Читать книгу Möglichkeiten, Zeit zu verbringen - Philine Speicher - Страница 9

Eine andere wahrscheinliche Möglichkeit, wie es weiterging

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Als er am nächsten Morgen erwachte, lag sie zum ersten Mal in den Tagen ihrer Ehe noch neben ihm. Die Decken hoben und senkten sich mit ihrer Atmung, auf den Decken war Blut. Er stellte sich schlafend aber beide wussten voneinander, dass sie wach waren. Als es ihr zu hell im Zimmer wurde, kroch sie seitlich unter den Decken hervor und ging in die Decken gedreht ins Bad. Er sah ihr schwarzes Haar offen hängen. Er stand auf und ging in die Küche, Frühstück zubereiten. Als er an der zerbrochenen Vase vorbeilief, schämte er sich kurz und schob die Scherben mit dem Fuß unter die Kommode. Im Badezimmer stand sie unter der heißen Dusche und tastete ihren Körper ab. Sie wusste nicht, ob die Schmerzen nur von den Schlägen kamen. Nach der Dusche fühlte sie sich erfrischt und kleidete sich rasch an. Mit nassem Haar ging sie in die Küche und trank den Kaffee, den ihr Mann zubereitet hatte, im Stehen an den Herd gelehnt. Draußen war es kalt, ihr Mann saß mit dem Rücken zu ihr am Küchentisch. Später ging sie in die Kirche und kniete. Sie trug einen Rollkragenpullover, damit niemand die Spuren an ihrem Hals sehen konnte. Als er an diesem Abend so betrunken wie an jedem Abend nach Hause kam, lag sie im Bett auf ihrer Seite unter ihren Decken und stellte sich schlafend. Ihr Körper fühlte sich noch immer merkwürdig an und er ließ ihr Zeit. Sie ging jetzt seltener in die Kirche und dekorierte das Haus von Zeit zu Zeit um. Sie erlaubte ihm, ihre Hand zu halten, wenn sie auf dem Sofa saß und die Nachrichten sah. Er setzte sich eigens hierzu zu ihr, die Nachrichten interessierten ihn nicht. Nachts ließ sie nicht nur zu, dass er sich unter ihre Decke tastete, nein, sie wartete regelrecht darauf. Wenn er zu lange in der Kneipe blieb, ertappte sie sich dabei, dass sie sich unruhig fühlte.

Der Frühling brach an und eines Morgens, bei geöffneten Fenstern, schliefen sie ein zweites Mal miteinander. Sie fing an, für ihn zu kochen und auch von sich aus seine Hand zu nehmen oder sie strich mit Absicht, wenn sie den Tisch abräumte, mit ihrem üppigen Hintern an seinem Arm entlang. Er fand, dass es Zeit für ihn sei, sich Arbeit zu suchen. Er stand jetzt morgens früh auf, nahm das Brot, das sie ihm am Abend zuvor zubereitet hatte und verließ das Haus bis zum späten Nachmittag.

Sie fühlte sich einsam jetzt in dem leeren Haus. Sie machte ihre Hausarbeit, kochte, putzte und bügelte und wartete. Sie wartete auf die Post, sie wartete auf die Mittagszeit, sie wartete auf die Zeit für Kaffee und Kuchen, sie wartete auf den Waschtag, sie wartete auf ihn. Eines Tages setzte sie sich eine seiner Whiskyflaschen an den Hals. Es schüttelte sie, aber mit der Zeit fand sie Gefallen hieran und sie nahm öfter auch mehr Schlucke. Wenn er von der Arbeit kam, merkte er häufig, dass sie nach Alkohol roch. Anfangs störte es ihn nicht, machte der Alkohol sie doch anhänglicher und weicher ihm gegenüber. Es gab Tage an denen sie ihn schon im Flur küsste und seine Hand nahm, um ihn ins Schlafzimmer zu führen. Es war so, wie er sich eine Ehe vorgestellt hatte und er verdiente auch nicht wenig Geld. Er stand schon fast auf eigenen Beinen und plante, seinen Eltern ein Teil des Hausgeldes zurückzugeben.

Es wurde Sommer und die Abläufe blieben gleich, nur trank sie mehr und er verlor die anfängliche Lust daran, von ihr ins Schlafzimmer gezogen zu werden. Er wollte auch einmal raus gehen, durch das Dorf spazieren, essen gehen oder endlich mal wieder zu seinen Freunden in die Kneipe gehen. Seine Frau war dagegen.

Als sie merkte, wie sehr er sich von ihr entfernte, wurde sie schwanger. Das Problem war nur, dass er trotzdem aus dem Haus raus wollte- nicht grundsätzlich, aber wenigstens ein oder zwei Abende in der Woche. Und ihr Problem war, dass sie nicht aufhören konnte zu trinken. Er ermahnte sie, dass der Alkohol nicht gut für das Kind sei, aber jeden Tag und besonders lange griff sie nach der Flasche, wenn er nicht zu Hause war. Er roch den Whisky in der ganzen Wohnung, wenn er von der Arbeit nach Hause kam.

Das Baby kam zu früh und es war ein Sohn. Der Alkohol hatte deutliche Spuren in der Entwicklung des Kindes im Bauch der Mutter hinterlassen und besonders sein Kopf würde diese niemals wieder ausgleichen können.

Die Mutter kümmerte sich wenig oder gar nicht um den Sohn, weil sie für ihr Empfinden auch dann nicht mehr Aufmerksamkeit von ihrem Mann erhielt. Sie trank weiter und kam schließlich später in eine Einrichtung für Menschen mit ihrem Problem.

Der Vater war derweil noch eine ganze Weile regelmäßig arbeiten gegangen. Bald ging dies aber nicht mehr, weil seine Frau sich gar nicht mehr um das Kind und auch nicht um den Haushalt kümmerte.

Er versuchte nach der Arbeit so gut als es ging, die Wäsche zu waschen, dem Kind Nahrung zuzubereiten, das Haus in Ordnung zu halten. Und die ganze Zeit schrie der Sohn, weil er es nicht besser wusste. Morgens brachte er das Kind nach einigen Wochen zu seinen Eltern, weil er Sorge hatte, dass seine Frau sich in ihrem Suff aus Versehen auf es setzte oder es auf dem Herd vergas. Auf der Arbeit konnte er sich kaum konzentrieren, weil es ihn beschäftigte, was er tun sollte. Er verlor seine Arbeit. Seine Frau kam in die Anstalt, er selber bekam Tuberkulose und starb.

Nachdem auch die Großeltern verstorben waren, erbte der Sohn und wuchs in verschiedenen Heimen und Besserungsanstalten auf. Die Mutter saß noch lange in ihrer Klinik und besuchte das Kind nie. Sein Kopf wurde nicht schneller.



Ich habe mir einen Tripper geholt. Was für ein merkwürdiger Satz. Er klingt so, als sei ich in irgendeinen Supermarkt gegangen und hätte ihn an der Theke bestellt. Einmal Tripper bitte. Ähnlich bin ich zu meinem Hund gekommen.

Noch merkwürdiger ist, dass ich nichts fühle, keine Schmerzen, kein Brennen, nichts. Ich liege in meinem Bett und sehe auf die halb geöffnete Dachluke. Es regnet und der Regen macht die Luft angenehm feucht. Ich muss zehn Tage lang Antibiotika nehmen. Das ärgert mich, weil ich gegen die meisten Antibiotika allergisch bin und mir eventuell in vier bis sechs Wochen eine unangenehme Zeit roter juckender Punkte auf meinem Körper bevorsteht. Das war der Tripper, werde ich sagen und endlich eine körperliche Reaktion haben. Was mich im Grunde am meisten stört, ist aber, dass ich keinen Alkohol trinken darf. Ich darf zehn Tage lang kein Bier, keinen Wein, keinen Wodka zu mir nehmen. Ich muss meine Planung komplett ändern und bemerke, dass mir wenig Freizeitaktivitäten einfallen, von denen ich nicht weiß, dass sie mich langweilen werden. Ich möchte trinken. Und da ist die Dachluke und ich muss zur Arbeit.

Und ich habe doch getrunken.

Wenn ich trinke, nehme ich wenigstens keine Schlaftabletten.


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