Читать книгу 30 tolle Western November 2021 - Pete Hackett - Страница 60

Band 109 Marshal Logan und der blutige Trail

Оглавление

Es regnete in Strömen. Ein scharfer Wind trieb die Regenschauer schräg über das Land. Das Windrad beim Brunnen drehte sich knarrend und ächzend. Aus dem Fenster der Pferdewechselstation fiel gelber Lichtschein. Regen prasselte gegen die Scheibe.

Die fünf Reiter trugen Regenumhänge. Die Hüte hatten sie sich tief in die Gesichter gezogen. Der heulende Wind zerrte an ihren Mänteln. Wasser lief über die stoppelbärtigen Gesichter.

Im Hof der Station saßen sie ab. Sie versanken bis zu den Knöcheln im Schlamm. Ein Pferd wieherte trompetend. Die Männer zogen die Tiere zum Holm und banden sie fest. Die Tür der Station wurde geöffnet. Licht flutete ins Freie. Ein Mann erschien im Türrahmen. Scharf wurde seine Gestalt vom Licht umrissen. Sie warf einen Schatten in den Hof. Die letzte Minute im Leben des Stationer Matt Benbow war angebrochen ...

Der Tod war auf pochenden Hufen gekommen. Der Wind heulte wie ein hungriges Tier. Irgendwo schlug eine Tür. »Bringt die Pferde in den Stall!«, rief Matt Benbow. »Ich hole eine Laterne.« Er war der Meinung, dass die Reiter Unterschlupf vor dem strömenden Regen suchten.

Benbow wandte sich um, um ins Haus zurückzukehren. Ein Schuss peitschte. Matt Benbow bekam einen fürchterlichen Schlag gegen den Rücken. Ehe sich der Schmerz einstellte, starb er. Als er am Boden aufschlug, war er tot.

Die Frau und die beiden Kinder, die in der Küche am Tisch saßen, waren wie erstarrt. Da drangen auch schon die Banditen ins Haus ein. Schüsse dröhnten. Kath Benbow wurde regelrecht vom Stuhl gefegt. Der fünfzehnjährige Ben brach zusammen. Jack, der sechsjährige Junge, starrte die vier Männer an, die sich vor der Tür aufgebaut hatten, von deren Mienen nicht die geringste Gefühlregung abzulesen war und vor deren Gesichtern der Pulverdampf zerflatterte.

Jack prägte sich die Gesichter ein. Es waren zwei Amerikaner, ein Mexikaner und ein Halbblut. Das Gesicht des Mexikaners wies eine helle Narbe auf. Sie zog sich von der Stirn über sein linkes Auge senkrecht über die Wange bis zum Kinn.

Einer der Amerikaner richtete den Revolver auf Jack. Der andere drückte die Hand jedoch nach unten. »Lass ihn. Er kann uns nicht gefährlich werden.«

Die Männer kamen tiefer in die Küche. Ein fünfter Mann gesellte sich hinzu. Er war groß und schlank und dunkelhaarig. Sein Blick richtete sich auf den Jungen. Jack Benbow schaute den Mann an. Der Bursche nickte dem Jungen zu. In Jack Benbows Augen flackerte die Angst vor diesen Männern. Er war alt genug, um zu begreifen, dass es brutale Mörder waren. Sie hatten seine Eltern und seinen Bruder erschossen.

Die Männer warteten. Dann wurden draußen Geräusche laut. Es waren das Stampfen und Poltern eines Wagens, das Klirren von Gebissketten, pochende Hufschläge, ein Wiehern.

»Sie kommt!«, sagte einer der Kerle rau.

»Der Kleine kann uns beschreiben«, murmelte das Halbblut.

Der Mann, der zuletzt gekommen war, erwiderte: »Bis zur nächsten Stadt sind es zwanzig Meilen. Bis er sie erreicht, sind wir über alle Berge.«

»Keine Zeugen!«, versetzte das Halbblut.

»Du wirst den Jungen in Ruhe lassen«, knurrte der Dunkelhaarige.

Die Geräusche endeten im Hof der Station. Jetzt waren nur das Heulen des Windes und das Prasseln des Regens zu hören. Die Banditen gingen hinaus. Und dann dröhnten die Waffen. Die vier berittenen Begleiter der Kutsche wurden von den Pferden gerissen. Der Kutscher, der bereits vom Bock gestiegen war, brach tot zusammen. Der Begleitmann brachte sein Gewehr noch in Anschlag, dann traf es auch ihn. Kopfüber stürzte er vom Kutschbock. Die Pferde stiegen und wieherten und gebärdeten sich wie verrückt. Schlamm spritzte. Der Junge in der Küche weinte.

Plötzlich erschien das Halbblut in der Tür. Es zerschoss die Laterne, die auf dem Tisch stand. Sie stürzte um. Petroleum lief über den Tisch. Ein zweiter Schuss ließ den Glaszylinder der Lampe zerspringen. Bläuliche Flammen krochen über die Tischplatte. Dann entzündete sich das Petroleum.

Das Halbblut schwang herum, ging hinaus und schloss die Tür.

Jack Benbow lief zur Tür. Sie ließ sich nicht öffnen. Das Halbblut hatte den äußeren Riegel vorgelegt. Die Tränen rannen über das Kindergesicht. Der Tisch stand in Flammen. Schnell würde das Feuer auch auf die anderen Möbelstücke übergreifen. Dunkler Rauch stieg aus den Flammen. Jack Benbow lief zum Fenster und versuchte es hochzuschieben. Es klemmte in der Führung. Angst und Verzweiflung ließen bei dem Jungen keinen klaren Gedanken mehr zu. Draußen waren Stimmen zu hören, dann ertönten Hufschläge.

Plötzlich flog die Tür auf. Ins Haus kam der große, dunkelhaarige Mann. Er ging zu dem Jungen, hob ihn auf und trug ihn ins Freie. Dann stieg er auf sein Pferd und folgte seinen Kumpanen, die schon ein Stück von der Station entfernt waren und nur noch schemenhaft durch die Dunkelheit wahrzunehmen waren.

*


Fünfzehn Jahre zogen ins Land ...

Jack Benbow arbeitete als Gehilfe in der Futtermittelhandlung. Er war einundzwanzig Jahre alt. Die Postkutsche rollte durch die Main Street von Menard. Die Achsen quietschten in den Naben. Die Pferde gingen mit hängenden Köpfen und prusteten. Vor dem Depot der Overland Mail Company hielt die Kutsche an.

Carl Bannister, der Futtermittelhändler, trat neben Jack auf den Vorbau. »Du solltest aufhören, in der Vergangenheit zu leben, Junge«, murmelte er. »Jedes Mal, wenn die Kutsche in die Stadt fährt, stehst du auf dem Vorbau und beobachtest sie. Schau in die Zukunft, Jack. Du bist jung, die Zeit heilt Wunden.«

Aus der Kutsche stiegen drei Passagiere, eine Frau und zwei Männer. Der Kutscher holte ihr Gepäck vom Dach der Concord. Zwei Stationsgehilfen machten sich daran, die Pferde auszuschirren.

Carl Bannister legte Jack die Hand auf die Schulter. »Sicher haben die Mörder deiner Familie längst ihre gerechte Strafe erhalten. Mach dich frei von dem Gedanken an Rache, Junge. Und selbst wenn sie noch leben und sich ihrer Freiheit erfreuen – wie willst du nach fünfzehn Jahren ihre Spur aufnehmen?«

Er hatte keine Ahnung, dass an diesem Tag der Zufall Schicksal spielen sollte.

Der Kutscher kam die Straße herauf und winkte mit einer Zeitung. Er rief: »Die neueste Ausgabe des San Angelo Mirror, Carl. Du willst doch immer wissen, was in der Welt geschieht. Ich hab dir die Zeitung mitgebracht und hoffe, dass dir das einen doppelten Whisky wert ist.«

Der Kutscher war heran und reichte Carl Bannister die Zeitung. Der Futtermittelhändler gab sie an Jack Benbow weiter und sagte: »Leg sie auf meinen Schreibtisch, Jack. Ich gehe mit Buck hinüber in den Saloon und spendiere ihm einen Whisky.«

Jack nahm die Zeitung und ging in den Laden, durchquerte ihn und betrat das Lager. Gleich neben der Tür stand Bannisters Schreibtisch. Jack warf die Zeitung darauf – und sein Blick fiel auf das Bild eines Mannes. Sein Blick wurde starr. Pablo Santanta zum Tode verurteilt, lautete die Überschrift.

Jack Benbow traute seinen Augen nicht. Deutlich war die Narbe im Gesicht des Verurteilten zu sehen – jene Narbe, die dem Burschen fünfzehn Jahre lang nicht aus dem Sinn gegangen war. In Jacks Gesicht arbeitete es krampfhaft. Die Erinnerung erwachte. Die Bilder, die sich aus den Nebeln der Vergangenheit schälten, ließen Jack Benbow erschauern. Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Nur mit Mühe gelang es ihm, den Bericht zu lesen. Es gelang ihm nicht, den Aufruhr seiner Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Er setzte sich ...

Als Carl Bannister eine halbe Stunde später kam, saß Jack noch immer am Schreibtisch. Doch mit dem Burschen schien eine Veränderung vor sich gegangen zu sein. Blicklos starrte er vor sich hin. Seine Lippen waren zusammengepresst und bildeten nur einen dünnen, blutleeren Strich. Bannister blieb die Veränderung nicht verborgen. »Was ist los, Jack?«

Jack Benbow schaute ihn an wie ein Erwachender. »Ich habe einen der Mörder meiner Familie gefunden«, murmelte er und deutete auf das Bild in der Zeitung. »Er heißt Pablo Santanta und wartet im Gefängnis von San Angelo auf den Henker.«

Carl Bannister las. Dann heftete er seinen Blick auf Jack. »Ich denke, du wirst mit dem Mexikaner sprechen wollen. Und nichts auf der Welt wird dich davon abhalten können. Du kannst mein Pferd haben, Junge. Komm.«

Jack Benbow folgte dem Futtermittelhändler in die Wohnung. In der Wohnstube öffnete Carl Bannister eine Truhe und nahm einen Revolvergurt heraus. »Es wäre nicht gut, ohne Waffe zu reiten, Junge«, gab Bannister zu verstehen. »Es ist ein guter Revolver. Ich habe auch ein Gewehr für dich ...«

*


Josh Donovan zügelte sein Pferd im Hof des Mietstalles. Es war Nachmittag und die Sonne schien warm. Im Staub glitzerten winzige Kristalle wie kleine Diamanten. Das Pferd prustete und warf den Kopf in den Nacken. Über die Schattengrenze unter dem Tor trat der Stallmann.

Josh Donovan war ein großer Mann von siebenundvierzig Jahren. Seine dunklen Haare begannen sich bereits grau zu färben. Er trug einen Bart, der seinen Mund fast verdeckte, sodass von seinem Gesicht nur der obere Teil zu sehen war. »Hallo, Stall«, sagte Donovan und schwang sich aus dem Sattel. Er nahm das Tier am Zaumzeug und führte es weiter. Die Hufe des Pferdes rissen kleine Staubwolken in die Luft.

»Hi, Fremder«, grüßte der Stallmann und kam Donovan einige Schritte entgegen. Donovan überließ ihm das Pferd. Der Stallbursche führte es in den Stall. Donovan folgte ihm. Typischer Stallgeruch schlug ihm entgegen. Durch die Ritzen in der Stallwand fiel in schräger Bahn das Sonnenlicht. Staubpartikel tanzten in den Lichtbahnen. In den Ecken des Stalles zogen sich verstaubte Spinnenweben, in denen tote Fliegen hingen.

»Bleiben Sie länger?«, fragte der Stallmann.

»Ich weiß es noch nicht«, versetzte Donovan und zog die Winchester aus dem Scabbard. Dann verließ er den Stall und trat auf die Main Street. Auf den Gehsteigen bewegten sich Männer und Frauen. Einige Kinder spielten in der Mündung einer Gasse. Ein Hund lag unter einem Vorbau im Schatten. Die Stadt vermittelte Ruhe und Frieden. Ein Fuhrwerk kam von Osten her in die Stadt.

Donovan schaute sich um. Dann setzte er sich in Bewegung. Manche der Menschen auf den Gehsteigen beobachteten ihn. Er beachtete nichts und niemand. Sein schmales Gesicht war unbewegt. Schließlich klopfte Donovan gegen die Tür des Sheriff's Office. Ohne die Aufforderung, einzutreten, abzuwarten, öffnete er die Tür und ging in das Büro. In dem Raum herrschte Düsternis. Der Sheriff saß hinter dem Schreibtisch und las in einer Zeitung. Jetzt blickte er auf. Donovan blieb zwei Schritt vor der Tür stehen und murmelte einen Gruß. Das leise Ticken eines Regulators war zu vernehmen. An der verstaubten Fensterscheibe tanzten Fliegen auf und ab. Es roch nach Bohnerwachs.

»Was wünschen Sie?«, fragte der Gesetzeshüter.

»Mein Name ist Donovan«, stellte dieser sich vor. »In Ihrem Gefängnis befindet sich ein alter Bekannter von mir. Ich würde gerne mit ihm sprechen.«

»Reden Sie von Pablo Santanta?«

»Ja.«

»Den hängen wir in einer Woche auf.«

»Ich weiß. Es ist doch sicher nichts dagegen einzuwenden, dass ich ein paar Worte mit ihm spreche.«

»Sind Sie ein Freund von ihm?«

»Wir waren mal Freunde«, versetzte Donovan.

Der Sheriff erhob sich. »Legen Sie Ihre Waffen auf den Schreibtisch. Ich gebe Ihnen zehn Minuten.«

»Die Zeit wird reichen, Sheriff.« Donovan legte das Gewehr auf den Schreibtisch, zog seinen Revolver und legte ihn daneben, dann ließ er es sich gefallen, dass ihn der Sheriff nach weiteren Waffen abtastete.

»Folgen Sie mir«, sagte der Sheriff schließlich und öffnete die Tür zum Zellentrakt. Es gab zwei Zellen. In einer saß der Mexikaner. Der Sheriff und Donovan traten vor die Zelle hin. Santanta erhob sich von der Pritsche, kam zur Gitterwand und umklammerte mit seinen Händen zwei der zolldicken Eisenstäbe. Seine Augen hatten sich verengt, seine Kiefer mahlten, schließlich stieß er hervor: »Es ist zwölf Jahre her, Josh. Du hast dich verändert.«

»Zwölf Jahre in den Steinbrüchen verändern eben einen Mann«, antwortete Josh Donovan. »Dich hat also dein Schicksal hier in San Angelo ereilt, Pablo. Nun, ich denke, es ist nicht schade um dich.«

»Wir konnten damals nichts für dich tun, Josh. Wir mussten zusehen, unsere Haut zu retten. Sie haben uns gejagt wie ein paar Hasen. Mit Mühe und Not brachten wir uns in Sicherheit.«

»Man wird dich hier in San Angelo aufhängen, Amigo.«

»Irgendwann erwischt es uns alle, Muchacho.«

»Wo finde ich Bill, Kane und Dave?«

»Was willst du von ihnen? Willst du dich rächen, weil wir dich damals im Stich lassen mussten?«

»Rächen – nein. Also, wo finde ich sie?«

»Bill und Kane haben sich in Bautista niedergelassen. Sie sind dort angesehene Bürger. Dave zieht mit einigen Leuten durchs Land. Sag es mir, Josh: Was willst du von Bill, Kane und Dave?«

»Sie werden mich für zwölf Jahre in den Steinbrüchen abfinden müssen. Darauf habe ich ein Recht, meinst du nicht?«

»Sie werden dich mit heißem Blei auszahlen, Josh. Wie ich schon sagte: Es sind angesehene Bürger; etabliert, angesehen, respektiert. Nach ihrer Pfeife tanzen eine Reihe von Männern, denen der Revolver recht locker sitzt. Soll ich dir einen Rat geben?«

»Welchen?«

»Such Dave und schließ dich ihm an.«

»Bautista also«, murmelte Josh Donovan, dann wandte er sich ab. Als sie sich wieder im Office befanden, sagte der Sheriff: »Das hörte sich so an, als wären Sie früher mal mit dem Mexikaner geritten. Bei welcher Sache hat man Sie geschnappt, für die man Sie zwölf Jahre in die Steinbrüche schickte?«

»Ich will mit Ihnen nicht darüber sprechen, Sheriff. Ich habe jedenfalls meine Strafe abgesessen. Können Sie mir sagen, wo Bautista liegt?«

»Im Panhandle, nördlich von Amarillo.«

Donovan verließ das Office und ging zum Hotel, um sich ein Zimmer zu mieten. Danach begab er sich in den Barber Shop ...

*


Es war Abend, als Jack Benbow San Angelo erreichte. Aus den Fenstern der Häuser fiel Licht. Es roch nach dem Holzrauch, der aus den Schornsteinen stieg und den der Wind niederdrückte. Irgendwo bellte ein Hund. Jack Benbow ritt am Rand der Main Street. Der knöcheltiefe Staub schluckte die Hufschläge. Aus einem der Häuser war die keifende Stimme einer Frau zu hören. Ein Kind fing an zu weinen. Wie ausgestorben lag die breite Straße vor Benbow. Er ritt zum Saloon und saß ab. Das Klimpern eines Klaviers trieb ins Freie und vermischte sich mit dem Durcheinander der Stimmen der Gäste. Manchmal war Gelächter zu vernehmen.

Unter Benbows Stiefelsohlen mahlte der Staub. Am Holm standen einige Pferde. Benbow stellte seinen Vierbeiner daneben und schlang den Zügel um den Querholm. Dann zog er die Winchester aus dem Scabbard und stieg die vier Stufen zum Vorbau hinauf. Seine Schritte weckten ein dumpfes Echo auf den Bohlen. Dann schaute er über die geschwungenen Ränder der Schwingtür in den Schankraum. Fast alle der runden Tische waren besetzt. An der Theke standen einige Cowboys. Es gab eine kleine Bühne, auf der das Klavier stand, das ein glatzköpfiger Mann bearbeitete.

Benbow stieß die Türflügel auf und betrat den Saloon. Knarrend und quietschend schlugen die Batwings hinter ihm aus. Staub rieselte von Jack Benbows Schultern, als er zum Schanktisch ging. Tabakrauch schlierte um die Lampen, die über den Tischen von der Ecke hingen, es roch nach Bier und Schweiß.

Stechende Augen fixierten Jack Benbow. Er sah nicht gerade vertrauenerweckend aus. Verstaubt und verschwitzt mit tagealten Bartstoppeln im Gesicht vermittelte er das Bild eines Satteltramps. Leise klirrten seine Sporen. Er stellte sich an den Tresen und verlangte mit staubheiserer Stimme ein Bier. Der Keeper stellte es wenig später vor ihn hin: »Fremd hier, wie?«

Benbow nickte. »Ich komme von Menard herauf.«

»Was treibt Sie denn nach San Angelo? Die Hinrichtung in drei Tagen?«

»Ich muss den Kerl sprechen, der gehängt werden soll.«

Misstrauen flackerte in den Augen des Keepers. »Sind Sie ein Freund von ihm?«

»Nein«, murmelte Benbow.

»Sie müssen sich an den Sheriff wenden«, sagte der Keeper. »Vielleicht treffen Sie Snyder noch in seinem Büro an.« Der Mann beugte sich etwas über den Schanktisch. »Die gesamte Bürgerwehr ist mobilisiert. Wir rechnen damit, dass Freunde des Mexikaners versuchen, ihn vor dem Henker zu retten.«

»Ich sagte es bereits: Ich bin kein Freund des Mexikaners.« Benbow trank einen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von den Lippen. In dem Moment betrat ein Mann den Saloon. Es war Sheriff Jesse Snyder. Er schob sich den Hut etwas aus der Stirn, ließ seinen Blick in die Runde schweifen, dann heftete er ihn auf Jack Benbow und kam näher.

Snyder stellte sich neben Benbow an den Schanktisch. »Ich sah Sie am Büro vorbeireiten.«

»Ja, ich bin eben in San Angelo angekommen.«

»Was treibt Sie her?«

»In Ihrem Gefängnis sitzt einer der Mörder meiner Familie.«

Snyder kniff die Augen etwas zusammen. Über seiner Nasenwurzel zeigten sich zwei senkrechte Falten. Sein Blick verriet hellwaches Interesse. »Sie sprechen von Pablo Santanta?«

»Ja. Ich muss ihn sprechen.«

»Bereits vor drei Tagen war einer hier, der mit Santanta sprechen wollte.«

»Es ist fünfzehn Jahre her«, murmelte Jack Benbow. »Meine Eltern betrieben die Pferdewechselstation zwischen Menard und Rocksprings. Eines Abends kamen fünf Männer. Sie erschossen meine Eltern und meinen Bruder und überfielen die Stagecoach, die wenig später eintraf. Sie erbeuteten zwanzigtausend Dollar, die mit der Kutsche befördert wurden.«

»Santanta wird in drei Tagen hängen«, sagte der Sheriff. »Er wird für die Morde büßen, auch wenn sie nicht der Grund für seine Verurteilung sind.«

»Ich will von ihm die Namen seiner Komplizen erfahren«, erklärte Benbow. »Und wenn diese Kerle noch leben, werde ich sie zur Rechenschaft ziehen.«

»Ich denke, ich kenne ihre Namen«, knurrte der Sheriff. »Sie heißen Bill Jackson, Kane Henders, Josh Donovan und Dave Smith. Jackson und Henders leben oben im Panhandle, in Bautista. Sie sollen dort angesehene Bürger sein. Josh Donovan war vor drei Tagen in San Angelo. Er befand sich zwölf Jahre im Zuchthaus. Auch er sucht Jackson, Henders und Smith.«

*


Der Knall von Schüssen stieß durch San Angelo. Aufbrüllend antworteten die Echos. Hufgetrappel ertönte, Geschrei kam auf, Schritte trampelten. Jack Benbow schwang die Beine vom Bett und erhob sich, ging zum Fenster, schob es in die Höhe und beugte sich hinaus. Der kühle Nachtwind streifte sein Gesicht.

Ein Rudel Reiter stob am Hotel vorbei. Staub schlug hoch. In der Finsternis blitzte es auf. Einer der Reiter stürzte vom Pferd, überschlug sich einige Male am Boden und blieb mit ausgebreiteten Armen liegen. Die Detonationen verschmolzen ineinander. Plötzlich schwiegen die Waffen. Das Hufgetrappel entfernte sich schnell. Jack Benbow machte Licht, zog sich an, legte sich den Revolvergurt um, nahm das Gewehr und lief hinunter auf die Straße.

Überall waren jetzt Menschen zu sehen. Jemand schrie: »Sattelt eure Pferde und findet euch vor dem Office ein. Wir folgen den Schuften. Beeilt euch!«

Jack Benbow begann zu laufen und erreichte das Sheriff's Office. Einige Männer befanden sich dort. Der Sheriff saß auf einem Stuhl. Aus einer Platzwunde an seiner Stirn rann Blut. Er presste sein Halstuch darauf.

»Was ist geschehen?«, fragte Jack Benbow und ahnte es bereits.

»Seine Kumpane haben den Mexikaner befreit«, sagte ein Mann. »Sie drangen ins Office ein und schlugen den Sheriff nieder, der hier übernachtete. Wenn Sie wollen, können Sie sich dem Aufgebot anschließen. Jedes Gewehr ist willkommen.«

Jack Benbow lief zum Mietstall. Eine Laterne brannte beim Tor und warf einen gelben Fleck gegen die Stallwand und auf den Boden. Einige Männer waren dabei, Pferde zu satteln und zu zäumen. Auch Jack Benbow holte sein Pferd ...

*


Josh Donovan kam nach Bautista. Es handelte sich um eine kleine Stadt an der Poststraße von Amarillo nach Stratford. Es war um die Mittagszeit. Staubschleier wehten über die Häuser. Die Sonne war hinter tiefziehenden Wolken verschwunden. Im Westen türmte sich ein furchtbarer, drohender Horizont auf. Die Wolken falteten sich zu formlosen, tiefdunklen Bergen zusammen und wurden von einem ungeheueren Sturm herangetrieben.

Alles mutete grau in grau und trist an. Auf den Giebel eines großen Gebäudes war mit riesigen Lettern Livery Stable gepinselt. Darunter stand: Inhaber Kane Henders. Im Wagen- und Abstellhof stieg Donovan vom Pferd und führte sein Pferd am Zaumzeug in den Stall. Der Stallmann säuberte mit einer Forke eine Box. Eine hölzerne Schubkarre stand auf dem Mittelgang, sie war bereits randvoll mit Pferdemist beladen.

Jetzt lehnte der Stallmann die Mistgabel weg und wandte sich Donovan zu. »Hallo, Fremder. Mit scheint, sie sind noch rechtzeitig in die Stadt gekommen, ehe der Sturm losbricht.«

»Das scheint mir auch so«, erwiderte Donovan. »Der Stall gehört Kane Henders?«

»So ist es. Henders gehören auch der Saloon und das Hotel. Kennen Sie ihn?«

»Ich kennen einen Mann dieses Namens. Wo wohnt Henders?«

»Auf der Lake Meredith Ranch am Plum Creek.«

»Ich werde ihm einen Besuch abstatten, und dann sehe ich, ob ich ihn kenne.«

»Sie kommen von weit her?«

»Von Fort Davis herauf. Ja, es war ein weiter Weg. Lebt in der Stadt ein Mann namens Bill Jackson?«

»Jackson betreibt die Bank und ist zugleich Town Mayor«, antwortete der Stallmann. »Er bewohnt das große Haus westlich der Stadt.«

»Vielen Dank«, sagte Donovan, nahm sein Gewehr aus dem Scabbard und stiefelte davon. Er bewegte sich ziemlich sattelsteif. Aber er verströmte Zufriedenheit. Er schien am Ziel zu sein. Als er auf die Main Street trat, kamen zwei Reiter von Norden her in die Stadt. An ihren Westen glitzerten Sterne. Sie zogen an Donovan vorbei und lenkte ihre Pferde in den Mietstall. Donovan schritt weiter zum Saloon.

Zehn Minuten später kamen auch die beiden Marshals in den Schankraum. Sie setzten sich an einen freien Tisch. Donovan hatte sich ebenfalls gesetzt. Erste große Regentropfen klatschten gegen das Frontfenster. Und schon bald goss es wie aus Kübeln. Der Regen verwandelte die Main Street in ein Morastloch. Von den Vorbaudächern schoss das Wasser. Das Unwetter dauerte etwa zwanzig Minuten, dann hörte es zu regnen auf. Und weitere zehn Minuten später hatten sich die Wolken verzogen und die Sonne schien.

Donovan verließ den Saloon. Riesige Pfützen bedeckten wie kleine Seen die Main Street. Donovan ging zum westlichen Ende der Stadt. Das Haus, das ihm der Stallmann beschrieben hatte, lag auf einem Hügel. Es war ein großes Haus, das den Reichtum seines Besitzers verriet.

Der Mann stieg den Hügel hinauf. Das Grundstück, auf dem das schöne Haus lag, war eingezäunt. Donovan öffnete die Gartentür. Das Gebäude besaß eine überdachte Veranda. Das Dach diente als Balkon und war von einer kunstvoll geschnitzten Balustrade eingefasst. Eine Außentreppe führte in den Hof. Donovan erreichte die Haustür und betätigte den schweren Klopfer aus Bronze. Dumpfe hallten die Schläge ins Innere des Hauses. Nach einer Weile wurde die Tür geöffnet. Ein dünner Bursche mit bleichem Gesicht, der mit einer schwarzen Hose und einer schwarz-grau gestreiften Weste bekleidet war, musterte den Besucher, dann fragte er: »Was wünschen Sie?«

»Ist Jackson zu Hause?«

»Mister Jackson befindet sich in seinem Arbeitszimmer. Wen darf ich melden.«

Donovan schob den Butler kurzerhand zur Seite und betrat das Haus. Die Halle war als Wohnraum eingerichtet. Schwere Polstermöbel und Vitrinen boten sich dem Auge des Betrachters dar. An den Wänden hingen Ölgemälde und alte Waffen. Eine Treppe schwang sich hinauf ins Obergeschoss.

»Nobel, nobel«, murmelte Josh Donovan für sich.

»Was fällt ihnen ein?«, erregte sich der Butler. »Sie können doch nicht einfach ...«

»Wo ist das Arbeitszimmer?«

Der Diener überholte Donovan und versuchte ihm den Weg zu versperren. Seine Augen funkelten kriegerisch. Sein Gesicht hatte sich gerötet. »Ich verbiete Ihnen ...«

»Geh zur Seite, du Vogelscheuche!«, fuhr ihn Donovan an. »Oder ich blas dich auf den Mond! Raus mit der Sprache! Wo finde ich das Arbeitszimmer?«

Der Butler wies auf eine Tür. In dem Moment erschien oben auf der Treppe eine Frau. Sie war etwa dreißig Jahre alt und ausgesprochen attraktiv. Ihre Haare waren schwarz. Ihr Gesicht war von einer besonderen Rasse. Mit ihrer Erscheinung zog sie jeden Mann in ihren Bann. »Wer ist das, Richard?«

Der Butler verschluckte sich fast. Dann sagt er: »Ich kenne ihn nicht, Ma'am. Er hat sich einfach Zugang zum Haus verschafft. Er ...«

Josh Donovan hatte den Hut gezogen. »Mein Name ist Josh Donovan, Ma'am«, fiel er dem Butler ins Wort. »Zwölf Jahre habe ich darauf gewartet, endlich meinen alten Freund Bill Jackson wieder zu sehen. Es sollte eine Überraschung sein.«

Langsam kam die schöne Frau die Treppe herunter. Sie ließ Donovan nicht aus den Augen. Er sah, dass sie grünliche Augen hatte und war von ihr gefesselt. Sie trug ein knöchellanges, weißes Kleid. Ihre Taille war schlank. Sie war etwas über mittelgroß und verströmte eine Fraulichkeit, die Donovan regelrecht den Atem verschlug. Mit einer Hand raffte sie den Saum ihres Kleides.

»Sag Mister Jackson Bescheid, Richard«, sagte sie.

In die Gestalt des Butlers kam Leben.

Die Frau ging zu einem der Sessel und setzte sich. »Kaum zu glauben, dass Sie ein Freund von Bill sind, Mister Donovan.«

»Nun, ich habe einen weiten Ritt hinter mir, Ma'am, und bin sicher nicht gerade salonfähig. Aber das wird sich ändern, sobald ich im Barber Shop war. Sie werden mich dann kaum wiedererkennen.«

Sie lächelte. Ihre sinnlichen Lippen gaben eine Reihe ebenmäßiger Zähne frei.

Donovan wurde abgelenkt, als eine dunkle Stimme sagte: »Heiliger Rauch, Josh, wie oft habe ich in all den Jahren an dich gedacht?«

Bill Jackson betrat die Halle. Er war um die fünfzig Jahre alt, etwa eins achtzig groß, grauhaarig. Bekleidet war er mit einer grauen Hose, einem weißen Hemd, das am Kragen von einer weinroten Schnürsenkelkrawatte zusammengehalten wurde, und einer geblümten Weste. Über seinen Bauch spannte sich eine goldene Uhrkette.

Donovan hatte sich ihm zugewandt. »Ich war lebendig begraben, Bill.«

»Komm in mein Arbeitszimmer, Josh. Du hast mir sicher eine Menge zu erzählen.«

»Sie entschuldigen mich, Ma'am«, sagte Donovan höflich, deutete eine Verbeugung an und ging an Jackson vorbei in den Raum, aus dem der Town Mayor gekommen war. Die Raummitte nahm ein schwerer Schreibtisch ein. Auch hier war alles teuer und luxuriös. Ein dicker Teppich schluckte die Schritte.

Jackson zog die Tür zu, ging hinter seinen Schreibtisch und setzte sich. Er wies auf einen Stuhl. »Nimm Platz, Josh. Was darf ich dir zu trinken anbieten? Bourbon?« Er griff nach einer Zigarrenschachtel und hielt sie Donovan hin. »Eine Zigarre vielleicht, Josh?«

Donovan setzte sich nicht. Aber er griff nach einer der Zigarren, biss ihr die Spitze ab, spuckte den Tabak aus, fischte ein Streichholz aus seiner Westentasche und riss es am Schreibtisch an. Er paffte einige Wolken Rauch vor sich hin, dann sagte er: »Zwölf Jahre, Bill. Eine verdammt lange Zeit. Du hast es zu etwas gebracht.«

»Wir konnten damals nichts tun für dich, Josh. Und das weißt du auch. Wir wären alle vor die Hunde gegangen. Es war Pech. Jeder von uns wusste, worauf er sich einließ.«

»Ich mache euch keinen Vorwurf, Bill«, erwiderte Donovan. »Wenn es dich oder einen der anderen erwischt hätte, würde ich sicher nicht anders gehandelt haben.« Donovan zuckte mit den Schultern. »Wir haben damals sechzigtausend Dollar erbeutet. Mein Anteil betrug zwölftausend. Ich nehme an, ihr habt das Geld unter euch aufgeteilt.«

»Was willst du, Josh?«

»Meinen Anteil. Von jedem dreitausend Dollar mit Zins und Zinseszins. Ich habe es mir ausrechnen lassen. Bei fünf Prozent macht das nach zwölf Jahren fünftausenddreihundertneunzig Dollar. Diesen Betrag bekomme ich von dir. Es kostet dich wahrscheinlich ein müdes Lächeln, mir die Summe auszuzahlen.«

»Natürlich, Josh. Wir haben mit deinem Geld gearbeitet, und ich werde dir den geforderten Betrag auszahlen. Aber du wirst einsehen, dass ich so viel Geld nicht im Hause habe. Komm morgen in die Bank. Dann erhältst du das Geld. – Kane hat sich am Plum Creek niedergelassen. Ihm gehört die Lake Meredith Ranch. Es ist eine der wenigen großen Ranches im Panhandle, die nicht zur Panhandle Cattle Company gehört. Kane gehört auch der Saloon, das Hotel und der Mietstall. Du wirst von ihm sicher auch deinen Anteil einfordern.«

Donovan saugte an der Zigarre. »Sicher, Bill. Und ich rate dir, nicht mit gezinkten Karten zu spielen. Das Geld steht mir zu. Dass ihr mich damals im Stich gelassen habt, trage ich euch nicht nach. Aber wenn ihr versucht, mich um meinen Anteil zu bescheißen, dann werde ich sauer.«

»Du kriegst dein Geld.«

»Dann sind wir uns ja einig.

*


Joe Hawk und ich hatten nach dem Regen beschlossen, die Nacht über in Bautista zu bleiben. Wir hatten am Coldwater Creek einen Streit zwischen einer Ranch der PCC und den dort ansässigen Siedlern beigelegt und waren nun auf dem Rückweg nach Amarillo. Da wir die vierzig Meilen an diesem Nachmittag nicht mehr schaffen konnten, hätten wir die Nacht im Freien verbringen müssen. Alles war nass, der Boden war aufgeweicht. Unter diesen Umständen verzichteten wir gerne auf ein Nachtlager unter freiem Himmel.

Der Abend kam. Dann senkte sich die Nacht zwischen die Gebäude von Bautista. Wir hatten im Saloon zu Abend gegessen. Männer kamen in den Schankraum. Es waren Bürger der Stadt, die sich an den Abenden im Saloon trafen und die Ereignisse des Tages diskutierten.

Gegen halb neun Uhr erklangen draußen Hufschläge. Wenig später kamen die Reiter herein. Es waren drei Männer, die lange Regenmäntel trugen. Sie gingen zur Theke und einer verlangte eine Flasche Whisky sowie drei Gläser. Einer schenkte ein, dann tranken sie sich zu. Mir entging nicht, dass sie unter ihren Mäntel Revolver trugen.

Plötzlich stieß sich einer der Kerle vom Tresen ab und ging zu einem Tisch, an dem ein einzelner Mann saß. Seine Lippen bewegten sich. Was er sagte, konnte ich nicht hören, denn es ging im Gemurmel, das den Saloon erfüllte, unter.

Der Mann am Tisch stemmte sich in die Höhe. Der Bursche im Mantel wich ein paar Schritte zurück. Die beiden Kerle am Tresen glitten auseinander. Im Saloon versickerten die Geräusche. Die Atmosphäre war plötzlich angespannt und gefährlich. Der Bursche mit den graumelierten Haaren, der am Tisch gesessen hatte, sagte: »Ich kenne dich nicht, Mister. Wenn du sagst, dass ich einen guten Freund von dir erschossen habe, so täuscht zu dich. Ich war die letzten zwölf Jahre im Süden. Also lass mich in Ruhe.«

»Ich erkenne dich wieder, Mann. Leugnen ist zwecklos. Ich werde dir nun die Rechnung für den Tod meines Freundes präsentieren. Fahr zur Hölle!«

Der Bursche griff unter den Mantel.

Die Hände der beiden Kerle, die mit ihm in den Saloon gekommen waren, zuckten ebenfalls zu den Revolvern. Ich zog und schoss. Revolver dröhnten. Die Detonationen drohten den Saloon aus allen Fugen zu sprengen. Pulverdampf wölkte. Der Lärm war ohrenbetäubend.

Der Graumelierte stand geduckt beim Tisch. Aus der Mündung seines Revolvers kräuselte ein dünner Rauchfaden. Der Kerl, der ihn herausgefordert hatte, lag am Boden und rührte sich nicht. Der Bursche, auf den ich geschossen hatte, presste seine linke Hand auf die zerschossene rechte Schulter. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor. Dem anderen hatte Joe eine Kugel in den Oberschenkel geknallt. Er hatte den Revolver fallen lassen und umklammerte mit beiden Händen sein Bein. Der Schmerz wütete in seinem Gesicht.

Ich setzte mich in Bewegung. Joe hielt die beiden Kerle in Schach, die wir verwundet hatten. Bei dem Burschen, der am Boden lag, hielt ich an und beugte mich über ihn. Er hatte die Kugel in die Brust bekommen, atmete aber noch. Die nächste Viertelstunde würde er wohl nicht überleben. Ich richtete mich auf und heftete meinen Blick auf den Graumelierten. »Was wollten die Kerle von Ihnen?«

Er wies mit dem Revolver auf den Sterbenden. »Er hat behauptet, ich hätte einen Freund von ihm erschossen und forderte Rechenschaft.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich kenne den Burschen nicht. Der Freund, von dem er gesprochen hat, ist mir unbekannt. Er hat sich geirrt.«

»Ein tödlicher Irrtum«, murmelte ich, dann fügte ich etwas lauter hinzu: »Nun, Sie haben in Notwehr geschossen. Darf ich Ihren Namen erfahren, Mister.«

»Donovan – Josh Donovan. Ich bin auf dem Durchritt. Habe hier in Bautista einen alten Freund besucht.«

»Hole jemand den Arzt!«, gebot ich mit lauter Stimme. Dann ging ich zu dem Burschen hin, der eine Kugel in den Oberschenkel bekommen hatte, und sagte: »Das war versuchter Mord. Dafür werden Sie sich verantworten müssen. Wir werden Sie und Ihren Gefährten mit nach Amarillo nehmen, wo Sie vor Gericht gestellt werden.«

Der Kerl knirschte mit den Zähnen.

*


Am folgenden Morgen begab sich Josh Donovan in die Bank. Er traf Bill Jackson in seinem Büro an. Jackson lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und lächelte jovial. »Ich hab es schon gehört, Josh. Du hast gestern Abend für Furore im Saloon gesorgt. Du bist also immer noch genauso schnell wie damals. Zwei Marshals sollen dir beigestanden haben?«

»Hast du mir die Kerle geschickt, Bill?«, fragte Donovan grollend.

Das Lächeln in Jacksons Gesicht gerann. »Wo denkst du hin, Josh. Warum sollte ich dir drei Revolverhelden auf den Hals schicken? Wegen dieser lächerlichen Summe?«

Jackson zog einen Schub auf und griff hinein.

Blitzschnell zog Donovan den Sechsschüsser, richtete ihn auf Jackson und spannte den Hahn. »Keine Dummheiten, Bill!«, warnte Donovan.«

»Wofür hältst du mich, Josh?«, knurrte Jackson und zog die Hand heraus. Sie hielt einen Packen Geldscheine. »Ich habe aufgerundet, Josh. Es sind fünftausendfünfhundert Dollar. Wirst du die Stadt verlassen?«

»Ja. Ich reite zu Kane. Und dann suche ich Dave.« Donovan ließ den Revolver einmal um den Finger rotieren und versenkte ihn im Holster.

»Was ist mit Pablo?«

»Um den kümmert sich in San Angelo der Henker. Von ihm habe ich übrigens erfahren, wo ich dich und Kane suchen muss.« Donovan nahm das Geld und stopfte es in die Innentasche seiner Weste. »Ich traue euch nicht, Bill. Sicher hast du gestern sofort einen Reiter losgeschickt, der Kane vor mir warnen sollte. Wenn ich merke, dass ihr mit gezinkten Karten spielt, dann könnt ihr euer Testament machen. Das ist kein leeres Versprechen, Bill.«

»Nimm das Geld und verschwinde wieder aus der Gegend. Dave reitet mit einer Bande durchs Land. Sie überfallen Postkutschen und Banken. Ich habe mit meiner Vergangenheit abgeschlossen, Josh. In einigen Tagen werde ich heiraten. Mit dir hat mich die Vergangenheit eingeholt. Ich will sie abschütteln. Darum bitte ich dich, zu verschwinden.«

Donovans Mundwinkel sanken nach unten. »Du kannst vor deiner Vergangenheit nicht davonlaufen, Bill. Sie wird dich immer wieder einholen.«

Es klang wie ein böses Omen.

Nach dem letzten Wort schwang Josh Donovan herum und verließ das Büro. Wenig später trat er ins Freie. Er lenkte seine Schritte zum Mietstall. Dort waren die beiden Marshals dabei, Pferde zu satteln. Die zwei Revolverhelden saßen mit gefesselten Händen auf einer Futterkiste. Der Stallmann ging den beiden Gesetzeshütern zur Hand ...

*


Wir erwiderten Donovans Gruß. Dann fragte ich: »Sie verlassen Bautista?«

Donovan nickte. »Ja. Ich will noch einem alten Freund auf der Lake Meredith Ranch einen Besuch abstatten, dann werde ich mich wieder nach Süden wenden. Allerdings habe ich kein bestimmtes Ziel vor Augen.«

»Der Mann, den Sie niedergeschossen haben, ist gestorben«, erklärte ich.

»Er hat es selbst herausgefordert. Wissen Sie seinen Namen?«

»Lane Blackwell.«

Donovans Augen verrieten nicht die Spur einer Gemütsbewegung. Mir wurde klar, dass dieser Mann aus mitleidloser Härte, Unerbittlichkeit und Kompromisslosigkeit zusammengesetzt war. Er sagte: »Der Name sagt mir nichts. Habt ihr seine beiden Kumpane schon befragt?«

»Sie schweigen.«

Donovan ging zu der Box, in der sein Pferd stand, öffnete sie und holte das Tier heraus. Dann begann er es zu satteln. Wir führten unsere Pferde ins Freie. Heute schien wieder die Sonne. Es war warm. Der Frühling trat seinen Siegeszug über den Winter an. Ich holte die beiden Gefangenen. Der Bursche mit dem durchschossenen Bein humpelte stark, der andere, der eine Kugel in die Schulter bekommen hatte, hielt sich ziemlich schief. Da wir ihnen die Hände vor dem Leib gefesselt hatten, konnten sie aufsitzen und die Zügel halten. Joe und ich schwangen uns auf die Pferde. Dann ritten wir an ...

*


Hügeliges Terrain umgab Josh Donovan. Er sah weidende Rinderrudel. In den Büschen zwitscherten die Vögel. Ruhe umgab den Mann. Ihm kam sie trügerisch und unecht vor. Er war wachsam. Denn er erwartete eine böse Überraschung. Seinen ehemaligen Kumpanen traute er jede Hinterhältigkeit zu. Überzeugt davon, dass die drei Kerle am Abend zuvor im Saloon einen glasklaren Auftrag zu erfüllen hatten, ritt er angespannt und darauf eingestellt, gedankenschnell zu reagieren. Hinter jedem Hügel konnte die Gefahr lauern.

Donovan ließ das Pferd im Schritt gehen. Dumpf pochten die Hufe. Das Sattelleder knarrte manchmal. Und dann sah Donovan das helle Aufblinken auf einem der Hügel – ein Aufblinken, wie es entstand, wenn Stahl das Sonnenlicht reflektierte. Donovan gab seinem Pferd die Sporen. Da krachte auch schon der Schuss. Die Kugel verfehlte ihn. Er jagte nach links davon und verschwand zwischen den Hügeln. Als er sich in Sicherheit befand, zerrte er sein Pferd in den Stand. Er führte es zu einer Gruppe von Büschen, band es an und zog die Winchester aus dem Scabbard. Dann stieg er den Abhang hinauf und erreichte den Scheitelpunkt des Hügels. Aus dem Schutz eines Strauches beobachtete er die Kuppe der Anhöhe, auf der er den Schützen vermutete.

Einmal glaubte Donovan fernen Hufschlag zu vernehmen. Das Geräusch versank in der Stille, die ihn umgab. Seine Hände klammerten sich um Kolbenhals und Schaft der Winchester. Eine Patrone befand sich im Lauf. Kalte Ruhe erfüllte Donovan. Ihm war klar, dass ihm Kane Henders den Heckenschützen geschickt hatte. Er biss die Zähne zusammen, dass die Backenknochen hart in seinem Gesicht hervortraten.

Von dem hinterhältigen Schützen war nichts zu sehen. Donovan stieg den Hügel hinunter, band sein Pferd los und saß auf. Dann ritt er nach Bautista zurück. Er hielt vor der Bank an, saß ab, schlang den langen Zügel lose um den Hitchrack, und ging hinein. Ohne anzuklopfen betrat er Jacksons Büro. Jackson, der seinen Blick auf eine Zahlenreihe in einer Kladde geheftet hatte, schaute überrascht auf. »Du!«

Donovan drückte die Tür zu und lehnte sich dagegen. Lässig verschränkte er die Arme vor der Brust. Ein grimmiger Ausdruck setzte sich in seinen Mundwinkeln fest, er stieß hervor: »Auf dem Weg zur Lake Meredith Ranch erwartete mich eine böse Überraschung.«

Jackson lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Seine Lider senkten sich halb über die Augen. Sein Blick war unergründlich. »Ich verstehe nicht.«

»Du hast Kane doch sicher informiert, dass ich im Anmarsch bin und meinen Anteil fordere.«

»Ich habe dir deinen Anteil ausbezahlt. Warum sollte Kane ihn nicht auch zahlen?«

»Es ist nicht gerade wenig Geld, das ich fordere.«

Jackson atmete tief durch. »Es steht dir zu. Das ist keine Frage.«

»Ich traue dir nicht, Bill.«

»Nun, ich kann dich nicht zwingen, mir zu vertrauen. Es wäre mir lieb, wenn du Bautista verlassen würdest.«

»Nein, ich werde von hier erst fortgehen, wenn ich von Kane meinen Anteil kassiert habe. Du kannst Kane bestellen, dass ich ihm einen Besuch abstatten werde. Den Zeitpunkt werde allerdings ich bestimmen. Er sollte das Geld bereitlegen. Bestell ihm das, Bill.«

»Verdammt, Josh, du ...« Jackson brach ab. Ein Irrlichtern in seinen Augen verriet, dass er innerlich aufgewühlt war.

»Was, Bill? Raus mit der Sprache.«

Jackson schluckte. »Du kommst nach einer halben Ewigkeit daher und gefährdest uns alle. Ich habe mir ein bürgerliches Leben aufgebaut, ebenso Kane. Wir lassen uns das von dir nicht kaputtmachen. Also verschwinde.«

»So billig bringt ihr mich nicht los, Bill. Vernünftig wäre es, wenn Kane zahlen würde. Wenn ich das Geld habe, werde ich die Gegend verlassen.«

»Ich werde mit Kane reden.«

»Tu das, Bill. Du willst doch wieder ruhig schlafen können.«

Donovan stieß sich von der Tür ab, schwang herum und verließ das Büro. Jackson starrte düster auf die Tür, die sich hinter Jackson geschlossen hatte. Seine Zähne mahlten übereinander. Dann erhob er sich jäh, ging in den Schalterraum und sagte zu dem Kassier: »Holen Sie Chuck. Er soll sofort kommen.«

Donovan kehrte in sein Büro zurück, nahm ein leeres Blatt Papier und einen Tintenbleistift, befeuchtete mit der Zungenspitze die Mine und begann zu schreiben. Den Brief steckte er in einen Umschlag, den er zuklebte. Ein junger Bursche erschien. »Sie haben mich gerufen, Mister Jackson.«

»Ja, Chuck. Bring diesen Brief zu Kane Henders auf die Lake Meredith Ranch. Verlier keine Zeit.«

Der Bursche nahm den Brief und beeilte sich.

*


Es war Nachmittag. Wir ritten auf der Poststraße. Sie war von Wagenrädern zerfurcht und von Hufen aufgewühlt. Zu beiden Seiten wuchs Buschwerk. Die ersten Knospen der Blätter sprangen auf und verliehen der Natur einen grünlichen Schimmer.

Unsere beiden Gefangenen ritten vor uns. Wir zogen eine kleine Anhöhe hinauf, über die der Weg führte, erreichten den Kamm und sahen den Reiter in der sich anschließenden Senke. Wir trafen wenig später mit ihm zusammen. Es war ein Bursche von etwa zwanzig Jahren, und er sah ziemlich mitgenommen aus. An ihm und seinem Pferd klebte der Staub des Llano Estacado. Seine Augen waren entzündet und rotgerändert. Tagealte Bartstoppeln wucherten in seinem schmalen Gesicht.

Er zügelte sein Pferd und auch wir hielten an.

»Hallo«, grüßte ich.

Die Stimme des Burschen klang staubheiser, als er den Gruß erwiderte. Dann fragte er: »Wie weit ist es noch Bautista?«

»Fünfundzwanzig Meilen«, antwortete ich. »Die Stadt ist Ihr Ziel? Wir kommen von Bautista herunter. Suchen Sie dort oben einen Job?«

Um den Mund des Burschen erschien ein herber Zug. »Nein. Ich suche in Bautista die Mörder meiner Familie. In San Angelo habe ich gehört, dass zwei von ihnen in Bautista leben sollen. Es soll sich um angesehene Bürger der Stadt handeln.«

»Sie reiten also den Trail der Rache«, knurrte ich. »Ich bin U.S. Deputy Marshal Bill Logan. Das ist mein Kollege Joe Hawk. Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns Ihre Geschichte zu erzählen?«

»Sie ist schnell erzählt«, versetzte der Bursche. »Es ist fünfzehn Jahre her. Wir lebten auf einer Pferdewechselstation zwanzig Meilen südlich von Menard. Eines Tages kamen fünf Banditen, die die Stagecoach überfallen wollten. Sie erschossen meine Eltern und meinen großen Bruder.«

»Wie haben Sie nach so langer Zeit die Spur der Mörder aufnehmen können?«

»Ich las in der Zeitung, dass in San Angelo ein Mexikaner namens Pablo Santanta zum Tod durch den Strang verurteilt wurde. Das Gesicht des Banditen war in der Zeitung abgebildet. Ich erkannte in ihm einen der Mörder meiner Familie.«

»Sie haben ihn gesprochen?«

»Ich sprach mit dem Sheriff von San Angelo. Er kannte die Namen der anderen Mörder. Zwei leben in Bautista. Ihre Namen sind Bill Jackson und Kane Henders.«

Ich war ziemlich betroffen.

Von Joe kam ein Laut, der ebenfalls vermuten ließ, dass ihn die Eröffnung überrascht hatte. Er sagte: »Jackson ist Bürgermeister und leitet die Bank, Henders gehört die halbe Stadt und er ist Besitzer der Lake Meredith Ranch.«

»Darauf werde ich keine Rücksicht nehmen«, sagte der Bursche, der uns seinen Namen noch nicht genannt hatte. Dann fuhr er fort: »Kurz vor der Hinrichtung wurde Pablo Santanta von seinen Kumpanen aus dem Gefängnis befreit. Ich bin mit dem Aufgebot geritten. In der Felswüste im Westen haben wir jedoch die Spur verloren. Das Aufgebot musste umkehren.«

»Hass und Rache führen in die Hölle«, sagte ich.

»Das ist mir egal, Marshal.«

»Wie heißen Sie?«

»Jack Benbow. Ich werde die Mörder meiner Familie zur Rechenschaft ziehen.«

»Überlassen Sie es dem Gesetz«, mahnte ich und schaute Joe an. »Ich reite nach Bautista zurück und kläre die Sache. Bring du die beiden Gefangenen nach Amarillo.«

Plötzlich meldete sich einer der beiden zu Wort und sagte: »Wir arbeiten für Henders.«

»Interessant«, sagte ich.

Der Bursche nickte. »Wir hatten den Auftrag, Donovan zu provozieren und zu erschießen. Henders zahlte jedem von uns hundert Dollar.«

»Donovan war vor mir in San Angelo«, erklärte Jack Benbow. »Auch er ist hinter Jackson und Henders her. Donovan saß zwölf Jahre im Zuchthaus. Den Grund für seine Verurteilung hat er dem Sheriff nicht verraten. – Der vierte der Mörder heißt Dave Smith. Er ist ein Halbblut. Smith soll mit einer Bande durch Texas ziehen und Postkutschen sowie Banken überfallen.«

Ich legte beide Hände übereinander auf das Sattelhorn. »Die Zeit des Faustrechts ist vorbei, Benbow. Wenn Jackson und Henders Mörder sind, werden sie ihre gerechte Strafe erhalten. Ich reite mit Ihnen nach Bautista.«

»Sie werden mich nicht davon abhalten können, die Mörder meiner Familie zur Rechenschaft zu ziehen, Logan«, knurrte der Bursche stur. »Und wenn ich Jackson und Henders erledigt habe, mache ich mich auf die Suche nach Santanta und Smith. Ich werde erst ruhen, wenn der letzte von ihnen tot vor mir liegt.«

Benbow trieb mit dem letzten Wort sein Pferd an uns vorbei und ritt weiter.

»Folge ihm, Logan-Amigo«, murmelte Joe. »Dieser Narr rennt sonst sehenden Auges in sein Verderben.«

Wir trennten uns. Ich ritt zurück nach Norden. Ein Stück vor mir ritt Benbow. Jetzt wartete er. Als ich neben ihm war, trieb er sein Pferd an. Steigbügel an Steigbügel zogen wir dahin. Benbow sagte: »Natürlich werden Jackson und Henders abstreiten, etwas mit dem Mord vor fünfzehn Jahren zu tun zu haben, Marshal. Sie werden nichts in die Hand bekommen, um die beiden zu verhaften und vor Gericht zu stellen.«

»Wenn Sie sie erschießen, wird zu prüfen sein, ob ein Verbrechen vorliegt«, erwiderte ich. »Und wenn ich zu dem Ergebnis kommen, dass es so ist, dann werde ich Sie festnehmen und nach Amarillo schaffen.«

Die Sonne ging unter. Wolkenbänke schoben sich vor den Sonnenuntergang und erglühten. Wir ritten schweigend, jeder war in seine Gedanken versunken. Dann war die Sonne hinter dem hügeligen Horizont verschwunden. Ihr Widerschein färbte den Himmel im Westen blutrot. Die Schatten waren verblasst. Rötlicher Schein lag auf den Hügelkuppen und Abhängen.

Dann kam die Nacht. Sterne flirrten am Himmel. Der Mond schob sich über die Hügel im Osten. Ein frischer Wind war aufgekommen. Stunde um Stunde zogen wir dahin, und dann lag Bautista vor uns. Die meisten Häuser lagen in völliger Dunkelheit. Die Menschen der Stadt schliefen. Der Saloon hatte bereits geschlossen. Wir ritten zum Mietstall. Das Tor war geschlossen, ließ sich aber öffnen. Es knarrte rostig in den Scharnieren. Im Stall war es finster wie in einer Gruft. Ich riss ein Streichholz an. Vager Lichtschein umgab mich. An einem Nagel neben der Tür hing eine Laterne. Ich nahm sie und zündete sie an. Als der Docht brannte, drehte ich ihn höher. Das Licht kroch auseinander.

Ich stellte die Laterne auf eine Futterkiste, wir brachten unsere Pferde in leere Boxen und nahmen ihnen die Sättel ab. Dann schnallten wir die Satteltaschen los, nahmen uns Gewehre und gingen zum Hotel. Es hatte bereits geschlossen. Ich rüttelte an der Tür, aber niemand öffnete. »Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, als im Mietstall zu übernachten«, gab ich zu verstehen.

»Damit habe ich kein Problem«, erklärte Jack Benbow.

*


Ich wurde wach, als ich Geräusche hörte. Das Stalltor stand offen. Tageslicht fiel herein. Jemand sagte: »Ausgeschlafen, Marshal? Sie haben geschlafen wie ein Toter. Ich wollte Sie nicht wecken. Was hat Sie denn nach Bautista zurückgetrieben?«

Ich erhob mich. Heureste fielen von meiner Kleidung. »Wo ist der Bursche, der neben mir schlief?«

»Er hat vor einer halben Stunde den Stall verlassen. Ich habe versucht, mit ihm ins Gespräch zu kommen, aber er antwortete nur einsilbig und widerwillig. Was ist er für ein komischer Kauz?«

»Sein Name ist Jack Benbow«, erklärte ich. Dann ging ich in den Hof, beugte mich über den Tränketrog und wusch mir das Gesicht. Mit den feuchten Fingern fuhr ich mir durch die Haare. Mit dem Halstuch trocknete ich mich ab. »Wo kann man frühstücken?«, fragte ich den Stallmann.

»Zum Hotel gehört ein Restaurant. Dort kriegen Sie auch ein Frühstück.«

Ich holte mein Gewehr und stiefelte davon. Wenig später betrat ich den Speiseraum des Hotels. An einem der Tische saß Josh Donovan, an einem anderen Jack Benbow. An einem dritten Tisch saß ein Mann mittleren Alters, der mit einem schwarzen Anzug bekleidet war. Donovan musterte mich fragend. Ich nickte ihm zu und setzte mich an Benbows Tisch. »Guten Morgen.«

»Guten Morgen, Marshal. Ich habe Sie schlafen lassen.«

Ein Mann mittleren Alters schlurfte heran. »Was darf ich Ihnen bringen, Marshal?«

»Eier mit Speck und Kaffee«, sagte ich und der Bursche entfernte sich wieder. Ich machte eine Bewegung mit dem Kinn und raunte Benbow zu: »Das ist Donovan.«

»Ich werde mich mit ihm unterhalten«, gab Benbow zu verstehen.

Donovan hatte gefrühstückt und drehte sich nun eine Zigarette. Tief inhalierte er den ersten Zug. Mein Frühstück kam und ich aß mit gesundem Appetit. Der Kaffee war vorzüglich. Als Donovan geraucht hatte, erhob er sich und kam zu unserem Tisch. »Warum sind Sie zurückgekommen, Marshal?«

»Es hat sicher seinen Grund«, erwiderte ich ausweichend. »Wollten Sie sich nach einem Besuch auf der Lake Meredith Ranch nicht südwärts wenden?«

»Ich habe meinen Entschluss geändert«, sagte Donovan.

Nun ergriff Jack Benbow das Wort. Er sagte: »Sie waren in San Angelo, Donovan, und haben mit Santanta gesprochen.«

Der Blick Donovans verkrallte sich an dem Burschen. Seine Brauen hatten sich zusammengeschoben. »Das ist richtig, Junge. Woher weißt du das?«

»Ich habe mit dem Sheriff in San Angelo gesprochen. Auch ich suche Jackson und Henders. Es ist eine alte Rechnung.«

»Wie alt?«

»Fünfzehn Jahre. Sie töteten meine Familie auf einer Pferdewechselstation in der Nähe von Menard.«

In Donovans Gesicht zuckten die Muskeln. »Du wirst keinen leichten Stand haben, Junge«, murmelte er. »Jackson und Henders sitzen an einem längeren Hebel als du. Vielleicht solltest du es dem Marshal überlassen, den beiden die Maske des Biedermannes vom Gesicht zu reißen.«

»Dem Marshal werden die nötigen Beweise fehlen, um ihnen einen Strick zu drehen. Ich hingegen ...« Benbow brach ab. »Weshalb sind Sie hinter den beiden her?«

»Ebenfalls eine alte Rechnung. Allerdings will ich die beiden nicht töten. Bei mir geht es nicht um Rache.«

Donovan griff an die Krempe seines Hutes und schritt zum Ausgang. Benbow starrte hinter ihm her. Hinter Donovan fiel die Tür zu.

*


Donovan ging zur Bank. Sie hatte noch nicht geöffnet. Er setzte sich auf die Vorbaukante und wartete. Seine Geduld wurde auf keine sehr lange Probe gestellt. Nach einer Viertelstunde kam Bill Jackson. »Wartest du auf mich, Josh?«

»Ja. Wir sollten uns in deinem Büro unterhalten.«

»Was gibt es denn?«

»Das sage ich dir drin.«

Jackson verzog das Gesicht. Das Unbehagen über die Begegnung mit dem alten Kumpan stand ihm ins Gesicht geschrieben. In seinem Büro zischte er: »Verdammt, Josh, warum verschwindest du nicht endlich aus der Stadt? Man wird anfangen, sich Fragen zu stellen.«

»Erinnerst du dich an die Sache von vor fünfzehn Jahren, als wir die Postkutsche auf der Pferdewechselstation südlich von Menard beraubten?«

Jacksons Miene verfinsterte sich. »Natürlich.«

»Erinnerst du dich auch an den kleinen Jungen?«

»Gewiss. Dave wollte ihn zum Schweigen bringen. Du hast es verhindert. Was ist mit ihm?«

»Er befindet sich in Bautista und sucht die Mörder seiner Familie.«

Jacksons Mund verkniff sich. Er schien von einer Minute auf die andere um fünf Jahre gealtert zu sein. »Du irrst dich nicht?«

»Er sagte es mir eben selbst. Mit ihm ist der Marshal in die Stadt zurückgekehrt. Ich denke, du wirst dir einige Fragen gefallen lassen müssen.«

»Zur Hölle, du hättest damals Dave nicht daran hindern sollen, den Kleinen in die Hölle zu schicken.« Plötzlich stutzte Jackson. »Auch du musst ihn fürchten, Josh. Du warst damals dabei. Und erzähl mir jetzt bloß nicht, dass du nicht geschossen hast.«

»Habe ich auch nicht. Zumindest nicht auf den Stationer und seine Familie. Ihr Tod war überflüssig.«

»Es war unser Grundsatz: Keine Zeugen. Einmal sind wir diesem Grundsatz untreu geworden. Und nun haben wir den Salat.«

»Was wirst du tun, Bill? Sie kennen deinen Namen als den Namen eines der Mörder. Es ist sicher nur eine Frage der Zeit, bis der Marshal bei dir aufkreuzt.«

»Ich werde alles abstreiten. Einen Beweis gibt es nicht.«

»Vielleicht erinnert sich der Junge an deine Visage. Wir waren damals nicht maskiert. Und dein Verbrechergesicht vergisst man sicher nicht so leicht. Was dann?«

»Ich habe mich in den fünfzehn Jahren verändert. Der Bursche erinnert sich sicher nicht.«

»Aber er kennt deinen Namen. Und das wird ihm reichen.«

Donovan verließ das Office. Draußen stellte er sich ans Gehsteiggeländer und legte die Hände darauf. In der Stadt hatte der Alltag begonnen. Helle Hammerschläge verkündeten, dass der Blacksmith bei der Arbeit war. Drei Kinder mit Schulranzen auf den Rücken liefen auf dem Gehsteig entlang.

Logan kam die Straße herauf. Als er die Bank erreichte, wandte er sich an Donovan. »Sie haben Jackson von Jack Benbow erzählt?«

»Und wenn, Logan? Was sollte es ändern?«

*


Ich ging in die Bank hinein. Der Clerk hinter dem Schalter musterte mich. »Zu Mister Jackson«, sagte ich. Er wies auf eine Tür. Ich klopfte, jemand rief »herein« und ich betrat das Büro.

Jackson saß hinter seinem Schreibtisch. Er sah mich und seine gestrafften Schultern sanken nach unten. Die Anspannung in seinen Zügen verlor sich. Hatte er jemand anderen erwartet? Ich murmelte einen Gruß, Jackson wies auf einen Stuhl und sagte: »Bitte, Marshal, setzen Sie sich.«

Ich ließ mich nieder. Der Blick des Bankiers und Town Mayors, mit dem er mich taxierte, mutete lauernd an. Ich sagte: »Ein junger Mann ist in Bautista aufgetaucht. Sein Name ist Jack Benbow. Er behauptet, Sie wären einer der Mörder seiner Familie.«

Ich versuchte in Jacksons Miene zu lesen, testete seine Reaktion, aber er zuckte mit keiner Wimper. »So ein Unsinn!«, stieß er hervor. »Ich lebe seit fünf Jahren hier und ...«

»Es soll fünfzehn Jahre zurückliegen. Fünf Banditen überfielen eine Pferdewechselstation südlich von Menard. Der Stationer, seine Frau und der ältere Sohn der beiden wurden ermordet. Es sind die Namen dreier weiterer Männer bekannt. Kane Henders, Pablo Santanta und Dave Smith.«

»Vor fünfzehn Jahren befand ich mich im Norden, in Montana. Ich habe dort oben nach Gold gegraben und hatte Glück.«

»Warum sollte Santanta Ihren Namen genannt haben?«

»Vielleicht handelt es sich um eine Namensgleichheit.«

»Lebt noch jemand mit dem Namen Bill Jackson in Bautista?«

»Nein.«

»Na also. Santanta meinte Sie.«

»Das ist eine verdammte Unterstellung. Wer ist dieser Santanta?«

»Ein mexikanischer Mörder, der in San Angelo gehängt werden sollte. Außer Ihnen sollen Kane Henders, eben dieser Santanta und ein Halbblut namens Dave Smith dabei gewesen sein. Den Namen des fünften Mannes kenne ich nicht.«

»Ich lasse mir das nicht bieten, Marshal.«

»Ich werde die Wahrheit herausfinden, Mister Jackson«, versicherte ich. »Ich habe mich erkundigt. Niemand weiß, woher Sie vor fünf Jahren kamen. Sie brachten einen Haufen Geld mit und gründeten die Bank. Dann ließen Sie sich zum Town Mayor wählen. Ihre Vergangenheit liegt im Dunkeln.«

»Machen Sie sich nicht lächerlich, Marshal. Ich sagte es bereits: Ich suchte Gold in Montana und war fündig.«

Ich erhob mich und ließ Jackson allein. Draußen stand noch immer Donovan. Seine Brauen zuckten in die Höhe. »Na?«

»Woher kennen Sie Jackson und Henders?«, fragte ich. »Es muss aus einer Zeit von vor zwölf Jahren sein. Von Benbow weiß ich, dass Sie zwölf Jahre im Zuchthaus saßen. Woher also, Donovan? Waren Sie der fünfte Mann damals?«

Wortlos wandte sich Donovan ab und schritt schnell davon.

Ich ging zum Mietstall. Der Stallmann saß auf einer Futterkiste und putzte seine Stiefel. Sie glänzten, als hätte er sie mit einer Speckschwarte eingerieben. Er zog seinen Arm aus dem Stiefel, den er gerade in Bearbeitung hatte, stellte ihn ab und erhob sich. »Kommen Sie, um nach Ihrem Pferd zu sehen, Marshal, oder wollen Sie Bautista verlassen.«

»Ich mache einen kleinen Ausritt auf die Lake Meredith Ranch«, erklärte ich. »Helfen Sie mir, das Tier zu satteln und zu zäumen?« Und während wir arbeiteten, sagte ich: »Bill Jackson kam vor fünf Jahren hier an. Er gründete die Bank und wurde ein angesehener Bürger. Ich habe mit dem Mann im Hotel gesprochen. Er sagte mir, dass niemand weiß, woher Jackson kam und was er vorher trieb.«

»Das ist richtig. Er kam zusammen mit Kane Henders in diesen Landstrich. Beide hatten sehr viel Geld. Henders kaufte sich in verschiedene Geschäfte ein und übernahm sie im Laufe der Jahre zu hundert Prozent. Er gründete auch die Lake Meredith Ranch. Über die Vergangenheit der beiden ist nichts bekannt.«

Nachdem wir das Pferd gesattelt und gezäumt hatten, führte ich es in den Hof und saß auf. Dann ritt ich davon. Der Lake Meredith lag östlich der Stadt. In ihn mündete der Plum Creek, an dem die Ranch lag. Ich ritt über eine Stunde. Dann lag die Ranch vor mir. Es war eine große Ranch mit vielen Gebäuden. Das Haupthaus war stöckig, der Küchenanbau hatte ein flaches Dach, ebenso die Mannschaftsunterkunft. In einem Corral standen an die fünfzig Pferde. Ranchhelfer waren bei der Arbeit.

Ich ritt auf den Ranchhof und parierte vor dem Haupthaus das Pferd, saß ab und band das Pferd an den Haltbalken. Die Rancharbeiter beobachteten mich. Ich stieg auf die Veranda und klopfte gegen die Tür. Dann probierte ich, ob sich die Tür öffnen ließ. Sie schwang auf. Ich trat in die Halle und sah eine schwere Polstergarnitur. An den Wänden standen Vitrinen. Eine Treppe schwang sich nach oben. Mehrere Türen zweigten von der Halle ab. Und durch eine dieser Türen trat nun ein Mann. Er war etwa fünfzig Jahre alt, mittelgroß und blond. Bekleidet war er mit einer hellgrauen Hose, einem blauen Hemd und einer schwarzen Lederweste. In seinen Augen blitzte es auf, als er meinen Stern sah.

Ich grüßte und stellte mich vor. Mir war bekannt, dass Henders der Besitzer der Lake Meredith Ranch war. Persönlich hatte ich ihn jedoch noch nicht kennengelernt.

»Was führt Sie zu mir, Marshal?«, fragte Henders.

»Sie kamen vor fünf Jahren in diese Gegend«, eröffnete ich das Gespräch.

»Das stimmt. Wir blieben sozusagen in Bautista hängen.« Ein flüchtiges Grinsen huschte um Henders' Mund. »Warum fragen Sie, Marshal?«

»Es wurde eine schwere Beschuldigung gegen Sie vorgebracht.«

Seine Miene verfinsterte sich. »Gegen mich?«

»Sie sollen zusammen mit Bill Jackson, Pablo Santanta, Dave Smith und einem fünften, namentlich nicht bekannten Mann südlich von Menard eine Pferdewechselstation überfallen und die Familie des Stationers getötet haben.«

Sekundenlang herrschte bleierne Stille im Raum. Dann schnappte der Rancher: »Wer behauptet das?«

»Ein Bursche namens Jack Benbow. Ihre Namen nannte ihm Pablo Santanta, der in San Angelo auf den Henker wartete, der in der Zwischenzeit allerdings befreit wurde.«

»Wer ist dieser Jack Benbow?«

»Seine Familie wurde vor fünfzehn Jahren von den Banditen getötet. Er war damals sechs. Und wenn es nach dem Halbblut gegangen wäre, dürfte er auch nicht mehr am Leben sein. Kennen Sie Josh Donovan?«

Die Stirn des Ranchers legte sich in Falten. »Was soll diese Frage? In welchem Zusammenhang steht sie mit dem Auftauchen dieses Jack Benbow?«

»Donovan saß zwölf Jahre im Zuchthaus. Wie mir scheint, ist er ein alter Bekannter von Ihnen.«

»Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig, Marshal.«

»Benbow hat geschworen, seine Familie zu rächen.«

»Er soll nur kommen.«

»Was Josh Donovan anbetrifft, Mister Henders: Sie haben drei Schnellschießer auf ihn angesetzt. Sie brauchen es nicht zu leugnen. Einer der Kerle hat ein Geständnis abgelegt. Die drei sollten Donovan provozieren und erschießen. Dafür haben Sie jedem der Kerle hundert Dollar bezahlt.«

»Donovan soll uns in Ruhe lassen!«, knirschte Henders. »Wir suchten zusammen Gold in Montana. Nachdem wir nichts fanden, gab er auf und kehrt nach Texas zurück. Dort überfiel er mit einer Bande eine Bank, wurde aber geschnappt. Er wanderte für zwölf Jahre ins Zuchthaus. Jetzt ist er plötzlich aufgetaucht und will von uns Geld. Er denkt, dass ihm ein Teil unseres Fundes zusteht.«

»Haben Santanta und Dave Smith auch nach Gold in Montana gegraben?«

»Ich kenne die beiden nicht.«

»Ich werde die Wahrheit herausfinden, Mister Henders«, knurrte ich. »Mord verjährt nicht. Das wissen Sie sicher. Und wenn Sie einen Mord begangen haben, werden Sie selbst nach fünfzehn Jahren noch dafür zur Rechenschaft gezogen werden.«

Wir starrten uns an. Es war ein stummes Duell. Nur der Mann mit den stärkeren Nerven konnte gewinnen. Der war ich. Henders' Blick irrte zur Seite. Ich machte kehrt und verließ das Ranchhaus. Als ich auf mein Pferd stieg, sah ich Henders am Fenster stehen. Der Blick, mit dem er mich beobachtete, war verzehrend ...

*


Donovan lag auf dem Bett und hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Er hing seinen Gedanken nach. Ihm war klar, dass er Jackson und Henders keine Freude bereitet hatte, als er hier auftauchte. Die drei Kerle im Saloon hatten sie ihm auf den Hals geschickt. Ein Heckenschütze sollte ihn mit einem Stück Blei davon abhalten, der Lake Meredith Ranch einen Besuch abzustatten.

Donovan fragte sich, ob es Dave Smith und seine Bande gewesen war, die in San Angelo den Mexikaner aus dem Gefängnis holten. Dann wusste Smith, dass er, Donovan, nach seinen alten Kumpanen suchte. Und er wusste auch, dass er nach Bautista geritten war. Es war nicht auszuschließen, dass Smith und Santanta hier aufkreuzten.

Es klopfte gegen die Tür.

Donovan richtete den Oberkörper auf, schwang die Beine vom Bett und griff nach seinem Revolver, zog ihn, spannte den Hahn und erhob sich. Mit wenigen Schritten erreichte er die Tür und baute sich an der Wand daneben auf. »Wer ist draußen?«

»Mein Name ist Chuck. Mich schickt Mister Jackson.«

Donovan entriegelte die Tür und öffnete sie. Das aufschwingende Türblatt verdeckte ihn. Als der junge Chuck Porter das Zimmer betrat, spürte er plötzlich die Mündung eines Revolvers an der Schläfe. Mit dem zitternden Atemzug des lähmenden Entsetzens stieß er hervor: »Nicht schießen, Mister Donovan. Ich – ich ...«

Donovan packte den Burschen mit der Linken und schleuderte ihn aufs Bett. Chuck Porter wusste gar nicht, wie ihm geschah. Ein Ächzen entrang sich ihn. Die Revolvermündung starrte ihn an wie das leere Auge eines Totenschädels.

Als Donovan sah, der Chuck unbewaffnet war, senkte er die Hand mit dem Sechsschüsser. »In dieser Stadt ist für mich Vorsicht angesagt«, entschuldigte er sich und stieß den Revolver ins Holster. »Was will Jackson denn von mir?«

»Er will Sie sprechen. Sie möchten sofort zu ihm kommen.«

Der Junge erhob sich. Die Angst vor Donovan flackerte in seinen Augen.

»Sag ihm, dass ich komme«, knurrte Donovan.

Chuck Porter lief aus dem Zimmer. Donovan zog seine Stiefel an und stülpte sich den Hut auf den Kopf. Dann verließ er ebenfalls das Zimmer. Die Hotelhalle war verwaist. Donovan trat ins Freie. Sekundenlang blendete ihn das Sonnenlicht. Der Schlamm auf der Straße begann zu trocknen. Das Wasser in den Pfützen war versickert.

Donovan ging auf dem Gehsteig. Hüfthohes Unkraut wucherte auf den leeren Grundstücken zwischen den Häusern. Im Schaukelstuhl auf dem Vorbau des Saloons saß Jack Benbow. Er beobachtete Donovan. Donovan tat so, als würde er den Burschen nicht sehen. Seine Stiefel waren schmutzig bis über die Knöchel hinauf, als er die Bank betrat. Ohne anzuklopfen betrat er Jacksons Büro. »Du hast mich rufen lassen.«

»Richtig. Ich habe einen Job für dich. Er bringt dir tausend Dollar.«

Donovan kniff die Augen zusammen. »Was muss ich dafür tun?«

»Leg Jack Benbow um. Du erweist dir auch selbst einen Gefallen. Noch mal tausend lege ich drauf, wenn du anschließend aus der Gegend verschwindest.«

Donovan legte den Kopf schief. »Du lässt es dir was kosten. Aber wenn ich die Gegend verlasse, verzichte ich auf fünftausenddreihundertneunzig Dollar, die ich von Kane bekomme. Findest du nicht, dass das ein schlechtes Geschäft wäre?«

»Ein noch schlechteres Geschäft ist es, eine Kugel in den Kopf zu bekommen.«

»Du solltest den Marshal nicht außer Acht lassen«, mahnte Donovan.

»Der hat keinen Beweis gegen uns. Wenn uns der junge Benbow nicht mehr identifizieren kann, beißt sich Logan die Zähne aus. Bis New Mex sind es nur ein paar Meilen, Josh. Leg Benbow um und reite los. In zwei Tagen kannst du Texas verlassen haben.« Jackson zog einen Schub auf und nahm ein dünnes Bündel Geldscheine heraus. »Das sind zweitausend Bucks. Sie gehören dir ...«

Donovan aber schüttelte den Kopf. »Ich will das Geld von Henders, das mir zusteht. Zu verschenken habe ich nichts.« Nach dem letzten Wort schwang Donovan herum und ging nach draußen.

»Narr!«, zischte Jackson giftig. »Du hast gewählt und dich für das Stück Blei entschieden.«

Donovan ging hinüber zum Saloon. Jack Benbow erhob sich aus dem Schaukelstuhl. Donovan blieb vor ihm stehen. »Soeben bot man mir tausend Dollar, damit ich dich in die Hölle schicke, Junge.«

»Und, haben Sie angenommen?«

»Nein. Ich will sehen, wie sich die Dinge hier entwickeln.« Donovan grinste – ein Grinsen, das seine Augen nicht erreichte.

»Würden Sie mir eine Frage beantworten, Donovan?«

»Frag, Junge.«

»Sie ritten früher mit der Bande, nicht wahr? Waren Sie dabei auf der Pferdewechselstation? Es waren fünf Männer. Vier von ihnen kenne ich namentlich. Waren Sie der fünfte Mann, jener Bursche, der mich aus dem brennenden Haus rettete?«

Die Augen des Jungen übten Druck auf Donovan aus. Aber Donovan wich dem Blick nicht aus. Er sagte schleppend: »Du musst vorsichtig sein, Junge. Jackson ist ein hoch angesehener Mann in der Stadt. Wenn du ihn erschießt, lynchen sie dich vielleicht. Ich weiß nicht, ob es das wert ist.«

»Sie bleiben mir die Antwort auf meine Frage schuldig?«

»Ja.« Donovan ging an Jack Benbow vorbei in den Saloon. Jack Benbow schaute ihm hinterher. Er nagte an seiner Unterlippe. Dann fasste er einen Entschluss. In seine Gestalt kam Leben. Er tauchte unter dem Geländer des Vorbaus hindurch und sprang auf die Straße. Mit langen Schritten strebte er der Bank zu. Wenig später betrat er das Büro, in dem Bill Jackson residierte. Jackson starrte ihn an wie eine übernatürliche Erscheinung. Jack Benbow machte sich ein Bild von dem Bankier, dann nickte er und sagte: »Ja, Sie sind es. Sie waren damals dabei, und Sie haben geschossen. – Soeben erklärte mir Donovan, dass man ihm tausend Dollar geboten hat, damit er mich umlegt. Ich denke, dass Sie ihm das Angebot gemacht haben.«

»Wer bist du?«

»Sie brauchen sich nicht zu verstellen, Jackson. Sie wissen genau, wer ich bin. Ich bin gekommen, um Rechenschaft zu fordern.«

»Wenn du mich erschießt, wird das Mord sein.«

Jacksons Hand tastete sich zu dem Schub, in dem er einen Derringer liegen hatte. Jack Benbow konnte es nicht sehen, weil die Tischplatte die Hand verdeckte. Und dann ging alles blitzschnell. Jackson riss den Schub auf und griff hinein. Seine Hand umklammerte den Griff des Derringers. Aber er war nicht schnell genug. Der Revolver in Jack Benbows Faust brüllte auf, eine handlange Mündungsflamme stieß aus dem Lauf. Jackson kippte samt seinem Stuhl nach hinten. Ein dumpfes Poltern war zu hören. Im Raum stank es nach verbranntem Pulver.

Jack Benbow stieß den Revolver ins Holster und verließ das Büro. Der Clerk starrte ihn an. Er trat ins Freie und atmete tief durch. Auf der Straße und den Gehsteigen waren einige Menschen stehengeblieben und starrten zu ihm her.

Der Bursche begab sich zum Mietstall. Minuten später war sein Pferd reitfertig. Im Hof saß er auf und trieb es hinaus auf die Main Street. Vor der Bank hatte sich eine ganze Menschenrotte eingefunden. Stimmendurcheinander erfüllte die Straße. Jemand sah Benbow und schrie: »Da reitet der Mörder! Er darf nicht entkommen! Schnappt ihn euch!«

Die Meute setzte sich in Bewegung.

Jack Benbow gab seinem Pferd die Sporen. Das Tier streckte sich. Im stiebenden Galopp verließ er die Stadt.

*


Ich vernahm den brandenden Hufschlag und wenig später sah ich das Rudel Reiter aus einer Lücke zwischen den Hügeln galoppieren. Sie sahen mich und stoben heran. Bei mir angelangt rissen sie die Pferde zurück. Die Tiere prusteten, Schaum tropfte ihren Nüstern. Der Reitwind hatte die Gesichter der Reiter gerötet. Stimmen schwirrten durcheinander. Ich verstand gar nichts. Darum hob ich den linken Arm und sagte laut: »Wenn alle auf einmal reden, verstehe ich kein Wort. Es genügt, wenn mir einer von euch erzählt, was vorgefallen ist.«

Mir schwante Schlimmes.

Es trat Ruhe ein. Einer der Männer ergriff das Wort: »Dieser junge Bursche, der mit Ihnen in die Stadt gekommen ist, hat Jackson erschossen. Dann ist er geflohen. Wir verfolgen ihn. Aber wie es scheint, haben wir seine Spur verloren. Haben Sie ihn vielleicht gesehen?«

Ich spürte Betroffenheit. »Nein, ich habe ihn nicht gesehen.«

Der Mann erhob noch einmal die Stimme: »Er hat Jackson in seinem Büro in der Bank erschossen. Jackson war unbewaffnet. Allerdings lag in einem offenen Schub ein Derringer. Es hat den Anschein, als wollte er ihn benutzen. Was sich genau zugetragen hat, wissen wir nicht.«

Ich ahnte, wohin Jack Benbow wollte, und sagte zu den Reitern: »Ich übernehme es, ihn zu suchen. Kehrt in die Stadt zurück. Ich werde nach Benbow suchen.«

Das Rudel kehrte um. Ich ritt zur Lake Meredith Ranch und bezog in der Nähe der Ranch Stellung auf einem Hügel. Strauchwerk und Felsen, die aus der Kuppe ragten, schützten mich vor unliebsamen Blicken. Dann wartete ich.

Zwei Stunden später verließen etwa ein halbes Dutzend Reiter die Ranch. Sie ritten nach Westen und verschwanden zwischen den Hügeln aus meinem Blickfeld. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand überschritten. Und plötzlich sah ich den Reiter. Er näherte sich der Ranch von Süden. Es war nicht Benbow – es war Josh Donovan. Er lenkte sein Pferd in den Ranchhof und saß vor dem Haupthaus ab. Auf den Vorbau trat Kane Henders. Die beiden sprachen miteinander, dann machte Henders kehrt und ging ins Haus. Donovan stieg die Stufen zur Veranda hinauf und folgte ihm.

*


»Was willst du, Josh?«, fragte Henders. Der Rancher stand neben dem offenen Kamin und hatte die Arme vor der Brust überkreuzt.

»Bill ist tot.«

»Was!«

»Ja. Benbow hat ihn erschossen. Er hat dich bezüglich der Anwesenheit des Jungen in Bautista sicher in Kenntnis gesetzt. Er hat dich ja auch informiert, dass ich angekommen bin.« Ein kaltes Grinsen umspielte Donovans Mund. »Deine höllischen Grüße haben mich erreicht.«

Jetzt nahm Henders eine unruhige Wanderung in der Halle auf. Seine Hände hatte er auf dem Rücken liegen, sie waren ineinander verkrampft. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«

»Das weißt du sehr wohl, alter Freund. Und es verwundert mich, dass du fragst, was ich hier will.«

»Wie viel, Josh?«

»Fünftausenddreihundertneunzig Dollar.«

Henders schürzte die Lippen. »Ein ziemlicher Batzen Geld.«

»Mein Anteil an der Beute plus Zins und Zinseszins. Es ist nur recht und billig.«

»Marshal Logan war auf der Ranch. Warum hast du damals verhindert, dass Dave die kleine Ratte kalt machte?«

»Das interessiert doch nicht mehr, Kane. Der Junge lebt, und er ist hier, um seine Familie zu rächen. Und er hat angefangen, Nägel mit Köpfen zu machen. Was ist, Kane? Hast du das Geld auf der Ranch? Wenn nicht, solltest du mit mir in die Stadt reiten, um es abzuheben. Der Marshal hat mich gefragt, ob ich der fünfte Mann damals war. Ich will nicht für etwas gehängt werden, das fünfzehn Jahre zurückliegt.«

»Ich hab das Geld nicht auf der Ranch.«

»Dann wirst du mich in die Stadt begleiten müssen, Kane.« Blitzschnell zog Josh Donovan seinen Revolver und richtete ihn auf Henders. »Oder muss ich dir auf die Sprünge helfen.«

Henders stieß die Luft durch die Nase aus. »Ich komme mit dir, Josh. Ja, du kriegst dein Geld.«

Draußen erklangen Hufschläge. Kane Henders ging zum Fenster und schaute hinaus. Mit fahriger Geste fuhr er sich über die Augen, als wollte er das Bild, das ihm in die Augen sprang, wegwischen. Sein Gesicht wurde kantig. Rastlosigkeit sprach aus jedem seiner Züge. »Da kommen Dave und Pablo«, presste Henders zwischen den Zähnen hervor.

Donovan trat neben ihn ans Fenster. Im Hof verhielten fast ein Dutzend Reiter. Zwei von ihnen waren abgesessen und stapften durch den trocknenden Morast zum Haus. »Das darf doch wohl nicht wahr sein«, murmelte Henders und ging zur Tür. Er öffnete sie. Die beiden Ankömmlinge betraten das Haus.

Dave Smith' Vater war ein Comanche gewesen, seine Mutter Amerikanerin. Er war unter den Weißen aufgewachsen. Der Bandit war etwa eins fünfundsiebzig groß und untersetzt. Sein Gesicht war pockennarbig. Schwarze Haare quollen unter seinem Stetson hervor und fielen ihm bis in den Nacken. »Hallo, Kane, hallo Josh. Lange nicht gesehen.«

»Buenas tardes«, grüßte der Mexikaner und grinste breit. »Es ist schön, meine alten Amigos wieder einmal zu treffen. Hola, Josh! Du hast den Weg hierher also gefunden. Hast du von Bill und Kane Geld erhalten?«

»Bill hat gezahlt«, versetzte Donovan kühl. »Kane wird zahlen. Und nun, da dich wieder deiner Freiheit erfreust, werde ich auch von dir meinen Anteil einfordern.« Donovan richtete den Blick auf das Halbblut. »Das gilt auch für dich, Dave. Ich habe gehört, dass du Banken und Postkutschen überfällst. Sicher hast du genug Geld, um mich auszahlen zu können.«

Smith lachte. Schadhafte Zähne wurden sichtbar. »Wenn ich Geld habe, lasse ich die Puppen tanzen, Josh. Ich mache dir ein Angebot. Schließ sich mir an. Wir könnten ...«

»Vergiss es, Dave.«

»Was wollt ihr?«, fragte Kane Henders.

Das Halbblut antwortete: »Ich habe Pablo aus dem Gefängnis in San Angelo befreit. Er erzählte mir von Josh. Und wir entschlossen uns, dir und Bill einen Besuch abzustatten. Vielleicht braucht ihr Hilfe.«

»Bill ist tot.«

»Sag bloß«, stieß Santanta hervor.

»Erinnert ihr euch an die Sache vor fünfzehn Jahren auf der Pferdewechselstation bei Menard?«, fragte Henders.

»Ja, ich entsinne mich«, erwiderte das Halbblut.

»Der Junge, den wir damals am Leben ließen, ist aufgetaucht. Er hat Bill erschossen.«

»Maldito – verdammt!«, fluchte der Mexikaner. »Der Sheriff von San Angelo erzählte mir von dem Burschen. Befindet er sich noch in der Gegend?«

»Ja. Und ich rechne schwer damit, dass er auf die Ranch kommt. Er befindet sich auf der Flucht.«

»Sieht so aus, als wäre es notwendig, einige Zeit in der Gegend zu bleiben«, knurrte Dave Smith.

»Ihr werdet in Texas gesucht. In der Gegend treibt sich auch ein U.S. Marshal herum.«

Dave Smith verzog verächtlich den Mund. »Wenn er uns in die Quere kommt, blasen wir ihn auf den Mond.«

*


Ich sah zwei Männer aus dem Ranchhaus kommen. Sie stiegen auf ihre Pferde. Das Rudel ritt davon. Ich fragte mich, was das wohl für Kerle waren. Um Einzelheiten erkennen zu können, war ich zu weit von der Ranch entfernt.

Wenig später verließen Josh Donovan und Kane Henders das Gebäude. Henders ging in den Stall. Donovan wartete im Hof. Nach zehn Minuten etwa zog Henders ein gesatteltes Pferd in den Hof. Die beiden saßen auf und ritten nach Westen.

Ich folgte ihnen. Sie ritten in die Stadt. Als ich Bautista erreichte, sah ich Henders' Pferd vor dem Saloon stehen. Donovan hatte seinen Vierbeiner wahrscheinlich in den Mietstall gebracht. Auch ich ritt zum Mietstall. Der Stallmann kam mir auf dem Mittelgang entgegen. Ich übergab ihm mein Pferd und kehrte auf die Main Street zurück. Die Winchester trug ich links am langen Arm. Die Satteltaschen hatte ich mir über die Schulter gehängt.

Soeben kam Henders aus der Bank, die trotz der Ermordung des Bankiers geöffnet hatte. Er schritt schräg über die Straße und verschwand im Saloon. Ich brachte meine Satteltaschen ins Hotel, dann ging ich in den Saloon. In dem Moment, als ich die Stufen zum Vorbau hinaufstieg, trat Kane Henders ins Freie. Er hielt an, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Ich hatte die vier Stufen zum Vorbau überwunden und hielt ebenfalls an. »Donovan hat Ihnen sicher Bescheid gesagt, dass Ihr alter Freund Jackson tot ist«, sagte ich.

»Sie sollten Ihre Zeit nicht vergeuden und seinen Mörder jagen, Marshal«, versetzte Henders grollend.

»Ob es Mord war, muss sich noch herausstellen.«

»Es war Mord!«, stieß Henders mit Nachdruck hervor.

»Als nächstes wird Benbow versuchen, Sie zu erschießen«, sagte ich.

»Sollte er es wagen, auf die Ranch zu kommen, wird das sein Untergang sein.«

»Sie hatten heute Besuch, Mister Henders. Ein ganzes Rudel. Einer sah aus wie ein Mexikaner.«

»Sie haben die Ranch beobachtet?«

»Ja, denn ich vermutete, dass Ihnen Benbow einen höllischen Besuch abstattet.«

»Ich kann mir selber helfen, Marshal«, knurrte Henders, dann ging er weiter. Er schritt an mir vorbei, sprang vom Vorbau und band sein Pferd los. Dann saß er auf und ritt davon.

Ich betrat den Schankraum. Donovan saß an einem Tisch beim Frontfenster. Vor ihm stand ein Bier. Ich ging hin, zog mir einen Stuhl heran und nahm rittlings darauf Platz. Die Arme verschränkte ich auf der Stuhllehne. »Sie waren auf der Lake Meredith Ranch«, sagte ich. »Henders bekam Besuch von einem Rudel Reiter. Einer der Kerle, die ins Ranchhaus gingen, war ein Mexikaner. Wenig später ritten Sie zusammen mit Henders in die Stadt. Während Sie hier auf ihn warteten, hatte er etwas in der Bank zu erledigen. Haben Sie Geld von ihm bekommen?«

»Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht, Logan.«

»Es geht darum, drei Morde zu klären, die vor fünfzehn Jahren geschahen. Die Mörder waren zwei Amerikaner, ein Mexikaner und ein Halbblut. Benbow behauptet, dass es sich um Jackson, Henders, Santanta und Smith handelt. Der Name des fünften Mannes, der mit von der Partie war, ist unbekannt.«

Donovan winkte ab. »Jackson und Henders hatten eine alte Schuld bei mir zu begleichen. Ich habe bekommen, was ich von ihnen forderte. Wenn Sie mich für den fünften Mann halten, dann muss ich Sie enttäuschen, Marshal. Ich werde morgen Früh Bautista verlassen. Mein Ziel ist New Mex, vielleicht reite ich auch weiter ins Arizona Territorium. Irgendwo werde ich sicher einen Platz finden, an dem ich mich niederlassen kann.«

»Wer waren die Männer, die heute auf die Lake Meredith Ranch kamen? Handelte es sich um Santanta und Smith?«

»Finden Sie's heraus, Marshal.«

Ich erhob mich. »Es waren also Santanta und Smith«, murmelte ich. Dann schwang ich herum und verließ den Saloon.

*


Es war finster. Die Finsternis zwischen den Häusern mutete wie ein schwarzer Vorhang und undurchdringlich an. Aus dem Saloon drang verworrener Lärm auf die Straße. Die Männer der Stadt diskutierten die Ereignisse des Tages.

Josh Donovan trank sein Bier aus, ging zur Theke und bezahlte seine Zeche. Dann schritt er zum Ausgang. Auf dem Vorbau atmete er tief durch. Seine Lungen füllten sich mit frischer Luft. Die Main Street lag wie leergefegt vor Donovans Blick. Aus vielen Fenstern fiel Licht und streute auf die Gehsteige und Vorbauten. Der Geruch von Urin lag in der Luft. Der Wind brachte ihn von den Koppeln am Stadtrand her, in denen Schafe, Ziegen und Kühe standen.

Donovan schlug den Weg zum Hotel ein. Er besaß über zehntausend Dollar und war zufrieden. Von Pablo Santanta und Dave Smith war wohl nichts zu holen. Damit hatte sich Donovan abgefunden. Gegen den Mexikaner und das Halbblut hatte er keine Chance.

Als Donovan eine der finsteren Passagen passierte, war ein metallisches Knacken zu vernehmen, dann erklang eine leise Stimme: »Lass nur die Hand vom Revolver, Donovan. Oder ich besorge dir einen Freifahrtschein in die Hölle.«

Bei Donovan holte der Verstand den Reflex, der ihn zum Sechsschüsser greifen ließ, ein. Seine Wirbelsäule versteifte. »Wer bist du und was willst du?«

»Wir unternehmen einen kleinen Ritt, Donovan.«

Aus der Dunkelheit löste sich ein Schemen, die Gestalt nahm Formen an, Stiefelleder knarrte leise, Sporen klirrten melodisch. Donovan nahm eine zweite schattenhafte Gestalt wahr. Der Kerl trat hinter ihn und zog ihm den Revolver aus dem Holster. Dann drückte er ihm die Mündung des Revolvers zwischen die Schulterblätter und stieß hervor: »Vorwärts.«

Sie dirigierten ihn durch eine stockdunkle Gasse. Die Stadt endete. Bei einer Scheune standen vier Pferde. Ein dritter Mann befand sich bei den Tieren. »Aufsitzen!«, kommandierte einer der Kerle.

Wenig später ritten sie los. Donovan stellte keine Fragen. Er ahnte, was gespielt wurde. Zorn würgte ihn. Sie ritten über eine Stunde, dann erreichten sie eine Weidehütte. Ein niedriger Schuppen war angebaut. Die drei Kerle saßen ab und auch Donovan musste absteigen. Und dann bekam er einen Schlag gegen den Kopf. Die Welt schien vor seinen Augen zu explodieren. Er brach auf das linke Knie nieder, die Benommenheit kam wie eine graue, alles verschlingende Flut. Ein gurgelnder laut brach aus Donovans Kehle. Ein zweiter Schlag fällte ihn. Sein Denken riss.

Als Donovan wieder zu sich kam, brannte Licht. Er lag auf einer der grob aus Stangen zusammengezimmerten Bunks in der Weidehütte, seine Hände und Füße waren gefesselt. Die drei Kerle saßen am Tisch in der Raummitte.

Stechende Schmerzen durchzuckten Donovans Schädel. Er spürte Schwindelgefühl. Stück für Stück setzte die Erinnerung ein. Wie aus weiter Ferne vernahm er eine dunkle Stimme: »Er ist zu sich gekommen.«

Einer der Kerle erhob sich. Sein Schatten wurde groß und verzerrt gegen die Wand geworfen. Er trat an das Bett heran. »Na, Donovan, wie fühlst du dich?«

»Als hätte man mir den Schädel gespalten. Wer inszeniert dieses schäbige Spiel? Kane Henders?«

»Das wirst du sehen, Donovan. Morgen Früh ...«

Der Bursche setzte sich wieder. Donovan zerrte an den Handfesseln. Sie hielten stand. Seine Finger waren pelzig, denn die Schnüre schnitten tief in seine Handgelenke ein und das Blut konnte nicht mehr richtig in die Hände zirkulieren.

Donovan gab seine Bemühung, die Fessel zu sprengen, auf. Sein Schädel schmerzte. Immer wieder brandete die Benommenheit gegen sein Bewusstsein an. Er schloss die Augen und entspannt sich. Er musste es auf sich zukommen lassen.

Die Nacht lichtete sich. Der Morgen begann zu grauen. Die Natur erwachte zum Leben. Helligkeit kroch durch das glaslose Fenster in die Hütte. Einer der Kerle machte Feuer im gemauerten Herd. Dann kochte er Kaffee. Sie tranken das duftende Gebräu aus verbeulten Blechtassen, Donovan bekam nichts.

Hufschläge erklangen. Einer der Kerle ging hinaus. Stimmen waren zu hören. Dann betrat Kane Henders die Hütte. Sein harter Blick heftete sich auf Donovan. »Hast du wirklich geglaubt, ich schiebe dir über fünftausend Dollar in den Rachen und lasse dich ziehen?«

»Du bist eine dreckige Ratte, Kane.«

»Du kannst mich nicht beleidigen, Josh. Es war dumm von dir, nach Bautista zu kommen. Ein noch größerer Fehler war es, sich mit mir anzulegen.«

»Willst du mich umbringen lassen, Kane?«

»Ja. Nicht nur, dass du mir deinen Willen aufzwingen wolltest, du bist auch eine Gefahr für mich.«

Einer der Männer, die Donovan in der Nacht entführt hatten, trat an Henders heran und hielt ihm einen Packen Geldscheine hin. »Das Geld, das wir ihm abgenommen haben, Henders.«

Henders nahm es und schob es in die Innentasche seiner dunklen Jacke. »Wie es aussieht, habe ich sogar ein Geschäft gemacht, Josh. Bill braucht das Geld nicht mehr.«

»Es gefällt dir sicher auch nicht, dass Pablo und Dave aufgetaucht sind«, sagte Donovan. »Auch sie stellen eine Gefahr für dich dar.«

»Sie werden die Gegend wieder verlassen«, versetzte Henders achselzuckend und wandte sich seinen Männern zu. »Lasst ihn verschwinden. Dann kommt auf die Ranch und meldet mir Vollzug. Ich werde euch dann auszahlen. Aber sorgt dafür, dass er spurlos verschwindet.«

Henders ging wieder hinaus. Wenig später verkündeten trommelnde Hufschläge, dass er schnell wegritt.

»Was machen wir mit ihm?«, fragte einer der Kerle, die zurückgeblieben waren.

»Wir schießen ihm eine Kugel in den Kopf und verscharren ihn irgendwo«, erklärte ein anderer. »Kein Hahn wird nach ihm krähen.«

»Vielleicht sollten wir ihn sein Grab selbst ausheben lassen«, sagte der dritte der Männer. »Warum sollen wir diese Arbeit machen?«

»Du hast recht, Brad.« Der Sprecher zog ein Messer aus dem Stiefelschaft und zerschnitt Donovans Fesseln. Die anderen beiden zogen ihre Revolver und richteten sie auf ihn. Es knackte, als sie die Hähne spannten. »Versuch nur nichts«, warnte einer. »Indem wir dich dein Grab ausheben lassen, verschaffen wir dir noch eine kleine Galgenfrist. Wenn du aber auf krumme Gedanken kommst, fährst du augenblicklich in die Hölle.«

Sie bugsierten Donovan aus der Hütte. Einer holte eine Hacke und eine Schaufel aus dem Schuppen und gab die Werkzeuge an Donovan weiter. Hinter der Hütte geboten sie ihm, die Grube zu schaufeln.

Donovan begann zu arbeiten. Seine Gedanken wirbelten und suchten nach einem Ausweg. Aber angesichts der drohend auf ihn gerichteten Waffen war jeder Versucht, das Ruder herumzureißen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Bald rann ihm der Schweiß über das Gesicht. Stechmücken, vom süßlichen Schweißgeruch angezogen, schwirrten um seinen Kopf herum und piesackten ihn. Der Boden war hart. Donovans Hände fingen an zu brennen.

Plötzlich peitschten Schüsse. Die drei Kerle, die Donovan in Schach hielten, wurden herumgerissen und geschüttelt und brachen zusammen. Die Echos erweckten die Detonationen noch einige Male zum Leben, dann zerflatterten sie und versickerten zwischen den Hügeln.

Donovan warf die Schaufel fort, sprang aus der etwa knietiefen Grube, holte sich einen der Revolver und rannte geduckt in die Hütte. Neben der Tür blieb er stehen und äugte nach draußen. Hufschläge erklangen, sie näherten sich, dann kam der Reiter um einen Hügel herum.

Es war Jack Benbow. Er hatte die Winchester mit der Kolbenplatte auf seinen Oberschenkel gestellt und hielt sie am Schaft fest. Drei Pferdelängen vom Eingang der Hütte entfernt parierte er das Pferd und sagte: »Du kannst unbesorgt herauskommen, Donovan. Wenn ich dich hätte erschießen wollen, wärst du schon tot.«

Donovan trat vor die Tür. Er hatte die Hand mit dem Revolver gesenkt. Die Mündung der Waffe wies auf den Boden. »Dich hat der Himmel geschickt, Junge«, stieß Donovan hervor. »Die Kerle wollten mich kalt machen. Meine Chancen tendierten gegen null. Ohne dich wäre hier wohl mein Trail zu Ende gewesen.«

Jack Benbow saß ab und stieß die Winchester in den Scabbard. Steifbeinig ging er an Donovan vorbei in die Hütte. Er setzte sich an den Tisch. Donovan kam ebenfalls herein und blieb neben der Tür stehen. Er sagte: »Pablo Santanta und Dave Smith sind in der Gegend.«

»Das ist gut. Du warst damals dabei, Donovan, nicht wahr?«

»Ja. Aber ich habe keinen Schuss abgegeben. Vielmehr habe ich verhindert, dass dich Smith tötete. Und ich habe dich aus dem brennenden Haus geholt.«

»Aber du warst dabei.«

»Du willst dich also auch an mir rächen, Junge.«

»Du bist ein Mörder, Donovan.«

»Es stimmt. Ich habe gemordet. Aber das Blut deiner Angehörigen klebt nicht an meinen Händen. Alleine stehst du gegen Henders, Santanta und Smith auf verlorenem Posten, Junge. Lass mich dir helfen, die Schufte zur Verantwortung zu ziehen.«

»Ich kann dich nicht freisprechen von Schuld, Donovan«, murmelte Jack Benbow.

»Reden wir darüber, wenn meine ehemaligen Kumpane in der Hölle schmoren.«

»Warum willst du mir helfen?«

»Henders befahl den Kerlen, mich umzubringen. Ich vermute, dass Santanta und Smith mit ihm gemeinsame Sache machen. Die drei Kerle, die du erschossen hast, gehören zu Smith.«

»Einverstanden, Donovan. Aber am Ende werden wir beide uns unterhalten. Und ich denke, das letzte Wort werden die Revolver sprechen.«

*


Ich vermisste am Morgen Donovan beim Frühstück. Der Hotelier bestätigte mir, dass Donovan nicht vor mir dagewesen war. Ich ging zum Mietstall und fragte, ob er sein Pferd abgeholt hatte. Der Stallmann verneinte. Also kehrte ich ins Hotel zurück, ließ mir die Nummer des Zimmers sagen, das an Donovan vermietet worden war, und klopfte wenig später gegen die Tür.

Im Zimmer blieb es ruhig. Fragen begannen auf mich einzustürmen. Ich ließ mir das Zimmer aufsperren. Das Bett war unberührt. Mir war klar, dass Donovan das Zimmer in dieser Nacht nicht benutzt hatte.

Kurz entschlossen ging ich hinüber zum Saloon. Der Salooner schwang im Schankraum den Besen. Die Stühle standen auf den Tischen. Es roch nach kaltem Rauch und verschüttetem Bier. Ich erfuhr, dass Donovan gegen 22 Uhr den Saloon verlassen hatte.

Im Hotel schien er nie angekommen zu sein.

Mir wurde schlagartig klar, dass Donovan entführt worden war. Ich holte mein Pferd aus dem Mietstall und ritt zur Lake Meredith Ranch. Auf den Gräsern lag der Tau. Ich erreichte den Plum Creek und folgte ihm. Auf der Ranch bot sich mir das gewohnte Bild. Die Ranchhelfer versahen ihren Job. Vor dem Haupthaus saß ich ab, klopfte gegen die Tür und trat ein. Kane Henders stand an einem der Fenster. Jetzt wandte er sich mir zu. »Ich habe Sie schon kommen sehen, Logan.«

»Sicher ahnen Sie auch, was mich zu Ihnen führt?«

»Ich kann nicht hellsehen.«

»Donovan ist spurlos verschwunden.«

»Ich habe ihm gestern Geld gegeben. Er erzählte mir, dass er heute aus dem Landstrich reiten wollte. Josh ist sicher längst auf dem Weg nach Westen.«

»Sein Pferd steht noch im Mietstall. Kaum anzunehmen, dass er sich zu Fuß auf den Weg gemacht hat.«

»Das ist seltsam«, erklärte Henders. »In der Tat. Aber ich kann Ihnen nichts sagen, Marshal. – Warum suchen Sie nach Donovan? Wäre es nicht angebrachter, nach diesem Jack Benbow zu suchen, der Bill Jackson ermordet hat?«

»Sie müssen mir nicht sagen, was ich zu tun habe, Henders«, versetzte ich kalt, machte kehrt und verließ die Halle. Als ich über die Veranda ging, sah ich hinter einem Fenster der Mannschaftsunterkunft einen Mann stehen. Ein anderer zeigte sich beim Stalltor. Er hielt eine Winchester in beiden Händen, und an seinem Gürtel hing ein Holster mit einer Waffe. Mir war klar, dass sich Kane Henders mit einigen Leibwächtern umgeben hatte, für den Fall, dass Jack Benbow der Ranch einen Besuch abstattete.

Im Moment interessierte ich mich nur für Josh Donovan. Gedankenvoll stieg ich auf mein Pferd. Ich ritt von der Ranch und hatte keine Ahnung, was ich als nächstes unternehmen sollte. So entschloss ich mich, wieder die Ranch zu beobachten. Schon wenig später sah ich einen Reiter die Ranch verlassen. Er ritt nach Norden.

Kurzentschlossen folgte ich ihm. Ich war mir fast sicher, dass der Bursche von Henders in einer besonderen Mission losgeschickt worden war. Er ritt zu einer Weidehütte. Ich sah drei Pferde in einem kleinen Corral stehen. Die Tür der Hütte stand offen. Ich verhielt zwischen zwei Hügeln bei einer Gruppe von Büschen. Der Reiter stieg von seinem Pferd und betrat die Hütte. Im nächsten Moment kam er wieder heraus und schritt um die Hütte herum. Es dauerte nicht lange, dann erschien er wieder, warf sich auf sein Pferd und gab dem Tier die Sporen. Wie von Furien gehetzt jagte er den Weg zurück, den er gekommen war.

Ich ritt zu der Hütte hin. Hinter der Hütte fand ich drei Leichen. Ein Loch, das wohl ein Grab werden sollte, war knietief ausgehoben. Schaufel und Hacke lagen auf dem Haufen Erdreich neben der Grube.

Ich saß ab. Obwohl mir klar war, dass die Männer erschossen worden waren, untersuchte ich sie. Die Leichenstarre war schon fortgeschritten, und mir wurde klar, dass sie bereits seit einigen Stunden tot waren.

Ich fand eine Spur. Sie führte nach Westen. Deutlich zeichnete sie sich im staubigen Gras ab. Ich folgte ihr. Schon bald knickte die Fährte nach Süden ab. Ich war mir längst sicher, dass es zwei Reiter waren, die die Spur gezogen hatten. Sie waren nebeneinander geritten. Und ich war davon überzeugt, dass sie zur Ranch geritten waren.

Ich begann, die Zusammenhänge zu ahnen. Die drei Toten bei der Weidehütte gingen wohl auf das Konto von Jack Benbow. Bei den beiden Reitern, denen ich folgte, handelte es sich um Benbow und Josh Donovan.

Die Spur endete bei einem Weg, der aus zwei ausgefahrenen Wagenspuren bestand, zwischen denen ein etwa yardbreiter Streifen Gras wuchs. Ich zog mich auf einen Hügel zurück und wartete. Nach knapp zwei Stunden kam ein Rudel Reiter auf der Spur. Es waren Henders und ein halbes Dutzend seiner Männer. Ich zeigte mich ihnen nicht. Bei dem Weg trennten sie sich. Drei Reiter ritten nach Norden, vier – bei ihnen war Kane Henders –, wandten sich nach Süden. Die beiden kleinen Pulks verschwanden aus meinem Blickfeld.

Ich folgte der Gruppe, mit der Henders ritt. Sie kehrte auf die Ranch zurück. Zwei der Männer, die Henders begleiteten, nahmen ihre Gewehre und zogen sich in die Scheune und das Bunkhouse zurück. Der dritte ritt weiter nach Süden. Henders ging ins Haus. Ein Arbeiter kümmerte sich um die Pferde und brachte sie nacheinander in den Stall.

Ich folgte dem Reiter. Die Sonne kletterte höher und höher. Das Land war wieder trocken. Ein schraler Wind kam von Westen. Nach etwa einer Stunde war der Reiter am Ziel. Es war eine grasbewachsene Senke in der einige Zelte standen. In einem Seilcorral weideten fast ein Dutzend Pferde. Männer saßen oder lagen vor den Zelten; einige von ihnen rauchten. Nun erhob sich einer und ging dem Reiter entgegen. Dieser zügelte sein Pferd und beugte sich etwas im Sattel vor.

Es dauerte nicht lange, dann sprangen die Kerle auf, rannten zum Corral und sattelten ihre Pferde. Dann warfen sie sich auf die Tiere und stoben nach Norden. Henders' Bote ritt mit ihnen.

Es dauerte nicht lange, dann trieb ein Reiter sein Pferd zwischen den Hügeln weiter westlich hervor. Er ritt in die Senke. Ich erkannte ihn. Es war Josh Donovan. Er folgte dem Rudel. Ich ritt einen Bogen, bewegte mich im Schutz der Hügel, bei einer Buschgruppe hielt ich an, saß ab und zog die Winchester aus dem Scabbard. Donovan ritt in mein Blickfeld. Ich repetierte. Das schnappende Geräusch erreichte Donovan, er griff sofort nach dem Revolver, dann sah er mich und erstarrte mitten in der Bewegung.

Ich ging zu ihm hin. Das Gewehr hielt ich im Anschlag. Den Kolben hatte ich mir unter die Achsel geklemmt. Mein Zeigefinger lag um den Abzug.

Donovan entspannte sich und nahm die Hand vom Revolver. Ich blieb drei Schritte vor ihm stehen und sagte: »Sie waren spurlos verschwunden, Donovan, und ich machte mir Sorgen um Sie. Dann fand ich bei einer Weidehütte weiter nördlich ein halb ausgehobenes Grab und drei Tote. Und ich habe mir meinen Reim darauf gemacht. Wo ist Benbow?«

»Wir haben uns getrennt, denn wir nahmen an, dass Henders nach uns das Land durchkämmen lässt. Haben Sie die Bande gesehen, die in der Senke kampierte, Marshal? Es sind Pablo Santanta und Dave Smith mit ihren Outlaws. Der Bursche, der die Kerle mobilisierte, kam wahrscheinlich von Henders. Schätzungsweise spannt er die Bande vor seinen Karren, um mir und Benbow den Garaus zu machen.«

»Geben Sie's zu, Donovan«, sagte ich. »Sie waren damals auf der Pferdewechselstation der fünfte Mann.«

»Was ist, wenn ich ja sage?«

»Dann verhafte ich Sie wegen Mordes.«

»Von Jack Benbow weiß ich, dass der fünfte Mann nicht auf seine Angehörigen gefeuert hat«, sagte Donovan. »Er kam erst in die Station, als alles vorbei war. Er verhinderte, dass das Halbblut den Jungen tötete. Und er rettete den Jungen aus dem brennenden Haus.«

»Die Begleiter der Stagecoach wurden ermordet«, versetzte ich. »Und auf sie hat wohl auch der fünfte Mann geschossen.«

Donovan hatte die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen und kaute darauf herum. Dann sagte er gedehnt: »Jack Benbow und ich sind uns einig. Ich helfe ihm, die Mörder seiner Familie zur Rechenschaft zu ziehen. Auch ich habe eine Rechnung – vor allem mit Henders – zu begleichen.«

»Warum hat er Sie entführen lassen? Das Grab hinter der Hütte war für Sie gedacht, nicht wahr?«

Donovan nickte. »Es ist über zwölf Jahre her«, begann er dann. »Wir ritten zusammen; Bill Jackson, Kane Henders, Pablo Santanta, Steve Smith und ich. Wir waren ein wilder Haufe. In Mineral Wells überfielen wir die Bank. Einige beherzte Männer stellten sich uns in den Weg, als wir nach dem hold up aus der Stadt jagten. Mein Pferd wurde erschossen. Ich fiel den Bürgern in die Hände und wurde einige Wochen später zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Die zwölf Jahre saß ich bis auf den letzten Tag ab.«

Donovan machte eine kleine Pause und ließ seine Worte wirken.

Ich schwieg.

Schließlich sprach der Bursche weiter: »Als ich aus dem Zuchthaus entlassen wurde, hatte ich nichts als die hundertfünfzig Dollar, die ich bei meiner Einlieferung besaß. Ich kaufte mir in Fort Davis ein Pferd, ein Gewehr und einen Revolver und machte mich auf die Suche nach meinen ehemaligen Kumpanen. Wir hatten in Mineral Wells sechzigtausend Dollar erbeutet, mein Anteil an der Beute waren zwölftausend Dollar.«

»Von Jackson und Henders bekamen Sie das Geld«, sagte ich.

»So ist es. Aber Henders hegte Hintergedanken. Er ließ mich entführen und zu der Weidehütte bringen. Dort sollte ich spurlos verschwinden. Das werde ich ihm heimzahlen. Einer von uns erwischt ihn. Ich oder Jack Benbow. Wir haben uns getrennt, weil sich ein einzelner Mann in diesem Land leichter verstecken kann, außerdem kann einer von uns Henders‘ Leute ablenken während sich der andere den elenden Hundesohn vorknöpft.«

»Eine interessante Geschichte, Donovan. Nun weiß ich bestimmt, dass Sie der fünfte Mann waren. Ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes ...«

Donovan griff nach dem Revolver. Ich schoss ihn vom Pferd. Stöhnend lag er am Boden. Ich lud durch und ging, das Gewehr im Anschlag, zu ihm hin. Seine Schulter blutete. Den Revolver hatte er verloren. Er lag im Gras. Ich hob die Waffe auf und steckte sie in meinen Hosenbund. Dann holte ich mein Pferd ...

*


Ich verband Donovans Wunde und half ihm wieder ins Hemd und in die Weste. Donovan sagte mit schmerzgepresster Stimme: »Alleine steht der Junge auf verlorenem Posten, Marshal. Er wird ein gefundenes Fressen für diese Aasgeier sein. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich mich, wenn alles vorbei ist, freiwillig stelle.«

»Sie sind ein viel zu wichtiger Zeuge gegen Henders, Santanta und Smith, als dass ich zulassen könnte, dass Sie Ihr Leben in die Waagschale werfen, Donovan«, versetzte ich. »Ich bringe Sie nach Bautista. Dort wird Ihnen der Arzt die Kugel aus der Schulter holen, und ich werde dafür sorgen, dass Sie einige Männer der Bürgerwehr nach Amarillo schaffen.«

Ich half Donovan auf die Beine. Stöhnend kletterte er aufs Pferd. Seinen linken Arm konnte er kaum einsetzen. Auch ich saß auf. Dann ritten wir. Es war spät am Nachmittag, als wir Bautista erreichten. Ich brachte Donovan zum Arzt. Die Operation dauerte eine halbe Stunde. Die Wunde wurde fachmännisch versorgt. Ich brachte Donovan in den Mietstall und kettete ihn mit einer Handschelle an eine eiserne Futterraufe in einer der Boxen. Der Stallmann schaute mir zu. Ich wandte mich an den Burschen und fragte: »Verfügt der Ort über eine Bürgerwehr?«

»Sicher, Marshal. Bill Jackson selbst hat sie organisiert. Führer der Bürgerwehr ist Jeremiah Olson, unser Schmied. Warum fragen Sie?«

»Ich brauche ein paar Männer, die Donovan nach Amarillo schaffen.«

Der Stallmann kratzte sich hinter dem Ohr. »Reden Sie mit Olson. Sie brauchen nur den Hammerschlägen zu folgen.«

Ich verließ den Stall. Die hellen Hammerschläge wiesen mir in der Tat den Weg. Wenig später bog ich in den Hof der Schmiede ein. Die Werkstatt verfügte über ein großes Tor, das geöffnet war. An einem Amboss stand der Schmied und bearbeitete mit einem schweren Hammer ein glühendes Eisen. Als er mich sah, hielt er inne, schob das Eisen in die Glut in der Esse und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus den Augen. Dann fixierte mich fragend.

»Sie sind Führer der Bürgerwehr?«, fragte ich.

Er nickte. »Aber wir vertreten nur die Interessen der Stadt.«

»Das ist klar.« Nach diesen Worten erklärte ich dem Mann mein Anliegen. Er spitzte die Lippen. Dann erwiderte er: »Natürlich helfen wir Ihnen, Marshal. Ich werde einige Männer fragen. Sicher erklärt sich der eine oder andere bereit, den Gefangenen nach Amarillo zu schaffen. Wo finde ich Sie?«

»Ich gehe in den Saloon und esse zu Abend«, antwortete ich. »Dort finden Sie mich auch.«

»Hölle, Marshal, was wird gespielt in Bautista? Ist was daran an der Geschichte, dass Jackson und Henders früher mal in einer Mörderbande ritten?«

»Ja, sie haben eine Menge auf dem Kerbholz. Donovan gehörte dazu. Nach dem Essen werde ich mich auf den Weg machen, um Henders zu verhaften. Ich muss versuchen, dem jungen Benbow zuvorzukommen und zu verhindern, dass der Bursche weiterhin das Gesetz in seine Hände nimmt.«

Ich ging in den Saloon. Dort aß ich. Nachdem ich mit dem Essen fertig war und mir eine Zigarette gedreht hatte, kam der Schmied. Er setzte sich zu mir an den Tisch. »Drei Männer haben sich bereit erklärt, Donovan nach Amarillo zu bringen. Werden Sie ihnen eine Nachricht für den Sheriff mitgeben?«

»Sicher.«

»Sie wollen morgen Früh aufbrechen.«

»Das ist gut«, sagte ich. »Ich werde einen Brief für den Sheriff schreiben.«

»Was haben Sie vor, Logan?«

»Ich werde zur Lake Meredith Ranch reiten und mir Henders holen. Sicher sind Ihre Männer bereit, gegebenenfalls auch zwei Männer nach Amarillo zu schaffen.«

»Gewiss werden Henders' Männer etwas dagegen einzuwenden haben, dass Sie ihn verhaften.«

»Henders ist ein Mörder. Wer sich auf seine Seite schlägt, muss damit rechnen, als Bandit behandelt zu werden.«

Ich sprach es mit aller Entschiedenheit. Der Schmied ließ mich wieder allein. Ich ließ mir vom Salooner etwas zum Schreiben geben, dann setzte ich eine Nachricht für Duncan O'Leary, den Countysheriff in Amarillo, auf. Das Schreiben brachte ich dem Schmied. Dann ging ich in den Mietstall und betrat die Box, in der Donovan auf dem Boden saß. »Sie werden morgen Früh nach Amarillo gebracht, Donovan«, sagte ich. »Sobald ich zurück sein werde, will ich mit dem Richter sprechen und ein gutes Wort für Sie einlegen. Vielleicht schickt er Sie nicht unter den Galgen. Voraussetzung ist natürlich, dass Sie ein Geständnis ablegen und gegen Ihre früheren Kumpane aussagen. Werden Sie das tun?«

»Darauf können Sie einen Monatslohn verwetten, Logan. Ich weiß aber nicht, ob ich den Tod nicht einem Leben im Zuchthaus vorziehe. Ich war zwölf Jahre in den Steinbrüchen von Fort Davis. Es ist die Hölle. Ein Mann ist dort lebendig begraben. Ich glaube, ich ziehe es vor, gehängt zu werden. Der Tod ist sicher gnädiger als die nächsten zwanzig oder dreißig Jahre Steine zu klopfen.«

Als ich auf die Main Street ritt, waren die Schatten lang. Bis ich die Lake Meredith Ranch erreichte, würde es finster sein. Ich wollte die Nacht zu meinem Partner machen. In dem Bewusstsein, dass außer Kane Henders noch zwei weitere Mörder und Räuber in diesem Landstrich frei herumliefen, ritt ich nach Osten. Ich wollte sie alle. Während ich ritt, fragte ich mich, was wohl der junge Benbow vorhatte. Ich vermutete, dass ihn Santanta und Smith sowie deren Bande jagten.

Die Sonne senkte sich hinter den Horizont. Das grelle Licht, das auf den Hügelkuppen lag, verschwand. Grauer Dunst kroch aus den Einschnitten zwischen den Hügeln und hüllte die Kämme ein. Über dem westlichen Horizont hatte sich der Himmel schwefelgelb verfärbt. Es roch nach Regen und ich schätzte, dass es in der Nacht wieder regnete. Aber das kam meinen Absichten nur entgegen.

Die Nacht vertrieb den Tag nach Westen. Die Natur verlor ihre Farben. Erste Sterne blinkten. Ihr Licht reichte nicht aus, um mir zu leuchten. Der Mond war noch hinter den Hügeln im Osten verborgen.

Schließlich lag die Ranch vor mir. Aus dem Haupthaus und der Mannschaftsunterkunft fiel Licht. Ich ritt weiter und lenkte mein Pferd durch das hohe Galgentor, auf das ein Schild mit dem Namen der Ranch genagelt war, in den Ranchhof. Beim Haupthaus hielt ich an und saß ab. Erste schwere Regentropfen fielen vom Himmel. Der Wind hatte sich verstärkt. Ich band mein Pferd an den Haltebalken, nahm das Gewehr und stieg auf die Veranda. Dann klopfte ich gegen die Tür und öffnete sie, ohne die Aufforderung zum Eintreten abzuwarten. Henders saß in einem der Sessel und hatte die Beine übereinandergeschlagen. Bei ihm befand sich ein Mann Mitte der dreißig, der gekleidet war wie ein Cowboy. Die beiden starrten mich an.

Henders' Stimme sprengte die Stille, die nach meinem Eintreten den Raum erfüllte. »Hallo, Marshal. Was führt Sie auf die Lake Meredith Ranch?«

Ich richtete das Gewehr auf Henders. »Ich verhafte Sie im Namen des Gesetzes, Henders«, stieß ich hervor und schaute den anderen Burschen an, der Henders Gesellschaft geleistet hatte. »Wer sind Sie?«

»Bob Slaughter, der Vormann der Ranch.«

»Sie sollten sich raushalten«, sagte ich. »Ihr Boss ist ein Räuber und Mörder. Auf ihn wartet in Amarillo der Galgen.«

»Haben Sie Beweise für Ihre Beschuldigungen, Logan?«, schnappte Henders. Seine Augen spiegelten das Licht wider. Er starrte mich an wie ein Reptil.

»Josh Donovan befindet sich in Bautista im Gewahrsam der Bürgerwehr. Er hat ein Geständnis abgelegt und damit Sie, Jackson, Santanta und Smith belastet, Henders. Donovan ist bereit, seine Aussage vor Gericht zu wiederholen. Mister Slaughter, lassen Sie ein Pferd für Henders satteln. Ich nehme ihn mit in die Stadt.«

Fragend starrte der Vormann seinen Boss an.

»Es ist so«, bekräftigte ich meine Worte von eben. »Also tun Sie, was ich Ihnen sage.«

Wie von Schnüren gezogen erhob sich der Vormann und ging hinaus. Henders schürzte die Lippen und sagte mit kehliger Stimme: »Glauben Sie im Ernst, dass Sie das schaffen, Logan?«

»Sie verlassen sich schätzungsweise zu sehr auf Ihre Freunde Santanta und Smith. Aber freuen Sie sich nicht zu früh, Henders. In der Stadt weiß man Bescheid. Von dieser Seite haben Sie keine Unterstützung zu erwarten. Und da Ihre Arbeiter und Cowboys nichts mit Ihren früheren Machenschaften zu tun haben, erwarte ich auch von deren Seite keine Probleme.«

Es dauerte zehn Minuten, dann kam der Vormann zurück. »Das Pferd ist reitfertig.«

»Gehen wir, Henders«, gebot ich.

Der Rancher ging vor mir her aus dem Haupthaus. Ich wartete, bis er aufgesessen war, dann stieg auch ich aufs Pferd und wir verließen die Ranch.

*


In der Zwischenzeit war der Mond aufgegangen und lichtete die Nacht. Es hatte aufgehört zu regnen. Irgendwo in der Ferne bellten Coyoten. Das leise Säuseln des Windes erfüllte die Nacht. Am Himmel zogen vereinzelt Wolken, Wolkenschatten glitten über den Boden. Die Hügel rundum muteten an wie riesige, schlafende Raubtiere.

Henders ritt eine Pferdelänge vor mir. Man konnte etwa hundert Yards weit sehen. Manchmal klirrte es, wenn ein Huf gegen einen Stein stieß.

Plötzlich vernahm ich trappelnden Hufschlag. »Anhalten!«, kommandierte ich. Unsere Pferde standen. Das Tier, auf dem Henders saß, peitschte mit dem Schweif. Und dann sah ich den Reiter. Er löste sich aus der Dunkelheit und kam näher. Das Pferd prustete. Dann wurde es gezügelt. »Ich sah Sie auf die Ranch reiten, Marshal. Und dann sah ich sie mit Henders die Ranch verlassen.«

Es war Jack Benbow.

»Dann müssen Sie aber ziemlich nahe gewesen sein«, bemerkte ich.

»Ich befand mich beim Brunnen. Sie sind mir zuvorgekommen, Marshal.«

»Henders wird seine gerechte Strafe erhalten«, sagte ich. »Donovan hat ein Geständnis abgelegt. Er war dabei damals, als Ihre Angehörigen getötet wurden, und ist bereit, seine Aussage vor Gericht zu wiederholen.«

»Wir ritten ein Stück gemeinsam.«

»Donovan hat es mir erzählt. Santanta und Smith machen Jagd auf Sie.«

»Wie sieht es mit Ihnen aus, Marshal? Suchen Sie mich auch? Schließlich habe ich Jackson in die Hölle geschickt.«

»Sie werden sicher behaupten, in Notwehr geschossen zu haben«, erklärte ich.

»So ist es auch. Er hatte in einem Schub eine Waffe versteckt und wollte sie herausholen.«

In dem Moment ertönte wieder Hufgetrappel. Es schlug heran wie eine Botschaft von Unheil und Verderben. »Das sind entweder die Reiter der Lake Meredith Ranch«, gab ich zu verstehen, »oder die es ist die Bande von Santanta und Smith.«

»Reiten Sie weiter, Marshal«, rief Benbow. »Ich werde die Kerle ein wenig an der Nase herumführen.«

»Sie sollten sich stellen, Benbow«, sagte ich. »Es stimmt: Einer der Schübe von Jacksons Schreibtisch war aufgezogen, und in dem Schub lag ein Derringer. An Ihrer Geschichte wird es nichts zu rütteln geben.«

»Ich habe geschworen, die Mörder meiner Angehörigen zu jagen und zur Rechenschaft zu ziehen«, versetzte Benbow. »Zwei von Ihnen laufen noch frei herum. Erst wenn sie tot oder hinter Schloss und Riegel sind, werde ich mich Ihnen stellen, Marshal.«

Benbow zog sein Pferd um die linke Hand und ritt in die Dunkelheit hinein.

Wie fernes Donnergrollen trieben die Hufschläge heran. »Weiter, Henders«, gebot ich. In dem Moment trieb der Rancher sein Pferd an. Es rammte meinen Vierbeiner, dieser wieherte und stieg erschreckt auf die Hinterhand, und ich hatte Mühe, mich im Sattel zu halten. Henders hämmerte seinem Tier die Absätze in die Seiten und stob den Weg zurück, den wir gekommen waren. Ich brachte mit stählerner Hand mein Pferd unter Kontrolle und folgte ihm. Er hatte nur wenige Pferdelängen Vorsprung. Unerbittlich trieb ich mein Pferd an. Ich hörte Henders spitze Schreie ausstoßen, mit denen er sein Tier anfeuerte. Er peitschte es mit dem langen Zügel. Die Pferde flogen regelrecht dahin. Der prasselnde Hufschlag schluckte alle anderen Geräusche.

Plötzlich jagte aus der Dunkelheit ein Reiter in einem spitzen Winkel auf Henders zu. Henders wollte ausweichen, doch da war der Reiter schon heran und warf sich im vollen Galopp vom Sattel aus auf den Rancher. Er riss ihn vom Pferd, die beiden rollten über den Boden. Dann war ich auch schon heran und riss mein Pferd zurück. »Du verdammter Hund!«, hörte ich Henders keuchen. Er warf sich auf den anderen. Ich vernahm die Hufschläge des näherkommenden Rudels und musste mich entschließen.

Henders und Benbow rollten eng umschlugen über den Boden. Ich sprang vom Pferd. Henders kam auf Benbow zu liegen und erhob sich auf die Knie. Er zog mit der rechten Faust aus, um sie Benbow gegen den Kopf zu schmettern. Ich riss ihn zurück. Mit einem Aufschrei fiel Henders auf den Rücken. Benbow kam hoch. »Verschwinden Sie!«, zischte ich.

Der junge Bursche rannte zu seinem Pferd und warf sich in den Sattel. »Hüh!« Das Tier streckte sich. Benbow stob in die Nacht hinein. Die Nacht schien ihn zu schlucken. Die Hufschläge wurden leiser.

»Hoch mit Ihnen, Henders«, stieß ich hervor.

Er kam hoch und warf sich auf mich. Und es gelang ihm, mich zu überrumpeln. Sein Knie traf mich in den Leib. Mir entrang sich ein Stöhnen und ich krümmte mich. Stechender Schmerz fuhr bis unter meine Schädeldecke, Übelkeit kroch in mir hoch. Der gemeine Stoß presste mir die Luft aus den Lungen.

Henders setzte nicht nach, sondern warf sich herum und lief zu meinem Pferd. Wahrscheinlich wollte er in den Besitz meines Gewehres gelangen. Ich überwand augenblicklich meine Not und stieß mich ab, und in dem Moment, als er nach meinem Gewehr griff, erreichte ich ihn und riss ihn zu Boden. Ein gefährliches Grollen stieg aus seiner Kehle. Sein Bein sichelte herum und traf mich am Oberschenkel. Schmerzhaft zog sich mir der Muskel zusammen. Mein Bein knickte ein, aber ich richtete mich sofort wieder auf. Blitzschnell zog ich den Revolver. Und als Henders hochkam, schlug ich ihm den Lauf gegen die Schläfe. Wie vom Blitz getroffen brach er zusammen.

Ich atmete tief durch, holsterte den Remington und holte Henders' Pferd, dann wuchtete ich den schweren Körper quer über den Pferderücken, holte auch mein Pferd und saß auf. Das Pferd mit dem Bewusstlosen auf dem Rücken am langen Zügel führend ritt ich davon.

Das Peitschen eines Schusses holte mich ein. Die Detonation wurde von den Echos vervielfältigt. Das Hufgetrappel brach ab ...

*


Jack Benbow hatte einen Schuss in die Luft abgefeuert. Die Reiter parierten die Pferde. Auf der Kuppe eines Hügels war die Reitergestalt zu sehen. Scharf hob sie sich gegen den helleren Hintergrund ab.

»Wer mag das sein?«, fragte einer der Reiter.

»Wir trennen uns«, sagte ein anderer. »Ein Teil der Mannschaft folgt dem Marshal, der andere versucht den Kerl zu schnappen.«

Der Pulk riss auseinander. Es waren acht Reiter. Vier ritten weiter in Richtung der Stadt, die anderen lenkten ihre Pferde in die Richtung des Hügels, auf dem sich der Reiter befand. Er zog jetzt sein Pferd herum und verschwand.

Die Nacht war voll vom trommelnden Hufschlag ...

*


Auf Umwegen erreichte ich die Stadt. Von Verfolgern hatte ich nichts mehr gehört. Ich machte mir Sorgen wegen Jack Benbow. Es war ein Spiel mit dem Feuer, das er trieb. Aber er war derart besessen von dem Gedanken, seine Familie zu rächen, dass er Worten nicht zugänglich war.

Nur noch aus wenigen Häusern fiel Licht. Der Saloon hatte noch geöffnet. Stimmendurcheinander trieb auf die Straße. Die Dunkelheit zwischen den Häusern schien Unheil zu versprechen. Henders war wieder zu sich gekommen und ritt vor mir. Er hatte nichts mehr versucht.

Plötzlich trat ein Mann aus der Dunkelheit einer Passage. Er kam ins Mondlicht, in dem die Main Street lag. Matt schimmerten die Stahlteile der Winchester in seinen Händen. Ein kaltes Knacken ertönte, als er repetierte. Er hing für Bruchteile von Sekunden in der Luft.

Auch hinter mir knackte es. Ich drehte den Kopf. Ein Mann schritt zwischen den Häusern hervor. Auch er hielt ein Gewehr in den Händen. Und links von mir ertönte es aus der Finsternis: »Halt nur die Hände ruhig, Marshal. Ich kann dich im Mondlicht gut sehen. Wenn du nach der Waffe greifst, stirbst du.«

»Seid ihr Reiter der Lake Meredith Ranch?«

»Nein. Wir lagerten in der Nähe der Ranch. Man hat uns informiert, dass du Henders festgenommen hast.«

»Wer sind Sie? Dave Smith?«

»Richtig, Marshal. Kane Henders ist ein alter Freund von mir. Ich kann nicht zulassen, dass er vor Gericht gestellt wird und vielleicht redet.«

Ich begriff. Der Worte waren genug gewechselt. Die Absicht der Banditen war klar. Ich griff nach dem Remington und ließ mich aus dem Sattel kippen. Der Knall der Schüsse stieß durch die Stadt. Die Häuserwände warfen die ineinander verschmelzenden Detonationen zurück. Hunde begannen wie verrückt zu bellen. Ich rollte herum. In der Finsternis blitzte es auf. Ich feuerte auf das Mündungsfeuer. Trampelnde Schritte erklangen. Dann erhob sich trommelnder Hufschlag. Die Detonationen waren verhallt. Die Stille senkte sich wie ein Leichentuch in die Stadt.

Ich erhob mich.

Aus dem Saloon rannten Männer. Stimmen wurden laut. Henders lag im Schmutz. Ich ging zu ihm hin und beugte mich über ihn. Die Männer aus dem Saloon näherten sich mir. Fenster wurden hochgeschoben. Jemand kam mit einer Laterne in der Hand aus einem der Häuser. Die Lampe schwankte am Drahtbügel. Licht und Schatten wechselten auf der Straße. Dann fiel das Licht auf Henders. Er lebte. »Verdammt, Logan«, murmelte er mit kaum hörbarer Stimme. »Das – das habe ich Ihnen zu verdanken. Ich – ich ...« Henders bäumte sich auf, fiel zurück und starb.

In der Nähe rief ein Mann. »Da liegt einer. Er ist tot.«

Ich hatte also einen der Banditen erledigt.

»Haben Sie Henders erschossen, Logan?«, fragte ein Mann in der Reihe der Neugierigen, die einen Kreis um uns gebildet hatten.

»Nein. Das waren seine ehemaligen Kumpane.« Wie ein Fieberschauer durchrann mich der Gedanke an Josh Donovan. Ich richtete mich auf und schritt zum Mietstall. Das Tor war geschlossen. Ich hob den Riegel aus der Verankerung und betrat den Stall, zündete die Laterne an, die neben dem Stalltor an einem Nagel hing und ging zu der Box, in der ich Donovan an die Futterraufe gefesselt hatte.

Erleichtert registrierte ich, dass er unversehrt war. Woher hätten die Banditen auch wissen sollen, dass er mein Gefangener war und von mir im Stall festgehalten wurde? Seine Augen glitzerten im Licht. »Was waren das für Schüsse?«

Ich klärte den ehemaligen Banditen mit wenigen Worten auf. Nachdem ich geendet hatte, sagte Donovan: »Santanta und Smith werden herausfinden, dass auch ich Ihr Gefangener bin. Sie werden versuchen, mich zum Schweigen zu bringen.«

»Die Banditen wissen nicht, dass Sie mein Gefangener sind.«

»Vielleicht beobachten sie die Stadt. Und dann wird ihnen nicht verborgen bleiben, dass ich mich in Ihrer Hand befinde. Spätestens morgen Früh, wenn wir nach Amarillo aufbrechen, werden sie wissen, was Sache ist.«

»Vorausgesetzt, sie beobachten die Stadt.«

»Davon gehe ich aus, nachdem Sie sich hier befinden, Marshal. Santanta und Smith überlassen nichts dem Zufall. Sie müssen das Gesetz fürchten. Darum werden Sie versuchen, Ihnen zuvorzukommen.«

»Ich werde darauf eingestellt sein«, versetzte ich.

»Gegen eine Kugel aus dem Hinterhalt sind auch Sie nicht gefeit, Logan. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Lassen Sie mich frei. Ich werde Ihnen helfen, die Bande zu zerschlagen.«

»Was erwarten Sie sich davon? Denken Sie, ich lasse Sie laufen? Sie sind ein Mörder.«

»Wenn alles vorbei ist ...«

»Nein, Donovan«, unterbrach ich ihn, schwang herum und verließ den Stall. Auf der Straße schien sich jetzt jeder, der zwei Beine hatte und laufen konnte, eingefunden zu haben. Murmeln und Raunen erhob sich. Der Schmied trat an mich heran und sagte: »Wenn seine ehemaligen Kumpane Henders erschossen haben, dann werden sie auch versuchen, Donovan zum Schweigen zu bringen. Ich denke, dass sich die drei Männer, die sich bereit erklärt haben, ihn nach Amarillo zu bringen, auf ein Himmelfahrtskommando begeben.«

»Natürlich kann ich sie nach allem, was geschehen ist, nicht zwingen, den Job zu machen«, erklärte ich. »Allerdings wissen Santanta und Smith nicht, dass Donovan mein Gefangener ist und sich in der Stadt befindet.«

»Die Männer werden zu ihrem Wort stehen und Donovan nach Amarillo überführen«, murmelte der Schmied.

Ich verbrachte die Nacht im Mietstall. Es war noch finster, als ich draußen Geräusche vernahm. Das Stalltor knarrte, als es geöffnet wurde. Ich erhob mich und hielt das Gewehr mit beiden Händen. Die Kontur eines Mannes hob sich gegen den helleren Hintergrund außerhalb des Stalles ab. »Wer ist da?«, fragte ich.

»Mein Name ist Meacham. Wir sollen den Gefangenen nach Amarillo bringen.«

Ich senkte das Gewehr, ging zum Tor und zündete die Laterne an. Drei Männer waren in den Stall gekommen. Sie waren mittleren Alters. Draußen standen ihre Pferde. Wir sattelten Donovans Pferd, dann befreite ich den Burschen von der Futterraufe und fesselte seine Hände vor dem Leib. »Sie machen einen Fehler, Marshal«, murmelte der ehemalige Bandit.

»Vielleicht«, antwortete ich. »Aber Sie können nicht von mir verlangen, dass ich mit einem Mörder gemeinsame Sache mache.«

Donovan biss die Zähne zusammen. »Kompromisse gehen Sie wohl nicht ein, wie?«

»Nein, Donovan. Es gibt Situationen im Leben, die keine Kompromisse zulassen.«

Wenig später ritt der kleine Pulk davon. Ich blickte ihnen hinterher und hatte kein gutes Gefühl.

*


Jack Benbow schleppte sich dahin. Eine Kugel hatte seinen linken Oberarm durchschlagen. Sein Pferd hatte er verloren. Es war geflohen, als er sich seinen Verfolgern stellte und ihnen einen Kampf lieferte. Der Lärm hatte das Tier in Panik versetzt und es hatte sich losgerissen.

Benbow hatte um die Wunde sein Halstuch gebunden. Er befand sich südlich der Stadt. Im Schutz der Dunkelheit war er seinen Verfolgern entkommen. Er fühlte sich wie gerädert. Seine Füße brannten. Durst plagte ihn.

Der Morgen graute. Es war die Stunde, in der sich die Jäger der Nacht zur Ruhe begaben. Es war frisch und Benbow fröstelte es. Er hatte Blut verloren und der Blutverlust schwächte ihn. Plötzlich vernahm er Hufschläge. Es waren mehrere Pferde, die im Schritt gingen. Jack Benbow wartete hinter einem Strauch. Vier Reiter schälten sich aus der Dunkelheit. Einen Moment dachte der junge Bursche daran, dass es sich um seine Verfolger handelte. Sie zogen an ihm vorüber und er erkannte Donovan. Einer jähen Eingebung folgend nahm er das Gewehr an die Hüfte und rief rau: »Stopp! Keine falsche Bewegung! Wer zur Waffe greift, schluckt Blei.«

Die Reiter zügelten. Die Geräusche nahmen ab.

Donovan lauschte den Worten hinterher. Sein Herzschlag hatte sich beschleunigt. Plötzlich aber fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er rief: »Bist du es, Junge?«

»Ja.«

»Dich schickt der Himmel.«

»Ihr drei – absitzen!«, befahl Benbow.

Die drei Männer riskierten nichts. Sie stiegen von den Pferden und traten von den Tieren weg.

Donovan sagte: »Einer von ihnen hat den Handschellenschlüssel.«

»Schließ seine Fessel auf.«

Augenblick später war Donovan frei. Er saß ab und ließ sich von einem der Männer den Revolver geben. »Verschwindet«, stieß er dann hervor. »Und bestellt dem Marshal Grüße von mir. Sagt ihm, dass ich meine Taten bereue, dass ich aber nicht wild darauf bin, gehängt zu werden. Und nun schwingt die Hufe, Hombres.«

Die drei Männer aus der Stadt setzten sich in Bewegung. Als sie weit genug weg waren, trat Benbow hinter dem Strauchwerk hervor. »Ich habe mein Pferd verloren. Ich weiß nicht genau, wer es war, die mich jagten, nehme aber an, dass es sich um die Leute von Santanta und Smith gehandelt hat.«

»Henders ist tot«, sagte Donovan. »Smith und Santanta haben ihn zum Schweigen gebracht.«

»Ich traf ihn und den Marshal in der Nacht«, erwiderte Benbow. »Da erfreute sich Henders noch bester Gesundheit.«

»Sie haben die beiden in Bautista erwartet.«

»Was ist mit dem Marshal? Haben sie ihn auch erschossen?«

»Logan lebt.«

Jack Benbow stieg auf eines der Pferde. »Reiten wir.«

*


Die drei Männer kamen in die Stadt zurück. Ich erfuhr, dass Jack Benbow Donovan befreit hatte, ließ mir den Platz beschreiben, an dem Benbow den Männern aufgelauert hatte, dann ritt ich los. Es war jetzt hell. Ich fand die Stelle. Die Spur mehrerer Pferde führte nach Nordosten. Ich folgte ihr. Als ich in die Nähe der Lake Meredith Ranch kam, sah ich aus einer Hügellücke Reiter kommen. Es waren vier. Sie sahen mich im selben Moment, zerrten an den Zügeln und verhielten. Dann zogen sie die Pferde herum und ritten zurück zwischen die Hügel.

Ich hatte keine Ahnung, ob es sich um Reiter der Ranch oder um Banditen handelte. Langsam ritt ich weiter. Meine Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Ich hatte das Gefühl, von tausend Augen beobachtet zu werden. Zwischen den Schulterblättern verspürte ich ein unangenehmes Kribbeln. Der Tod schien allgegenwärtig zu sein.

Ich ritt weiter auf der Spur. Langsam richtete sich das Gras wieder auf. Plötzlich schnaubte mein Pferd. Ich hielt an und ließ meinen Blick in die Runde schweifen. Nach einigen Sekunden trieb ich das Pferd mit einem Schenkeldruck an. Ich verließ die Spur und wandte mich nach Westen, wo ich zwischen die Hügel ritt. Hinter einer der Anhöhen band ich mein Pferd an einen Strauch, nahm das Gewehr und rannte den Abhang empor. Oben ging ich in Deckung.

Wie ausgestorben lag das Terrain vor mir. Doch ich ließ mich von der Ruhe, die über allem lag, nicht täuschen. Die vier Reiter hatten mich gesehen. Und wahrscheinlich hatten sie etwas zu verbergen. Warum sonst waren sie mir ausgewichen?

Und dann sah ich einen der Kerle. Er verhielt in einem Einschnitt zwischen den Hügeln. Sie hatten sich also getrennt. Ich wartete ab. Der Bursche setzte sein Pferd in Bewegung und ritt in die Senke. Er hielt das Gewehr in der Rechten und hatte es quer über dem Mähnenkamm seines Pferdes liegen. Er drehte den Kopf mal in diese, mal in jene Richtung.

Ich huschte davon. Im Schutz des Hügelkammes rannte ich ein Stück nach Norden, lief einen Abhang hinunter und überquerte einen Bergsattel. Dann gelangte ich zwischen zwei Steilhänge, in denen Büsche wucherten, und ich wartete. Pochende Hufschläge näherten sich mir. Dann kam der Reiter in mein Blickfeld. Er hatte sich den Hut tief in die Stirn gezogen. Sein Gesicht lag im Schatten der Hutkrempe.

Ich trat aus meiner Deckung. Der Bursche erschrak und riss das Gewehr an die Hüfte. Aber er begriff, dass ich wohl schneller sein würde als er und ließ das Gewehr fallen, als wäre es plötzlich glühendheiß geworden. Seine Hände zuckten in die Höhe. »Nicht schießen!«

»Reiten Sie für die Lake Meredith Ranch?«, fragte ich.

Einen Moment zauderte der Bursche mit der Antwort, dann nickte er: »Ja. Ich bin auf der Suche nach verirrten Rindern.«

»Ziehen Sie vorsichtig den Revolver aus dem Holster und werfen Sie ihn auf den Boden«, gebot ich. »Und dann steigen Sie ab. Vorwärts!«

Mit zwei Fingern zog er den Sechsschüsser aus dem Futteral und ließ ihn fallen. Dann saß er ab. Ich ritt einen kleinen Halbkreis und näherte mich seinem Pferd von hinten. Das Tier trug nicht das Brandzeichen der Lake Meredith Ranch. »Sie lügen«, knurrte ich. »Sie gehören zu Smith und Santanta.«

»Was wollen Sie von mir?«

»Was haben Santanta und Smith vor?«

»Sie wollen sich diese kleine Ratte, diesen Jack Benbow, vom Hals schaffen. Und dann verschwinden wir wieder aus der Gegend.«

Ich schwang mich aus dem Sattel. »Drehen Sie sich um.«

Der Bursche folgte meiner Aufforderung. Ich traf von hinten an ihn heran und schlug ihn nieder. Wie eine Marionette, deren Schnüre man loslässt, brach er zusammen. Ich legte ihn auf sein Pferd und führte das Tier zu meinem Vierbeiner, saß auf und ritt zur Ranch.

Bob Slaughter kam aus dem Haupthaus. Der Vormann ging bis zum Geländer und legte die Hände darauf. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel. Ich saß ab und warf den Banditen vom Pferd. Jetzt sah ich, dass er wieder bei Besinnung war. Gehässig schaute er zu mir hoch.

»Wer ist das?«, fragte Slaughter.

»Einer der Kerle, die Sie in der Nacht alarmiert haben, nachdem ich mit Ihrem Boss die Ranch verlassen hatte.« Ich zerrte den Banditen auf die Beine und bugsierte ihn die Treppen zur Veranda hinauf.

»Warum bringen Sie mir den Kerl?«

»Weil ich davon ausgehe, dass Sie nicht länger gemeinsame Sache mit den Banditen machen wollen. – Ihr Boss ist tot. In Bautista erwartete uns ein höllisches Begrüßungskommando. Santanta und Smith haben Henders auf dem Gewissen.«

»Was wird aus der Ranch?«, fragte der Vormann.

»Das weiß ich nicht«, antwortete ich. »Wahrscheinlich kommt sie unter den Hammer. Sicher findet sich jemand, der sie übernimmt.«

Wir gingen in die Halle und ich forderte den Banditen auf, sich zu setzen. Slaughter blieb an der Wand neben der Tür stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Erzählen Sie mir die Geschichte, Logan. Ich weiß fast nichts. Was hatte Henders auf dem Gewissen? Was geht seit einigen Tagen hier vor?«

Ich erstattete dem Vormann Bericht. Er hört aufmerksam zu und unterbrach mich kein einziges Mal. Schließlich meinte er: »Heiliger Rauch, wer hätte das gedacht? Da kann man wieder einmal sehen, was sich hinter der Maske eines Biedermannes verbergen kann. Wie kann ich Ihnen helfen, Marshal? Soll ich die Mannschaft in die Sättel jagen, damit sie Jagd auf die Banditen macht, die sich in der Gegend herumtreiben?«

»Nein. Die Männer würden ihre Haut zu Markte tragen. Das will ich nicht.« Ich wandte mich an den Banditen. »Wo finde ich Santanta und Smith?«

»Irgendwo im Umkreis von zehn oder fünfzehn Meilen«, antwortete der Bursche und zuckte mit den Schultern. »Genau kann ich es dir nicht sagen, Marshal.«

Ich richtete den Blick auf den Vormann. »Kann ich den Kerl hier lassen? Wenn ich Zeit habe, hole ich ihn ab. Er reitet mit einer Bande von Bank- und Postkutschenräubern und wird seine Quittung dafür vom Gericht erhalten.«

»Lassen Sie ihn ruhig hier, Marshal«, knurrte der Vormann. »Ich werde ihn für Sie aufheben.«

Wir brachten den Banditen in einen großen Schuppen und ich fesselte ihn an das Rad eines schweren Ranchwagens. Danach verließ ich die Ranch ...

*


Jack Benbow und Josh Donovan lagen am Rand einer Senke im Schutz dicht ineinander verflochtener Büsche. In der Senke lagerten vier Reiter. Sie hatten ihren Pferden die Vorderbeine gehobbelt, die Tiere grasten. Die Männer saßen am Boden und rauchten.

Es war die Zeit des Sonnenuntergangs.

»Der Kerl mit der schwarzen Jacke ist Dave Smith«, murmelte Josh Donovan.

Jack Benbow zog den Gewehrkolben an seine Schulter. Über Kimme und Korn ruhte sein kalter Blick auf dem Halbblut. »Nein«, knurrte er plötzlich und senkte die Waffe. »Das wäre zu einfach. Ich will dem Kerl in die Augen sehen, wenn ich ihn töte.«

»Worauf warten wir?«, stieß Josh Donovan hervor.

»Okay, Donovan.«

Der alte Bandit erhob sich, lief ein Stück den Abhang hinunter, wo ihre Pferde standen, und saß auf. Dann ritt er um den Hügel herum und trieb schließlich sein Pferd in die Senke. Die vier Banditen erhoben sich, sie luden die Gewehre durch, standen lauernd da und starrten dem Reiter entgegen.

Donovan verhielt wenige Schritte vor ihnen das Pferd, hob die rechte Hand und zeigte die Handfläche. »Haltet nur eure Finger ruhig.« Er hob das rechte Bein über das Sattelhorn und ließ sich vom Pferd gleiten.

»Was willst du, Josh?«, fragte Dave Smith misstrauisch. Er sicherte in die Runde, konnte aber nichts entdecken, was auf Gefahr hingedeutet hätte.

»Du hast mir das Angebot gemacht, mich dir anzuschließen. Mich jagt der U.S. Marshal. Ich war sein Gefangener und konnte den Männern, die mich nach Amarillo bringen sollten, entkommen. Darum komme ich auf dein Angebot zurück, Dave.«

»Denkst du immer noch, dass du von mir Geld zu bekommen hast?«

»Reiten wir wieder zusammen. Alles andere soll vergessen sein.«

Das Halbblut grinste. »Sei willkommen, Amigo. Du bist sicher eine Bereicherung für uns. Auf dich hat es sicher auch Jack Benbow abgesehen. Wir wollen uns den Kleinen vom Hals schaffen. Wenn er tot ist, verschwinden wir aus der Gegend. Vielleicht verlassen wir Texas für eine Weile. Wir werden es sehen.«

»Auf wen wartet ihr?«

»Wer werden hier die Nacht verbringen. Und morgen machen wir uns wieder auf die Suche nach dem kleinen Bastard. Wenn wir ihn uns nicht vom Hals schaffen, werden wir vielleicht nie Ruhe vor ihm bekommen. Wir haben den ganzen Tag im Sattel gesessen und sind müde.«

Die Banditen ließen in ihrer Wachsamkeit nach und setzten sich wieder ins Gras. Donovan band sein Pferd an seinen Strauch. Niemand achtete mehr auf ihn. Er sagte über die Schulter. »Ihr habt Henders erschossen. Ich weiß es, denn ich war Logans Gefangener. Warum musste er sterben?«

»Ich musste auf Nummer sicher gehen, Josh«, antwortete das Halbblut. »Seit der Sache auf der Pferdewechselstation habe ich keinen Menschen mehr ermordet. Ich habe also kein todeswürdiges Verbrechen mehr begangen. Wenn sie mich schnappen, werde ich wegen Bank- und Postkutschenraubs verurteilt, aber sie werden mich nicht hängen. Wenn aber die Sache von damals ans Tageslicht kommt ...«

»Du hast befürchtet, dass Henders nicht standhält, wie?«

»Ich habe ihn zum Schweigen gebracht – für alle Fälle.«

»Du hättest mich auch getötet, wenn du gewusst hättest, dass ich Logans Gefangener war?«

»Wahrscheinlich.«

Donovan zog das Gewehr aus dem Scabbard, repetierte und brachte es an der Hüfte in Anschlag. »Du warst schon immer ein dreckiger Bastard, Dave. Rührt euch nur nicht. Bei der geringsten falschen Bewegung schieße ich.«

»Verdammt, Josh, was soll das?«, fauchte das Halbblut. »Wir sind zu viert. Einer von uns erwischt dich. Rechnest du dir wirklich eine Chance aus?«

Donovan zog durch. Die Kugel pfiff über die Köpfe der Banditen hinweg, der Knall wurde über sie hinweggeschleudert. Es war das Zeichen für Jack Benbow. Wenig später ritt er in die Senke. Die Sonne war halb hinter dem Horizont versunken. Die Schatten waren lang und scharf. Grelles Licht flutete über die Kämme und Kuppen. Der ganze Westen entflammte in intensiv goldenem Rot, das sich ausbreitete und weit im Norden verblasste.

Die vier Banditen belauerten Josh Donovan. Ihre Hände hatten sich um Kolbenhals und Schaft der Gewehre verkrampft. In den bärtigen Gesichtern arbeitete es. Donovan verströmte eine steinerne Ruhe. Er vermittelte ein hohes Maß an Härte und Kompromisslosigkeit.

»Was soll das werden?«, dehnte das Halbblut. »Ist das Benbow?«

»Du hast es erfasst, Dave. Der Junge wird dir jetzt eine höllische Rechnung präsentieren.«

»Warum machst du mit ihm gemeinsame Sache? Du warst damals selbst dabei.«

»Aber ich habe nicht geschossen. Ihr habt mich vor zwölf Jahren schmählich im Stich gelassen. Und ihr habt mich um meinen Anteil an der Beute betrogen. Ihr habt euch nicht verhalten wie gute Amigos.«

»Zur Hölle damit, Josh, was hätten wir denn tun sollen?«

»Ihr hättet mir zumindest meinen Anteil aufbewahren müssen. Jackson und Henders versuchten, mir das Tor zur Hölle aufzustoßen. Sie dachten gar nicht daran, mich mit dem Geld meines Weges ziehen zu lassen. Ich stand schon bis zu den Knien in meinem eigenen Grab. Du und Santanta – ihr seid nicht besser. Ihr habt nicht mal den Versuch unternommen damals, mich aus dem Gefängnis zu befreien. Ich war euch egal. Mein Anteil an der Beute war euch willkommen.«

»Ich zahle dir deinen Anteil aus, Josh. Ich besitze Geld – viel Geld. Wenn du willst, zahle ich dir deinen gesamten Anteil aus. Zwölftausend Dollar. Das ist doch ein Wort, Josh. Schlag ein.«

»Einem wie dir traue ich nicht«, versetzte Donovan eisig. »Bei der erstbesten Gelegenheit würdest du mir eine Kugel in den Rücken schießen. Der Junge wird jetzt Rechenschaft von dir fordern. Daran führt kein Weg vorbei, Dave.«

Das Gesicht des Halbbluts verzerrte sich. Es war nur noch eine Grimasse der Boshaftigkeit und des Hasses. »Ich werde das kleine Stinktier töten.«

In diesem Moment glaubte einer der anderen Banditen Josh Donovan abgelenkt. Er riss das Gewehr an die Hüfte. Aber Jack Benbow war schon nahe genug. Er feuerte. Der Bursche machte das Kreuz hohl, drehte sich halb um seine Achse und brach zusammen. Die anderen spritzten auseinander. Donovan ging auf das linke Knie nieder und schoss. Einer der Banditen stürzte, als hätte ihn die Faust des Satans umgerissen. Donovan warf sich zur Seite.

Jack Benbow war vom Pferd gesprungen. Breitbeinig stand er da, repetierte, schoss, repetierte ...

Dave Smith saß am Boden. Seine drei Kumpane lagen reglos da. Pulverdampf zerflatterte und wurde vom Wind zerpflückt. Josh Donovan erhob sich. Jack Benbow kam mit kurzen, abgezirkelten Schritten näher, das Gewehr an der Hüfte im Anschlag.

Zehn Schritte vor Smith blieb Benbow stehen. Sein Gesicht mutete an wie aus Granit gemeißelt. »Steh auf!«

»Ich habe eine Kugel in der Hüfte ...«

»Steh auf!«

Smith atmete rasselnd ein. In seinen Augen erschien ein heimtückisches Glitzern. Mühsam kämpfte er sich auf die Beine. Er wandte Benbow die linke Seite zu. Sein Gewehr lag am Boden. Der Schmerz ließ ihn mit den Zähnen knirschen. In dem Moment, als er sich Benbow zuwandte, riss er den Revolver heraus.

Jack Benbow schoss.

Smith' Augen weiteten sich. Dann brach der Bandit zusammen. Ein letzter verlöschender Atemzug, ein unkontrolliertes Zucken seiner Beine, dann war es aus.

*


Ich vernahm den verwehenden Knall der Detonationen. Dann trat Stille ein. Ich lauschte noch kurze Zeit, dann ruckte ich im Sattel und schnalzte mit der Zunge. Mein Pferd setzte sich in Bewegung.

Nach einer Viertelstunde verhielt ich am Rand der Senke. Ich sah einige Pferde. Von den Reitern war nichts zu sehen. Aber das Gras war kniehoch, und wenn sie am Boden lagen, konnte ich sie nicht sehen.

Ich trieb mein Pferd wieder an. Dann sah ich die Männer. Vier reglose Gestalten. Ich saß ab und ließ die Zügel zu Boden fallen. Der Mann, über den ich mich beugte, war ein Halbblut. Ich vermutete, dass es sich um Dave Smith handelte. Er hatte ein kleines Loch in der Stirn. Seine Augen waren geöffnet und starrten blicklos zum Himmel hinauf.

Ein Stöhnen ließ mich aufrichten. Einer der Männer regte sich leicht. Ich ging zu ihm hin und kniete ab. Seine Lider flatterten. Dann schaute er mich mit fiebrigem Blick und dem stupiden Ausdruck des absoluten Nichtbegreifens an. Ich holte von einem der Sättel eine Wasserflasche, schraubte sie auf, schob dem Verwundeten die flache Hand unter den Kopf, hob ihn etwas an und setzte ihm die Flasche an die Lippen. Mechanisch schluckte er. Wasser rann über sein Kinn. Sein Blick klärte sich.

»Was ist geschehen?«, wollte ich wissen.

»Josh Donovan und Benbow«, röchelte der Verwundete. »Dieser verdammte Hund hat uns ...« Die Stimme brach und war nur noch ein unverständliches Geflüster. Aber ich wusste genug. Ich untersuchte die beiden anderen Männer. Sie waren tot. Der verwundete Bandit atmete stoßweise. Seine Bronchien pfiffen. Er hatte die Kugel in die Brust bekommen. Er würde den Morgen wohl nicht mehr erleben.

Ich schnitt sein Hemd auf und stopfte einen Pfropfen, den ich aus einem Stück Binde drehte, in den Wundkanal, um die Blutung zu stoppen. Dann sagte ich: »Ich hole Hilfe von der Ranch. Bis in einer Stunde wirst du abgeholt. Mehr kann ich im Moment nicht für dich tun.«

Ich stieg auf mein Pferd und ließ das Tier laufen.

Nach zwanzig Minuten erreichte ich die Ranch. Die Dämmerung war fortgeschritten. Ein Pferd wurde vor einen Wagen gespannt, dessen Ladefläche mit einer dicken Lage Stroh ausgepolstert wurde. Drei Männer begleiteten das Fuhrwerk. Auch ich ritt wieder mit zurück. Es war noch nicht ganz finster, als wir die Senke erreichten. Der Bandit lebte noch, aber er war bewusstlos geworden. Die Toten und der Verwundete wurden aufgeladen. Die Pferde wurden an das Fuhrwerk gebunden. Und während der Wagen zur Ranch zurückfuhr, suchte ich nach Spuren.

Es wurde finster. Ich musste aufgeben. Unverrichteter Dinge ritt ich auf die Lake Meredith Ranch, wo ich die Nacht verbrachte. In aller Frühe war ich wieder auf den Beinen. Und als die ersten Strahlen der Sonne über den Horizont blitzten, war ich wieder in der Senke. Und ich fand eine Spur, der ich folgte. Sie führte nach Süden.

Gegen Mittag sah ich weit vor mir einen Reiter. Er verhielt zwischen den Hügeln. Ich ritt näher und erkannte Jack Benbow. Als sich die Nasen unserer Pferde fast berührten, stemmte ich mich gegen die Zügel. Trotzig hielt der Bursche meinem Blick stand. »Wo ist Josh Donovan?«

»Er zielt auf Sie, Marshal. Warum verfolgen Sie uns?«

»Ich habe Smith und seine Gefährten gefunden. Einer lebte noch.«

»Es war ein fairer Kampf, Marshal. Smith hatte jede erdenkliche Chance. Und wenn sich seine Kumpane nicht eingemischt hätten, wäre ihnen kein Haar gekrümmt worden. – Es gibt jetzt nur noch Santanta. Ich werde auch ihn töten.«

»Sie vergessen Donovan«, sagte ich. »Auch er war dabei, damals vor fünfzehn Jahren.«

»Richtig. Doch er hat nicht geschossen. Und er hat mein Leben gerettet. Ich werde ihn wohl seines Weges ziehen lassen. Ich denke, das bin ich ihm schuldig.«

»Ich kann ihn nicht ziehen lassen«, versetzte ich. »Donovan ist ein Mörder. Sie haben sich schuldig gemacht, als Sie ihn befreiten.«

Gleichmütig zuckte Benbow mit den Schultern. »Dafür werde ich geradestehen.«

»Sie sind auf der Suche nach Pablo Santanta?«

Benbow nickte. »Ja. Erst wenn auch er tot vor mir liegt, werde ich Ruhe finden.« Mit dem letzten Wort zog Benbow sein Pferd herum und gab dem Tier leicht die Sporen. Als ich auch mein Pferd antreiben wollte, peitschte ein Schuss. Die Kugel pflügte vor den Hufen meines Pferdes den Boden. Das Tier wollte erschreckt aufsteigen, aber ich nahm es in die Kandare und zwang ihm meinen Willen auf.

Jack Benbow hatte sich nicht mehr umgeschaut.

Auf der Kuppe eines Hügels zerflatterte über einem Felsen eine kleine Wolke von Pulverdampf.

Ich sah davon ab, Benbow zu folgen. Die Warnung war klar und deutlich gewesen. Und wenn Donovan vielleicht nicht auf mich schoss, so musste ich befürchten, dass er mein Pferd tötete, um mich an einer weiteren Verfolgung zu hindern.

Ich beschloss, abzuwarten und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Ich konnte nichts aufhalten. Es war sinnlos, kreuz und quer durchs Land zu reiten. Benbow war Worten nicht zugänglich. Ich kehrte um und ritt nach Bautista. Das Schicksal trieb einer Entscheidung entgegen. Ich fühlte es ganz deutlich ...

*


Es war nach Mitternacht. Ein Reiter lenkte sein Pferd in den Hof der Lake Meredith Ranch. Nach vorne gekrümmt saß er auf dem Pferd. Manchmal stöhnte er. Mit letzter Kraft zog er seinen Revolver und feuerte einen Schuss in die Luft ab. Dann stürzte er vom Pferd.

Aus dem Bunkhouse kamen Männer. Bob Slaughter verließ den kleinen Anbau, in dem sich das Ranch Office befand und in dem er ein Zimmer bewohnte. Männer beugten sich über den Mann am Boden. Unzusammenhängendes Gestammel kam über seine Lippen, Speichel rann aus seinem Mundwinkel, Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn.

»Bringt ihn in die Unterkunft!«, ordnete Slaughter an.

Vorsichtig hoben sie den Verwundeten auf und trugen ihn ins Bunkhouse, wo sie ihn auf ein Bett legten. Einer der Männer brachte eine Flasche Whisky und flößte dem Verwundeten etwas von der scharfen Flüssigkeit zwischen die trockenen, rissigen Lippen ...

*


Ich wurde wach, weil jemand gegen die Zimmertür hämmerte. Im Raum war es finster. Es dauerte einen Augenblick, bis ich zu mir fand. Dann schwang ich die Beine vom Bett, setzte mich auf und rief: »Wer ist draußen?«

»Ben Stevens von der Lake Meredith Ranch.«

Ich erhob mich, ging zur Tür, riegelte sie auf und öffnete sie. Im Flur brannten einige Laternen und spendeten vages Licht. Der Mann stieß hervor: »Josh Donovan kam halbtot auf die Ranch. Santanta und die Banditenhorde haben ihn und Benbow überfallen, als sie am Plum Creek kampierten. Donovan haben sie eine Kugel in die Brust geknallt. Sie hielten ihn für tot und ließen ihn liegen. Benbow hat die Bande mitgenommen.«

Ich trug dem Mann auf, den Arzt zu holen, dann zog ich mich an, begab mich zum Mietstall und sattelte mein Pferd. Schließlich ritt ich mit Slaughters Boten und dem Doc zur Ranch. In der Mannschaftsunterkunft brannte Licht. Wir gingen hinein. Der Vormann trat mir entgegen. »Donovan ist gestorben. Bevor er starb, hat er noch einmal ein Geständnis abgelegt. Jeder der hier anwesenden Männer hat es gehört. Sie haben vor fünfzehn Jahren die Pferdewechselstation überfallen und Benbows Familie getötet. Wir sind für einen niederträchtigen Mörder geritten.«

»Deswegen kann Ihnen niemand einen Vorwurf machen«, gab ich zu verstehen. Auf einem der Betten lag Josh Donovan. Im Tod sah sein Gesicht friedlich und gelöst aus. Er hatte, als er in den Panhandle kam, einen gefährlichen Weg eingeschlagen. Und er war gescheitert.

Ich blieb bis zum Morgen auf der Ranch, dann folgte ich der Spur Donovans und erreichte den Platz am Plum Creek, an dem Benbow und Donovan kampiert hatten. Die Spur mehrerer Reiter führte in den Creek hinein. Ich überquerte das seichte Gewässer. Wasser gischtete und spritzte, als ich hindurchritt. Auf dem jenseitigen Ufer nahm ich die Spur wieder auf.

Sie endete bei einer alten Weidehütte. Im Corral stand ein Pferd. Es war gesattelt und gezäumt. Ich verhielt auf dem Kamm einer Bodenwelle. Kurzentschlossen nahm ich das Gewehr aus dem Scabbard, riegelte eine Patrone in den Lauf, dann ritt ich weiter. Nichts geschah. Bei der Hütte saß ich ab und rechnete mit einer bösen Überraschung. Die Tür quietschte, als ich sie aufstieß. In der Hütte hing Jack Benbow. Sie hatten ihn an den Armen aufgehängt. Sein Oberkörper war nackt. Blutige Striemen zogen sich über seine Haut. Sein Kinn war auf die Brust gesunken. Er wimmerte leise.

Ich ging nach draußen und holte das Messer aus der Satteltasche. In dem Moment peitschte ein Schuss. Dass ich mich im selben Moment bewegte, rettete mir wahrscheinlich das Leben. Ich spürte den sengenden Strahl des Geschosses auf der Wange. Der Knall stieß heran. Geduckt rannte ich in die Hütte. Neben dem unverglasten Fenster bezog sich Stellung und äugte nach draußen. Zu sehen war nichts.

Ich schnitt Benbow ab und fing ihn auf. Langsam ließ ich ihn zu Boden gleiten. Dann kehrte ich zum Fenster zurück. Die Sonne stand über den Kämmen im Südosten. Ich hatte keine Ahnung, mit wie vielen Gegnern ich es zu tun hatte, musste aber damit rechnen, unter Feuer genommen zu werden, wenn ich die Hütte verließ. Aber hier konnte ich nicht bleiben. Also setzte ich alles auf eine Karte. Ich erreichte mein Pferd und kam mit einem kraftvollen Satz in den Sattel. Sofort gab ich dem Tier die Sporen. Es streckte sich. Ein Gewehr krachte, aber die Kugel verfehlte mich.

Die Gegend schien an mir vorbeizufliegen. Nur der trappelnde Hufschlag umgab mich. Dann befand ich mich im Schutz der Hügel und wandte mich nach Norden. Manchmal hielt ich an, um zu lauschen. Und dann vernahm ich ein Pochen. Es trieb über den Kamm des Hügels vor mir. Und dann tauchte der Reiter auf dem Hügelrücken auf. Als er mich sah, riss er das Gewehr an die Hüfte. Ich schoss einen Lidschlag vor ihm. Als ihn meine Kugel traf, verriss er. Er ließ das Gewehr fallen und sank auf den Pferdehals, riss sich aber noch einmal hoch und zerrte das Pferd herum. Im nächsten Moment verschwand er aus meinem Blickfeld. Ich gab meinem Pferd den Kopf frei und trieb es an. Auf dem Hügelkamm riss ich das Tier zurück.

Der Reiter hatte den Fuß des Abhanges erreicht. Er klammerte sich mit beiden Armen am Pferdehals fest. Das Pferd trug ihn nach Westen.

Ich nahm die Verfolgung auf. Er verschwand zwischen den Hügeln aus meinem Blickfeld. Vorsicht war angesagt, denn er verfügte noch über seinen Revolver. Ich lenkte mein Pferd ebenfalls zwischen die Steilhänge. Und dann sah ich den Mann. Er saß am Boden und presste beide Hände gegen seine linke Seite. Sein Pferd witterte mit erhobenem Kopf in meine Richtung.

Ich hielt außerhalb der Schussweite seines Revolvers an und rief: »Du solltest aufgeben, Mister.«

Der Bursche kippte zur Seite und wand sich am Boden. Sein Stöhnen erreichte mein Gehör.

Ich stieg ab und näherte mich ihm vorsichtig. Es war nicht auszuschließen, dass er mir nur Theater vorspielte, um mich in die Nähe seines Revolvers zu locken. Ich hielt das Gewehr an der Hüfte im Anschlag.

Plötzlich erklangen Hufschläge. Ich hielt an. Das Hufgetrappel näherte sich von allen Seiten. Und dann tauchten die Reiter auf. Sie hatten mich zwischen sich. Und nun zog der Kerl am Boden seinen Revolver und schlug ihn auf mich an. Ich jagte einen Schuss aus dem Lauf und gab meinem Pferd die Sporen. Im stiebenden Galopp jagte ich nach Südwesten. Die insgesamt vier Reiter, die mir den Weg nach Süden und Westen verlegten, trieben ihre Pferde an. Sie wollten mir den Weg abschneiden. Ich stob weiter, mir war aber klar, dass die beiden vor mir die Stelle erreichten, an der sich unsere Wege überschneiden mussten. Ich lenkte mein Pferd nach Westen. Als ich einen Blick nach hinten warf, sah ich, dass auch die anderen Reiter ihre Pferde in Bewegungen gesetzt hatten. Sie veranstalteten ein regelrechtes Kesseltreiben auf mich.

»Lauf!«, schrie ich meinem Pferd ins Ohr. Die Hufe wirbelten. Noch klappte das Zusammenspiel von Muskeln und Sehnen bei dem Tier hervorragend. An dem Pferd lag es nun, mich in Sicherheit zu bringen. Das Tier schien das zu wissen, denn es gab alles. Irgendwann jedoch musste der Wirbel der Hufe langsamer werden. Ich konnte nur hoffen, dass die Pferde der Banditen nicht ausdauernder waren als mein Vierbeiner. In einem spitzen Winkel jagten die beiden Kerle, die mir den Weg nach Südwesten verlegen wollten, auf mich zu. Ich driftete mehr nach Nordwesten ab und sah zwei Reiter aus dieser Richtung auf mich zujagen. Sie begannen zu schießen, aber das Auf und Ab des Galopps ließ keinen gezielten Schuss zu und so vergeudeten sie nur ihr Blei.

Mir gelang der Durchbruch. Mein Pferd trug mich zwischen die Hügel. Schaum bildete sich vor den Nüstern des Tieres, und der Hufewirbel war nicht mehr so rasend wie zu Beginn der mörderischen Jagd. Ich stob noch eine Weile dahin, dann trieb ich das Pferd auf eine Anhöhe. Felsen erhoben sich aus der Kuppe, dazwischen wucherte dorniges Strauchwerk. Ich band mein Pferd an. Das Tier röchelte und röhrte, seine Flanken zitterten. Ich bezog Stellung.

Die ersten der Banditen donnerten heran. Wahrscheinlich rechneten sie nicht damit, dass ich sie erwartete. Mein Gewehr peitschte. Ich repetierte und feuerte in rasender Folge. Eines der Banditenpferde brach zusammen, der Reiter wurde aus dem Sattel katapultiert und überschlug sich einige Male am Boden. Den anderen Reiter hatte eine meiner Kugeln vom Pferd gerissen. Das Tier lief noch einige Schritte und blieb dann stehen.

Der Kerl, dessen Pferd ich erschossen hatte, sprang auf, rannte ein Stück zurück und warf sich hinter den Leib des toten Tieres in Deckung. Da stoben auch schon die anderen Banditen heran. Rücksichtslos rissen sie die Pferde zurück. Für kurze Zeit entstand ein wildes Durcheinander. Dann trieben sie ihre Pferde wieder an, der Pulk riss auseinander.

Ich erschoss ein weiteres Tier. Ein anderes streifte meine Kugel und es brach zur Seite aus, vollführte einige Bocksprünge, stieg auf die Hinterhand und warf seinen Reiter ab. Dann stob das Tier in wilder Karriere nach Osten.

Die anderen Banditen rissen ihre Pferde herum und jagten zurück. Zwei der Schurken folgten zu Fuß. Sie sammelten sich in einem Hügeleinschnitt. Ich führte mein Pferd ein Stück hangabwärts, saß auf und ritt davon. In einem weiten Bogen kehrte ich zu der Hütte zurück, in der ich Jack Benbow zurückgelassen hatte. Er hatte sich aufgerafft und saß nun auf einem der Stühle, die um einen Tisch herumstanden. Mit erloschenem Blick schaute er mich an. Ich sagte: »Hoch mit Ihnen, Benbow. Santanta und der Rest seiner Mannschaft werden gleich antanzen. In dieser Hütte sitzen wir wie in einer Falle.«

Ich zerrte Benbow in die Höhe, weil er keine Anstalten machte, sich zu erheben, und bugsierte ihn nach draußen. Ich half ihm aufs Pferd und saß selber auf. Hufgetrappel schlug heran. »Vorwärts, Benbow! Die Horde ist im Anmarsch.«

Ich ritt an ihn heran, riss mir den Hut vom Kopf und versetzte damit seinem Pferd einen Schlag auf die Kruppe. Das erschreckte Tier begann zu laufen. Ich ließ die Zügel schießen und gab meinem Pferd die Sporen. Nebeneinander stoben wir dahin.

*


Pablo Santanta zerrte sein keuchendes Pferd in den Stand. Die Meute, die ihn begleitete, kam ebenfalls zum Stehen. Der Mexikaner rief: »Es hat keinen Sinn. Wir holen sie nicht ein. Reiten wir nach Bautista und warten wir dort auf sie.«

Einer der Banditen rief: »Du hast dem Burschen fast das Fleisch von den Knochen geschlagen, Pablo. Der hat sicher genug. Warum drehen wir die Nasen unserer Pferde nicht nach Westen und reiten nach New Mex?«

»Vor diesem Marshal haben wir erst Ruhe, wenn er tot ist«, versetzte der mexikanische Bandit. »Er ist schlimmer als ein Bluthund. Darum will ich ihn tot sehen. Ja, aus Benbow habe ich alles, was einen Mann ausmacht, herausgeprügelt. Den fürchte ich nicht mehr.«

»Warum sollen wir das Schicksal herausfordern?«

»Ich will den Marshal tot sehen«, beharrte Santanta auf seiner Entscheidung. »Wir reiten nach Bautista.« Er drosch seinem Pferd die Sporen rücksichtslos in die Weichen.

Die Bande jagte dahin. Sie vermittelte einen nicht zu übersehenden Eindruck von Wucht und Stärke. Verkommenheit stand den Kerlen in die Gesichter geschrieben, ein Blick in ihre Augen verriet die Skrupellosigkeit, die in ihnen steckte. Es waren Gesetzlose, denen ein Menschenleben gerade mal den Preis für eine Kugel wert war.

*


Irgendwie ahnte ich, dass dieser Tag noch eine höllische Überraschung für mich bereithielt. Das Gefühl entzog sich meinem Verstand, aber es war da und ließ sich nicht vertreiben.

Immer wieder schaute ich mich um. Von Verfolgern war nichts zu sehen. Benbow, der die ganze Zeit über geschwiegen hatte, sagte plötzlich: »Sie haben uns am Fluss überfallen. Ich sah Donovan zusammenbrechen. Ist er tot?«

»Er schaffte es noch bis zur Lake Meredith Ranch«, erwiderte ich. »Dort starb er.«

»Er hat einen Teil seiner Schuld abgetragen«, murmelte Benbow.

»Mord ist ein nicht wieder gutzumachendes Verbrechen«, gab ich zur Antwort. »Wenn er nicht gestorben wäre, hatte ihn das Gericht unter den Galgen, mindestens aber für den Rest seines Lebens hinter Zuchthausmauern geschickt. Donovan sagte mir, dass er den Tod einem Leben hinter Zuchthausmauern vorzieht.«

»Im Grunde seines Herzens war er – glaube ich – kein schlechter Mann«, murmelte Benbow.

»Er war ein Mörder«, erwiderte ich hart.

Wir versanken wieder in Schweigen. Irgendwann tauchte die Lake Meredith Ranch vor uns auf. Auf den Fensterscheiben brach sich das Sonnenlicht. Aus der Schmiede erklangen helle Hammerschläge. Im Hof pickten Hühner in den Staub auf der Suche nach Fressbarem. Ein Hahn krähte. Einige Hühner badeten im Staub.

»Was sollen wir hier?«

»Ich will, dass Sie hier bleiben, Benbow«, erklärte ich.

»Was haben Sie vor, Logan?«

»Einer der Mörder Ihrer Angehörigen befindet sich noch auf freiem Fuß. Ich will ihn mir schnappen.«

»Eine ganze Bande stärkt Santanta den Rücken, Logan. Alleine stehen Sie gegen diese Banditen auf einem ziemlich verlorenen Posten.«

»Ich werde in die Stadt reiten und den Schmied bitten, ein Aufgebot zu bilden, mit dem ich die Bande jage.«

»Ich werde mir ein Gewehr und einen Revolver besorgen ...«

»Sie bleiben auf der Lake Meredith Ranch und lecken Ihre Wunden«, unterbrach ich ihn.

»Aber ...«

Ich fiel ihm erneut ins Wort: »Ihr Trail der Rache ist vorbei, Benbow. Ich will, dass Sie dorthin zurückkehren, von wo Sie gekommen sind, und das Leben weiterführen, das Sie geführt haben, bis Sie in den Sattel stiegen, um die Mörder Ihrer Familie zur Rechenschaft zu ziehen.«

»Ich habe Ihren Gefangenen befreit. Muss ich mich dafür nicht verantworten?«

»Das hat sich erledigt«, murmelte ich. »Kurieren Sie sich aus und kehren Sie dann nach Menard zurück. Werden Sie dort alt und grau ...«

Wir ritten in den Ranchhof. Die Hühner stoben auseinander und flohen mit ausgebreiteten Schwingen. Aus dem Ranch Office trat Bob Slaughter. Er kam heran und griff nach dem Kopfgeschirr meines Pferdes. »Es ist Ihnen also gelungen, Benbow aus der Gewalt der Bande zu befreien.«

»Ich möchte ihn gerne hier auf der Ranch lassen. Sie haben doch sicher nichts dagegen einzuwenden?«

»Warum sollte ich? Donovan haben wir begraben. Was haben Sie als nächstes vor, Marshal?«

»Ich will Santanta einfangen. Er ist der letzte der Mörder, deretwegen Benbow in diesen Landstrich gekommen ist. Außerdem hat Santanta eine Reihe weiterer Morde begangen, für die er in San Angelo zum Tode verurteilt wurde. Der Mexikaner muss seiner gerechten Bestrafung zugeführt werden.«

»Logan will die Bürgerwehr von Bautista mobilisieren«, murmelte Jack Benbow.

»Eine gute Idee«, sagte Slaughter. »Die meisten Reiter der Ranch befinden sich auf der Weide. Aber ich könnte einige der Männer, die sich auf der Ranch befinden, in die Sättel jagen, Logan.«

»Ich nehme Ihr Angebot gerne an, Vormann«, antwortete ich.

Eine halbe Stunde später verließ ich mit vier Reitern im Schlepptau die Ranch. Ebenso viele Männer sowie der Vormann waren auf der Ranch geblieben, um sie gegebenenfalls zu verteidigen, falls es den Banditen einfallen sollte, ihr einen Besuch abzustatten.

Wir ließen die Pferde laufen ...

*


Pablo Santanta senkte die Hand mit dem Fernglas. Der Mexikaner befand sich auf einem Hügel. Seine Banditen hockten in einer Senke am Boden. Die Pferde grasten.

Ein zufriedenes Grinsen kerbte sich in Santantas Mundwinkel. Noch einmal setzte er das Fernglas an die Augen. Dann erhob er sich aus seiner knienden Stellung, lief den Abhang hinunter und rief: »Fünf Reiter haben soeben die Stadt erreicht. Einer von ihnen ist der Marshal. Wer diese Männer auch sind, die ihn begleiten – wir fürchten sie nicht. Wenn sie für den Marshal Partei ergreifen, werden sie mit ihm sterben.«

Die Banditen erhoben sich. Es waren sieben. Sie gingen zu ihren Pferden und saßen auf. Auch Santanta stieg auf sein Pferd. Er lachte rasselnd, wie von einer bösen Vorfreude erfüllt. »Reiten wir, Muchachos. Bringen wir es hinter uns. Und wenn der Marshal mit der Nase im Dreck liegt, mischen wir den Ort ein wenig auf. In den Häusern schlummert sicher eine Menge Geld. Folgt mir – adelante!«

Der Boden schien unter den mehr als dreißig Hufen zu erbeben. Der Tod – in der Gestalt einer Handvoll Banditen personifiziert – näherte sich in Windeseile Bautista. Die Hufschläge rollten vor den Banditen her wie ein Vorbote von Untergang und Verderben. Erdreich spritzte unter den wirbelnden Hufen nach hinten. Das dumpfe Rumoren erreichte die Stadt und sickerte zwischen die Häuser. Unerbittlich raste das Schicksal. Der Satan mischte die Karten für ein höllisches Spiel ...

*


Ich vernahm das Hufgetrappel und postierte meine Männer zu beiden Seiten der Main Street. Dass den Hufschlag die Banditen mit ihren Pferden verursachten, war für mich keine Frage. Die wenigen Menschen, die sich auf der Straße befanden, verschwanden. Und dann sah ich den Pulk über eine Bodenwelle donnern, über die der Weg in die Stadt führte. Der Boden war noch feucht vom letzten Regen und so erzeugten die Hufe keine Staubwolke.

Ein Hauch von Tod zog in die Stadt. Die Reiter passierten die ersten Häuser. Sie hatten die Revolver gezogen und feuerten um sich. Der Lärm, den sie veranstalteten, war infernalisch. Kugeln durchschlugen die Holzwände der Häuser. Sicher schlugen die Herzen der Stadtbewohner schneller. Der Terror suchte ihre Stadt heim.

Das Rudel donnerte heran.

Ich eröffnete das Feuer. Dabei machte ich mir nicht die Mühe, genau zu zielen. Ich hielt einfach in die Meute hinein. Ein Pferd wurde getroffen und ging nieder. Und jetzt krachten auch die Gewehre der Männer, die mit mir in die Stadt gekommen waren. Ein Knäuel ineinander verkeilter Menschen- und Pferdeleiber wälzte sich über den Boden. Geschrei erhob sich, Pferde wieherten. Zwei – drei Pferde vollführten wilde Bocksprünge, eines der Tiere stob mit hochgestelltem Schweif und fliegenden Steigbügeln davon, die anderen beiden Tiere folgten.

Ich sah Santanta. Er rannte zu einem Pferd, das gerade hochkam, griff nach dem Sattelhorn und stieß einen schrillen Schrei aus. Das Tier setzte sich voll Panik in Bewegung. Der mexikanische Bandit wurde mitgerissen, stieß sich ab und landete mit katzenhafter Behändigkeit auf dem Pferderücken. Weit über den Hals des Pferdes gebeugt sprengte er davon.

Ich rannte zum Mietstall, wo wir unsere Pferde zurückgelassen hatten. Sie standen am Holm im Hof. Vom Stallmann war nichts zu sehen. Mit fliegenden Händen band ich mein Tier los, schwang mich in den Sattel und jagte zum Tor hinaus.

Santanta war nach Westen geflohen. Der Krach der Schießerei auf der Main Street begleitete mich noch ein Stück. Dann schwiegen die Waffen. Später sollte ich erfahren, dass sich die Männer der Bürgerwehr eingemischt und die noch lebenden Banditen überwältigt hatten.

Die Hufe meines Pferdes schienen kaum den Boden zu berühren. Weit vor mir sah ich den Mexikaner. Er jagte über eine Anhöhe hinweg. Seine Fluchtrichtung ließ die Vermutung zu, dass er sich nach New Mexico absetzen wollte. Aber bis in den Nachbarstaat waren es wohl siebzig Meilen. Und sein Vorsprung betrug allenfalls dreihundert Yards. Unerbittlich trieb er sein Pferd an. Er verschwand aus meinem Blickfeld. Ich driftete etwas nach Südwesten ab, denn ich musste davon ausgehen, dass er bemerkt hatte, dass ich ihm folgte, und dass er versuchen würde, sich des Verfolgers mit Pulver und Blei zu entledigen.

Und dann peitschte ein Schuss. Ich hatte also gut daran getan, auszuweichen. Die Kugel verfehlte mich. Ich jagte weiter. Zwanzig Meilen weiter westlich lag Channing. Ich vermutete, dass Santanta den Ort anreiten würde, um sich für den Trail durch die Felswüste, die sich weit nach New Mexico hinein erstreckte, auszurüsten.

Mein Ziel hieß also Channing. Dort wollte ich den Banditen erwarten. Es würde Nacht sein, wenn ich die Stadt erreichte. Ich schonte mein Pferd so gut es ging. Von der Kraft und Ausdauer des Tieres konnte eine Menge abhängen. Nach etwa einer Stunde lenkte ich das Pferd auf einen Hügel und schaute auf meiner Fährte zurück. Von dem Banditen war nichts zu sehen. Hatte ich ihn überhaupt überholt?

Ich wartete ein wenig. Dann sah ich ihn. Er kam aus dem Einschnitt zwischen zwei Hügeln und ritt leichten Galopp. Mir war schlagartig klar, dass ich mir den Weg nach Channing sparen konnte. Die Entscheidung würde hier in der Wildnis fallen.

Santanta verschwand hinter einem Hügel. Ich ritt ein Stück nach Norden. Auf einer Kuppe saß ich ab und wartete. Der Mexikaner zog wieder in mein Blickfeld. Die Entfernung betrug etwa zweihundert Yards. Nun schien er mich gesehen zu haben. Denn er drohte mir mit dem erhobenen Arm.

Ich nahm das Gewehr, hob es an die Schulter und zielte sorgfältig. Der Mexikaner peitschte sein Pferd mit dem langen Zügel. Mein Schuss krachte, sein Pferd brach vorne ein, Santanta überschlug sich am Boden, kam aber sofort hoch, lief zurück und warf sich in den Schutz des Tierleibes.

Ich saß auf und zerrte mein Pferd zurück. Ein Knall stieß heran. Santanta schoss viel zu hastig. Dann war ich hinter der Kuppe in Sicherheit und ritt um den Hügel herum. Als ich den Mexikaner wieder sehen konnte, rannte er, als säße ihm der Leibhaftige im Nacken nach Norden, wo ihm die Hügel Schutz versprachen. Ich zügelte mein Pferd und knallte ihm ein paar Stücke Blei hinterher, doch er rannte Zickzack und meine Kugeln waren vergeudet.

Ich ritt einen weiten Bogen ...

*


Die Lungen des Banditen pumpten. Schweiß rann ihm über das Gesicht und brannte in seinen Augen. Seine Zähne knirschten, dass es schmerzte. Dieser verdammt Gringohund! War er mit dem Satan im Bunde?

Santanta hatte einen Hügel erklommen und rannte auf dem Kamm entlang. Dann endete der Hügel. Gehetzt schaute der Bandit in die Runde. Eine Senke schloss sich an. Einschnitte führten zwischen die Hügel. Der Bandit musste verschnaufen. Herzschlag und Atmung nahmen nach und nach wieder den regulären Rhythmus an. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus den Augenhöhlen. Von dem Marshal war nichts zu sehen.

Der Mexikaner lief den Abhang hinunter, durchquerte die Senke und nähert sich einer Hügellücke im Westen. Als er sie fast erreicht hatte, vernahm er die Hufschläge. Er hetzte in den Schutz eines Strauches, der hier ein kümmerliches Dasein fristete, und duckte sich dahinter.

Plötzlich brachen die Hufschläge ab. Ein kalter Hauch schien den Banditen zu streifen. Sein Kopf ruckte Stück um Stück herum, sein Blick strich über die Hügelkämme, seine Hände hatten sich an Kolbenhals und Schaft der Winchester regelrecht festgesaugt.

»Zeig dich, verdammter Gringohund!«, presste der Bandit hervor. »Ich will auf deinen dreckigen Kadaver spucken!«

Es war still – erdrückend still. Den Banditen mutete es an wie die Ruhe vor dem Sturm. Selbst die Natur schien den Atem anzuhalten.

Und dann fuhr ein Stück Blei zwischen den Füßen des Banditen in den Boden. Gleichzeitig stieß der Knall heran. Santanta wirbelte herum. Sein Mund war in der Anspannung verzogen. Seine Zähne glitzerten zwischen den schmalen Lippen. Rastlosigkeit zeichnete das Gesicht. Eine Stimme erklang: »Ich habe dich vor der Mündung, Bandit. Lass das Gewehr fallen. Ich ...«

Santanta schoss in die Richtung, aus der die Stimme kam. Mit seinem ersten Schuss setzte er sich in Bewegung. Er jagte eine ganze Salve aus dem Lauf. Besessenheit prägte seine Miene, in seinen Augen loderte der Vernichtungswille. Dann rannte er. Die Panik peitschte ihn vorwärts.

Ein schmerzhafter Stich fuhr durch sein Bein. Es knickte ein. Santanta stürzte. Ein Laut, der sich anhörte wie ein trockenes Schluchzen, entrang sich ihm. Auf allen vieren kroch er davon. Bei einem Gebüsch hielt er an. Sein Atem ging rasselnd. Er legte das Gewehr zur Seite, nahm das Halstuch ab und band es um die Wunde in seinem Oberschenkel. Dann zog er den Revolver und spannte ihn. »Komm nur, du verdammter Bastard«, hechelte er.

»Ich bin schon da«, erklang es hinter dem Banditen.

Einen Moment lang war Santanta wie gelähmt, zu keiner Reaktion fähig. Dann aber warf er sich herum. Der Marshal stand auf halber Höhe des Hanges, an dessen Fuß der Bandit lag.

»Wirf den Revolver weg und heb die Hände in die Höhe.«

»Fahr zur Hölle, Gringo!«, knirschte Santanta. Der Colt in seiner Faust bäumte sich auf.

*


Ich schoss aus der Hüfte. Die Kugel warf Santanta zurück. Er brüllte auf. Meine zweite Kugel riss ihm den Revolver aus der Faust. Dann schritt ich den Abhang hinunter. Bei dem Banditen hielt ich an. Aus blutunterlaufenen Augen starrte er zu mir in die Höhe. Aus seiner Schulter sickerte Blut. Auch seine Hand, die von meiner zweiten Kugel getroffen worden war, blutete.

»Die Hölle verschlinge dich, Gringo!«

»Spar dir deinen Atem fürs Hängen«, versetzte ich. Dann holte ich mir seine Waffen, schlug dem Gewehr den Kolben ab und schob den Revolver in meinen Hosenbund.

Zwanzig Minuten später waren wir auf dem Weg. Wir saßen zu zweit auf meinem Pferd. Es war dunkel, als wir die Stadt erreichten. Im Hof des Mietstalles saß ich ab und zerrte den Banditen vom Pferd. Er röchelte. Zwei Männer kamen in den Hof. Sie trugen Gewehre. Ich erkannte den Schmied. Er sagte: »Drei der Banditen sind tot, Marshal, zwei wurden verwundet. Wir haben die Kerle gefesselt und in eine Scheune gesperrt, die von drei Männern bewacht wird.«

»Sperrt Santanta dazu«, sagte ich. »Werden mir Ihre Leute helfen, die Bande nach Amarillo zu bringen?«

»Natürlich, Marshal. Das ist keine Frage.«

Der Stallmann übernahm mein Pferd. »Gut«, sagte ich. »Wir brechen bei Tagesanbruch auf.«

»Wir werden da sein«, versicherte der Schmied.

»Ich danke Ihnen«, sagte ich. Dann ging ich ins Hotel, um zu schlafen. Bleierne Müdigkeit überwältigte mich von einem Augenblick zum anderen. Ich schlief in dem Bewusstsein ein, dem Recht im Panhandle wieder einmal Geltung verschafft zu haben.

30 tolle Western November 2021

Подняться наверх