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Venedig, Ostermontag22 1581

Über den Winter war die Einfahrt in die Lagune gesperrt. Viele Schiffe überwinterten an der Mole oder im Arsenal. Erst nach Ostern würde es wieder erlaubt sein, aufs offene Meer hinauszufahren. Alfonso konnte nicht so lange untätig sein. Also hatte er die Zeit genutzt und sich einen Platz vor der Kirche San Bartolomeo, in der Nähe der Rialtobrücke erkämpft, wo ein Gewirr von Sprachen, Farben und Gerüchen herrschte, und tat das, was er am besten konnte: Er log die Sterne vom Himmel herunter und erzählte den Menschen abenteuerliche Geschichten von Kometen, Missgeburten, wilden Tieren und Seeungeheuern. Er seufzte, als er daran dachte, wie einfach es früher gewesen war, die Leute mit seinem Vortrag zu fesseln, während seine Kinder durch die Menge geschlichen waren und der abgelenkten Zuhörerschaft die Beutel abgeschnitten hatten. Die Kinder lebten nun ihr eigenes Leben auf den Straßen des Reiches, so hoffte er, und er musste froh sein über jede Münze, die gnädig in seinem Hut landete.

»Alfons Pauli, du bist frei!«, hatte am 10. Dezember in Augsburg derselbe Ratsherr verkündet, der ihm eine Woche vorher das Urteil verlesen hatte, dass er geköpft werden sollte. Reisen, um zu leben! Nur für eine Tätowierung auf dem Rücken und den Auftrag, mit Gottes Segen bei den Türken einen Heinrich Lauber zu finden, dafür wurde seine Hinrichtung in eine Reise umgewandelt. Eine Schifffahrt nach Konstantinopel. Das Glück war auf seiner Seite. Mitten im Winter war er zu Fuß von Augsburg über die Berge nach Venedig gelaufen. Fünfundzwanzig Tage durch Schnee und Matsch. Das Geld, das der Medicus ihm mitgegeben hatte, war für die Überfahrt bestimmt, er lebte von der Hand in den Mund wie ein Bettler. Aber er lebte und dankte Gott für jeden einzelnen Tag. Er war sich sicher, dass Marfisa dort oben ein gutes Wort für ihn eingelegt hatte, für sein zweites Leben. Im Gefängnis hatte er sich mit warmer Kleidung eingedeckt. Sie half ihm über die kalten Nächte hinweg, die er in einem verlassenen Ruderboot verbrachte. Aus einem der schmutzigen kleinen Seitenkanäle hatte er es sich an Land gezogen.

»Von wegen Serenissima! Stinkendes Drecksloch!« Alfonso musste laut lachen. »Das war mein letzter Auftritt in Venedig, ich danke euch, ihr Gutgläubigen«, nuschelte er in seinen Bart, als er die Münzen in seinem Hut zusammenzählte. Alfonso hatte gehört, dass sich an der Mole etwas tat. Er wollte so schnell wie möglich an Bord eines Schiffes und lief durch die Gassen auf den Markusplatz, vor dem ein gutes Dutzend Frachtschiffe zum Beladen angelegt hatte. Drei davon hatten Konstantinopel zum Ziel. Er hatte es sich einfacher vorgestellt. Vielleicht lag es an seinem Äußeren – immerhin hatte er sich letztmals beim Tätowierer in Augsburg waschen und rasieren können –, dass zwei Kapitäne ihn trotz seines Beutels mit zehn Silbergulden abwiesen. Der letzte sah wenig vertrauenswürdig aus. Den Gerüchten am Hafen zufolge kam er aus Tripolis, sein Schiff hieß Shihab23. Sein weißer Bart hob sich vom dunklen Gesicht ab, das von tiefen Furchen durchzogen war. Sein rechter Arm fehlte, dafür schwenkte er in seiner Linken eine Peitsche und trieb seine Mannschaft an, die schwere Fässer auf das Schiff rollte.

Zögerlich ging Alfonso auf ihn zu und hielt ihm den Beutel mit den Silberlingen hin. »Konstantinopel?«, fragte er.

Der Kapitän nahm ihm den Beutel aus der Hand, zählte gierig die Geldstücke und nickte freudig. Mit einer abfälligen Bewegung schickte er Alfonso auf die Rampe. Er gehörte nun zur Besatzung der Shihab.

22 27. März

23 Arabisch: Sternschnuppe.

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