Читать книгу Die vergessene Welt - Simone Lilly - Страница 1

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 1.

Es war seit langem eine wolkenverhangene Nacht, aber das kam ihr gerade recht. Während ihre Eltern wie immer in ihrem Schlafzimmer am Ende des Flurs schliefen, war Leona bereits aufgestanden, hatte ihren Koffer zu sich aufs Bett gezogen und damit begonnen, verschiedene Kleider hineinzuwerfen. Sie musste weg. Das war ihr einziger Gedanke. Aber wie hätte sie das bis jetzt anstellen sollen? Einfach davonlaufen? Nein, das hätten sie gemerkt, eine „Bei Nacht und Nebel“ Aktion musste es sein, anders ging es nicht. Also fuhr sie beschwingt damit fort. Ein edles Kleid nach dem anderen landete in dem kleinen haselnussbraunen Koffer. Kaum als sie fertig war, hielt sie inne und überlegte, wenn sie wirklich das tun wollte, was sie vorhatte, dann würden ihr diese Kleider nicht das Geringste nützen. Also entschied sie sich anders und legte stattdessen mehrere Hosen und einfach Hemden oder einige leichte Sommerkleider hinein.

Der Morgen graute, das Wetter sollte an diesem Tag trüb werden, das konnte sie erkennen. Aufgewühlt saß sie auf ihrem Bett und ließ ihren Blick ein letztes Mal durch den Raum schweifen. Ihr großes Himmelbett, der kleine Kleiderschrank und die Sitzgelegenheit nahe dem Fenster. Auf ihr hatte sie so oft gemeinsam mit ihrem Bruder Jordan gesessen und in die Sterne geschaut.

Stundenlang.

Jetzt würde sie ihn allein lassen, jetzt musste sie es. Sie war 16, alt genug, doch sie hatte keinen Mann, das war ihr Problem. Ihre Mutter hätte sie vielleicht verstanden, ihr geholfen, aber sie lebte nicht mehr, leider. An ihrer Stelle lag nun ihre Stiefmutter in ihrem Bett, was Leona nichts ausmachte, denn sie mochte sie. Zwar war sie fünf Jahre älter als ihre Mutter es war, hatte sie aber immer gut behandelt. Ihr Vater-der Bürgermeister der Stadt-hatte mit ihr einen Sohn, Jordan bekommen, da war Leona erst zwei Jahre alt gewesen. Sie liebte ihn über alles, er war ihr ein und alles. Der immer bei ihr war, der ihr immer half, immer freundlich und hilfsbereit. Er hatte wie sie pechschwarze, lockige Haare und ein schmales Gesicht. Dafür hatte er volle Lippen, die sie immer haben wollte, und giftgrüne Augen. Manchmal fragte sie sich, wie ein Mensch so engelsgleich aussehen konnte, wie er es tat.

Die Kirchturmuhr schlug vier Uhr. Hastig sprang sie vom Bett, rückte ihre Reiterhosen zurecht und band sich ihre langen Haare wie ein Junge am Kopf zusammen und versteckte sie anschließend unter dem knabenhaftersten Hut den sie finden konnte.

Jetzt war sie so weit. Angst durchflutete sie, als sie ihren Koffer durch ihre Tür hievte, vorbei an Jordans Zimmer. Er schlief tief und fest. Angehalten wagte sie einen langen Blick auf ihn zu werfen. Wie friedlich sich sein Bauch auf und ab bewegte und sein Gesicht vollkommen entspannt auf dem Kissen ruhte.

Nein Leona, geh, mach dass du hier wegkommst. Die Mahnung trieb sie vorwärts. In der Küche begann es, zu rumoren, Madlen, ihre Haushälterin war bereits aufgestanden und hatte damit begonnen Leckereien für das Frühstück zuzubereiten.

Sollte sie sich noch etwas zu Essen mitnehmen? Hin und her gerissen riet sie sich selbst davon ab. Es wäre zu auffallend, würde sie an Madlen vorbeilaufen, sich etwas in ihre Tasche packen und gehen.

Benebelt trat sie wenig später in die kühle Morgenluft ihrer kleinen Küstenstadt. Ein hellroter Streifen durchzog den Himmel über ihrem Kopf und beleuchtete alles in einem matten Rotton.

Schweren Herzens schleppte sie den Koffer weiter, bis zum Anlegeplatz. Es gab ein Schiff, den „Schwanenflügel“, sie musste es nehmen, ein anderes würde an diesem Tag nicht in See stechen und sie musste von hier fort.

Schnell hatte sie ihr Ziel erreicht. Das Schiff war zwar nicht das größte im Hafen, dennoch würde es reichen. Hoffte sie. Wohin es fuhr, wusste sie nicht, aber alles würde besser sein als hier zu bleiben. Soviel stand für sie fest.

Heimlich blickte sie sich um. Keiner war zu sehen. Rasch lief sie die schon heruntergelassene Leitplanke hinauf, schlüpfte dort unter Deck und wartete. Auf was wusste sie nicht. Auch nicht ob sie keiner entdecken würde, aber sie hatte den ersten Schritt schon geschafft. Den, so glaubte sie, schwierigsten, sie war an Bord.

Die vergessene Welt

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