Читать книгу Zugtiere in Trägerhosen - Phil Gaimon - Страница 13

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KAPITEL 6

Mein erster Vorgeschmack auf die WorldTour war Garmin-Sharps »Orientierungs-Camp« für die zwölf neuen Fahrer im Team. Bissell hatte selbst bei den größten Rennen maximal zwei Mechaniker und zwei Soigneurs dabeigehabt, aber auf der Personalliste, die an die Tür meines Hotelzimmers in Boulder geklebt war, standen 25 Namen, was einen Marathon endloser Termine mit Ärzten, Chiropraktikern und Physiologen bedeutete. Dann saß ich mit gefühlt einhundert Sportlichen Leitern an einem einschüchternden, langen Holztisch, wie man ihn von Geschäftsbesprechungen in alten Filmen kennt, um meine Ziele und Renntermine zu erörtern.

Bei acht Fahrern für jedes Rennen und insgesamt 30 Fahrern im Kader ist der Rennkalender eine ziemliche Puzzelei. Unterschiedliche Fahrer sind auf unterschiedliche Terrains spezialisiert und die Kapitäne nutzen kleinere Rennen, um für prestigeträchtige Veranstaltungen mit WorldTour-Status zu trainieren. Für manche Rennen wie die Tour de France war bereits eine Vorauswahl getroffen worden und selbst die besten Fahrer würden um ihren Startplatz dort kämpfen müssen.

Ich hatte keine Aussicht auf einen Start bei einer dreiwöchigen Landesrundfahrt. Meine Aufgabe war es, eine beständige Form aufrechtzuerhalten, so dass ich unsere Kapitäne das ganze Jahr über als Domestik unterstützen könnte, angefangen mit der Tour de San Luis in Argentinien im Januar, gefolgt von einer Handvoll kleinerer Rennen in Europa, von denen ich noch nie gehört hatte, bevor dann mein erster WorldTour-Start anstand: die Volta a Catalunya im März. Dann erklärte man mir, dass sich mein Kalender noch vollkommen verändern könnte, ich sollte mich daher nicht allzu sehr darauf verlassen.

Beim Abendessen verglichen die Fahrer ihre Rennkalender. Die Amerikaner im Team kannte ich bereits, aber es gab auch ein paar europäische Jungs, deren Namen mir nichts sagten, und ich bin immer neidisch, wenn ich einen jungen Kerl in einem WorldTour-Team sehe. Einer von ihnen sah pummelig aus und konnte nicht älter als 20 sein. Womit hat er das verdient? Gewiss hatte er sich nicht hochgearbeitet. Er hat nie aus einem Auto heraus gelebt.

Die ganze Woche über fragte ich mich, wie er es so weit gebracht hatte, und dann googelte ich schließlich seinen Namen: Lasse Hansen hatte in London Olympia-Gold im Omnium gewonnen. Manche Fahrer müssen sich nicht hocharbeiten und vermutlich hatte er einfach nur schwere Knochen.

Einer der jungen Kerle stellte fest, dass ein hübsches Mädchen auf Instagram seine alten Fotos durchgegangen war und bei dutzenden Bildern ein Like hinterlassen hatte – im Jahr 2013 eine Form des Flirtens. Er sagte mir ihren Namen und war betrübt zu hören, dass sie das Gleiche bei mir gemacht hatte. Sportler haben das gleiche Problem wie attraktive Frauen: Bisweilen interessieren sich die Leute nicht dafür, wer wir wirklich sind. Mark Cavendish könnte ein Foto mit Gandhi posten, aber er würde trotzdem mehr Likes für ein Foto seiner achtlos an einen Zaun gelehnten Rennmaschine bekommen.

Ich war Neuling in der WorldTour, aber dies war ein Thema, wo mein junger Kollege etwas von mir lernen konnte. Radprofis kommen nicht viel raus, wenn man daher eine anständige Gefolgschaft hat, sind die sozialen Medien eine tolle Möglichkeit, Frauen kennenzulernen. Ich ging seine Follower durch, scrollte durch tausende Männer mittleren Alters, bis ich auf eine Frau traf, die keinem anderen Radprofi folgte.

»Oh, ja! Die ist mir auch aufgefallen!«, sagte er.

»Folge ihr auch und like ein Selfie von vor ein paar Wochen«, riet ich ihm. »Das zeigt ihr, dass du ein Auge auf sie geworfen hast. Wenn sie dann das nächste Mal eins deiner Bilder kommentiert, antworte mit einer privaten Nachricht, so dass ihr chattet. Dort plaudert ihr eine Weile und dann fragst du sie nach ihrer Nummer.«

Als ich Single war und quer durch die USA reiste, ging ich, wenn ein hübsches Mädchen ein paar meiner Posts likte, ihre Fotos durch und stellte mir vor, wie unser gemeinsames Leben aussehen würde, und sofern sie in der Nähe wohnte, verabredete ich mich auf der Stelle zum Abendessen mit ihr. Ich denke mir das nicht aus. Ich kenne ein Mädchen, das mir erzählte, dass Lance Armstrong ihr Nachrichten auf Twitter schickte und dann mehr als zwei Stunden mit dem Auto fuhr, um Sex mit ihr zu haben.

Vaughters lebte nicht weit entfernt in Denver, aber wir bekamen auf dem Trip nicht viel von ihm zu sehen. Er war dabei, seinen Magister in BWL zu machen, was schon irgendwie komisch war, denn er hatte bereits einen Job bei einem millionenschweren Unternehmen, das er selbst gegründet hatte, und nun schien er keine Zeit zu haben, sich selbst darum zu kümmern.

Ein weiterer Grund für JVs Abwesenheit in der Woche war ein Shitstorm in den Medien, denn Ryder Hesjedal war als EPO-Betrüger in den Jahren vor seiner Zeit bei Garmin aufgeflogen. Vaughters hatte viel Kritik dafür einstecken müssen, für seine »saubere« Mannschaft frühere Dopingsünder verpflichtet zu haben, die Fans waren daher ziemlich sauer, dass Ryder, während Danielson und andere geständig waren und milde Sperren verbüßten, den Mund hielt und den Giro gewann.

Die Sache mit der Antidoping-Mission schien Vaughters durchaus am Herzen zu liegen. In einem Meeting hinter verschlossenen Türen sah er uns allen in die Augen und sagte, er würde lieber verlieren als betrügen und falls es in der Mannschaft jemals einen positiven Dopingtest gäbe, wäre das Experiment gescheitert und er würde das Team auflösen.

Der nächste Termin war eine Präsentation unseres Radsponsors Cervélo, der uns seine Produkte vorstellte. Jeder von uns würde bei jedem Rennen aus drei Rahmen auswählen können: ein leichtes Rad zum Klettern, ein steiferes, aerodynamischeres Rad für flaches Terrain und eines, das irgendwo dazwischen lag. Jedes hatte beeindruckende technische Merkmale und Features, aber niemand schenkte den Ausführungen Aufmerksamkeit. Wären PowerPoint und Meetings unsere Welt, hätten wir richtige Jobs (Tyler Farrar faltete gelangweilt einen Papierflieger, den er aber nicht warf), und weil wir sie umsonst bekommen, interessieren sich Radprofis einen feuchten Kehricht für Räder. Sprechen Sie mit einem Kerl, der auf ein Cervélo gespart hat, und er kennt alle technischen Details und die ganze Wissenschaft, die dahintersteckt, aber Profis bekommen jedes Jahr brandneue Rennmaschinen, uns ist laut Vertrag nicht gestattet, unsere Räder zu behalten, und ohnehin werden wir sie wahrscheinlich bei einem Sturz zu Bruch fahren, warum also sollten wir unser Herz daran hängen? Mir entging allerdings nicht, dass sie ziemlich schnell zur nächsten Folie wechselten, als sie zu Hesjedals Foto kamen.

Nach dem Meeting traf ich mich mit der PR-Managerin des Teams. Sie sagte, sie sei froh, einen Typen mit einem »Clean«-Tattoo in der Mannschaft zu haben, als ich daher am Nachmittag von unserem Bekleidungssponsor Castelli für neue Trikots vermessen wurde, bat ich bewusst um kurze Ärmel, damit es nicht verdeckt sein würde.

Mavic, unser Laufrad-Sponsor, war ebenfalls vor Ort. Ihnen war aufgefallen, wie engagiert ich in den sozialen Medien war, und so boten sie mir 5.000 Dollar dafür, in ihren knallgelben Schuhen zu fahren.

Fünftausend Dollar.

Dafür, Schuhe zu tragen.

Mavics Vertrag stellte mir außerdem Prämien für allerlei Resultate in Aussicht, die ich im Leben nicht erreichen würde: 15.000 Dollar für den Gewinn der Tour de France, 8.000 Dollar für den zweiten Platz, bis hinunter zu 2.500 Dollar für einen Etappensieg bei einem UCI-Rennen der Kategorie 2.1. Es fiel mir nicht leicht, keine Miene zu verziehen, als sie mir erklärten, dass sie meine Prämien bei 5.000 Dollar deckeln müssten.

Das Abendessen im Trainingslager fand immer in einem hübschen Restaurant in der Pearl Street statt, Boulders Einkaufsmeile in der Innenstadt, mit der kompletten Belegschaft und vielen neuen Namen, die es sich einzuprägen galt. Eines Abends saß ich neben einem Mann in einem schicken Anzug, der mich für einen Mechaniker hielt.

»Und was machen Sie so im Team?«, fragte ich, nachdem ich ihn aufgeklärt hatte.

»Ach, ich verbrenne Geld«, sagte er, an seinem Wein nippend.

Das große, schmutzige Geheimnis der WorldTour in der Post-Dopokalypse ist, dass sie im Grunde nicht durch Sponsoren am Laufen gehalten wird. Sponsoren helfen, aber die meisten Rennställe haben einen wohlhabenden Gönner, jemanden, dessen Herz für den Radsport schlägt und dem es nichts ausmacht, zehn Millionen im Jahr dafür hinzublättern, sich als ein Teil der Show zu fühlen. Garmin-Sharp wurde von einer Handvoll kleinerer »Investoren« finanziert, und nun war ich einem von ihnen in seiner natürlichen Umgebung begegnet. Ich fragte mich, wie Vaughters ihm die Sache schmackhaft gemacht hatte*, aber wir unterhielten uns stattdessen über Bücher (der Abschluss in Anglistik machte sich langsam bezahlt). Er empfahl einen Autor, den ich zu lesen versprach, wozu ich aber nie kam, sollte ich ihm also je wieder über den Weg laufen, schnappe ich mir schnell eine Kippe und fange an, ein Rad zu putzen, damit er mich nicht erkennt.

Ein paar der Jungs gingen nach dem Essen regelmäßig noch einen heben, aber ich blieb meistens im Hotel, aus Angst, einen schlechten Eindruck zu hinterlassen. Ich bedauerte das später, denn wie sich herausstellte, wurde von uns erwartet, in dieser Woche einen draufzumachen. Der alljährliche Herbstausflug wird informell als »Saufcamp« bezeichnet und Jahre, bevor er für das Team Sky die Tour de France gewann, hatte Bradley Wiggins als eine Mutprobe sein Argyle-Dress ausgezogen und war nackt durch die Pearl Street gelaufen.

Ich verließ Denver mit einem nigelnagelneuen Cervélo R5 im Wert von 10.000 Dollar, einem Wäschesack des Teams, auf dem mein Name falsch geschrieben war (Philip), einem neuen Garmin-Computer (der aufs metrische System eingestellt war) und einer Menge Karomuster-Klamotten, aber ich hielt mich an meinen Vertrag und trug noch bis zum 1. Januar beim Radfahren mein Bissell-Outfit. Ich gebe aber zu, dass ich das Argyle daheim ein paarmal vor dem Spiegel anprobierte, mit einem breiten Lächeln im Gesicht.

Mein altes Team hätte es vermutlich nicht bemerkt, hätte ich gegen meinen Vertrag verstoßen. Omer war damit beschäftigt, einen Deal abzuschließen, der sich den ganzen Sommer über vor unseren Nasen zusammengebraut haben musste: Statt neue Sponsoren für ihre jeweiligen Teams aufzutreiben, hatte Axel Merckx lieber Omer einen Job angeboten, falls es ihm gelänge, Bissell als Sponsor seiner Bontrager/LiveStrong-Nachwuchsmannschaft zu gewinnen. Ich war sauer auf Omer, seinen eigenen Arsch zu retten, während die meisten der Fahrer gezwungen waren, ihre Karriere an den Nagel zu hängen, und ich nahm es Axel übel, nur einen einzigen Anruf zu tätigen, um seine Mannschaft am Leben zu erhalten, indem er den Sponsor eines anderen abwarb, statt Klinken zu putzen, um einen neuen aufzutun. Aber sie taten, was sie tun mussten in einem schrumpfenden Sport, in dem eine Fusion verhindern konnte, dass zwei Teams komplett verschwänden. Die Continental-Serie war ein knallhartes Geschäft, ein Hauen und Stechen, und ich war froh, aus der Nummer raus zu sein.

* Ich lernte später den Drehbuchautor Paul Guyot kennen. Paul hatte seinen achtjährigen Sohn auf eine »Meet and Greet«-Fahrt mitgenommen und der Kleine war am Boden zerstört, als er das Tempo nicht mitgehen konnte. Paul kamen die Tränen, als er mir erzählte, wie Danielson kehrtmachte, um sich mit den beiden zu unterhalten, und Paul am Nachmittag Vaughters vorstellte. JV witterte Geld und sie waren wochenlang die besten Freunde. »Wie würde es deinem Sohn gefallen, bei Paris–Roubaix im Teamwagen mitzufahren?«, fragte er schließlich und bot ihm für eine Million Dollar im Jahr Zugang zum Team an. Paul sagte, er habe derzeit keine Aufträge, »aber wie wäre es mit 250.000 Dollar für dieses Jahr?« Das ist eine Viertelmillion Dollar quasi ohne Gegenleistung, aber Vaughters hörte auf, auf Guyots Nachrichten zu antworten.

Der Sundown Saloon ist die angesagteste Tränke in Boulder, und Bustop ist der Stripclub. Viele Profis kommen durch Boulder, ein großer Teil des Pelotons ist also mit beiden Etablissements vertraut. Falls man das Teamauto nimmt, parkt man am Radgeschäft die Straße runter, sonst gibt es Ärger mit dem Sponsor.

Das bedeutet, dass man auch sein Gehirn aufs metrische System umstellen muss. Sie können meinen Schmerz sicher nachempfinden.

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