Читать книгу Zugtiere in Trägerhosen - Phil Gaimon - Страница 14

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KAPITEL 7

Zu Matt Koschara verspürte ich eine beinahe familiäre Verbindung, aber er hatte noch nie mit jemandem aus der WorldTour gearbeitet, also heuerte ich im Herbst einen neuen Coach an, den mir Vaughters empfohlen hatte. Auf höchstem Niveau sind die Leistungsunterschiede winzig, man muss also zum richtigen Zeitpunkt in Bestform sein, und mit meinen bisherigen vier Trainern in neun Jahren hatte ich durchweg das Problem gehabt, im Winter zu hart zu trainieren, im Frühjahr alles in Grund und Boden zu fahren und im Sommer hinterherzuhecheln. Als Domestik bei Garmin-Sharp würde ich konstanter sein müssen, ich betonte daher, dass es die Hauptaufgabe meines neuen Trainers wäre, darauf zu achten, dass ich nicht zu früh in Höchstform käme.

Radsport bedeutet wenig Belastung für die Gelenke und Knochen, was ein zweischneidiges Schwert ist, denn schon so mancher junge Fahrer hatte wegen Osteoporose seine Karriere frühzeitig beenden müssen. Um die Knochendichte zu verbessern, bemühte ich mich daher, in der rennfreien Zeit regelmäßig in den Kraftraum zu gehen. Mein neuer Trainer bereitete dem aber ein Ende, denn er meinte, wir hätten genug auf dem Rad zu tun, also würden wir die langfristige Gesundheit hintanstellen. Mit anderen Worten: Um im Radsport der Allerbeste zu sein, muss man zulassen, dass es einen zum Krüppel macht. Glücklicherweise ist es in den Augen der Gesellschaft vollkommen in Ordnung, den Anfang und das Ende seines Lebens zu opfern, solange man es irgendwann dazwischen zum Profisportler schafft.

Zu Weihnachten reiste ich nach Athens, wo Jeremy Powers mich zwischen zwei Cyclocross-Rennen besuchte. Er verriet mir, dass er darauf aus war, einen Weltcup zu gewinnen – die wichtigste Rennserie im Cyclocross.

»Und was ist dein langfristiges Ziel?«, wollte Jeremy wissen.

»Ich weiß gar nicht, ob ich mir jemals Ziele über den nächsten Schritt hinaus setze«, wurde mir klar. »Ich starre nur auf den Boden und schaufle in der Hoffnung, dass es vorangeht, weiter Kohle in den Kessel.«

»Genau, Phil, und deswegen endest du bei beschissenen Rennen in Thailand. Lass uns ein paar Ziele setzen.«

Wir beschlossen, dass ich versuchen sollte, ein Rennen auf UCI-Ebene zu gewinnen. Jeremy räumte ein, dass es angesichts meiner Rolle als Domestik wohl ein paar Jahre dauern könnte, aber ich ging eher davon aus, dass es niemals so weit kommen würde. Dann lachten wir über die Prämien in meinem Mavic-Vertrag.


Jeremy Powers in seiner ganzen Pracht.

»Nichts für ungut, aber die Jungs haben einen an der Waffel«, sagte er.

Abends verschüttete Jeremy Müsli oder Goji-Beeren oder irgendeinen anderen Hippiefraß in der Küche und fand einen alten Staubsauger im Flurschrank, um es zu beseitigen.

»Phil. Ein Eureka?«, fragte er ungläubig, nachdem er das ganze Jahr über meine Bissell-Reklame auf Twitter ertragen hatte. »Du hast echt Eier!«

»Funktioniert noch!«, wandte ich ein. »Was soll ich denn machen? Einen Staubsauger, der vollkommen okay ist, wegschmeißen, nur weil ich vom Sponsor einen umsonst bekommen habe?«

»Echt Eier!«, johlte er.

Ich verkaufte den Staubsauger und alles andere im Haus auf Craiglist, denn nun, da ich in Kalifornien lebte, würden Dauermieter das Piratenschiff übernehmen. Irgendwie brachte ich es außerdem auf 32 Stunden auf dem Rad in sieben Tagen, mit sogar einem Ruhetag dazwischen, da ich bei einer weiteren Hochzeit als Geistlicher fungierte.*

Da ich nicht wusste, wann ich zurückkehren würde, blieb ich recht lange bei der abendlichen Feier, um mich von meinen Freunden zu verabschieden. Sie waren es gewohnt, mich frühzeitig von Partys verschwinden und spät von meinen Trainingsausfahrten heimkehren zu sehen, also wünschten sie mir viel Glück in Europa und hofften, dass sich alles bezahlt machen würde.

»Von allen da drüben musstest du es dir härter erarbeiten als jeder andere«, lallte einer. »Jetzt geh und reiß ihnen den Arsch auf.« Er hatte einen sitzen, aber seine Worte blieben haften.

Als ich im Januar nach L.A. zurückkehrte, war ich in der Lage, mich voll aufs Training zu konzentrieren, und es lief perfekt. Danielson beklagte sich darüber, wegen des Schnees in Boulder und Tucson ständig Trainingseinheiten zu versäumen, aber alles, worum ich mir Sorgen machen musste, war ein möglicher Sonnenbrand. Mein neuer Coach verschrieb mir präzise, sehr spezifische Trainingseinheiten – »zehn Minuten bei 250 Watt und einer Kadenz von 70 RPM, gefolgt von fünf Minuten bei 300 Watt und 120 RPM« -, die so komplex waren, dass ich sie auf einer Karteikarte notieren und an den Vorbau kleben musste. Meine Leistung analysierend, bemängelte er, dass ich es in den Canyons zu viel rollen ließe, ich sollte daher flachere Strecken aufsuchen, um Abfahrten zu vermeiden. Ich mag es, zu klettern, und ich liebe es, es einfach rollen zu lassen, aber die Rennen würden härter werden, insofern war es zweckmäßig, dass auch das Training härter würde, und er versicherte mir, dass ich mit längeren Ausfahrten bei geringer Intensität nicht zu früh in Höchstform kommen würde.


Die »Keine Abfahrt!«-Regel bedeutete lange Tage auf Radwegen oder dem Pacific Coast Highway, wo es immer von Radfahrern wimmelte, und nun, da ich ein WorldTour-Trikot trug, meinte plötzlich jeder, den ich überholte, sich für das Team anbieten zu müssen. Ich überholte Typen, als würden sie auf der Stelle treten, und dann, keine zehn Sekunden später, sprinteten sie an mir vorbei, damit sie ihren Frauen erzählen konnten, sie hätten einen Profi »versägt«. Ein Kerl saß zwei Stunden lang von Oxnard bis Santa Monica an meinem Hinterrad. Ich hätte ihn am liebsten in den Ozean gestoßen, aber als ich an einem Café anhielt, stellte er sich mir vor.

»Hey, Phil! Mein Name ist Michael. Danke für den Windschatten. Darf ich mich zu dir setzen?«

»Hi, Michael. Du zahlst«, sagte ich.

Ich glaube, das nennt man Symbiose. Wir führten eine angenehme Unterhaltung. Er war Architekt.

Wenige Tage vor dem Start der Tour de San Luis traf ein schnittiges Cervélo P5-Zeitfahrrad bei mir zu Hause ein, das zuvor vom Amerikaner Jacob Rathe gefahren worden war (sein Name stand auf dem Aufkleber). Ich hätte es fast mit zu einem Fachmann genommen, um mich vernünftig vermessen und ein richtiges Bikefitting machen zu lassen, aber ich wurde faul und erledigte es stattdessen so gut ich konnte selbst mit einem Maßband im heimischen Wohnzimmer. In Spanien würden wir Personal haben, um es im Februar einzustellen, und das nächste Zeitfahren war die fünfte Etappe der Tour de San Luis. Bis dahin wäre ich eh 60. im Gesamtklassement, und Domestiken ließen es in Zeitfahren ohnehin locker angehen und sparten Kräfte, um am nächsten Tag ihrem Kapitän zu helfen.

Um ehrlich zu sein, hatte ich in der Woche alles andere als das anstehende Rennen im Kopf. Da nur wenige Tage zwischen meiner Rückkehr aus Argentinien und einer dreimonatigen Reise nach Europa lagen, würde aus meiner Liaison mit Joanna eine Fernbeziehung werden. Wir waren noch nicht lange zusammen, aber wir verstanden uns super, und sie gab mir etwas, worauf ich mich abseits meiner Leistung konzentrieren konnte und was mir die Achterbahnfahrt des Sportlerdaseins spürbar erleichterte. Das wollte ich nicht aufs Spiel setzen, daher ging ich in ein Juweliergeschäft und am Vorabend meiner Abreise bat ich sie, mich zu heiraten.

Sie jagte ja und trug den Ring, aber sie wollte sich auf keinen Termin festlegen, was mir recht war. Der Radsport hatte mich gelehrt, dass ich mir das, was ich wollte, verdienen musste, aber mit der Zeit – und genügend Entschlossenheit und Einsatz – würde es sich schon irgendwann ergeben. Der Radsport hatte mich außerdem gut darin gemacht, mir etwas vorzumachen.

Sie gab mir eine Silberkette mit einem Messingring daran und wir feierten mit Steak und Wein in einem teuren italienischen Restaurant, bevor wir den Abend in der romantischen Garage ihres Vaters damit beschlossen, Räder für mein erstes Rennen in der WorldTour zu verpacken.

* Das bedeutet zwei Auftritte als Geistlicher bei Trauungen in einer Winterpause, falls Sie mitgezählt haben. Keine schlechte Ausbeute, oder? Gut, Morgan und Thomas waren beide Radprofis, das zählt also nicht.

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