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Einleitung

Faschismusstudien – Studien, die sich nicht bloß mit der singulären italienischen Erscheinung dieses Namens befassen, sondern darunter ein generelles Phänomen verstehen – haben sich lange Zeit auf gesellschaftstheoretische Annahmen über die vermeintliche soziale Funktion des Faschismus gestützt. Die Ergebnisse waren uneindeutig, um das Mindeste zu sagen. Der Faschismus erschien mal als Reaktion des Großbürgertums, mal als Revolte des Kleinbürgertums, mal als Ausdruck des niedergehenden Kapitalismus, mal als Instrument seiner Modernisierung. Die Hoffnung, auf diesem Weg zu mehr Klarheit zu gelangen, findet deshalb kaum noch Anhänger.

Heute konzentrieren sich die Erwartungen vor allem auf die Ideologie. Als Renzo De Felice 1983 eine neue Einleitung seiner Interpretazioni del fascismo schrieb, meinte er, es sei inzwischen unmöglich geworden, von einem „Phänomen des Faschismus“ zu sprechen, wenn man sich nicht für eine weitgehend ideologisch-politische Deutung entscheide, die den Gesamtkomplex der Massengesellschaft berücksichtige1. Für die Totalitarismustheorie, die alle Wandlungen der Diskussion unbeschadet überstanden zu haben meint, steht die Ideologie ohnehin seit jeher an der Spitze ihres Merkmalskatalogs, mit dem sie die totalitären Diktaturen mißt2, und obschon man hier mitunter gegenüber einem allgemeinen Faschismusbegriff auf Skepsis oder Ablehnung stößt, gilt dies doch nicht durchgängig: ein Ernst Nolte beispielsweise, dessen Zugehörigkeit zur Totalitarismustheorie unstrittig ist, erhebt den Faschismus nachgerade zum Epochenbegriff und deutet das radikalfaschistische Regime par excellence, das nationalsozialistische Deutschland, als „ideokratischen Staat“, den größten neben der Sowjetunion3. Neuerscheinungen der letzten Zeit, die nachgerade von einer Zentralität der Ideologie für das Phänomen Faschismus ausgehen, sind etwa Roger Griffins Bücher The Nature of Fascism (1991), Fascism (1995) und International Fascism (1998); Roger

Eatwells Fascism (1996) oder Aristotle Kallis’ Fascist Ideology (2000). Besonders große Resonanz hat Zeev Sternhells unlängst wieder aufgelegte und mit umfangreichen Einleitungen versehene Trilogie Maurice Barrès et le nationalisme français; La Droite révolutionnaire 1885–1914 und Ni droite ni gauche. Morphologie et historiographie du fascisme en France (Paris 2000) gefunden. In deutscher Sprache liegen zwei weitere Schriften von Sternhell vor: Die Entstehung der faschistischen Ideologie (1999) und Faschistische Ideologie (2002)4.

Sieht man von Nolte ab, der in seinen Einlassungen zum Thema äußerst widersprüchliche Aussagen gemacht hat5, so geht die Tendenz dieser Arbeiten dahin, den Faschismus in das größere Feld nationalistischer Ideologien einzuordnen, ihn als ein „‘nationalism plus’ phenomenon“ (A. Kallis) zu deuten. Für Roger Eatwell etwa ist der Faschismus „an ideology that strives to forge social rebirth based on a holistic-national Third Way“6. Roger Griffin versteht darunter „a genus of political ideology whose mythic core in its various permutations is a palingenetic form of populist ultra-nationalism“; Stanley Payne, der an Griffin anknüpft, sieht im Faschismus im allgemeinen „die extremste Form des modernen europäischen Nationalismus“7. Aus der französischen Forschung wäre Philippe Burrin zu nennen, der den Faschismus bestimmt sieht durch „la conception d’une nation réunie et renouvelée, par la violence et la terreur s’il en est besoin“; aus der italienischen Emilio Gentile, der im Faschismus „la prima manifestazione d’un nuovo nazionalismo rivoluzionario e totalitario, mistico e palingenetico“ erkennen will; aus der deutschen Andreas Wirsching, der die „Ideologie der nationalen Gemeinschaft und der nationalen Stärke“ für ein Wesensmerkmal des Faschismus hält, aus seiner Definition allerdings explizit, ähnlich wie Sternhell, den Nationalsozialismus ausschließt8.

Mit Thesen dieser Art schwenkt die Faschismusforschung auf ein Deutungsmuster ein, das in der Nationalismusforschung seit längerem präsent ist. Schon für einen Pionier dieses Feldes wie Carlton Hayes war der Faschismus eine Form des „integralen Nationalismus“9; spätere Autoren sind ihm darin gefolgt, wie z.B. Eugen Lemberg, der für das späte 19.Jahrhundert die Ablösung des bis dahin dominierenden, revolutionäremanzipatorischen „Risorgimento-Nationalismus“ durch einen Nationalismus „neuen Typs“ behauptet, welcher die Nation absolut setze und den Nationalismus in eine „Erlösungslehre auf nationaler Basis“ verwandle: den „integralen Nationalismus“10. Sehr gern wird diese Transformation auf den Einfluß der Romantik zurückgeführt, die speziell in Deutschland zu einer Aufladung des Nationsbegriffs mit organizistischen und holistischen Denkfiguren geführt habe11. Soziopolitische Deutungen bringen dies in Verbindung mit dem Niedergang des Bürgertums und einem damit einhergehenden Funktionswandel des Nationalismus. Mit dem Umschlag in den integralen Nationalismus rücke der Nationalismus im politischen Feld von links nach rechts, werde er von einem Instrument der Emanzipation und Modernisierung zu einem der „Reaktion“, wie dies bereits am integralen Nationalismus der Action française beobachtet werden könne und in noch gesteigertem Maße für den Faschismus gelte12. Selbst Skeptiker, die ein solches Verfallsmodell zurückweisen, gehen davon aus, daß der Nationalismus grundsätzlich sowohl in einer liberalen als in einer illiberalen Form in Erscheinung treten kann und daß der Faschismus als die extremste Variante der letzteren zu gelten hat13.

Es wäre abwegig, dies in toto bestreiten zu wollen. Nur zu gut dokumentiert ist die Rolle, die führende Repräsentanten der Associazione Nazionalista Italiana ab 1923 im Regime Mussolinis gespielt haben, nur zu genau kennt man das Gewicht, das nationalistischen Forderungen in der Programmatik und Propaganda der NSDAP zukam. Was immer der Faschismus war: Er war immer auch Träger nationalistischer Ideologeme, Motor und Medium nationalistischer Strategien, die den Platz des jeweiligen Nationalstaates in der Welt zu sichern und seine Macht zu erhöhen bestrebt waren.

Dennoch ist es fraglich, ob man das Wesen des Faschismus derart eindeutig und bruchlos vom Nationalismus her erfassen kann, wie dies in den angeführten Arbeiten prätendiert wird. Der Faschismus war, wie zuletzt eindrucksvoll von Sven Reichardt dargelegt, eine soziale und politische Erscheinung, die sich durch politische Aktionen, einen bestimmten politischen Stil und eine bestimmte Organisationsform auszeichnete, durch Handlungs- und Erlebnisweisen, die sich mit Stichworten wie Gewalt, Charisma und Patronage umschreiben lassen14. Diese spezifische Praxis ist gewiß nicht, wie manche Interpreten gemeint haben, bloß opportunistisch oder gar „nihilistisch“, vielmehr stets durch gewisse Sinnmuster geprägt. Aber diese Sinnmuster der Akteure fügen sich nicht zu einer für die gesamte Bewegung und die auf ihr aufbauenden Organisationen verbindlichen Weltanschauung oder Ideologie, die unter einheitlichen Gesichtspunkten durchsystematisiert wäre. Sie verbleiben vielmehr im Modus eines Aggregats, das mehr oder weniger disparate Elemente nach äußerlichen Kriterien wie Ähnlichkeit oder Affinität zusammenfügt, ohne sich weiter um die sachlichen Unverträglichkeiten und Widersprüche zu kümmern. Wahrscheinlich war es gerade dieser, auch im „wilden“ oder „mythischen“ Denken zu beobachtende Grundzug, der den Massenerfolg des Faschismus herbeigeführt hat: ermöglichte er es doch unterschiedlichen Sinnorientierungen mit z.T. erheblicher Bandbreite, an ihn anzudocken und sich in ihm zu installieren, in der steten Erwartung, die intellektuelle Hegemonie erobern zu können. Daß namentlich nationalistische Orientierungen und Forderungen in die Faschismen eingeströmt sind, ist von hier aus nicht weiter überraschend.

Die verbreitete Ineinssetzung von Faschismus und Nationalismus unterschätzt jedoch zweierlei: die Heterogenität der in Rede stehenden nationalistischen Sinnmuster und das Ausmaß, in dem sie mit anderen, nichtnationalistischen Mustern konkurrierten. Die für sich genommen nicht falsche, nur viel zu abstrakte Feststellung, daß der im Faschismus präsente Nationalismus illiberal, radikal oder extrem sei, hat dazu geführt, daß die oft tiefgreifenden Differenzen sowohl innerhalb der einzelnen Faschismen als auch zwischen denselben unterbelichtet blieben, und dies, obwohl schon eine oberflächliche Betrachtung die Frage aufwirft, was etwa der sich auf Mazzini berufende Nationalismus der revolutionären Syndikalisten Italiens mit dem völkischen Nationalismus der NSDAP zu tun haben soll. Ebensowenig wurde systematisch reflektiert, daß Erscheinungen wie der Rassismus keineswegs aus dem Nationalismus abgeleitet werden können, vielmehr auf Begründungsmustern beruhen, die, wie schon Hannah Arendt gesehen hat, mit einer Gliederung der Welt nach Nationalstaaten inkompatibel sind. Auch wenn diese Argumentationsmuster eher eine Sache ideologischer Virtuosen und bestimmter Funktionseliten blieben, waren sie für die faschistische Praxis alles andere als nebensächlich, wie ein Blick auf die Bevölkerungs-, Sozial- und Gesundheitspolitik des „Dritten Reiches“ lehrt. Trans- oder supranationalistische Ideologeme finden sich im übrigen auch, was gern übersehen wird, im italienischen Faschismus – nicht so sehr in Gestalt von Rassenlehren, die hier eine eher marginale Rolle spielten, wohl aber in Erscheinungen wie dem Futurismus, der auf den Frühfaschismus einen nicht unerheblichen Einfluß ausgeübt hat (s. u.). Kurzum: die Reduktion auf eine Art offshoot des Nationalismus hat ein volles Verständnis des Faschismus bislang verstellt.

In diesem Buch geht es darum, die wechselhaften und spannungsreichen Beziehungen zwischen beiden Größen herauszuarbeiten. Das geschieht zunächst mit einer typologischen Erörterung, die deutlich zu machen versucht, daß Nationalismus und Faschismus auf verschiedenen Ebenen liegen. Der eine hat seinen Schwerpunkt, um mit Bourdieu zu reden, im intellektuellen Feld und strebt danach, sich von hier aus möglichst bruchlos ins politische Feld zu übersetzen, ohne Konzessionen an dessen Eigenheiten zu machen – eine ideologische Politik, die in diesem formalen Sinne durchaus mit dem Sozialismus und Kommunismus vergleichbar ist. Der andere dagegen kann als eine Erscheinung beschrieben werden, die wohl in einzelnen Elementen im intellektuellen Feld wurzelt, ihren Schwerpunkt aber im politischen Feld als einem Bereich hat, in dem es niemals allein um Ideen und Doktrinen geht, sondern stets auch um Emotionen, Affekte, strategische Ziele. Vor allem anderen Partei, nutzt der Faschismus die Logik des politischen Feldes – die Konkurrenz um Macht, den Zwang zur Erweiterung der Klientel – als Selektionskriterium sowohl für Interessen als auch für Ideen und setzt sich dabei über alles hinweg, was die Partei zwar zu ideologischer Reinheit, zugleich aber auch ins Sektierertum führen könnte.

Die folgenden Kapitel untersuchen an drei Fällen, wie sich diese Beziehung empirisch-historisch gestaltet hat. Am Beispiel Frankreichs wird gezeigt, daß es keine wie immer geartete Entwicklungslogik gibt, die einen bestimmten Typ des Nationalismus in Faschismus umschlagen läßt. Die politische Kultur Frankreichs hat starke und intellektuell anspruchsvolle Formen des Nationalismus, jedoch keinen Faschismus hervorgebracht, wenn man von fascistes d’opérette wie Marcel Bucard einmal absieht. Es folgen zwei Studien zur Anatomie des italienischen und des deutschen Faschismus, die das Gegen- und Miteinander nationalistischer und nichtnationalistischer Ideologeme herauszupräparieren und typologisch zu verorten suchen. Um das Untersuchungsfeld nicht zu sehr auszuweiten, habe ich mich dabei auf die Formierungsphase des Faschismus beschränkt und die Regimephase nur selektiv berücksichtigt.

Für die Gestaltung des wissenschaftlichen Apparats wurde die Aufsatzform gewählt. Rückverweise auf zitierte Literatur beziehen sich demzufolge nur auf das jeweilige Kapitel. Aus diesem Grund wurde auf ein Gesamtverzeichnis verzichtet. Hervorhebungen in Zitaten wurden nicht übernommen.

Nationalismus und Faschismus

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