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Mehmet Chelebi – Sultan – möge Gott die Zügel seiner Herrschaft an die Pflöcke der Ewigkeit binden und die Säulen seiner Macht stärken bis zum vorbestimmten Tag!

Inschrift auf dem Grabmal der Mutter von Mehmet II.1

Konstantin Palaiologos, in Christi der wahre Kaiser und Alleinherrscher der Römer

Offizieller Titel von Konstantin XI., dem 88. Kaiser von Byzanz

Der Mann, der die Schlinge der Muslime um die Stadt enger zusammenziehen sollte, wurde zehn Jahre nach der Belagerung durch Murat geboren. Der türkischen Überlieferung zufolge war 1432 ein Jahr der bösen Omen. Stuten brachten viele Zwillinge zur Welt; Bäume neigten sich unter der Last ihrer Früchte; ein Komet mit langem Schweif erschien am Mittagshimmel über Konstantinopel. Am Abend des 29. März wartete Sultan Murat im Königspalast in Edirne auf Nachrichten über die Geburt seines Kindes; da er nicht schlafen konnte, begann er im Koran zu lesen. Er war gerade zu den Suren über den Sieg der Muslime gelangt, jenen Versen, in denen der Triumph über die Ungläubigen versprochen wird, als ein Bote die Nachricht brachte, dass ihm ein Sohn geboren worden sei. Er erhielt den Namen Mehmet, den Namen von Murats Vater, die türkische Version von Mohammed.

Wie viele Prophezeiungen haben auch diese deutliche Bezüge zur Vergangenheit. Mehmet war der dritte Sohn Murats; seine beiden Halbbrüder waren wesentlich älter, und der Junge erfreute sich nie einer besonderen Zuwendung seines Vaters. Er hatte nur geringe Chancen, später einmal Sultan zu werden. Für den Eintritt Mehmets in die Welt ist es vielleicht bezeichnend, dass über die Identität seiner Mutter wenig bekannt ist. Zwar versuchten einige türkische Geschichtsschreiber sie als ethnische Türkin und Muslima darzustellen, doch vieles spricht dafür, dass sie eine Sklavin aus dem Westen war, die bei einem Vorstoß über die Grenze gefangengenommen oder von Piraten entführt worden war, vielleicht eine Serbin oder Mazedonierin und höchstwahrscheinlich ursprünglich eine Christin – was ein eigenartiges Licht wirft auf einige Widersprüchlichkeiten in Mehmets Charakter. Unabhängig davon, welche Einflüsse sich in seiner Herkunft niederschlugen, entwickelte Mehmet ganz andere Wesenszüge als sein Vater Murat.

Mitte des 15. Jahrhunderts waren die osmanischen Sultane keine ungebildeten Stammeshäuptlinge mehr, die im Sattel ihrer Pferde kriegerische Horden anführten. Die Verbindung des Glaubenskrieges mit dem Streben nach Beute hatte ein neues Selbstverständnis hervorgebracht. Der Sultan genoss in den Ländern des Islam nach wie vor hohes Ansehen als oberster Feldherr des Heiligen Krieges, doch dies wurde immer mehr zu einem Mittel dynastischer Politik. Die osmanischen Herrscher bezeichneten sich jetzt als »Sultan von Rum« – ein Titel, der Anspruch auf das Erbe des alten christlichen Reiches erhob – oder als »Padischah«, eine persische Bezeichnung für König oder Alleinherrscher. Von den Byzantinern übernahmen sie die Vorliebe für die zeremonielle Seite der Monarchie; ihre Prinzen wurden formell auf ihre späteren Aufgaben vorbereitet; die Paläste erhielten hohe Mauern; der Zugang zum Sultan wurde sorgfältig überwacht. Aus Angst vor Gift, Intrigen oder Mordkomplotten entfremdeten sich die Herrscher zunehmend von ihren Untertanen – eine Entwicklung, die nach der Ermordung von Murat I. durch einen serbischen Gesandten nach der Schlacht auf dem Amselfeld 1389 eingesetzt hatte. Die Herrschaft von Murat II. stellte diesbezüglich einen Wendepunkt dar. Er bezeichnete sich weiter als »Bey« – der alte Titel für einen türkischen Adeligen – und nicht als »Sultan«, und er war bei seinem Volk sehr beliebt. Der ungarische Mönch Bruder Georg stellt überrascht fest, wie wenig zeremonieller Aufwand um ihn herum getrieben wurde. »Auf seiner Kleidung oder an seinem Pferd hatte der Sultan kein Zeichen, das ihn besonders hervorhob. Ich beobachtete ihn bei der Beerdigung seiner Mutter, und wenn man mich nicht auf ihn aufmerksam gemacht hätte, hätte ich ihn nicht erkannt.«2 Zugleich wurde eine gewisse Distanz geschaffen zwischen dem Sultan und seiner Umgebung. »Er nahm in der Öffentlichkeit niemals etwas zu sich«, beobachtete Bertrandon de la Brocqière, »und nur sehr wenige Menschen können sich rühmen, ihn sprechen oder trinken oder essen gesehen zu haben.«3 Diese Entwicklung führte dazu, dass sich die späteren Sultane weitgehend abriegelten in der hermetischen Welt des Topkapi-Palastes mit seinen kahlen Außenwänden und seinen prachtvollen Ritualen.

Die kühle Atmosphäre des osmanischen Hofes prägte Mehmets Jugendjahre. Die Frage der Thronfolge warf einen langen Schatten auf die Erziehung der männlichen Kinder. Dass auf den Vater unmittelbar der Sohn folgte, war von entscheidender Bedeutung für das Überleben des Reiches – der Harem bot die Gewähr dafür, dass es stets genügend männliche Nachkommen gab –, doch darin lag zugleich seine größte Schwäche. Um den Thron stritten sich die männlichen Erben. Es gab kein Gesetz, das dem Ältesten den Vorzug einräumte; die überlebenden Prinzen kämpften nach dem Tode des Sultans um die Thronfolge. Das Ergebnis wurde als der Wille Gottes gedeutet. »Wenn Er beschlossen hat, dass du nach mir das Reich führen sollst«, schrieb ein Sultan an seinen Sohn, »wird kein lebender Mensch dies verhindern können.«4 In der Praxis wurde die Nachfolge häufig zu einem Wettrennen in das Zentrum – siegreich würde jener Nachkomme sein, der sich die Hauptstadt, die Schatzkammer und die Unterstützung des Militärs sicherte; diese Methode hatte zur Folge, dass sich der Fähigste und Gerissenste durchsetzte, oder sie führte zu einem Bürgerkrieg. Das Osmanische Reich stand Anfang des 15. Jahrhunderts kurz vor dem Zusammenbruch im Gefolge eines Machtkampfes, in den auch die Byzantiner tief verstrickt waren. In Konstantinopel war es fast zur Staatspolitik geworden, sich Schwächephasen der Osmanen zunutze zu machen, indem man rivalisierende Thronprätendenten unterstützte.

Um sich gegen Präventivschläge zu schützen und ihre Söhne in der Staatskunst zu unterweisen, schickten die Sultane ihre männlichen Nachkommen schon in sehr jungen Jahren als Statthalter in die Provinzen, wo sie unter den wachsamen Augen sorgsam ausgewählter Hauslehrer heranwuchsen. Mehmet verbrachte seine ersten Jahre im Palastharem in Edirne, wurde aber schon mit zwei Jahren in die Regionalhauptstadt Amasya in Anatolien geschickt, wo er auf seine Ausbildung vorbereitet wurde. Sein älterer Halbbruder Ahmet, damals zwölf Jahre alt, wurde zur selben Zeit Gouverneur der Stadt. Dunkle Mächte schwebten über den Thronerben im folgenden Jahrzehnt. Im Jahr 1437 starb Ahmet unerwartet in Amasya. Sechs Jahre später, als Mehmets anderer Halbbruder Ali Gouverneur war, wurde im Palast der Stadt eine weitere grausame Tat begangen. Ein einflussreicher Adeliger namens Kara Hizir Pascha wurde von unbekannten Personen nach Amasya geschickt. Es gelang ihm, sich nachts in den Palast einzuschleichen und Ali im Bett zu erwürgen sowie auch dessen zwei kleine Söhne. In einer einzigen Nacht wurde ein ganzer Zweig der Familie ausgelöscht. Nun war Mehmet der einzige verbliebene Thronerbe. Wie ein schwarzer Schatten hinter diesen undurchschaubaren Ereignissen vollzog sich in dieser Zeit ein langjähriger Machtkampf in der osmanischen Führungsschicht um den Geist des Staates. Während seiner Herrschaft hatte Murat die Position der Janitscharen gestärkt und einige ehemalige Christen, die zum Islam übergetreten waren, zu Wesiren bestellt, um ein Gegengewicht zu schaffen zum alten türkischen Adel und zur Armee. Diese Auseinandersetzung sollte erst neun Jahre später vor den Mauern Konstantinopels ein Ende finden.

Ali war Murats Lieblingssohn gewesen: Sein Tod erschütterte den Sultan sehr – obwohl es nicht ausgeschlossen ist, dass Murat selbst die Tötungen anordnete, nachdem er eine Verschwörung des Prinzen aufgedeckt hatte. Vielleicht wurde ihm klar, dass es nun keine andere Möglichkeit mehr gab und er den jungen Mehmet nach Edirne zurückholen und seine Erziehung selbst in die Hand nehmen musste. Zu diesem Zeitpunkt verkörperte der Elfjährige die Zukunft des Osmanischen Reiches. Murat war entsetzt, als er den Jungen wiedersah. Er war starrköpfig, eigenwillig und schwer erziehbar geworden. Mehmet hatte sich offen mit seinen früheren Tutoren angelegt, sich geweigert, Strafen anzunehmen oder den Koran auswendig zu lernen. Murat beauftragte den berühmten Mullah Ahmet Guran damit, den jungen Prinzen gefügig zu machen. Mit einem Rohrstock in der Hand begab sich der Geistliche zum Prinzen. »Dein Vater«, erklärte er, »hat mich geschickt, um dich zu unterweisen, aber auch, dich zu züchtigen, wenn du nicht gehorchst.«5 Mehmet lachte laut über diese Drohung. Da verabreichte ihm der Mullah eine gehörige Tracht Prügel, worauf sich der Junge schnell wieder seinen Studien zuwandte. Unter dem Furcht einflößenden Hauslehrer begann Mehmet, sich den Koran anzueignen, und befasste sich später auch mit anderen Wissensgebieten. Der Junge erwies sich als außerordentlich intelligent und zeigte einen eisernen Willen zum Erfolg. Er lernte mehrere Sprachen fließend zu sprechen – den Berichten zufolge beherrschte er Türkisch, Persisch und Arabisch, dazu die griechische Umgangssprache, einen slawischen Dialekt und ein wenig Latein – und entwickelte großes Interesse für Geschichte und Geographie, Naturwissenschaften, Ingenieurwesen und Literatur. Eine herausragende Persönlichkeit begann sich zu formen.

In den Jahren nach 1440 erlebten die Osmanen eine weitere Krisenphase. Das Reich wurde in Anatolien durch den Aufstand eines seiner türkischstämmigen Vasallen bedroht, des Beys von Karaman, während man im Westen einen neuen Kreuzzug unter Führung der Ungarn vorbereitete. Murat glaubte, er habe die christliche Bedrohung durch einen zehnjährigen Friedensvertrag entschärft, und plante, sich nach Anatolien zu begeben, um den aufsässigen Bey zu unterwerfen. Bevor er aufbrach, erklärte er überraschend seinen Thronverzicht. Er fürchtete den Ausbruch eines Bürgerkrieges und wollte Mehmet auf den Thron hieven, bevor er starb; auch ein gewisser Weltschmerz und Überdruss mag dabei eine Rolle gespielt haben. Ein osmanischer Sultan hatte zahlreiche Amtspflichten zu erfüllen, und möglicherweise war Murat auch bedrückt wegen der Ermordung seines Lieblingssohnes Ali. Mit zwölf Jahren wurde Mehmet in Edirne zum Sultan ernannt unter der Vormundschaft des vertrauenswürdigen Großwesirs Halil. Münzen wurden mit seinem Namen geprägt, und er wurde entsprechend den Vorschriften in die wöchentlichen Fürbitten aufgenommen.

Das Experiment erwies sich als katastrophaler Fehlschlag. Ermutigt dadurch, dass er es nun mit einem unreifen Jüngling zu tun hatte, stellte der Papst unverzüglich den ungarischen König Ladislaus von seinem Friedensgelübde frei, und das Kreuzfahrerheer machte sich auf den Weg. Im September überquerten die Kreuzritter die Donau; zugleich wurde eine venezianische Flotte zu den Dardanellen entsandt, um Murats Heimkehr zu unterbinden. Die bedrohung heizte die Atmosphäre in Edirne auf. Im Jahr 1444 war ein glühender religiöser Fanatiker, der einer schiitischen Sekte angehörte, in der Stadt erschienen. Die Menschen liefen dem persischen Missionar zu, der eine Versöhnung zwischen dem Islam und dem Christentum versprach, und Mehmet, der sich von seinen Lehren angezogen fühlte, empfing ihn im Palast. Die Vertreter der Kirche waren entsetzt, auch Halil zeigte sich beunruhigt wegen des Häretikers. Man versuchte ihn zu verhaften. Als der Missionar im Palast Zuflucht suchte, musste Mehmet überredet werden, ihn auszuliefern. Schließlich wurde er zum öffentlichen Gebetsplatz gebracht und bei lebendigem Leibe verbrannt; seine Anhänger wurden getötet. Die Byzantiner versuchten, sich diesen Aufruhr zunutze zu machen. Ein osmanischer Thronprätendent, Prinz Orhan, den sie in der Stadt festhielten, wurde freigelassen, um eine Revolte zu schüren. In den europäischen Provinzen kam es zu Aufständen gegen die Osmanen. In Edirne brach Panik aus; die Stadt brannte zum großen Teil ab, und türkische Muslime flohen zurück nach Anatolien. Mehmets Herrschaft versank im Chaos.

Murat hatte unterdessen mit dem Bey von Karaman einen Waffenstillstand geschlossen und eilte zurück nach Hause. Als er feststellte, dass die Dardanellen durch die venezianischen Schiffe blockiert waren, ließ er sich von deren Konkurrenten, den Genuesen, mit seinem Heer auf Fähren über den Bosporus bringen, wofür er den stattlichen Preis von einem Dukaten pro Kopf bezahlte. Dann rückte er weiter vor und traf am 10. November 1444 bei Varna am Schwarzen Meer auf das Kreuzfahrerheer. Die Schlacht endete mit einem überwältigenden Sieg der Osmanen. Der Kopf von Ladislaus wurde auf eine Lanze gespießt und zum Zeichen des Triumphes der Muslime in die alte osmanische Stadt Bursa geschickt. Dies war ein wichtiger Sieg der Muslime im Glaubenskrieg mit dem Christentum. Die Niederlage von Varna sorgte im Westen für ein Ende der 350 Jahre währenden Kreuzzugsbegeisterung: Die Christenheit sollte sich nie wieder zusammenschließen, um die Muslime aus Europa zu vertreiben. Dadurch festigte sich die Stellung der Osmanen auf dem Balkan, und Konstantinopel wurde zu einer isolierten christlichen Enklave in der islamischen Welt, wodurch die Wahrscheinlichkeit schwand, dass der Westen der Stadt im Falle eines osmanischen Angriffs zu Hilfe kommen würde. Zudem machte Murat die Byzantiner verantwortlich für die Turbulenzen im Jahr 1444, eine Deutung, die alsbald die Strategie der Osmanen prägen sollte.

Kurz nach der Schlacht von Varna und trotz des frühen Scheiterns von Mehmets Sultanat kehrte Murat nach Anatolien zurück. Halil Pascha blieb zunächst Wesir, aber Mehmet wurde stärker von zwei anderen Männern beeinflusst, die ihm als Statthalter dienten: dem Obereunuchen Schihabettin Pascha, dem Gouverneur der europäischen Provinzen, und Zaganos Pascha, einem zielstrebigen, ehemals christlichen Konvertiten. Beide Männer drängten darauf, einen Plan für einen Angriff auf Konstantinopel auszuarbeiten, da sie wussten, dass der Thronrivale Orhan nach wie vor in der Stadt lebte; die Eroberung sollte Mehmets Herrschaft stabilisieren, hofften sie, und das Ansehen des jungen Sultans stärken. Es ist offenkundig, dass Mehmet schon in jungen Jahren fasziniert war von der Möglichkeit, die christliche Stadt einzunehmen und sich zum Erben des Römischen Reiches aufzuschwingen. In einem Gedicht schrieb er: »Mein höchstes Trachten geht dahin, die Ungläubigen niederzuwerfen.«6 Doch Mehmets Eroberungsdrang war gleichermaßen imperial wie religiös motiviert und hatte teilweise auch einen nichtislamischen Ursprung. Er interessierte sich sehr für die Leistungen Alexanders des Großen und Julius Cäsars. Alexander war durch persische und türkische Epen im Mittelalter zu einem islamischen Helden aufgebaut worden. Mehmet war vermutlich schon von klein auf mit Alexanders Taten vertraut; er hatte sich im Palast täglich aus der Biographie des Welteroberers des römischen Autors Arrian vorlesen lassen. Unter diesen Einflüssen formte sich bei ihm eine Doppelidentität: Er sah sich als der muslimische Alexander, den seine Eroberungszüge bis ans Ende der Welt führen sollten, und als Gazi-Krieger, der den Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen vorantreiben wollte. Mehmet wollte die Stoßrichtung der Weltgeschichte umkehren: Alexander war nach Osten gezogen; Mehmet wollte dem Orient und dem Islam Ruhm verschaffen, indem er den Westen eroberte. Es war eine ehrgeizige Vision, gefördert durch seine Berater, die sich durch eine Politik der Expansion persönliche Vorteile versprachen.

Der frühreife Mehmet begann bereits 1445 mit Unterstützung seiner Tutoren einen neuen Plan für einen Angriff auf Konstantinopel auszuarbeiten. Er war damals 13 Jahre alt. Halil Pascha war zutiefst beunruhigt. Er missbilligte das Vorhaben des jungen Sultans; nach dem Debakel von 1444 fürchtete er, dass ein weiterer Versuch abermals in einer Katastrophe enden würde. Trotz seiner beträchtlichen Ressourcen wäre das Osmanische Reich in der jüngeren Vergangenheit beinahe in Bürgerkriegen zerfallen, und wie viele andere fürchtete auch Halil, dass ein erneuter Angriff auf Konstantinopel zu einem entschlossenen Gegenschlag aus dem Westen führen würde. Aber auch er hatte persönliche Motive: Er fürchtete eine Schwächung seiner eigenen Macht und des traditionellen muslimisch-türkischen Adels zugunsten der kriegerischen christlichen Konvertiten. Er begann auf den Sturz Mehmets hinzuarbeiten, indem er einen Aufstand der Janitscharen anzettelte; zugleich bat er Murat, nach Edirne zurückzukehren und wieder selbst die Staatsgeschäfte zu übernehmen. Murat wurde begeistert willkommen geheißen; der hochmütige, unnahbare junge Sultan war weder beim Volk noch bei den Janitscharen beliebt. Mehmet zog sich mit seinen Beratern nach Manisa zurück. Diese Demütigung sollte er nie vergessen oder verzeihen; eines Tages würde Halil dafür mit seinem Leben bezahlen müssen.

Mehmet hielt sich bis zu Murats Tod im Hintergrund, obwohl er sich weiter als Sultan betrachtete. Er begleitete seinen Vater 1448 in die zweite Schlacht auf dem Amselfeld, wo die Ungarn einen letzten Versuch unternahmen, die Macht der Osmanen zu brechen. Das war Mehmets Feuertaufe. Trotz schwerer Verluste der Osmanen endete auch diese Schlacht mit einem Triumph wie bei Varna und festigte die Legende von der Unbesiegbarkeit der Osmanen. Im Westen begann sich Pessimismus auszubreiten. »Durch ihre Organisation sind die Türken weit voraus«, schrieb Michael der Janitschar. »Wenn du sie verfolgst, fliehen sie; aber wenn sie dich verfolgen, wirst du nicht entkommen… Die Tataren haben die Türken mehrmals besiegt, die Christen dagegen noch nie, insbesondere nicht in offener Feldschlacht, vor allem weil sie zulassen, dass die Türken sie umzingeln und von der Flanke her angreifen.«7

Murat verbrachte seine letzten Lebensjahre in Edirne. Der Sultan hatte anscheinend die Lust an weiteren militärischen Abenteuern verloren und gab der Stabilität des Friedens den Vorzug vor den Ungewissheiten des Krieges. So lange er lebte, erfreute sich Konstantinopel eines unsicheren Friedens; als er im Februar 1451 starb, trauerten Freunde und Feinde gleichermaßen um ihn. »Die Verträge, die er unter heiligem Eid mit den Christen schloss«, schrieb der griechische Chronist Doukas, »hielt er stets ein. Sein Zorn war kurzlebig. Er war dem Kriegführen abgeneigt und vom Frieden angetan, und aus diesem Grunde gewährte ihm der Vater des Friedens einen friedlichen Tod, und er starb nicht unter dem Schwert.«8 Der griechische Chronist hätte sich wohl weniger freundlich geäußert, hätte er gewusst, welchen Rat Murat seinem Nachfolger hinterlassen hatte. Aufgrund der Einmischung von Byzanz in die Auseinandersetzungen der Osmanen in der Zeit nach 1440 war er überzeugt, dass der osmanische Staat nicht sicher sein konnte, so lange Konstantinopel eine christliche Enklave blieb. »Er gab es seinem ruhmreichen Nachfolger als Vermächtnis auf«, schrieb der osmanische Chronist Sa’d-uddin, »die Voraussetzungen für den Heiligen Krieg zu schaffen und diese Stadt einzunehmen, durch deren Eingliederung… er das Wohlergehen des muslimischen Volkes sichern und den verruchten Ungläubigen das Rückgrat brechen konnte.«9

Der Tod eines Sultans war stets ein gefährlicher Augenblick für den osmanischen Staat. Gemäß der Tradition und um eine Revolte des Militärs zu verhindern, wurde die Nachricht zunächst geheimgehalten. Murat hatte noch einen weiteren Sohn, einen kleinen Knaben namens Ahmet, der keine Gefahr für Mehmets Thronfolge darstellte, doch der Prätendent Orhan lebte nach wie vor in Konstantinopel, und Mehmet war nicht sonderlich beliebt beim Volk. Die Meldung vom Tod seines Vaters wurde ihm in einem versiegelten Brief von einem Kurier überbracht. Darin empfahl Halil Mehmet, nicht zu zaudern; sein rasches Erscheinen in Edirne sei unabdingbar, jedes Zögern könnte einen Aufstand provozieren. Der Überlieferung zufolge ließ Mehmet unverzüglich sein Pferd satteln und rief seinem Hofstaat zu: »Wer mich liebt, der folge mir.« In Begleitung der Soldaten seines Haushalts legte er die Strecke nach Gallipoli in zwei Tagen zurück. Als er Edirne erreichte, wurde er von einer großen Gruppe von Beamten, Wesiren, Mullahs, Statthaltern und gewöhnlichen Leuten mit einem Ritual empfangen, das aus jener Zeit stammte, als die Osmanen noch in den asiatischen Steppen lebten. Als sie noch eineinhalb Kilometer von der Stadt entfernt waren, stiegen die Abgesandten, die sie willkommen heißen sollten, von ihren Pferden ab und gingen schweigend auf ihre neuen Herren zu. Nach der Hälfte der Strecke blieben sie stehen und brachen in lautes Wehklagen für den verstorbenen Sultan aus. Auch Mehmet und sein Gefolge stiegen ab und stimmten in die Klage ein. Die winterliche Landschaft hallte wider von Klagegesängen. Die hohen Beamten verneigten sich vor dem neuen Sultan, dann stiegen alle wieder auf ihre Pferde und kehrten zum Palast zurück.

Am nächsten Tag fand die offizielle Vorstellung der Minister statt. Es war eine schwierige Situation, denn die Wesire des alten Sultans erfuhren nun, was mit ihnen geschehen sollte. Mehmet saß auf dem Thron, umgeben von seinen Beratern, denen er vertraute. Halil Pascha saß weiter hinten und beobachtete, was Mehmet tat. Der junge Sultan sagte: »Warum stehen die Wesire meines Vater so weit hinten? Holt sie nach vorne und sagt Halil, er möge seinen üblichen Platz einnehmen.« Halil wurde als Oberster Wesir bestätigt. Diese Entscheidung war typisch für Mehmet: Vorläufig den Status quo aufrechtzuerhalten, während er seine eigenen Pläne schmiedete und auf einen günstigen Zeitpunkt wartete.

Der neue Sultan war 17 Jahre alt, eine Mischung aus Zuversicht und Zaudern, Ehrgeiz und Reserviertheit prägte seinen Charakter. Die vergangenen Jahre hatten deutliche Spuren bei Mehmet hinterlassen. Er war vermutlich schon als kleiner Junge von seiner Mutter getrennt worden und hatte in der Schattenwelt des osmanischen Hofes größtenteils durch Glück überlebt. Schon als junger Mann galt er als sehr verschlossen und argwöhnisch gegenüber anderen: ein selbstbewusster, hochmütiger Mann, der keine menschlichen Regungen zeigte und von brennendem Ehrgeiz beseelt war – eine widersprüchliche und komplizierte Persönlichkeit. Der Mann, der später in der Renaissance als grausames und abartiges Ungeheuer dargestellt werden sollte, war eine Ansammlung von Widersprüchen. Er war schlau, tapfer und impulsiv – er war zu großer Verschlagenheit und tyrannischer Grausamkeit fähig, konnte aber auch unvermittelt sehr freundlich sein. Er war launisch und unberechenbar, ein bisexuell veranlagter Mann, der vor engeren Bindungen zurückschreckte, er verzieh niemals eine Beleidigung, wurde aber wegen seiner tiefen Frömmigkeit respektiert. Seine Hauptcharakterzüge waren bereits ausgebildet: Der spätere Tyrann, der auch ein Gelehrter war; der besessene Militärstratege, der persische Lyrik und Gartenbaukunst liebte; der Fachmann für Logistik und praktische Planungen, der so abergläubisch war, dass er sich bei militärischen Entscheidungen auf seinen Hofastrologen verließ; der islamische Krieger, der großzügig sein konnte gegenüber nichtmuslimischen Untertanen und die Gesellschaft von Ausländern und nichtorthodoxen Denkern des Islam suchte.

Die Handvoll Porträts, die im Laufe seines Lebens entstanden, lieferten wahrscheinlich zum ersten Mal ein authentisches Bild eines osmanischen Sultans. Dabei zeigt sich ein sehr ebenmäßiges Gesicht – ein scharf geschnittenes Profil, eine Adlernase, die übervollen Lippen nach vorne ragt wie »ein Papageienschnabel, der auf Kirschen einpickt«,11 wie es ein osmanischer Poet bildhaft ausdrückte, umrahmt durch einen rötlichen Bart auf einem vorspringenden Kinn. In einer stilisierten Miniatur hält er mit juwelenbesetzten Fingern zart eine Rose an seine Nase. Dies entsprach der herkömmlichen Darstellung eines Sultans als Ästheten, Gartenliebhabers und Verfassers persischer Vierzeiler, doch sie ist verbunden mit einem starren Blick, als schaue er zu einem weit entfernten Punkt, wo die Welt verschwindet. Auf anderen, reiferen Porträts hat Mehmet einen Stiernacken und ist wohlbeleibt, und auf dem berühmten späten Porträt von Bellini, das heute in der Nationalgalerie in London hängt, wirkt er ernst und krank. Alle diese Bilder vermitteln einen Anflug von gelassener Autorität, die natürliche Aura der Macht von »Gottes Schatten auf Erden«, die auf der Gewissheit beruht, dass die Welt in seinen Händen liegt. Doch seine Haltung wirkt zu natürlich, um herablassend zu erscheinen, und sie bringt zugleich eine kühle Melancholie zum Ausdruck, die an die kalten und gefährlichen Jahre seiner Kindheit erinnert.

Diese Porträts decken sich mit einer eindrucksvollen Beschreibung des jungen Mehmet durch den Italiener Giacomo de Languschi:

Der Herrscher, der Große Türke Mehmet Bei, ist ein junger Mann … gut gewachsen, von eher großer als mittlerer Statur, gewandt im Umgang mit Waffen, eher Furcht einflößend denn ehrwürdig, selten lachend, sehr umsichtig, ausgestattet mit Großzügigkeit, beharrlich im Verfolgen seiner Pläne, kühn in all seinen Unternehmungen und ähnlich erpicht auf Ruhm wie Alexander der Mazedonier. Jeden Tag lässt er sich römische und andere Werke vorlesen. Er spricht drei Sprachen, Türkisch, Griechisch und Slawisch. Er ist bemüht, sich die Geographie Italiens anzueignen… wo der Sitz des Papstes liegt und jener des Kaisers, und zu erfahren, wie viele Königreiche es in Europa gibt. Er besitzt eine Landkarte Europas mit allen Ländern und Provinzen. Er lernt nichts mit größerem Interesse und Begeisterung als die Geographie der Welt und militärische Angelegenheiten; er ist erfüllt von dem Verlangen zu herrschen; er prüft sehr geschickt alle Umstände. Mit einem solchen Mann haben wir Christen es zu tun… Heute, so sagt er, haben sich die Zeiten geändert, und er verkündet, dass er vom Osten in das Abendland vorstoßen werde, wie in früheren Zeiten die Menschen des Westens in den Orient gezogen sind. Es dürfe, so verkündet er, nur ein Reich geben, einen Glauben und einen Herrscher der Welt.12

Hier wurde Mehmets Ehrgeiz treffend beschrieben, den Lauf der Geschichte umzukehren und das Banner des Islam nach Europa zu tragen, doch bei seiner Thronbesteigung waren seine hochgesteckten Ziele und seine Intelligenz dem Westen noch weitgehend unbekannt. Im Abendland sah man nur einen unreifen und unerfahrenen Jüngling, dessen erste Berührung mit der Macht mit einer Demütigung geendet hatte.


Zwei Jahre vor Mehmets Thronbesteigung hatte auch Konstantinopel einen neuen Kaiser willkommen geheißen, allerdings unter völlig anderen Umständen. Der Mann, der sich Mehmets Tatendrang entgegenstemmen sollte, trug den Namen des Stadtgründers, eine Tatsache, deren Symbolkraft die abergläubischen Byzantiner schnell zu deuten wussten. Konstantin XI. war seit 1261 das achte Mitglied der Palaiologos-Dynastie auf dem Thron. Die Familie hatte einst die Macht an sich gerissen, aber während ihrer Herrschaft war das Reich immer mehr in Anarchie und Streit versunken. In der Herkunft des neuen Kaisers mischten sich wie üblich verschiedene Einflüsse. Er sprach Griechisch, war aber eigentlich kein Grieche: Seine Mutter war Serbin, und Konstantin nahm deren Familiennamen Dragases an, sein Vater war Halbitaliener. Wie alle Byzantiner verstand er sich als Römer und schmückte sich mit dem stolzen und altehrwürdigen Titel seiner Vorgänger: »Konstantin Palaiologos, durch Christus wahrer Kaiser und Selbstherrscher der Römer.«

Es war ein hohles Protokoll, aber typisch für die Rituale und Zeremonien, an die sich die Byzantiner im Laufe des unerbittlichen Niedergangs ihres Reiches klammerten. Das Reich besaß einen Hochadmiral, aber keine Flotte, einen Oberbefehlshaber, aber nur wenige Soldaten. In der engen Welt des Hofes rangelten und stritten die Adeligen um absurd aufgeblasene Titel wie Großer Haushofmeister, Großkanzler oder Aufseher über die Kaiserliche Garderobe. Konstantin war im Grunde ein Kaiser ohne Macht. Sein Herrschaftsgebiet war zusammengeschrumpft auf die Stadt und deren Vororte, ein paar Inseln und einige verbundene Gebiete auf der Peloponnes, welche die Griechen etwas abschätzig Morea nannten, Maulbeerblatt: Die Halbinsel war berühmt für ihre Seidenproduktion, und ihre Form erinnerte sie an die Nahrung der Seidenraupe.

Konstantin war um seine Krone nicht zu beneiden. Er übernahm ein bankrottes Reich und eine Stadt, die gespalten war durch religiöse Zwistigkeiten. Die große Unterschicht begehrte häufig auf, und Konstantin gehörte einer Familie an, die sich gern in Bürgerkriege verstrickte. Das Reich war eine Schlangengrube familiärer Intrigen und Fehden – 1442 zog Konstantins Bruder Demetrios mit osmanischen Truppen gegen die Stadt. Konstantinopel war nur eingeschränkt selbstständig und ein Vasall des osmanischen Herrschers, der die Stadt jederzeit unter Belagerung stellen konnte. Auch Konstantins persönliche Macht war keineswegs gefestigt: Es herrschten gewisse Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Thronbesteigung. Er wurde 1449 in Mistra auf der Peloponnes inthronisiert, was sehr unüblich war für einen Kaiser, und er wurde nie in der Sophien-Kirche gekrönt. Die Byzantiner mussten die Inthronisierung durch Murat absegnen lassen, hatten dann aber nicht das Geld, um den neuen Kaiser nach Hause zu bringen. Er musste um die Überfahrt auf einem katalanischen Schiff nachsuchen.

Von der Stadt, in die er im März 1449 zurückkehrte, gibt es keine zeitgenössischen Darstellungen. Eine etwas ältere italienische Karte zeigt Konstantinopel mit zahlreichen leeren Flächen, während die Genueser Handelskolonie Galata, auch Pera genannt, jenseits des Goldenen Horns florierte: »Eine große Stadt, die von Griechen, Juden und Genuesen bewohnt wird«,13 berichtete der Reisende Bertrandon de la Brocqière, der sie als den schönsten Hafen bezeichnete, den er je gesehen habe. Auch Konstantinopel erschien dem französischen Ritter faszinierend, aber heruntergekommen. Die Kirchen seien sehr eindrucksvoll, insbesondere die Hagia Sophia; dort sah er »den Rost, auf dem der Heilige Laurentius verbrannt wurde, und einen großen Stein in Form einer Waschbank, auf dem Abraham den Engeln Nahrung gegeben haben soll, als sie sich anschickten, Sodom und Gomorrha zu vernichten«.14 Die große Reiterstatue von Justinian, den er mit Konstantin dem Großen verwechselte, stand noch am alten Ort: »Er hält ein Szepter in der Linken und streckt die Rechte zur Türkei in Asien aus und zur Straße nach Jerusalem, als wolle er darauf hinweisen, dass all dieses Land unter seiner Herrschaft steht.« Doch die Wahrheit sah offensichtlich anders aus – der Kaiser war kaum Herr im eigenen Haus.

Kaufleute aus allen Nationen halten sich in der Stadt auf, aber die mächtigsten sind die Venezianer, die einen eigenen Bailo besitzen, der ihre Angelegenheiten unabhängig vom Kaiser und dessen Ministern regelt. Auch die Türken haben einen Beamten, der ihre Geschäfte überwacht und ähnlich wie jener der Venezianer unabhängig vom Kaiser ist. Sie besitzen sogar das Vorrecht, dass der Kaiser auf ihre Aufforderung hin einen entlaufenen Sklaven freigeben muss, wenn dieser in der Stadt Zuflucht gesucht hat. Dieser Fürst muss dem Türken sehr weitgehend untertan sein, denn er leistet ihm, wie man mir sagte, eine jährliche Tributzahlung von zehntausend Dukaten.15

De la Brocquière sah überall Grabinschriften, die von der vergangenen Größe des Reiches kündeten – besonders aussagekräftig waren drei anscheinend leere marmorne Grabplatten im Hippodrom: »Hier standen einst drei vergoldete Pferde, die sich jetzt in Venedig befinden«. Es erschien nur als eine Frage der Zeit, bis die Osmanen die Stadt abermals angreifen würden und die Bevölkerung ihnen die Tore öffnen würde. Sie hatte 1430 eine deutliche Warnung erhalten, als sich Thessaloniki geweigert hatte, sich Murat zu ergeben. Die Osmanen hatten nur drei Stunden gebraucht, um die Mauern zu stürmen, darauf folgten drei Tage mit Vergewaltigungen und Plünderungen; 7000 Frauen und Kinder wurden in die Sklaverei gezwungen.

Wir wissen kaum etwas über die äußere Erscheinung Konstantins. Anscheinend erbte er die ausgeprägten, regelmäßigen Gesichtszüge und die Körperhaltung seines Vaters Manuel II., doch das Reich war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, als Porträts des neuen Herrschers in Auftrag zu geben, und das Goldsiegel des Staates, auf dem ein schmales, falkenartiges Antlitz zu sehen ist, ist viel zu schematisiert, um aussagekräftig zu sein. Doch es herrscht Einigkeit, was seine Persönlichkeit betrifft. Von allen Söhnen Manuels war Konstantin der fähigste und vertrauenswürdigste: »Ein Menschenfreund und ein Mann ohne Hinterlist«, der durch Entschlossenheit, Mut und eine tiefe Liebe zu seinem Heimatland geprägt war. Anders als seine streitsüchtigen und undisziplinierten Brüder war Konstantin aufrichtig und geradlinig; die Menschen in seiner Umgebung empfanden anscheinend eine tiefe Verehrung für ihn. Allen Berichten zufolge war er mehr ein Mann der Tat, als ein begabter Verwalter oder tiefschürfender Denker, geschickt im Umgang mit Pferden und versiert in der Kriegskunst, mutig und unternehmungslustig. Vor allem ließ er sich durch Rückschläge nicht entmutigen. Ein starkes Verantwortungsgefühl für das Erbe von Byzanz war kennzeichnend für seinen Charakter; sein ganzes Leben lang bemühte er sich, dieses Erbe zu erhalten.

Konstantin war 27 Jahre älter als Mehmet; er war 1405 in Konstantinopel geboren worden und machte sich wohl seit seiner frühen Jugend kaum Illusionen über die missliche Lage der Stadt. Mit 17 Jahren erlebte er die Belagerung durch Murat; im folgenden Jahr wurde er zum Regenten ernannt, während sein Bruder Johannes VIII. eine seiner nutzlosen Rundreisen durch die christlichen Staaten unternahm, um Unterstützung für Byzanz zu erheischen. Bei seiner Thronbesteigung 1449 war er 44 Jahre alt und hatte bereits zwei Jahrzehnte voller Kämpfe hinter sich. Meist war es darum gegangen, die Peloponnes für Byzanz zu halten oder zurückzuerobern, freilich mit wechselndem Erfolg. Bis 1430 hatte er die meisten kleinen ausländischen Königreiche von der Halbinsel vertrieben, und in den 1440er-Jahren dehnte er als Herrscher von Morea die Grenzen seines Reiches bis Nordgriechenland aus. Für Murat war er ein ständiges Ärgernis; ein aufmüpfiger Vasall, der in die Schranken gewiesen werden musste. Die Vergeltung erfolgte 1446 nach dem gescheiterten Kreuzzug von Varna. Ein osmanisches Heer stieß nach Morea vor, verwüstete das Land und versklavte 60.000 Griechen. Konstantin musste einen demütigenden Friedensvertrag unterzeichnen, dem Sultan den Vasalleneid leisten und einen hohen Tribut zahlen. Dadurch wurde der Versuch vereitelt, den Einfluss der Byzantiner in Griechenland wieder zu stärken, doch durch seinen Kampfgeist, sein militärisches Können und seine Zielstrebigkeit unterschied sich Konstantin deutlich von seinen drei Brüdern – Demetrios, Thomas und Theodor –, die selbstsüchtig, hinterhältig, streitlustig und unentschlossen waren und ihn daran zu hindern suchten, die Reste des Reiches zusammenzuhalten. Ihre Mutter Helena musste Konstantins Anspruch auf den Thron durchsetzen: Ihm allein konnte das Erbe anvertraut werden.

Laut der späteren byzantinischen Überlieferung verfolgte Konstantin das Pech wie ein Fluch. Sein gut gemeintes Unternehmen in Morea war mutig, stand aber unter einem ungünstigen Stern. Er hatte nach der Katastrophe von Varna alleine weitergekämpft, nachdem die venezianische Flotte nach Hause gesegelt war und die Genuesen die versprochene Hilfe nicht geschickt hatten, doch diese Beharrlichkeit hatte dem griechischen Volk großes Leid beschert. Auch privat hatte Konstantin wenig Glück. Seine erste Frau starb 1429 kinderlos, seine zweite 1442. Ende der 1440er-Jahre unternahm er mehrere Versuche, eine dynastische Heirat zustande zu bringen, um seine Krone zu sichern und vielleicht doch noch einen natürlichen Nachfolger zu bekommen. Doch alle Hoffnungen blieben unerfüllt in der angespannten politischen Atmosphäre am Vorabend von Mehmets Thronbesteigung.


Im Februar 1451 bezog Mehmet den Königspalast in Edirne. Seine erste Handlung war überraschend und von entscheidender Bedeutung. Murat hatte einen kleinen Sohn hinterlassen, der von einer anderen Ehefrau stammte: Ahmed. Einige Tage nach Murats Tod, als sich die Mutter in den Thronsaal begeben hatte, um Mehmet ihr Beileid zu bekunden, schickte dieser einen Höfling namens Ali Bey in die Gemächer der Frau und ließ Ahmed im Bad ertränken. Am folgenden Tag ließ er Ali Bey wegen dieser Tat hinrichten, dann verheiratete er die gebrochene Mutter mit einem seiner adeligen Gefolgsleute. Es war eine ebenso skrupellose wie intelligente Tat, durch die der Machtkampf am osmanischen Hof zu seinem logischen Ende geführt wurde: Nur einer konnte herrschen, und um die Gefahr eines Bürgerkriegs zu bannen, durfte nur einer überleben – den Osmanen erschien dies vernünftiger als die endlosen Rivalitäten, unter denen Byzanz ausblutete. Mit einem Handstreich hatte Mehmet ein Modell für die osmanische Thronfolge geschaffen, das er später als Gesetz des Brudermords verankerte: »Welcher meiner Söhne auch immer den Sultansthron erbt, es geziemt sich für ihn, seinen Bruder zu töten im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung der Welt. Die meisten Rechtsgelehrten haben dieses Verfahren gebilligt. Handeln wir also ebenso.«15 Fortan sollte daher jeder Thronbesteigung mit schrecklicher Gewissheit eine Hinrichtung folgen. Dieser Brauch führte 1595 unter dem Sultanat von Mehmet III. zu einem wahren Exzess, als 19 Särge mit den Leichen seiner Brüder aus dem Palast getragen wurden. Doch auch das Brudermord-Gesetz konnte den Ausbruch von Bürgerkriegen nicht verhindern: Es begünstigte vielmehr vorbeugende Rebellionen von Söhnen, die um ihr Leben fürchteten, eine Folge, die auch Mehmet selbst zu spüren bekommen sollte. In Konstantinopel hätte man aus den Umständen des Todes des kleinen Ahmet Rückschlüsse ziehen können auf Mehmets Charakter. Aber offenbar wurde dies versäumt.

Konstantinopel 1453

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