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DIE ENTSCHEIDUNG (CHAPTER ONE)

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„Lieber Herr Jäkel,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Wir würden uns freuen, Sie als Volontär/ Volontärin begrüßen zu können. Anbei sende ich Ihnen die entsprechenden Informationen zum Projekt sowie ein Anmeldeformular zu. Die Anmeldung ist in dem Fall verbindlich …“

Ich legte mein Handy auf den Schreibtisch und starrte an die Wand. „Verbindlich“ stand in der Mail. Verbindlich. Dieses Wort hatte irgendwie schon so was Verbindliches an sich. Ich musste schlucken. Es löste etwas in mir aus. Ich merkte, wie ich nervös meinen Kuli zwischen den Fingern hin und her bewegte.

„Knack.“ Schon wieder einer, bei dem die Halterung abgebrochen war. Noch nie hatte es eine Halterung mehrere Tage und Wochen mit mir ausgehalten. Hin- und hergerissen kratzte ich mich an der Schläfe. Soll ich es wirklich machen? Du Silas? Irgendwie klangen meine Gedanken jetzt nicht mehr so optimistisch wie noch vor ein paar Tagen. Da hatte ich mit einer Mail mein Interesse an dem Projekt zum Ausdruck gebracht und eine Anfrage an die Organisation abgetippt. Ich konnte es kaum erwarten, mich verbindlich anzumelden. Und jetzt, ein paar Tage später? Als es verbindlich wurde, kamen natürlich wieder die Zweifel. Wie immer bei großen Entscheidungen. Auf ihr Kommen konnte ich mich stets verlassen. Jetzt war ich wieder in meinem Zimmer und beobachtete, wie in meinem Kopf ein negativer Gedanken den anderen ablöste.

Du schaffst das nicht! Du kannst das nicht!

Ich tigerte wild in meinem Zimmer auf und ab. Du machst es eh nicht. Ich kenne dich doch … Ich gab meinen Gedanken recht und ließ mich frustriert in den Stuhl sinken. Wahrscheinlich sollte es so ablaufen wie immer. Wahrscheinlich würde ich ein Leben lang zu den Menschen gehören, die tolle Träume und Visionen haben, aber nichts davon jemals umsetzen werden. Vor allem wenn es verbindlich wird. Irgendwann würde ich es dann bereuen, es nicht getan zu haben. Vor gut zwei Monaten war es auch schon so gewesen, dass Zweifel meine Pläne zunichtegemacht hatten. Auch da hatten sich meine Zweifel durchgesetzt. Ich wollte nach Paris. Allein. Beziehungsweise mit Millionen anderen Menschen. Wie in jedem Jahr sollte auf dem Champs Elysées die letzte Tour de France-Etappe vor einem Millionenpublikum zu Ende gehen und der Gesamtsieger feierlich gekürt werden. Einmal wollte ich in meinem Leben live dabei sein. Vor Ort mit allen anderen. Nur einmal. Zwischen allen jubelnden Zuschauern stehen und die Radprofis mit den dicken Schenkeln und durchtrainierten Waden zum Sieg brüllen. Doch es gab natürlich einen Haken: Es scheiterte an der Umsetzung, an der praktischen Umsetzung. Ein Schritt hatte mir von der Idee bis zur Praxis gefehlt. Nur noch einen Schritt hätte ich machen müssen. Just one step. Sämtliche personenbezogene Daten und Kontonummern hatte ich bei Eurowings auf der Homepage schon eingegeben. Der Sitz war reserviert und der Flugplan stand. Hinflug Samstagmorgens, Rückflug Sonntagabend nach der Etappe, dazwischen eine Übernachtung im Hotel. Zweihundert Euro insgesamt. Doch dazu kam es nicht. Ich traute mich nicht, verbindlich zu buchen. Wie gelähmt starrte ich damals auf den Bestell-Button. Es lag nicht am Geld und den zweihundert Euro. Nein, nein. Mein Respekt und die Angst vor dem Flug und der Reise waren zu groß. Immer wieder redete ich mir Flugangst ein, bis ich schließlich den Buchungsprozess abbrach und aufgab. Angst vorm Unbekannten. Angst vor der Praxis. Angst, meine Komfortzone zu verlassen. Die Sicherheit und meine Zweifel siegten. Es blieb bei dem Traum und der Idee.

Wütend haute ich mit der Faust auf meinen Schreibtisch. Vor lauter Schreck flog das abgebrochene Kugelschreiberteil in hohem Bogen auf den Teppich. Reiß dich diesmal zusammen, Silas, versuchte ich mir einzureden. Es konnte nicht sein, dass ich schon wieder einen Traum aufgab. Du bist 21. Wie lange willst du noch warten? Möchtest du immer davonlaufen, wenn es ernst wird? Come on. Entschlossen schlug ich mir dreimal mit der Faust auf den Brustkorb. Dies tat ich immer dann, wenn ich mich zu irgendwas pushen wollte. Wenn ich positive Energie brauchte. In der Regel klappte das ganz gut. Vor Klausuren im Abitur zum Beispiel. Wütend über meine Unentschlossenheit, fiel mein Blick vom Anmeldeformular im Posteingang auf das Sideboard vor mir. Papa hatte es über meinem Schreibtisch angebracht. Früher hingen dort irgendwelche Vokabeln und Stundenpläne, doch das war lange her. Verdammt lange - zum Glück. Jetzt hing dort neben einem Bild von meiner Familie ein Zettel mit einem Spruch. Diesen hatte ich vor Kurzem in irgendeinem Podcast aufgeschnappt und in krakeliger Schrift aufgeschrieben. Ich hatte schon fast ganz vergessen, dass er da hing. Langsam wanderten meine Augen Wort für Wort am Spruch entlang: „The greatest risk: Dying before you have actually pushed yourself to live. You will either find a way or you will find an excuse. If you can or not, you are right.“

Je öfter ich den Satz durchging, desto entschlossener wurde ich. Dieser Satz war so wahr. Er erinnerte mich wieder, warum ich an dem Projekt teilnehmen wollte. Ich grinste. Ich dachte an meine Unzufriedenheit in den letzten Wochen, Monaten und Jahren. An die Momente, in denen ich mir nichts sehnlicher gewünscht hatte, als aufzubrechen. Als zu starten. Einfach mal raus. Raus aus der Komfortzone, dem Alltag entfliehen und endlich anfangen zu leben. Leben. Lebendig sein. Dinge machen, die sich hinter meiner Angst verstecken. Ich wollte mir wenigstens einmal im Leben beweisen, dass ich es mir selbst wert bin, den letzten Schritt zu gehen. Silas, du bist es wert, Mann. Hörst du? Du bist es wert. Dein Leben ist es wert. Entschlossen ballte ich die Fäuste und klopfte mir auf die Brust. Sie bebte vor Energie und Entschlossenheit. Du wirst es bereuen, wenn du diesen Schritt nicht gehst. Verdammt - Ich wollte nichts mehr bereuen in meinem Leben. Wieder wanderten meine Augen über mein Gekritzel an der Wand:

„Dying before you have actually pushed yourself to live“. Oh Mann. Mir graute es vor dem Gedanken, irgendwann am eigenen Sterbebett zu sitzen, aufs eigene Leben wie auf einen Film zurückzublicken und dann etwas zu bereuen. Keine Bilder in dem Film zu sehen. Vor einer leeren Wand zu stehen und zu denken: Hätte ich doch besser das gemacht … Hätte ich da doch besser nicht gezweifelt, dann hätte ich … Verdammt - ich wollte dieses Szenario nicht erleben. Nicht ich. Nein, nicht ich! Wieder schlug ich mit meinen Fäusten auf die Brust. Diesmal noch entschlossener und kräftiger als davor. Ich merkte, wie ich immer entschlossener in meiner Entscheidung wurde. Wie meine Entscheidung immer verbindlicher wurde. Wie ich immer mehr dahinter stand. Mit meinem Herzen, mit meiner Seele. Ich schloss meine Augen und fing an zu lächeln. Ich nahm ein paar tiefe Atemzüge, spürte, wie das Blut durch meine Brust zirkulierte, und fing an, langsam von fünf rückwärts zu zählen.

„5,4,3,2…“ Bei 1 öffnete ich meine Augen. Meine Mundwinkel, die vorhin noch meine Laune und Stimmung nach unten gezogen hatten, schnellten in Windeseile nach oben. Ich fing an zu strahlen wie ein Stern am Himmel. Ich wurde immer heller und heller. Ich hatte eine Wahl für mein Leben getroffen. Tief atmete ich durch, um sie mir noch einmal bewusst zu machen. Der Gedanke an das bevorstehende Abenteuer packte und euphorisierte mich. Wie ein Flummi sprang ich vor lauter Freude vom Schreibtischstuhl auf, sprang auf mein Bett und ließ einen lauten Schrei los.

„Silas, alles okay?“

„Ja Mama, haha. Alles gut.“ Das Glück überrannte mich und ich wusste gar nicht mehr, wohin mit der ganzen Energie. Ich jubelte wild gestikulierend mit Armen und Beinen, wälzte mich im Bett herum wie ein glückliches Schwein im Matsch und konnte meinen Schritt kaum fassen. Ich streckte mich vom Bett aus zum Schreibtisch und schnappte mir mein Handy. Ich druckte das Anmeldeformular aus und schickte es noch am selben Tag ausgefüllt zurück. Was sich vorhin noch so komisch und falsch angefühlt hatte, fühlte sich jetzt richtig an. Es fühlte sich gut an.

Ab jetzt gab es kein Zurück mehr. Ab jetzt konnte es keine Ausreden mehr geben. Ungläubig schüttelte ich den Kopf.

„Noch fünf Monate“, murmelte ich. Fünf Monate, bis der Flieger geht. Nicht nach Paris. Nicht zur Tour de France. Nach Namibia. Nach Afrika. Verbindlich. Ich hob das abgebrochene Stück vom Kugelschreiber auf. Es landete im hohen Bogen neben meinen Selbstzweifeln im Müll.


Afrika - Leben, Lachen, frei sein

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