Nacht geritten sein. Und sie mussten über einen vorzüglichen Fährtenleser verfügen. Mir war klar, dass es sinnlos war, zu fliehen. Sie würden mir bis zur Dry Devils Ranch folgen. Ich musste mir die Kerle vom Hals schaffen.

Auf dem Abhang wuchs hüfthohes Gebüsch. Es gab auch einige Felsbrocken, die aus dem Boden ragten. Ich führte meine beiden Pferde auf der den Bravados abgewandten Seite ein Stück den Abhang hinunter und band sie an. Dann nahm ich beide Gewehre und ging damit in Stellung. Die Reiter verschwanden aus meinem Blickfeld. Schließlich tauchten sie wieder auf. Sie jagten aus einer Lücke zwischen zwei Hügeln. Ich hob die Winchester an meine Schulter. Und dann hielt ich einfach in den Reiterpulk hinein. Im Knall meines ersten Schusses sah ich ein Pferd niedergehen und sich überschlagen. Die folgenden Reiter rasten in das Hindernis hinein, und im Nu bildete sich ein Knäuel ineinander verkeilter Pferde und Menschenleiber. Ich lud und schoss, so schnell ich konnte. Die Mexikaner schwärmten aus und jagten hierhin und dorthin, sprangen von den Pferden und rannten in die Deckung von Büschen und Felsen. Dann pfiffen die ersten Kugeln zu mir herauf.

Reiterlose Pferde standen umher. Drei Pferde hatte ich mit meinen Schüssen getötet. Zwei der Reiter, die schwer gestürzt waren, lagen am Boden und rührten sich nicht. Ein dritter kroch in den Schutz eines Strauches.

Ihre Kugeln wurden mir nicht gefährlich. Ein Felsblock deckte mich. Querschläger quarrten durchdringend. Dort, wo die Schützen lagen, stiegen Pulverdampfwolken in die Höhe. Ich jagte zwei Schüsse in einen Busch hinein, sah einen der Bravados hochtaumeln und im nächsten Moment zusammenbrechen.

»Wir kriegen dich, Marshal!«

Ich erkannte die Stimme. Sie gehörte El Lobo. Seine Leute hatten ihn also gefunden, und er beteiligte sich selbst an der Jagd. Hass schwang in seinem Tonfall mit. Er brüllte: »Ich werde dir die Haut streifenweise abziehen, Gringo. Du hast mir meine Gastfreundschaft schlecht gedankt. Fang an zu beten, Gringo. Ich werde ein Fest veranstalten, wenn ich dich in die Hölle schicke.«

Kriechend zog ich mich zurück. Als mich die Banditen nicht mehr sehen konnten, erhob ich mich und rannte zu meinen Pferden. Eins der Gewehre schob ich wieder in die Deckenrolle, das andere versenkte ich im Scabbard. Ich band die Pferde los und saß auf. Im gestreckten Galopp jagte ich den Hang hinunter und ritt unten in die Ebene hinein.

*


»Ich will den Hund tot sehen!«, knirschte El Lobo. »Ich will auf seinen Kadaver spucken!« Er riss sich in den Sattel. Seine Männer kümmerten sich um die am Boden liegenden Männer. Sie halfen den beiden Kerlen, die abgeworfen worden und kurz bewusstlos gewesen waren, auf die Beine. Flüche wurden laut.

Einer der Banditen trat an Estebans Pferd heran und sagte: »Drei Pferde sind tot. José ist leicht verwundet.«

»Die Männer, die kein Pferd mehr haben, bleiben zurück. Aufsitzen! Wir jagen den Gringohund, bis ihm die Zunge zum Hals heraushängt.«

Sie warfen sich in die Sättel und trieben die Pferde brutal an. Im gestreckten Galopp stoben sie über den Hügel hinweg und konnten die Fährte sehen, die der Gringo in der Senke hinterlassen hatte. Im stiebenden Galopp folgten sie ihr.

*


Ich wartete am Beginn einer Schlucht. Die Kavalkade stob über die Ebene. Ich zählte noch sieben Reiter. Ihre Halstücher flatterten. Der Eindruck von tödlicher Entschlossenheit und Vernichtungswillen, den sie verströmten, war erschreckend. Die Hufschläge rollten vor ihnen her zwischen die Felsen. Ich befand mich im Schutz übereinandergetürmter Felsen. Die Bande ritt über den Kamm einer Bodenwelle, dann verschwand sie in einer Senke wieder aus meinem Blickfeld.

Ich ritt in die Schlucht hinein. Nach etwa hundert Yards öffnete sich eine schmale Seitenschlucht. Ich folgte ihr. Das Gelände stieg an. Manchmal klirrte ein Huf. Die Schlucht wurde enger und der Pfad stieg steil an. Geröll bedeckte den steinigen Boden. Ich saß ab und führte das Pferd am Zaumzeug. Immer höher ging es hinauf. Manchmal hielt ich an, um zu lauschen. Von meinen Verfolgern war nichts mehr zu hören. In der Hoffnung, dass sie an der Seitenschlucht vorbeigeritten waren, zog ich weiter. Dann langte ich auf einem Plateau an. Es wurde im Norden, Osten und Westen von Felsen begrenzt. Die dunklen Spalten waren Schluchten. Ich zog über das Plateau hinweg und ritt wieder in einen Einschnitt zwischen den Felsen. Dort saß ich ab, band mein Pferd an und wartete.

Eine Stunde verging, ohne dass meine Verfolger auftauchten.

Ich hatte die Bande wohl abgehängt.

Am Nachmittag erreichte ich den Dry Devils River, und schon bald lag mein Ziel vor mir. Ich atmete auf, denn ich war froh, das Geld endlich loszuwerden. Sobald ich es Virgil und Kath Brewster übergab, war ich die Verantwortung los. Ich verspürte auch ein hohes Maß an Zufriedenheit, denn ich hatte mein Versprechen halten können und das Geld zurückgeholt. Kath und Virgil Brewster konnten das Erbe ihres Vaters erhalten.

Im Schritttempo näherte ich mich der Ranch. Ich schwenkte auf den Reit- und Fahrweg ein, der nach Comstock führte und ritt wenig später in den Ranchhof. Als ich in der Mitte des Hofes angelangt war, öffnete sich die Tür des Ranchhauses. Ein Mann trat ins Freie. Ich fiel dem Pferd in die Zügel. Heißer Schreck durchfuhr mich. Aus dem Stall trat ebenfalls ein Mann, ein anderer kam aus der Scheune, ein vierter verließ einen Schuppen. Sie hielten ihre Revolver in den Fäusten und bedrohten mich, hämisches Feixen in den verwegenen Gesichtern.

Es waren die Kerle, die mit Joshua Brewster die Herde nach Amarillo getrieben hatten und die von Anfang an versucht hatten, mir die 20.000 Dollar abzujagen.

Ich war vom Regen in die Traufe gelangt.

Der Aufruhr meiner Empfindungen legte sich von einem Augenblick zum anderen. Ich musste mich entscheiden – und ich musste mich rasch entscheiden. Kurzentschlossen gab ich meinem Pferd die Sporen. Gleichzeitig zog ich den Remington. Die Schüsse krachten. Ich warf meinen Oberkörper nach vorn auf den Pferdehals. Ihre Kugeln verfehlten mich. Der Revolver in meiner Faust bäumte sich auf. Ich sah den Kerl, der aus der Scheune gekommen war, gegen die Stallwand taumeln. Dann stob ich zwischen zwei Schuppen. Die Hufe meines Pferdes schienen kaum den Boden zu berühren. Das andere Tier wurde mitgerissen. Ich jagte auf die Hügel zu. Als ich mich einmal umschaute, sah ich drei Banditen zwischen den beiden Schuppen hervorlaufen.

Sorge um Kath und Virgil Brewster erfüllte mich.

Ich stob zwischen die Hügel und riss mein Pferd zurück. Nach kurzer Überlegung ritt ich auf eine der Anhöhe und saß oben ab. Von hier aus konnte ich die Ranch beobachten. Es dauerte nicht lange, dann kamen drei Reiter. Grimmig repetierte ich. Als sie nahe genug waren, schoss ich. Das Pferd des mittleren Reiters brach vorne ein, der Bursche wurde aus dem Sattel katapultiert und überschlug sich am Boden. Die beiden anderen ritten auseinander und verschwanden zwischen den Hügeln. Der Bursche, dessen Pferd ich erschossen hatte, warf sich in den Schutz des toten Tieres und schickte eine Kugel zu mir heraus, die mir jedoch nicht gefährlich wurde.

Ich lief zu den Pferden, band das ledige Tier los und saß auf. Schnell ritt ich den Hügel hinunter. Das Reservepferd blieb zurück. Dann ritt ich am Fuß des Hügels entlang. Bei einigen hohen Büschen saß ich ab und verbarg mein Pferd. Am Rand des Gebüsches wartete ich.

Auf dem Kamm eines der Hügel tauchte ein Reiter auf. Er zügelte. Ich zielte sorgfältig, dann schoss ich. Er stürzte vom Pferd, das Tier machte einen erschreckten Satz, dann stob es in wilder Karriere davon. Es dauerte nicht lange, dann sah ich den Burschen hochkommen und in den Schutz eines Felsens laufen.

Ich wartete in den Büschen. Nach einer Weile hörte ich pochenden Hufschlag. Er näherte sich mir. Und dann kam der Reiter um den Hügel herum. Er hielt das Gewehr mit beiden Händen und lenkte sein Pferd mit den Schenkeln. Wenn er weiterritt, musste er direkt meine Position passieren.

Und dann zog er an mir vorbei. Ich trat schnell aus dem Gebüsch und stieß den schrillen Schrei eines jagenden Pumas aus. Erschreckt stieg sein Pferd auf die Hinterhand. Darauf war der Bursche nicht vorbereitet. Rücklings stürzte er aus dem Sattel. Die Vorderhufe des Tieres krachten wieder auf den Boden. Das Pferd scheute zur Seite und vollführte einige wilde Bocksprünge. Benommen lag der Kerl am Boden. Mit zwei Schritten war ich bei ihm. Ein Schlag mit dem Gewehr gegen seinen Kopf, und er lag still. Ich schlug seinem Gewehr den Kolben ab und schleuderte seinen Revolver davon. Er verschwand im hohen Gras, das hier wuchs. Dann fesselte ich dem Burschen mit seinem Halstuch die Hände auf den Rücken.

Gleich darauf war ich wieder unterwegs. Ich ritt auf den Hügel, auf dem ich die drei Kerle erwartet hatte. In der Ebene zwischen dem Hügel und der Ranch lag das Pferd, das ich erschossen hatte. Der Reiter lief – das Gewehr am langen Arm – auf die Hügel zu. Ich lenkte mein Pferd wieder den Abhang hinunter und wartete hinter einer der Anhöhen. Der Bursche kam in mein Blickfeld. Er nahm mich im selben Moment wahr und riss das Gewehr an die Hüfte. Ich schoss ihn von den Beinen. Dann ritt ich zu ihm hin und saß ab.

Er lag auf dem Rücken und stöhnte. Ich schaute in die Runde, dann ging ich bei ihm auf das linke Knie nieder. Er hatte meine Kugel in die Brust bekommen. »War es das wert?«

Seine Lider flatterten. Seine Augen glänzten fiebrig. Er atmete rasselnd.

»Wie heißt du?«

»Jim Morgan«, kam es schwach über seine trockenen Lippen.

»Was ist mit dem Burschen, den ich auf der Ranch getroffen habe?«

»Jesse ist tot. O verdammt, Marshal, du bist schlimmer als ein Puma.«

Ein Blutfaden sickerte aus seinem Mundwinkel. Er schloss die Augen. Der Bursche war noch keine fünfundzwanzig. Seine Brust hob und senkte sich unter keuchenden Atemzügen. In seinem hohlwangigen, bleichen Gesicht zuckten die Muskeln.

»Wie heißen die beiden anderen Kerle?«

»Dennis Carter und John Prewitt.«

Ich richtete mich auf. Morgan würde sterben. Ich begriff es mit aller Deutlichkeit. Ihm konnte keine Macht der Welt mehr helfen.

In dem Moment, als ich mich meinem Pferd zuwenden wollte, hörte ich das schnappende Geräusch. Ich warf mich zu Boden. Ein Schuss peitschte und ich spürte den sengenden Strahl der Kugel. Behände rollte ich herum. Auf dem Hügel stand der Bursche, den ich vom Pferd geschossen hatte. Ich wälzte mich herum, in dem Moment drückte er ab. Wo ich eben noch gelegen hatte, bohrte sich die Kugel in den Boden. Und dann sprach mein Gewehr. Der Bursche bäumte sich auf und machte das Kreuz hohl. Im nächsten Moment brach er zusammen. Die Detonationen verklangen. Die Stille danach war lastend und schien tonnenschwer zu wiegen.

Vorsichtig stieg ich den Abhang hinauf, voller Anspannung, auf blitzschnelle Reaktion eingestellt. Es konnte eine Finte sein. Dann sah ich den Burschen. Er lag auf der Seite. Ich drehte ihn auf den Rücken. Er hatte einen Bauchschuss und röchelte. Es war der blonde Bursche, mit dem ich im Saloon in Big Spring gesprochen hatte.

Ich ging bei ihm auf die Hacken nieder. »Bist du Dennis Carter?«

»Ja«, ächzte der Bursche. »Dieser Schmerz, Marshal, ich – ich habe das Gefühl, innerlich zu verbrennen. Gib mir – gib mir was zu trinken. Aaah, ich halte es nicht mehr aus.«

»Ich kann dir nichts zu trinken geben«, sagte ich. »Es wäre ganz sicher dein Tod. Ich werde dich verbinden, und dann hole ich einen Wagen von der Ranch ...«

*


Ich ritt zur Ranch. Virgil Brewster empfing mich. »Sie haben uns überfallen und gefesselt«, berichtete er. »Nachdem die Kerle Ihnen folgten, ist es mir gelungen, mich zu befreien.«

Kath trat neben ihn auf die Veranda. In ihren Zügen las ich das nachträgliche Entsetzen.

»Was ist mit den Kerlen?«, fragte Virgil.

»Sie sind kampfundfähig. Spannen Sie Pferde vor einen Wagen. Wir müssen sie holen und nach Comstock bringen. Zwei von ihnen sind schwer verwundet. Den dritten habe ich gefesselt.«

»Der dort ist tot«, murmelte Virgil und wies mit dem Kinn auf die reglose Gestalt beim Schuppen.

»Ich habe das Geld«, sagte ich.

Virgil presste sekundenlang die Lippen zusammen. »Ich glaube, ich habe Ihnen Unrecht getan, Marshal.«

»Schwamm drüber«, sagte ich. Ich schnallte die Satteltaschen los und trug sie zu Virgil hin, gab sie ihm und sagte: »Damit können Sie die Hypothek ablösen und die Ranch behalten. Ich nehme es Ihnen nicht krumm, dass Sie verbittert waren. Jeder andere an Ihrer Stelle hätte wohl genauso reagiert.«

Virgil trug die Satteltaschen ins Haus.

Kath schaute mich an und sagte: »Wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet, Marshal.«

Ich winkte ab. »Ich hatte einen Auftrag zu erfüllen.«

Virgil kam zurück. »Ich spanne Pferde vor einen Wagen.«

Zehn Minuten später fuhren wir. Wir erreichten den Platz, an dem ich mir den Kampf mit den vier Banditen geliefert hatte. Jim Morgan war in der Zwischenzeit gestorben. Der Kerl, den ich niedergeschlagen und gefesselt hatte, war verschwunden. Es muss ihm gelungen sein, sich zu befreien. Dennis Carter war besinnungslos geworden. Wir luden den Toten und den Verwundeten auf, dann fuhren wir zur Ranch. Auch den Burschen, der sein Leben auf der Ranch verloren hatte, legten wir auf den Wagen. Dann holte Virgil Brewster die Satteltaschen mit dem Geld und stieg auf den Bock. Ich band mein Pferd an das Fuhrwerk und setzte mich neben den jungen Rancher. Wir schlugen den Weg nach Comstock ein.

In der Stadt angekommen ging Virgil zur Bank. Ich fuhr mit dem Wagen zum Sheriff's Office und sprang dort vom Bock. Der Sheriff saß hinter seinem Schreibtisch und schrieb etwas in eine Kladde. Als ich eintrat, legte er den Federhalter zur Seite und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.

Ich stellte mich vor, dann erzählte ich dem Sheriff meine Geschichte. Als ich geendet hatte, sagte er: »Das heißt also, dass sich El Lobo mit einigen seiner Bravados auf texanischem Terrain herumtreibt. Ich werde sofort ein Aufgebot zusammenstellen und nach den Banditen suchen.«

Wir gingen hinaus. Der Sheriff setzte sich neben mich auf den Wagenbock und zeigte mir den Weg zum Haus des Arztes. Nachdem wir Dennis Carter dort abgeliefert hatten, fuhren wir zur Werkstatt des Sargschreiners und Totengräbers. Ihn übergaben wir die beiden Toten. Dann verabschiedete sich der Sheriff von mir. Ich ging in den Saloon. Schon bald tauchte Virgil Brewster auf. Er setzte sich zu mir an den Tisch. »Das Geld ist auf Nummer sicher. Kommen Sie noch einmal mit mir auf die Ranch, Marshal?«

»Nein«, sagte ich. »Das wären für mich viele Meilen Umweg. Ich will so schnell wie möglich zurück nach Amarillo.«

Draußen zogen Reiter vorbei. Ich konnte sie durch das Frontfenster sehen. Der Sheriff führte das Rudel an.

»Dann darf ich mich von Ihnen verabschieden, Logan«, sagte Virgil und reichte mir die Hand. »Noch einmal vielen Dank. Und wenn Sie wieder einmal in die Gegend kommen, dann besuchen Sie uns. Wir würden uns sehr freuen.«

»Wenn ich wieder ins Val Verde County komme, besuche ich Sie und Kath«, sagte ich. »Das ist versprochen.«

Wir schüttelten uns die Hände, dann verließ Virgil den Saloon. Ich trank mein Bier aus, dann ging ich hinaus. Mein Pferd stand am Holm. Bis nach Amarillo lagen mehrere hundert Meilen vor mir. Ich stieg vom Vorbau, band mein Pferd los und saß auf. Dann verließ ich die Stadt. Die Nase meines Pferdes zeigte nach Norden ...

*


Als Virgil Brewster die Ranch erreichte, wurde er erwartet. Mexikaner traten hinter den Gebäuden der Ranch hervor, aus dem Haupthaus trat ein Mann. Er hielt Kath wie einen lebenden Schutzschild vor sich und zielte mit dem Revolver auf den jungen Rancher.

El Lobo!

»Wo ist der Marshal?«, peitschte die Stimme des Bravados.

In Kaths Augen wob das Entsetzen. Virgils Herz raste. Ein halbes Dutzend Mündungen starrten ihn an. Er hob langsam die Hände. »Er ist weitergeritten. Logan wollte so schnell wie möglich nach Amarillo zurück. Er ist sicher schon auf dem Weg nach Norden.«

»Verdammt!«, fluchte El Lobo. Dann stieß er hervor: »Wo hast du das Geld?«

»Es befindet sich auf der Bank in Comstock.«

»Companeros, wir reiten!« El Lobo stieß Kath von sich. »Wenn ich schon das Geld nicht bekomme, so will ich wenigstens dem Gringo das Fell über die Ohren ziehen.«

Sie zerrten die Pferde aus dem Stall, schwangen sich in die Sättel und trieben die Tiere hart an.

Virgil sprang vom Wagen. Kath lief ihm entgegen und er nahm sie in die Arme. »Logan ist ein erfahrener Mann, Schwester. Die Bande wird sich hart tun, ihm etwas am Zeug zu flicken.«

»Ich bete, dass ihn die Kerle nicht erwischen.«

*


Kaths Gebet wurde nicht erhört.

Als ich zwischen zwei Hügeln hindurchritt, trieben zwei Reiter ihre Pferde hinter einer der Anhöhen hervor. Ihre Waffen wiesen auf mich. Ich erkannte El Lobo und parierte mein Pferd. Weitere Mexikaner tauchten links und rechts von mir und hinter mir auf. Ich hörte den Hufschlag ihrer Pferde. Sie hatten mich in der Zange.

Mein Pferd trat auf der Stelle, scharrte mit dem Huf, warf den Kopf in den Nacken und wieherte. Mein Verstand arbeitete fieberhaft. Meine Chancen waren gleich null. Kalte Ruhe befiel mich.

Als sich die Nasen unserer Pferde fast berührten, zügelte El Lobo. Ein böses Grinsen spaltete seine Lippen. »So sieht man sich wieder, Gringo.«

Ich sagte: »Das Geld ist in Sicherheit, El Lobo.«

»Ich weiß. Aber es spielt nur eine untergeordnete Rolle. Ich wollte dich, Gringo.«

»Was haben Sie davon, wenn Sie mich töten?«

»Befriedigung. Du hast mich tödlich beleidigt, Gringo. Ich kann das nicht verzeihen.«

In dem Moment wurde ringsum dumpfer Hufschlag laut. Und dann trieben Reiter ihre Pferde auf die Kuppen der Anhöhen, die uns umgaben. Eine frostige Stimme ertönte: »Gib auf, El Lobo. Werft die Waffen weg.«

Ich ließ mich einfach aus dem Sattel fallen. El Lobos Kugel pfiff über den leeren Sattel hinweg. Und dann donnerte eine Salve. Die Banditen wurden herumgerissen und geschüttelt und stürzten tot oder sterbend von den Pferden. Pferde stiegen und bockten und gingen durch. Und dann kehrte Ruhe ein – tödliche Ruhe.

Die Männer des Aufgebotes aus Comstock kamen in die Senke. Ich erhob mich. Der Sheriff zügelte vor mir sein Pferd und sagte: »Es war kein Trugschluss, als ich annahm, dass El Lobo Ihnen den Weg nach Norden verlegen würde. Darum sind wir Ihnen gefolgt, Marshal. Nun, wir haben dem Dasein dieses dreckigen Banditen ein Ende bereitet. Dank Ihrer Hilfe.«

Mir rann nachträglich ein eisiger Schauer über den Rücken hinunter.

*


Nach über zwei Wochen kam ich in Amarillo an. Ich begab mich sofort zu Richter Humphrey, um ihm vom Erfolg meiner Mission zu berichten. Er hörte mir zu, ohne mich auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Dann sagte er: »Joe hat James Lancer in Borger erwischt und ihn nach Amarillo zurückgebracht. Wegen Mordes wird man Lancer wohl kaum anklagen können. Aber es wird reichen, um ihn für einige Jahre in die Steinbrüche zu schicken. Nun, Logan, ruhen Sie sich einen Tag aus. Die Ruhe haben Sie sicher nötig.«

»Danke, Sir«, sagte ich, dann verabschiedete ich mich.

Auf dem Hof kam mir Joe entgegen. »Hallo, Logan-Amigo. Ich bin froh, dich heil und unversehrt wiederzusehen.«

»Die Freude ist ganz meinerseits, Partner«, versetzte ich und reichte Joe die Hand ...

30 tolle Western November 2021

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