Читать книгу Möglichkeiten, Zeit zu verbringen - Philine Speicher - Страница 7

Die Großeltern

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Die einen Urgroßeltern väterlicherseits waren eine jener Familien gewesen, die aus der Stadt gekommen waren und deren Ruf so tadellos war, dass sie bequem ihr Geld mit der Sommeraufbewahrung der Kinder anderer Leute, vorzugsweise junger Mädchen, verdienen konnten. Die Urgroßeltern hatten bereits in der Stadt nicht wenig Geld besessen und einen damit verbundenen Habitus, der andere Familien, die sich ebenfalls für bessergestellt hielten, glauben machte, dass ihr Nachwuchs bei den Urgroßeltern in guten Händen sei. Nachmittags um drei wurde Tee gereicht, die Backfische mussten vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein und unschickliche Romane wurden unter den Kopfkissen der Mädchen entfernt.


Nun trug es sich aber leider zu, dass einer der Söhne der Urgroßeltern schon früh einen nicht unerheblichen Hang zum Alkohol entwickelte. Für die Urgroßmutter war klar, dass das Verhalten ihres Sprösslings nur dadurch fehlgeleitet sein konnte, dass er, wie die Urgroßmutter eines Tages zu spät entdeckte, einen jeden der Romane mit starker Hingabe gelesen hatte, die sie den Sommermädchen entwendet und sogleich in eine große Kiste auf dem Dachboden getan hatte. Diese gefühlsduseligen Groschenhefte, meist von ausländischen Schmierfinken verfasst, konnten niemals förderlich sein für einen noch unerfahrenen und knospenden Charakter, wie eben den des Sohnes, fand die Urgroßmutter. Sie ärgerte sich stark über diese Mädchen aus angeblich gutem Hause! Sie kamen mit ihren Mengen an Koffern und Hutschachteln angereist und taten so sauber so gut gekleidet wie sie waren. Aber die Urgroßmutter wusste zu gut, was diese Mädchen wollten, wusste zu gut, wie es unter den gestärkten Röcken roch.

Und der Sohn hatte reges Interesse daran, unter jedem einzelnen der Röcke zu riechen. Es dauerte nicht lange und es wurde überdeutlich, dass die Neigungen des Sohnes nicht förderlich für den Ruf des Familienbetriebs waren.

Unter dem offiziellen Vorwand, dass das Zimmer des Sohnes gewinnbringend vermietet werden könne, quartierte man den Sohn zu einer einheimischen Familie aus. Die Mutter der Gastfamilie war den Urgroßeltern schon lange bekannt, weil sie bereits mehrere Jahre die Gästezimmer säuberte und von Zeit zu Zeit auch auf die Kinder der Familie aufgepasst hatte. Nachdem die Familie der Angestellten gründlich geprüft war und auch der Pfarrer ihr regelmäßiges sonntägliches Erscheinen in der Kirche bestätigt hatte, schien es gefahrlos, den Sohn ziehen zu lassen.


Der Sohn ging keiner geregelten Beschäftigung nach. Die Urgroßeltern hatten ihn den Winter über als Kind in ein Internat in der Schweiz geschickt, aber der Junge erwies sich als wenig begabt und so gab es kaum Gründe, weiterhin solch hohe Ausgaben für ihn zu tätigen. Eine weitere solide Ausbildung erhielt er in der Oberschule der naheliegenden Stadt. In dieser Zeit hatte der Junge bei der dort ansässigen Verwandtschaft genächtigt und die Wochenenden und den Sommer bei den Eltern im Betrieb verbracht. Nach der Schule stellte niemand eine Frage nach einem möglichen Studium. Bildung war zwar hübsch angesehen und weitestgehend selbstverständlich in den Kreisen der Urgroßeltern, aber da sie noch weitere Kinder hatten, konnte eines ruhig aus der Reihe fallen. Man ging allgemein davon aus, dass der Junge einfach noch Zeit brauche und sich irgendwann von selbst in das Familiengeschäft einfügen werde.

So kam es, dass der Sohn tagsüber nichts Bestimmtes zu tun hatte. Er schlief morgens recht lange. So lange, dass seine Gastfamilie schon lange das Haus zur Arbeit verlassen hatte, wenn sein erster Fuß das Bett verließ. Vor der Tür seines Zimmers ließ die Gastmutter ein Tablett mit dann mittlerweile kaltem Kaffee und Eiern und einer Scheibe Brot. Der Sohn ließ sich Zeit mit dem Ankleiden und blätterte kurz durch die Zeitung bevor er sich gegen Mittag auf den Weg zu seinem Elternhaus machte.

Im Gegensatz zu den Hoffnungen seiner Eltern hielt ihn die nächtliche räumliche Trennung keineswegs von den weiblichen Gästen fern. Es war schon fast so, als hätte er einen siebten Sinn für diese. Jedes Mal, wenn eine neue eintraf, war er, wie durch Zufall, einige Minuten eher da um der Dame aus der Kutsche, dem Automobil oder was auch immer zu helfen und sie garantiert als Erster prüfend in Augenschein zu nehmen. Je nachdem, wie er sie beurteilte und wie viel Zeit sie im elterlichen Haus zu verbringen gedachte, ließ er sich mehr oder weniger Zeit mit ihr. Er kannte das Spiel, das wie zufällige Auftauchen, kurze intensive Blicke, dann wieder komplettes nicht beachten, Gartenarbeit mit freiem Oberkörper als guter Sohn in der mittäglichen Sonne und schließlich ein harmloser Zettel zwischen den Seiten ihrer Lektüre. Je nachdem, wie er ihren Charakter einschätzte, machte er sich die Mühe, Gedichte zu zitieren, bei anderen beschränkte er sich auf mehr oder weniger platte Komplimente und eine Einladung zu einer nachmittäglichen Spazierfahrt oder einen Ausflug an die See.

Keines der Mädchen lehnte ab, zu groß war der Reiz endlich der Enge und Aufsicht zu entkommen und jede wollte natürlich auch zum Schulanfang zu erzählen haben. Mit großem Tam-Tam, Sonnenschirm oder Hut und mehrschichtigen Röcken ließen sich die Mädchen von ihm ausführen. Fast ein jedes trug mehr oder weniger als Accessoire einen jener damals allseits beliebten Mädchenerziehungsromane bei sich, in denen den Leserinnen wenig subtil und unter mannigfaltigen buntgemischten Drohungen erklärt wurde, wie sich eine gute Dame zu verhalten habe.

Der Sohn verbrachte unzählige träge Nachmittage mit diesen hochgeschnürten Geschöpfen auf einer Decke in einer abgeschiedenen Bucht oder in einem stillen schattigen Wäldchen oder wo auch immer er und auch sie sich sicher war, dass keiner sie sah. Die hellgekleideten Backfische waren allesamt schnell erhitzt und erröteten fast ohne jeden Anlass. Das Spiel war nur allzu leicht mit ihnen, wurden sie daheim doch größtenteils von gleichaltrigen Jungen fern gehalten. Die Sonne, das Rauschen der Wellen oder die Blätter im Wind, ein Korb mit Essen und ein leicht alkoholisches Getränk taten das ihrige und meist musste der Sohn nur warten und manch blasser Schenkel oder zuvor gut verschnürte Brust wurde unter angemessenem Anstandsprotest entblößt.

Das Spiel wurde dem Sohn nie langweilig und auch führte er die dorfinterne Statistik an, die fast jeden Abend in der Dorfkneipe auf den neusten Stand gebracht wurde. Zeitgleich mit der Unzahl an Mädchen, die ihm meist noch Wochen später Briefe schrieben und deren einzelne Gesichter er kaum erinnerte, fand er ein Spiel, das ihn wesentlich mehr fesselte und ihn in den Augen aller, die später über ihn urteilten, endgültig dem Untergang weihte.

Es war das alte Spiel: Seine einheimische Gastfamilie hatte eine Tochter.

Das Mädchen war noch sehr jung und hatte eine Menge Schwarzhaar, das sie streng aus ihrem Gesicht band. Was an den Körpern der blassen Städterinnen noch backfischhaft speckig war, war bei ihr trotz ihrer wenigen Jahre schon als üppig zu bezeichnen. Ihre Versuche, Brust und Hüfte in biederen Blusen und wadenlangen Röcken zu verstecken, wirkten lächerlich hilflos. Ihr Bewegungsablauf, ihre Körperhaltung verrieten allzu deutlich, was sie zu verstecken versuchte. Sie hatte bereits mit 15 die Schwerfälligkeit einer mehrfachen Mutter. Ihre Augen waren mandelförmig, ihr Blick stets unruhig und gehetzt. Der Mund beherbergte eine Reihe unverschämt weißer Zähne. Die Lippen waren viel zu voll.

Das Mädchen ging in die Dorfschule für Einheimische und mindestens zweimal in der Woche kniete sie auf den rauen Holzbänken der Kirche. Sie war ein gutes Kind, half ihrer Mutter bei jeder Gelegenheit und ihre eigene Gottesfürchtigkeit verfolgte sie oft bis in den tiefsten Schlaf.

Neben religiöser Erziehungsliteratur füllten Unmengen an Frauenbildungsromanen ihr Mädchenzimmer. Die Eltern putzten in verschiedenen Herrenhäusern und wenn ein Gastmädchen ein Buch mehr oder weniger versehentlich bei seiner Abreise vergessen hatte, durfte es die Familie oft zum Eigengebrauch mit nach Hause nehmen.

Und auf dieses Subjekt nun fiel die Begierde des Trunkenbolds.


Anfangs versuchte er es auf dem Weg, der sonst immer so gut funktionierte. Er versteckte kleine Zettel unter ihrem Kopfkissen oder zwischen den Seiten eines Buchs, das sie gerade las. Das Mädchen zeigte sich aber keineswegs willig, sich heimlich mit ihm zu treffen, im Gegenteil, sie zeigte die Zettel ihren Eltern und diese trugen sie empört zu seinen Eltern.

Man diskutierte lange, ob man den Sohn aus der Familie nehmen solle und entschied schließlich, ihn zu disziplinieren und außerdem der Familie mehr Geld zu bezahlen.

Für den Sohn änderte dies alles nichts an seinen Zielen, aber er erkannte, dass er andere Wege würde gehen müssen.

Das Schöne für ihn war, dass er gleichzeitig durchaus nicht von seinen anderen Backfischen lassen musste. Er war sehr gut darin, jede einzelne glauben zu machen, dass sie die Einzige sei. Und durch die kontinuierliche Befriedigung über den Sommer, konnte er sich mit der Tochter Zeit lassen. Nachdem er schon akzeptiert hatte, dass er warten musste, wollte er sich das, was er für den Hauptgewinn hielt, für die Zeit nach den Sommergästen, für den Herbst und den Winter aufbewahren.


Um irgendwo zu beginnen, begann er damit, dass er dem armen Mädchen nach der Schule auflauerte. Statt wie früher direkt nach dem Aufstehen zu seinen Eltern zu gehen, ging er mittags erst durch die Stadt spazieren. Gegenüber ihrer Schule standen ein paar Bäume und eine Mauer zog sich die Straße entlang. Je nach Witterung stand er im Schatten der Bäume oder lehnte in der Sonne an der Mauer. Völlig ruhig wartete er jeden Schulgong ab und interessierte sich für keines der anderen Mädchen, die das Schultor ausspuckte. Er stand einfach da und wartete bis sie, meist als eine der letzten, aus dem Schultor huschte und kurz gehetzt nach links und rechts blickte um dann scheinbar forsch und direkt ihren Heimweg anzutreten. Sie spürte seinen Blick. Und sein Blick bohrte sich weder in ihren Hinterkopf, noch in ihren Rücken. Ohne jede Scham starte er auf die kräftigen Waden, die Schenkel, die Hüften. In diesem Moment nach ihrer Haarfarbe befragt, hätte er keine Antwort gehabt.

Sie hielt es selbst für unschicklich zu rennen, auch dachte sie, dass er dann wüsste, dass sie wusste, dass er sie anstarrte. Da sie also nicht rennen konnte, fing sie an, regelmäßig nach der Schule das Gotteshaus zu besuchen, das auf der Hälfte des Weges nach Hause lag. Hier fühlte sie sich sicher, weil sie davon ausging, dass der furchtbare Mann ihr nicht folgen würde. Sie betete in diesem Sommer wesentlich mehr als je in einem davor. Ihre braven Eltern werteten dies positiv, er trieb das Mädchen ungewollt zu noch mehr Frömmigkeit.

Und der Sohn hatte noch zu wenig Erfahrung mit tatsächlich verinnerlichten oder gar gelebten Werten und erkannte sein Verhängnis also noch nicht.


Der Sommer war besonders heiß und zog sich langsam und träge dahin. Die Mädchen bei seinen Eltern kamen und gingen. Er schlief meist bis mittags, lauerte seiner kleinen Novizin auf, nahm dann ein leichtes Mittagsessen bei den Eltern und tauschte bei dieser Gelegenheit kleinere Nachrichten aus. Es gab wenige Nachmittage an denen er nicht mit irgendeinem Mädchen durch die Stadt spazierte, eine Kleinigkeit am Strand picknickte oder ähnliches. Er perfektionierte seine Gabe, nicht zuzuhören aber dabei sehr interessiert auszusehen. Die dummen Gänse konnten doch nicht tatsächlich glauben, dass es ihn interessierte, was ihre Welt bewegte! Abends, nachdem er seine Errungenschaft, die ihn bis zu diesem Zeitpunkt jedes Mal furchtbar langweilte oder anwiderte, weil er bereits alles bekommen hatte, was er wollte, im jeweiligen Herrenhaus abgegeben hatte, traf er ein paar Freunde aus dem Dorf. Man verglich sein Federvieh und trank mit erhitzten Köpfen. Jeder der Trinkgefährten wusste um seine Leidenschaft für die Tochter. Einige hatten Reize in ihr gesehen, weil sie sie begehrt sahen und versuchten ihrerseits ihr Glück bei ihr, scheiterten aber ausnahmslos. Für seinen Erfolg bei den Gästen beneidete man ihn, aber manch einer von ihnen hatte insgeheim Mitleid mit ihm, dass er sich an erster Stelle auf eben dieses Mädchen festgelegt hatte.

Als der Sommer begann, sich zum Ende zu neigen, startete er einen weiteren Annäherungsversuch. Die Tochter kam in ihrer Schuluniform aus der Schule, es war Mittag und die Sonne brannte. Ihr Rock spannte über ihrem riesigen Hintern, es war schon lange Zeit, einen neuen zu kaufen, aber den Eltern fehlte es an Geld. Er fixierte ihre Glieder, die gleichmäßig mit jedem Schritt wogten. Die Sonne auf seinem Kopf, ein unbefriedigender Nachmittag am Vortag und daraufhin zu viel Alkohol am Vorabend brachten ihn dazu, seine Hand nach dem Fleisch vor ihm auszustrecken. Die Hand verharrte kurz in der Luft vor dem Hintern, weil er die Bewegungen beruhigend und anziehend fand, aber dann landete die Hand von hinten zwischen ihren Schenkeln. Er fühlte die überwältigende Masse ihres Hinterns und sie schrie erschrocken auf.

Schulkinder und Mütter sahen sich nach den beiden um, die Kirche war zu weit weg als dass sie sich hätte dorthin flüchten können. Er drängte sie in eine ruhigere Seitengasse und presste seinen Körper an ihr Fleisch. Sein Atem roch noch nach Alkohol und Brandt. Sie wollte sich losreißen, die Steinmauer in ihrem Rücken zerkratzte ihre Haut. Er versuchte, seine Hand unter ihren Rock zu schieben, aber dieser war zu eng und er musste sie gleichzeitig ja auch noch festhalten. Er atmete ihre Haut am Hals und den schweren Geruch ihres Haars. Er hielt inne und wurde ruhig. Er fragte sie, ob das richtig sei, was sie hier taten. Sie hatte keine Antwort für ihn, für ihr Empfinden hatte sie nichts getan und für ihr Empfinden war nichts richtig an der Situation. Er ließ von ihr ab und betrachtete ihr Gesicht. Sie hatte Angst, sah er und sie fühlte Ekel. Wir werden heiraten, sagte er ihr. Dass er das tatsächlich wollte, merkte er erst in dem Moment, als er es sagte.

Er drehte sich weg von ihr und ging die Straße hinunter. Sie rannte in die nächste Kirche.

Sie fühlte sich dreckig und äußerst unwohl in ihrem Körper und er war überwältigt von so viel körperlicher Nähe. Sie betete inbrünstig auf ihren Knien und er ging auf direktem Weg zu ihren Eltern und hielt um ihre Hand an. Die Eltern machten gerade Mittagspause und machten sich emsig im eigenen Haushalt nützlich. Sie wussten sofort, dass etwas nicht stimmte. Normalerweise war der Gastsohn nie zu dieser Zeit daheim. Er bat die beiden, sich aufs Sofa zu setzen und erklärte ihnen, er habe ihre Tochter geschwängert. Sie müssten sich aber nicht allzu sehr sorgen, er sei durchaus bereit, diese auch trotz ihres Fehltrittes zu ehelichen.

Die Mutter brach auf der Stelle zusammen und schluchzte lautstark in ihrem Unglück. Auch dem Vater stand der Schock ins Gesicht geschrieben.

Noch bevor die Tochter aus der Kirche Heim kam, hatten die Eltern eingewilligt. Er hatte gute Argumente, ein wohlhabendes Elternhaus und die Tochter würde sicher niemand mehr in ihrem jetzigen Zustand nehmen.

Nun galt es zum einen, die Tochter zu überzeugen und zum anderen es seinen Eltern so schonend beizubringen, dass er trotz einer Hochzeit mit einer Einheimischen nicht enterbt würde.

Die Tochter kam aus der Kirche und man teilte ihr ihr Schicksal mit. Das Kind fing an zu weinen und fragte, warum man ihr dies antäte und sie bekam die Antwort, dass sie sich dies alles selber angetan hätte und dass sie dem jungen Mann dankbar sein müsse. Weiter würde man nicht über den Vorfall sprechen, die Erziehung der Eltern verbiete es.


Seine Eltern reagierten besser, als er gedacht hatte. Im Grunde waren sie froh, dass der Sohn unter die Haube kam, zu schlecht war sein Ruf für den elterlichen Pensionsbetrieb. Auch die Tatsache, dass es sich um eine Einheimische handelte, war den Eltern egal- in erster Linie zählte, dass der Sohn sich nicht mehr mit den Sommergästen herumtrieb- dachten die Eltern.

Der Sohn zog erst einmal wieder in sein Elternhaus zurück, die Saison war auch so gut wie zu Ende. Bereits in der nächsten Woche verabredete man sich um weitere Details zu klären.

Auf der Veranda hatten seine Eltern die ihren zum Kaffee gebeten. Ein strahlend weißes Tischtuch lag auf dem schweren Holztisch, die Mutter hatte aus Dünengräsern eine Deko geflochten und vom Meer roch es feucht und salzig. Ihre Eltern hatten ihre beste Kleidung angelegt, die sie gewöhnlich nur an hohen Feiertagen in der Kirche trugen. Das Mädchen trug ihre Schuluniform, da die Mutter gefunden hatte, dass ihre restliche Kleidung zu abgearbeitet sei. Ihren Blick hielt sie gesenkt und man brauchte nicht ihr Gesicht zu sehen um zu wissen, dass ihr das Alles furchtbar unangenehm war; die Schultern hielt sie nach vorne, der Rücken war krumm.

Er hatte sie die ganze Woche nicht gesehen, weil er ihr nicht mehr auflauerte, seit er wusste, dass er sie sowieso bekam. Jetzt reichte ihm die Vorstellung von ihr und allem, was er bald mit ihr würde tun dürfen.

Seine Planung war allerdings nicht sehr weit gegangen, wie er bemerkte, als er dem Gespräch der Eltern kurz seine Aufmerksamkeit schenkte.

Die Eltern besprachen, dass man dem jungen Paar ein kleines Haus etwas außerhalb der Stadt kaufen müsse. Das Haus und eine nicht unerhebliche Summe Kostgeld würden seine Eltern leisten. Den Haushalt, der über ihre Aussteuer hinaus benötigt werden würde, solle von den Geschenken der Hochzeitsgäste finanziert werden. Das Mädchen müsse man so schnell als möglich von der Schule nehmen, damit die Folgen des unschicklichen Vorfalls unbemerkt blieben. Niemand im Raum nahm das Wort Schwangerschaft in den Mund.


Nachdem man sich über die Rahmenbedingungen für das Zusammenleben soweit einig war, planten die Eltern die Hochzeit. Ihre Eltern bestanden auf eine kirchliche Trauung, seine Eltern darauf, dass alles möglichst klein gehalten werden solle. Ihre Eltern sollten Geld für die Ausstattung der Braut erhalten und nach der Trauung sollte im kleinen Kreis im Restaurant gegessen werden.

Man fragte die Kinder, ob sie damit einverstanden seien.

Der Sohn hatte nur halbherzig oder die meiste Zeit gar nicht zugehört und hatte keinerlei Einwände. Ihm war es gleich.

Der Tochter war es keineswegs gleich und ihre erste und einzige Forderung war, dass ihr zukünftiger Gatte in die Kirche gehen solle.

Die Eltern stimmten ihrer Forderung einstimmig zu und er dachte nicht mal im Ansatz daran, tatsächlich in die Kirche zu gehen.

In den nächsten Wochen wurde sie von der Schule abgemeldet, ein Haus wurde gesucht und der Herbst hielt Einzug. Als auch die letzten Sommergäste den Ort verlassen hatten, wurde geheiratet.

Von seinen Eltern finanziert, aber von den ihren ausgesucht, wurde sie eine sehr schlichte Braut. Noch immer glaubend, dass das Kind schwanger sei, fand man es unpassend, sie in zu aufwändige Kleider zu stecken. Dass ihr Bauch nicht weiter gewachsen war, war nicht aufgefallen. In der Kirche trug sie einfache weite weiße Leinen, unter denen ihr Fleisch wogte. Ihr war deutlich anzusehen, dass sie nicht wollte und viele Gäste machten sich über ihre sauertöpfische Miene lustig. Er selber war bis jetzt ganz zufrieden, wie es gelaufen war. Seine Freunde hatten noch am Abend zuvor versucht, ihm die Ehe auszureden und schon seit Wochen tranken sie wesentlich mehr als sonst und machten häufig Ausflüge ins Landesinnere, in die größeren Städte. Ihm gefiel die Kameradschaft. Als seine Freunde seine Braut so verschnürt und hochrot sahen, lachten sie und klopften ihm auf die Schulter. Er wusste, er musste nur noch bis zum Abend warten. Sich getroffen oder gar geredet hatte er mit seiner Braut nicht mehr seit die Eltern die Hochzeit vereinbart hatten.

Die Feier dauerte nicht lange. In die Kirche waren noch recht viele Gäste gekommen aber zu dem darauffolgenden Essen waren nur wenige eingeladen worden. Die mehr oder weniger engen Familienmitglieder quetschten sich in einem Restaurant um einen hübsch gedeckten Tisch. Er versuchte unterm Tisch ihre Beine anzufassen und fühlte sich dabei wie ein Schuljunge amüsiert. Sie lief rot an und schubste seine Hand weg. Jeder hatte es gesehen.

Nach dem Essen gingen die Gäste recht zügig, die meisten fanden die Ehe unpassend. Seine Familie, weil sie eine Einheimische war, und ihre Familie, weil er einen eindeutigen Ruf hatte.

Beide Eltern brachten das frisch vermählte Paar zu dem Haus, das seine Eltern für sie gekauft hatten. Ihre Eltern weinten bereits auf der Fahrt dorthin. Am Haus selber verabschiedete man sich recht schnell, für alle war es eine unangenehme Situation. Er wollte seine Braut klassisch ins neue Heim tragen, wenigstens über die Schwelle heben, aber sie entwich ihm und stürmte vor ins Haus. Ihr war jede seiner Berührungen unangenehm.

Sie musterten beide eine Weile getrennt das Haus, das nun ihr gemeinsames zu Hause sein sollte. Ihm war es weitestgehend gleich, sie fühlte sich fremd und ihrer Rolle, sich um all die Hausangelegenheiten zu kümmern, nicht gewachsen. Sie wünschte sich in die Schule zurück. Er trank in der Küche direkt aus der Whiskyflasche. Er setzte sich auf einen hölzernen Küchenstuhl und trank weiter. Die Küche und das ganze Haus waren sehr bieder eingerichtet, viel Holz. Für eine kurze Weile vergaß er, wo er war.

Als er sich aufraffte, um ins Schlafzimmer zu gehen, waren seine Schritte nicht sehr fest. Seine Braut lag unter einem riesigen Berg Decken im hölzernen Bett und stellte sich schlafend. Er nahm keine Rücksicht, machte das Licht an, polterte durch das Zimmer, machte Krach im Bad. Sie bewegte sich keinen Millimeter. Er kroch zu ihr unter die Decken, ihr Körper war warm, aber fest auf die Matratze gedrückt. Seine Hände wanderten über ihren Körper und ihr Körper zeigte keine Reaktion. Er drängte sich an sie, von ihr kam nichts. Sein Atem roch nach Whiskey und er fühlte sich schläfrig. Der Versuch, zwischen ihre Beine zu kommen, scheiterte und so gab er sich für den ersten Abend damit zufrieden, sich an ihrem Schenkel zu reiben.

Er erwachte am nächsten Morgen in einem Berg weißer Kissen und Decken. Die Fenster des Schlafzimmers waren geöffnet und es strömte frische Luft herein. Es war kalt und er war allein. Er roch seinen eigenen schlechten Atem und entschied sich nach einer Weile, aufzustehen. Das Haus war still. Er wanderte durch die Zimmer, aber seine Frau war nicht da. In der Küche stand Kaffee in einer Thermoskanne auf dem Tisch, daneben fein säuberlich eine Tasse, ein Teller, ein Messer, Milch und Zucker. Die Küche war bis in die kleinste Ecke sauber, sie versuchte eine gute Hausfrau zu sein.

Er nahm sich aus dem Schrank eine Scheibe Toast und schüttete einen ordentlichen Schluck Whiskey in seine Kaffeetasse. Da ihm der Geruch durchaus noch zuwider war, schüttete er noch etwas Kaffee darauf. Die Hitze tat seinen Zähnen weh, der Alkohol fraß sich in seinen Magen und machte ihn kurzzeitig sich schütteln.

Er hatte keine Ahnung, was er mit seiner Zeit anfangen sollte. Die Saison war vorbei, es gab keine Sommermädchen mehr. Normalerweise wäre er jetzt in die Kneipe gegangen, aber er wusste, dass er am ersten Tag seiner Ehe dort nichts zu suchen hatte.

Er goss sich eine zweite Tasse ein und setzte sich mit seinem dampfenden Whiskey auf die Veranda, er wickelte sich in eine Decke und fragte sich, ob seine Frau überhaupt zurückkommen würde. Mit einem Mal erschien ihm alles im Zusammenhang mit seiner Hochzeit sehr unwirklich. Er wusste nicht, ob es seine Frau gab.

Vor seinen Füßen lagen die ersten Blätter, der Wind war kühl und feucht. Er war nicht gut darin, alleine zu sein. Seine Eltern hatten ihn gefragt, ob er sich nicht eine Arbeit suchen wolle, jetzt da er verheiratet war. Er wollte nicht. Er konnte sich auch gar nicht vorstellen, was er arbeiten können sollte. Er betrachtete seine Hände, die die Tasse hielten. Er wollte in die Kneipe, wenigstens ein zwei Runden Billard spielen, mit den anderen quatschen.

Er holte sich eine weitere Tasse und ging aber nicht zurück auf die Veranda. Dort fröstelte es ihn zu sehr. Von der Küche aus ging er ins Wohnzimmer. Das Wohnzimmer war ein großer Raum, mit großen Fenstern und schon fast absurd großen Polstermöbeln. Wenn er sich auf die Couch setzte, fühlte er sich klein. Er hatte nichts zu tun, also schaltete er den Fernseher ein.

Seine Frau war noch immer nicht zurück.

Er fragte sich, ob das nun sein Leben war.

Nicht viele Stunden nach dem Aufstehen war er bereits betrunken und es gab nichts weiter für ihn zu tun. Als er das nächste Mal seine Augen öffnete, zeigte der Fernseher nur noch ein Flimmern, das anzeigte, dass kein Programm mehr lief. Die Tasse mit dem Whiskeykaffee stand vor ihm und er trank sie aus. Sein Magen war übersäuert und unsicher ging er durch Küche und Flur ins Schlafzimmer. Seine Frau lag im Bett und sah aus, als schliefe sie. Er hatte keine Ahnung, dass sie den ganzen Tag auf der letzten Kirchbank gesessen und verzweifelt gefleht hatte, dass irgendetwas oder irgendjemand sie aus ihrer Situation erlösen würde. Gegen Abend hatte sie Hunger bekommen und entschied sich, doch zu ihrem Mann nach Hause zu gehen. Der Ring an ihrem fleischigen Finger wog unsagbar viel. Sie war verheiratet. Sie musste für ihren Mann sorgen, ob sie wollte oder nicht, so hatte sie vor Gott geschworen.

Sie war in das fremde Haus zurückgekehrt, war den Flur entlang gegangen und hatte den Mann unförmig und nach Alkohol riechend im Sessel vorgefunden. Er widerte sie an. In ihrer Familie trank niemand Alkohol. Alkohol war ein Mittel des Teufels.

Sie räumte die Sachen in der Küche zurück an ihre Plätze und ging zu Bett.


Er traute sich nicht, sie zu wecken, was ihn selber an sich erstaunte. Er war schon leiser als am Tag zuvor und das Kissen, auf das er seinen Kopf legte, roch frisch gewaschen.

Die ersten Tage ihrer Ehe verliefen in ungefähr genauso ab. Sie verschwand den Tag über in die Kirche und er trank alleine im Haus. Er vermisste sie in den leeren Räumen des Hauses, obwohl er kaum einen Raum zuvor gemeinsam mit ihr erlebt hatte. Im Dorf machte man sich lustig über ihn, weil seine Frau ihre Tage lieber mit dem Pfarrer als mit ihm verbrachte, aber er bekam von all dem nichts mit.

An einem Abend versuchte er wieder, seiner Frau nahe zu kommen. Er hatte den Tag über getrunken und den Kopf voller schwarz-weiß-Bilder aus verschiedenen Fernsehfilmen, die den Tag über an ihm vorbeigezogen waren. Er legte sich neben den Berg aus Decken auf dem Bett und suchte sich einen Weg unter die Decken. Ihr Körper roch vertraut und nach Haar. Sie hielt die Augen festgeschlossen und er wusste nicht mehr, was er hatte tun wollen. Er war überordert mit der Situation. Er war frisch verheiratet und hatte noch kein Mal mit der Frau geschlafen, die er zuvor so lange begehrt hatte. Es war Zeit, wieder in die Kneipe zu gehen, sagte er sich.

Am nächsten Tag verließ er zum frühen Abend hin das Haus. Die Luft war kalt und klar, die Frau war nicht da. Das Wirtshaus empfing ihn mit den vertrauten Gerüchen, der vertrauten, abgestandenen Luft und er hörte seine Kameraden an dem hinteren Ecktisch grölen. Das Bier lief ihm herb in den Hals und er hatte fast vergessen, wie er mit seinen Freunden sprach. Man klopfte ihm auf die Schulter und scherzte, dass er als junger Ehegatte angemessen übernächtigt aussehe. Anfangs fühlte er sich elend in der Runde aber je mehr er trank, desto besser wurde es. Sein Blick verbot es jedem, sich nach seiner Hochzeitsnacht oder dem sonstigen Eheleben zu erkundigen. Den meisten, die ihn so da sahen, tat er leid. Er war ungekämmt und sein Blick hatte kein Ziel.

Er trank immer weiter und als auch der Wirt selber nach Hause gehen wollte, wusste er, dass auch er zu seinem Berg Decken nach Hause gehen musste.

Er verbrachte wieder jeden Abend in der Kneipe und vertrank das Kostgeld seiner Frau. Seine Frau hatte sich mittlerweile etwas mehr in ihrem neuen Haus und Leben eingerichtet. Sie wusste, dass ihr Mann bis mittags schlief und dass sie bis dahin alle Dinge im Haushalt erledigen konnte. Sie putze das Bad, sie putzte die Küche, sie wusch die Wäsche und trug leere Flaschen aus dem Haus. Anfangs ging sie jeden Tag in die Kirche aber nach einer Weile erlaubte sie es sich selber, zwei oder drei Nachmittage in der Woche, ihre Eltern zu besuchen. Hier setzte sie sich dann in den gleichen Sessel wie früher und las in den Büchern, die ihre Eltern neu nach Hause gebracht hatten. Die Eltern merkten, dass sie gar nicht schwanger war, aber niemand sagte ein Wort darüber.

Mit der Zeit trank er sich selbst aus seiner antriebslosen Phase heraus. Er kam immer öfter betrunken nach Hause und fasste sie mehr oder weniger grob an, wenn er sich an sie drängte. Sie wollte das nicht. Einmal verprügelte er sie, als er betrunken nach Hause kam. Es war bereits Winter und es frustrierte ihn, wie viel Zeit vergangen war und dass er nun an sie gebunden war, von der er sich so viel erhofft hatte.

Er ärgerte sich bereits, als er noch vor der Haustür stand- die Hände waren so kalt, dass es ihm schwer fiel, den Schlüssel zu halten und die Tür aufzuschließen. Das war ihre Schuld. Als er schließlich die Tür aufbekommen hatte, wankte er durch den Flur, eine Vase fiel zu Boden, die auf der Kommode gestanden hatte. Er ging ins Schlafzimmer und machte das Licht an. Er starrte auf seine Frau im Bett und zog ihr die Decke weg. Sie reagierte nicht. Er ging neben das Bett und boxte ihr noch leicht auf die Schulter. Die nächsten Schläge waren bereits fester und trafen hauptsächlich ihren Bauch. Ein Schlag traf ihr Gesicht. Als er außer Atem war, sackte er neben dem Bett auf die Knie und kauerte sich auf den Boden. Er weinte. Seine Frau strich ihm übers Haar und zog ihn neben sich ins Bett. Er schluchzte in ihrem Arm. Sie strich weiter über sein Gesicht und sein Haar. Sein Körper drängte sich an den ihren und er wusste, dass er diesmal konnte. Seine Hand ging zwischen ihre Beine und drängte sie auseinander. Es war nicht so, wie er es sich den ganzen Sommer über vorgestellt hatte. Er fühlte sich kläglich und sie wusste nicht, was sie fühlen sollte. Sie waren verheiratet. Das war normal. Am nächsten Tag stand sie bereits vor den Toren der Kirche noch bevor diese geöffnet hatte.


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