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30 VOLONTÄRE UND EIN DIEB (CHAPTER SEVEN)

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Ich fühlte mich wie ein Artist in einer Zirkusmanege. Nicht etwa, weil der Ort mit der Feuerstelle in der Mitte und den vielen Bänken und Tischen drumherum stark an ein Zirkuszelt erinnerte. Vielmehr, weil uns gerade dreißig Augenpaare neugierig anschauten und unsere Körper von Kopf bis Fuß scannten. Es fehlten nur noch die Scheinwerfer und der Zirkusdirektor, der uns ankündigte. „Keine unüberlegten Aktionen, Männer! Nur lächeln und winken“, schoss mir die Taktik der Pinguine aus Madagaskar durch den Kopf. Keine unüberlegten Aktionen, McKenzie. Wie er setzte ich mein schönstes Lächeln auf.

„Hey, Guys.“

„Hey, Anna“, schallte es zurück. Alle Augen waren auf sie gerichtet.

„Say hello to the Newbies.“

„Hello Newbies.“ Ich schmunzelte, schien ich mich doch sehr an ein Fußballspiel erinnert, in dem die Heimmannschaft gerade ein Tor erzielt hatte und der Stadionsprecher die fünfzigtausend Kehlen zum Ausrasten brachte.

„Torschütze mit der Nummer 10: Luuukas …“

„… Podolski.“

„Luuukas …“

„… Podolski.“

„Luuukas …“

„Podolski - Fußballgott!!!“

„Neuer Spielstand: Deutschland?“

„1.“

„Frankreich?“

„0.“

„Danke schön!“

„Bitte!“

„Schalala …“

„Schalalalalalaalalalalal“

Zufrieden drehte sich Moderator Anna zu uns. „So, Leute: Das sind die Oldies, also die anderen Volontäre. Nächste Woche gehört ihr dann auch zu den Oldies, wenn wieder Neue kommen. Setzt euch einfach an irgendeinen Tisch dazu und denkt dran: English please.“

Ich schaute in die Runde und in die vielen neugierigen Gesichter. Jungen und Mädchen, die Mädchen waren deutlich in der Überzahl, saßen bunt gemischt zusammen unter einem Holzdach, das sich im großen Bogen um die Feuerstelle erstreckte und die einzelnen Tische und Bänke bedeckte. Ich schaute zu Jessi und Marlene.

„Wollen wir uns erst mal bei jedem vorstellen? Vielleicht besser, als sich direkt irgendwo stumm hinzusetzen.“

„Wenn du vorgehst …“

„Gern!“, zwang ich mich zu sagen und steuerte den von uns aus nächstgelegenem Tisch an. An ihm saßen zwei Erwachsene von der Gruppe getrennt. Die Frau hatte schulterlange Haare, der Mann die gleiche Frisur wie Joschka. Die Frisur schien echt der Renner zu sein.

„Hi, I am Silas. Nice to meet you“, sagte ich zu dem Mann und bekam einen festen Händedruck zurück. Vor Schmerz biss ich mir auf die Lippe.

„Hi, I´m Alex. Nice to meet you.“ Von Alex ging ich um den Tisch herum zu der Frau und streckte ihr meine leicht zerquetschte Hand entgegen. Ich hoffte, dass sie einen sanfteren Griff hatte.

„Hi, I am Silas. Nice to meet you.“

„Nice to meet you, too. My name is Michi. Alex’s wife.“ Ich nickte. Michi und Alex machten beide einen netten und freundlichen Eindruck. Ich vermutete, dass sie wie Dossie als Koordinatoren hier arbeiteten. Sie waren deutlich älter als alle anderen Volontäre. Ich lächelte sie an und ging weiter zum nächsten Tisch. Dreißig Händedrücke und „Hi I am Silas. Nice to meet you“-Sätze später setzte ich mich an den Tisch, wo auch schon Anna und Joschka Platz genommen hatten. Von da aus versuchte ich noch einmal alle Namen am Tisch durchzugehen. Neben mir saß links McHänsi, äh McKenzie, rechts Jessi und daneben Marlene. Ganz rechts auf der anderen Seite Anna und daneben Joelle. Neben Joelle saß dann Lara, nein Lena. Oder hieß sie doch Lara? Ich war mir nicht mehr ganz sicher. Neben Lara-Lena saß Nathalie, die sich gerade mit Joschka am Tisch unterhielt und mit ihm tiefe Blicke wechselte. Und dann noch der Junge mit dem Rasiererhaarschnitt, ganz links gegenüber von McKenzie. Er fing, meine ich, auch mit J an. John oder Johnny. Er machte einen ruhigen, ganz gelassenen Eindruck. Der erste Eindruck täuschte nicht. Er sprach auch so. Wie ich einige Tage später herausfand, war er sechsundzwanzig Jahre alt und bildete mit Anna zusammen eins der beiden „Couples“ auf der Farm. Neben Anna und Johnny waren noch Nathalie und Joschka ein Pärchen. Sie alle hatten sich zum ersten Mal auf der Farm gesehen und kennengelernt. Und anscheinend auch gleich gut verstanden. Schon romantisch, so eine Afrika-Lovestory …

Mein Blick fiel auf Lea, die zwischen Nathalie und Lara-Lena saß und mich im gleichen Moment auch anguckte. Ich lächelte sie an. Lea hatte naturbraune Haare, die sie, ähnlich wie Michi, bis zu den Schultern trug. Auf ihrem weißen Shirt war ein Regenbogen abgebildet, der sich vom einen zum anderen Ärmel zog. Sie hatte braune Augen und ein paar Sommersprossen im Gesicht. Sie ist echt hübsch, dachte ich mir und schaute schnell nach vorne zu Anna, damit mein Blick zu Lea nicht zu auffällig wurde. Anna hatte sich hinter der Feuerstelle an einem Tresen positioniert, auf dem bereits mehrere dampfende Töpfe standen.

„Okay, guys. Today we have spaghetti with tomato sauce.“ Sie machte eine kurze Pause. Ein Raunen ging durch die Manege.

„Everyone can have one big scoop spaghetti and one scoop of sauce. This sauce here is with meat and this sauce is for the vegetarians.“

„Snooboobs starts“, rief Joschka rein.

„Nice try Joschka“, lachte Anna. „Newbies starts, snooboobs are the last group.“ Enttäuscht verschränkte Joschka seine Arme. Auf dem Hinweg zur Farm hatten wir Newbies von den beiden schon erfahren, dass es unterschiedliche Gruppen gab. Jede Gruppe hatte ihren eigenen Namen und war für verschiedene Tiere auf der Farm zuständig. Gruppenweise ging es dann auch zum Essenholen. An manchen Tagen kam es so durchaus vor, dass man trotz knurrendem Magen erst als Letzter sein Essen abholen durfte.

Nachdem neben uns Newbies auch alle Crocs, Owls und Foreveralones ihre Teller mit Nudeln und Tomatensauce befüllt hatten, durfte dann endlich auch Joschka mit seiner Gruppe die Kelle schwingen. Zumindest war er in seiner Gruppe der Erste in der Schlange.

„Lass es dir schmecken“, sagte ich zu Joschka und schob mir die x-te Gabel in den Mund. Mein Teller war schon fast leer, so einen Hunger hatte ich gehabt. Ich wollte gerade am Tisch fragen, ob man sich ein zweites Mal nachnehmen durfte, da wurde ich auf einmal von einem panischen Schrei unterbrochen. Erschrocken und fast an einer Nudel erstickt schaute ich auf, von wem der Schrei kam. Es war Jessi, die sich die Arme schützend vors Gesicht hielt.

„Ah, ein Affe. Hilfe.“ Affe? Hier? Ich dachte sofort an Jacobi, der vielleicht aus seinem Käfig ausgebrochen war. Joschka hatte von ihm erzählt, als wir zur Farmwiese gingen. Er lebte allein in seinem dunklen Käfig, weil er ein Problemaffe war. Bei Versuchen in der Vergangenheit, ihn in eine Paviangruppe zu integrieren, hatte es stets Verletzte gegeben. Mit ihm war wirklich nicht zu spaßen, vor allem, wenn es ums Essen ging. Die Schilder vorm Gehege hatten also ihren Grund. Aufgeregt schaute ich mich wie die anderen am Tisch um. Jacobi konnte überall sein. Vorsichtshalber ließ ich mein Essbesteck nicht aus der Hand. Plötzlich sah ich ihn. Jacobi, einen muskulösen, brüllenden Pavian mit großen Zähnen und Pranken? Nein, schlimmer. Erleichtert fing ich wie die anderen am Tisch an zu lachen. Ich konnte nicht glauben, was ich da sah. Ein kleines Babyäffchen hüpfte vor mir über den Tisch. Mit seinem Schwanz stieß es fast eine Cola-Dose um.

In den Händen hielt es Jessis Feuerzeug, das es ihr mit einem Überraschungsangriff zuvor stibitzt hatte. Daher Jessis Schrei. Sie wurde von einem Baby attackiert. Siegessicher sprang Enrico, so hieß der Babyaffe, von Schulter zu Schulter, ehe er vor Joelle sitzen blieb und sich sein neues Spielzeug in den Mund steckt. Er hätte seine Flucht besser fortgesetzt. Ohne zu überlegen, packte Joelle ihn mit einer Hand am Rücken und versuchte, ihm seine Diebesbeute wegzunehmen. Doch er dachte nicht mal daran loszulassen.

„Enrico. Enrico. Lass los.“ Doch Enrico hörte nicht und griff stattdessen Joelle an die Nase. Nach ein paar Sekunden überließ er ihr das Feuerzeug. Er hatte etwas anderes entdeckt. Etwas Besseres, etwas Funkelndes - Jessis Nasenpiercing. Neugierig sprang er in Jessis Richtung, die schützend ihre Hände vors Gesicht riss. So schnell ihn seine kleinen Füße auch trugen, er kam nicht weit. Joelle packte ihn ein zweites Mal und zog ihn von Jessi weg.

„Eeennnricccooo Lllloooossss! Enrico. Lass Jessica in Ruhe. Loss.“ Doch Enrico dachte gar nicht daran aufzuhören. Er wollte das Nasenpiercing um jeden Preis haben. Wild zappelnd versuchte er sich aus Joelles Händen zu lösen. Das Nasenpiercing ließ er dabei keine Sekunde aus den Augen.

„Enrico loss! Was ist denn mit dir?“ Kopfschüttelnd machte sie mit dem dreißig Zentimeter großen, energiegeladenen Enrico kurzen Prozess. Sie stopfte ihn unter ihren Pulli. Mit Joelles Aktion war Enrico gar nicht zufrieden. Sofort fing er unterm Pulli an laut zu quieken und wild mit den Beinen zu schlagen. Nach kurzer Zeit ging ihm jedoch die Kraft aus. Die Beinschläge wurden immer schwächer und langsamer, bis er schließlich ganz aufgab und sich seinem Schicksal ergab. Jetzt sah man nur noch eine atmende Beule unter Joelles Pulli.

„Na geht doch, warum nicht gleich? Hier ist dein Feuerzeug, Jessi.“

„Danke, ich habe ihn echt nicht kommen gesehen.“

„Steck es beim nächsten Mal am besten direkt in deine Hosentasche. Da ist es sicher vor dem kleinen Scheißer.“ Sie schaute durch den Kragen unter ihren Pulli. Von da griff ihr direkt eine Hand an den Mund. Liebevoll taste Enrico ihre Lippen ab. „Du bist ein Scheißer, hörst du. Ein kleiner Scheißer. Aber ein süßer.“

„Das Gleiche gilt für Kopfhörer. Die sind vor ihm auch nicht sicher“, sagte Lara-Lena zu uns Neuen. „Meine sind schon ganz durchgekaut.“ Enrico steckte beim Wort Kopfhörer neugierig seinen Kopf aus Joelles Kragen. Joelle ließ ihn gewähren.

„Nein, Enrico, da sind keine Kopfhörer. Beruhige dich.“ Sie setzte ihn zurück auf den Tisch und wickelte ihn in eine kleine Decke. „Hier, nimm deine Trinkflasche.“ Doch Enrico wollte keine langweilige Milch trinken. Er hatte etwas viel Besseres entdeckt. Freudig, nicht mehr unterm Pulli sein zu müssen, sprang er über Joelles Kopf zum Nachbartisch, an dem Michi und Alex saßen.

„Hey, Enrico? Wie gehts?“ Alex kraulte Enrico am Bauch, während dieser seine Zunge in Alex Saftflasche steckte. Es dauerte nicht lange, bis sich sein Fell am Kinn in den Farben des Saftes färbte.

Ich widmete mich wieder meinen Nudeln. „Wo ist Enricos Mutter?“, fragte ich in die Runde und schaute zu dem kleinen Vervet-Affen. Dieser saß mittlerweile nicht mehr vor Alex, sondern bei Herman an der Bar und ließ sich von ihm am Rücken kraulen. So kann man sich auch Drinks erbetteln, dachte ich mir. Enricos Betteln war bis hierhin zu hören.

„Seine Mutter lebt irgendwo im Gehege bei den wilden Vervets“, sagte Anna kauend. „Er ist drei Monate alt und lebt seit seiner Geburt bei uns. Seine Mutter hat ihn verstoßen, deswegen kümmern wir uns um ihn.“

„Er schläft in der Regel bei Daniel in der Hütte. Ihr müsst mal sehen, wenn Daniel Enrico für die Nacht wickelt. Er ist so ja schon so süß, aber in Windeln …“, schwärmte Nathalie. Ich konnte es mir gut vorstellen. Dieser kleine Babyaffe hatte mich in seinen Bann gezogen. Noch nie hatte ich so etwas Niedliches und Süßes gesehen.

„Wer ist noch mal Daniel?“, fragte Marlene.

„Daniel sitzt dahinten bei Adelle, Flo und Sarah am Tisch. Er ist schon seit knapp fünf Monaten hier.“ Nathalie deutete auf den Tisch hinter uns. Dort hatte Daniel einen gut gefüllten Teller vor sich stehen, dessen Inhalt er in sich hineinschaufelte. Er trug Bart und somit mehr Haare im Gesicht als auf dem Kopf. In seinem Tank-Top machte er einen sehr sportlichen Eindruck. Wie ein Turner sah er aus. Klein, aber kräftig. Ich schätzte ihn auf Ende dreißig, Anfang vierzig.

„Ich dachte, man kann maximal drei Monate hier auf der Farm bleiben“, hakte Marlene nach. „Wie hat er das den hinbekommen?“

„Indem man drei Monate am Jahresende und drei Monate am Jahresanfang bucht“, sagte Joschka in ihre Richtung. „Dann hat man sein halbes Jahr zusammen.“

McKenzie meldete sich mit einem Räuspern zu Wort. Er war seit dem Essen auffällig still geworden und stocherte die ganze Zeit gelangweilt in seinem Essen herum.

„Oh sorry, McKenzie“, entschuldigte sich Anna bei ihm von der anderen Tischseite aus. „Guys, we have to speak English. It is respectless when we speak German and another person on the table can not understand what we are saying.“ Komisch, hatte sie sich doch die ganze Zeit auch auf Deutsch unterhalten. Ich überlegte, wie das auf dem Zimmer zwischen ihm und mir erst werde sollte. Ich verstand ihn ja kaum.

„You are not hungry, McKenzie?“ Anna war McKenzies Gestocher auch aufgefallen. Doch er wollte nicht wirklich reden. Müde schaute er durch seine Harry-Potter-Brille und stützte seinen Kopf mit der Hand ab.

„I äääm good, thäääänks. Just tired.“

„Wie lange habt ihr Pause gemacht in Gobabis?“, fragte Nathalie neugierig nach. „Musste der Fahrer bei euch auch irgendwelche Erledigungen machen?“

„Zwei Stunden …“ Jetzt war Jessi in ihrem Element. „Zwei ganze Stunden haben wir auf den Fahrer gewartet. Und wisst ihr, warum? Wegen tausend Eiern …“

„Tausendachtzig, Jessi“, korrigierte ich sie lachend. „Tausendachtzig.“ „Ach, das wundert mich noch nicht mal. Wir mussten auch lange auf den Fahrer warten“, grinste Nathalie. Wahrscheinlich hatten alle so ihre Erfahrungen auf der Hinfahrt zur Farm gemacht. Gott sei Dank waren wir jetzt da.

„Is there everyone second?“ Gott sei Dank, dachte ich mir. Es gab zwei Essensrunden. Man durfte nachnehmen. Glücklich schaute ich zu Anna. Sie hatte sich wieder vor den Töpfen und Schüsseln positioniert und zählte von da die vielen Hände, die sich auf ihre Frage gemeldet hatten. Wie eine Rakete beim Start waren diese nach oben in die Luft geschossen ...

„9,10, 11 - okay, I think there is still one spoon pasta and sauce for everybody. Enjoy.“ Sie hatte ihren Satz noch nicht mal ausgesprochen, da rannten die Ersten schon los. Enrico eingeschlossen. Er war es dann auch, der als Erster mit einer langen Spagetti vom Buffet davonlief.


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