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2.1 Bewegung – Bund – Partei

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Eine der ersten Formeln, mit denen der eben entstandene Faschismus sich selbst zu erklären versuchte, stammt, wie anders, von Mussolini. „Der Faschismus ist keine Kirche; er ist viel eher ein Trainingsplatz. Er ist keine Partei; er ist eine Bewegung“91. Zu dem Zeitpunkt, als Mussolini dies schrieb, im März 1921, war das keine unzutreffende Aussage. Versteht man unter einer sozialen Bewegung einen „mobilisierende(n) kollektive(n) Akteur, der mit einer gewissen Kontinuität auf der Grundlage hoher symbolischer Integration und geringer Rollenspezifikation mittels variabler Organisations-und Aktionsformen das Ziel verfolgt, grundlegenderen sozialen Wandel herbeizuführen, zu verhindern oder rückgängig zu machen“92, dann kommen die zahlreichen Gruppen, die sich im Herbst und Winter 1920 unter der Bezeichnung fasci zusammengefunden hatten, diesem Begriff recht nahe. Sie rekrutierten sich zumeist aus demobilisierten Offizieren, darunter vielen Angehörigen der ehemaligen Eliteeinheit der Arditi, aus Studenten und Jugendlichen der „überflüssigen Generation“, die ihren Zusammenhalt nicht so sehr in bestimmten Ideen oder politischen Programmatiken fanden als in dem „verbindenden antibürgerlichen Lebensgefühl, der Dynamik, dem Primat der Aktion, des Kampfes, der physischen Gewaltanwendung“93. Ihre organisatorische Struktur war wenig formalisiert, stark personalistisch und auf „emotionaler Vergemeinschaftung“ (Max Weber) beruhend; ihre Zielsetzung überwiegend negativ, auf die Zerschlagung jener institutionellen Bastionen gerichtet, von denen aus die Arbeiterbewegung, speziell auf dem Land, immer neue Vorstöße unternahm, die in letzter Instanz auf die Herbeiführung einer kollektiv-korporatistischen Ordnung zielten, die den Interessen der Großagrarier ebenso entgegenstand wie denjenigen der Klein- und Mittelbauern94.

So wichtig diese Dimension indes auch ist, das entscheidende Merkmal des Faschismus läßt sich hieran nicht festmachen. Denn erstens gilt schon für Italien, daß die Bewegungsphase bereits im Herbst 1921 ihr Ende findet, als sich die „Antipartei“ in eine Partei umwandelt, den Partito Nazionale Fascista (PNF), und damit ihren Schwerpunkt endgültig von der sozialen auf die politische Ebene verlagert95. Und zweitens führt eine am Typus der sozialen Bewegung orientierte Betrachtungsweise dazu, daß die naheliegende Parallele zum PNF, die NSDAP, gar nicht erst in den Blick kommt. Die Entsprechung zum antipartito, zum squadrismo, liegt in Deutschland nämlich eher in den Bürger- und Einwohnerwehren nach Art der „Orgesch“, der Organisation Escherich, sowie vor allem in den Freikorps, die von Anfang an als Notwehr- und Ordnungsorgane gegen die sozialistische und kommunistische Umsturzdrohung agierten96. Von einem solchen Ausgangspunkt her ist es deshalb konsequent, wenn Andreas Wirsching vorschlägt, bei der Analyse des Rechtsextremismus nach 1918 scharf zu trennen „zwischen ‘Faschismus’, für den der Antibolschewismus im Zeichen von ‘Notwehr’ und ‘Ordnung’ tatsächlich ein bewegendes Prinzip war, und der zur gleichen Zeit vordringenden völkisch-antisemitischen Bewegung“97. Nur ist es für ein wissenschaftliches Konzept des Faschismus nicht gerade ein befriedigendes Ergebnis, wenn auf diese Weise ausgerechnet diejenige Erscheinung aus dem Begriff ausgeschieden wird, in der nicht wenige mit guten Gründen den reinsten Ausdruck des Faschismus sehen.

Ebensowenig überzeugen Deutungen, die den Bewegungscharakter der NSDAP auf Kosten ihrer Parteieigenschaften betonen98. Es ist richtig: die Nationalsozialisten haben sich hin und wieder als Bewegung dargestellt, teils um damit ihren Gegensatz zum Weimarer Parlamentarismus zu unterstreichen, teils um den Anschluß an die Völkischen zu halten, die sich seit der Kaiserzeit weit mehr als Bewegung denn als Partei verstanden.99 Aber wenn etwa die Deutschsozialisten mit Alfred Brunner zwischen einer „lehrenden und lernenden“ Bewegung und einer „kämpfenden und fordernden“ Partei unterschieden und die Rolle der letzteren ganz im Stil der Honoratiorenpolitik des vergangenen Jahrhunderts auf Wahlzeiten beschränkt sehen wollten, wenn die Deutschvölkischen mit Artur Dinter ihre Bewegung vor allem als „Geistesrevolution“ definierten, die das Werk der von Luther begonnenen Reformation fortsetzen und dazu vor allem auf Gesinnungsveränderung hinarbeiten sollte100, dann konnten sie zwar bei einigen Redakteuren des Völkischen Beobachters mit Beifall rechnen, nicht aber bei Hitler, der dem Blatt schon im Juli 1920 „Mangel an Mut“ vorwarf, sich parteipolitisch festzulegen. Hitler sah die entscheidende Schwäche des völkischen Lagers darin, daß es bisher außerstande war, „der von einer einheitlichen Spitzenorganisation geführten marxistischen Weltanschauung“ eine adäquate Gegenmacht entgegenzustellen; und obschon er diese nur als „Instrument“ präsentierte, war damit doch mitnichten etwas gemeint, was allenfalls sekundäre Bedeutung hatte101. Der Satz aus Mein Kampf, in dem manche ein Bekenntnis zum Bewegungscharakter sehen wollen, ist in Wahrheit ein Plädoyer für die Organisationsform Partei: „Jede Weltanschauung, sie mag tausendmal richtig und von höchstem Nutzen für die Menschheit sein, wird solange für die praktische Ausgestaltung eines Völkerlebens ohne Bedeutung bleiben, als ihre Grundsätze nicht zum Panier einer Kampfbewegung geworden sind, die ihrerseits wieder solange Partei sein wird, als sich ihr Wirken nicht im Siege ihrer Ideen vollendet hat, und ihre Parteidogmen die neuen Staatsgrundsätze der Gemeinschaft eines Volkes bilden“102. Es war denn auch nicht die Deutschvölkische Freiheitsbewegung Großdeutschlands, die schließlich die Hegemonie im Lager der Rechten gewann, sondern die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei.

Die These vom Bewegungscharakter des Faschismus läßt sich auch nicht mit dem Argument begründen, daß Mitgliedschaft in diesem Falle nicht bloß, wie bei einer politischen Partei üblich, in Stimmabgabe und Mitgliedsbeitrag bestehe, vielmehr die ganze Person in all ihren Lebensbeziehungen umfasse. So meinte schon Fritz Schotthöfer in einer der frühesten Annäherungen an den Gegenstand, daß die Bezeichnung Faschismus nichts über den Geist und die Ziele der Bewegung aussage, sondern nur über die Art der Verbindung: „Ein fascio ist ein Verein, ein Bund, Faschisten sind Bündler und Faschismus wäre Bündlertum“103. Auch J. W. Mannhardt sah die deutsche Entsprechung zum italienischen fascio im Wort „Bund“ und definierte den Faschismus als „ein System von ausgesprochenen Männerbünden“, das vertikal gegliedert sei und im Duce seine Spitze habe104. Eine Denkschrift des Preußischen Innenministeriums attestierte im August 1930 der NSDAP einen „Doppelcharakter als politische Partei und als politischen Bund“ – ein Befund, der auch von der bedeutendsten parteisoziologischen Studie am Ausgang der Weimarer Republik bestätigt wurde105. Noch weiter zugespitzt wurde dies von Maurice Duverger, der in seinem Werk über die politischen Parteien (1952) die spezifische Differenz der faschistischen Parteien an ihrer Eigenschaft als Bund festmachte. Duverger schloß sich an Herman Schmalenbachs Bestimmung des Bundes als einer zwischen „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“ angesiedelten Kategorie an, die wie die letztere auf freiwilliger Zugehörigkeit beruhe, zugleich aber wie die erstere die ganze Persönlichkeit, und hier speziell das Gefühlsleben, ergreife. Während normale Parteien stets eine Mischung aus gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen und bündischen Elementen darstellten, seien Parteien wie die faschistischen (und übrigens auch: die kommunistischen) durch das Übergewicht der bündischen Komponente bestimmt und eben dadurch totalitär. „So entsprechen schließlich die kommunistischen und faschistischen Parteien dem Begriff des Bundes, wie ihn Schmalenbach beschrieben hat. Die Nationalsozialisten haben dies ausdrücklich bestätigt und die meisten faschistischen Parteien sind diesem Beispiel gefolgt“106.

Daß ein so stark personalistisch und emotional geprägtes Phänomen wie der Bund wenig taugt, der Eigenart kommunistischer Parteien gerecht zu werden, die ihren Zusammenhalt überwiegend über die Ideologie herstellen, kann hier nur angedeutet werden. Es ist jedoch auch nicht zureichend, um die spezifische Differenz des Faschismus zu markieren. Gewiß schöpft der Faschismus in erheblichem Umfang aus den bündischen Vergemeinschaftungen der Nachkriegszeit: aus dem breiten Fundus der Kriegsheimkehrer, der entwurzelten Existenzen, der Dissidenten der herkömmlichen Parteien, die sich als Gefolgschaften um die Warlords der Freikorps scharten oder in Jugendbünden zusammenschlossen; und gewiß auch waren ganze Segmente des Faschismus hier verankert: in Nord- und Mittelitalien die squadre, die von einem kollektiven Enthusiasmus beseelt waren und in mancher Hinsicht an Victor Turners Typus der „spontanen Communitas“ erinnern; in Deutschland die SA, die HJ oder der NS-Studentenbund107.

Gleichwohl: mit dem Begriff des Bundes ist ein Spektrum angesprochen, das zugleich weiter und enger ist als der Faschismus. Bünde sind nicht notwendig auf die Gewinnung politischer Macht ausgerichtet, wie es der Faschismus zweifellos ist. Viele Verbände der bündischen Jugend zielten lediglich auf ein neues „Jugendreich“, verfolgten also eher subkulturelle als politisch-staatliche Ambitionen. Wenn sie, was natürlich vorkam, das politische Feld betraten, plazierten sie sich durchaus nicht notwendig am rechten Pol, wie die Existenz von Kampfbünden der Linken belegt. Selbst die rechten Kampfbünde waren beträchtlicher Oszillationen fähig, wie das Beispiel des Bundes Oberland zeigt, der zeitweise Fühler in Richtung der Kommunisten ausstreckte108. Zur NSDAP wiederum gehörte mit der SS ein Verband, der von seinem Leiter strikt von der Form des Männerbundes abgegrenzt wurde und verbandssoziologisch am ehesten noch als geheime Gesellschaft im Sinne Georg Simmels zu klassifizieren ist. Ebensowenig bündisch war das Netzwerk von Standesorganisationen für Ärzte, Rechtsanwälte oder Lehrer, die überwiegend bürokratisch organisiert waren. Je mehr sich der PNF oder die NSDAP von einer anfänglichen Kaderpartei hin zur Massenpartei wandelten, desto weniger lassen sie sich als Bünde verstehen, auch wenn die für diesen Sozialtypus charakteristische Form der persönlichen Gefolgschaft und affektuellen Verbindung erhalten blieb.

Eine Begriffsbestimmung des Faschismus setzt deswegen am besten nicht hier und auch nicht am Typus der sozialen Bewegung an, sondern an seiner Erscheinung als politischer Verband: als Partei. Tatsächlich ist der Faschismus, was immer er sonst ist, vor allem eine Partei – in Deutschland von der ersten Stunde an, in Italien, nach seiner chaotischen Startphase als antipartito, ab 1921. Parteien lassen sich mit Max Weber definieren als „auf (formal) freier Werbung beruhende Vergesellschaftungen mit dem Zweck, ihren Leitern innerhalb eines Verbandes Macht und ihren aktiven Teilnehmern dadurch (ideelle oder materielle) Chancen (der Durchsetzung von sachlichen Zielen oder der Erlangung von persönlichen Vorteilen oder beides) zuzuwenden“109. Sie lassen sich darüber hinaus, ebenfalls nach Weber, nach drei Dimensionen klassifizieren – nach den Zielen, für die sie politische Macht anstreben, nach der Organisation, die sie sich dafür geben, und nach den bevorzugten Mitteln. Nach der ersten Dimension können sie mehr Klassen- bzw. Stände-, mehr Weltanschauungs- oder mehr Patronagepartei sein; nach der zweiten mehr charismatisch, mehr traditional oder mehr formallegal; nach der dritten kann es sich mehr um Gewaltsamkeitsorganisationen oder mehr um solche der friedlichen Stimmenwerbung handeln. Welche Kombination ist für faschistische Parteien typisch?

Nationalismus und Faschismus

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