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2.3 Das „faschistische Minimum“

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Mit den genannten Merkmalen ist, wie nicht näher ausgeführt werden muß, weder eine Theorie noch eine soziologische oder historische Erklärung des Faschismus umrissen. Wohl aber ein Idealtypus, ein Grenzbegriff, der es erlaubt, empirische Erscheinungen nach Maßgabe ihrer Nähe oder Ferne zu diesem Typus als „faschistisch“ zu klassifizieren. Faschismus, soviel wird man vor diesem Hintergrund sagen dürfen, ist kein Phänomen, das zuerst im intellektuellen Feld auftaucht und von hier aus zur Praxis drängt. Er ist ebensowenig ein soziales Phänomen, das sich bruchlos von den materiellen oder ideellen Interessen einer Klasse, einer Schicht, eines Milieus herleiten läßt. Er ist vielmehr in seinem Kern ein politisches Phänomen, das an den modernen, parteimäßigen Betrieb von Politik gebunden ist, auch wenn die erste Handlung des Faschismus an der Macht darin besteht, alle konkurrierenden Parteien aufzulösen. Dieses Verständnis schließt nicht aus, daß sich bereits unterhalb dieser Schwelle in den Klassenkonflikten moderner Gesellschaften Erscheinungen herausbilden, die dem Faschismus in den beiden Dimensionen der Gewaltsamkeit und der charismatischen Organisation nahekommen; wie es auch nicht ausschließt, daß aus dem intellektuellen Feld Impulse kommen, die mit dem Faschismus in besonderer Weise kompatibel sind. Faschistisch ist jedoch weder das eine noch das andere, sondern allein die spezifische Verbindung von Gewalt, Charisma und Patronage im Rahmen einer Partei.

Mit dieser Konstellation ist zugleich benannt, was aus der Sicht der Weberschen Soziologie als das „faschistische Minimum“ anzusprechen wäre. Dieser Begriff geht bekanntlich zurück auf Ernst Nolte, der im Anschluß an seine Darstellung des „Faschismus in seiner Epoche“ fast beiläufig einen Katalog von Kriterien skizziert hat, welcher „den faschistischen Bewegungen bei allen großen Unterschieden gemeinsam sein muß“, nämlich „Antimarxismus, Antiliberalismus, Führerprinzip, Parteiarmee, tendenzieller Antikonservativismus, Totalitätsanspruch“162. Gegenüber diesem Katalog hat die Webersche Fassung eine Reihe von Vorzügen. Sie ist, mit nur drei Kriterien anstelle von sechs, deutlich schlanker und kommt damit dem Ideal des Minimums näher. Sie ist härter, denn sie benennt drei unabdingbare Merkmale, während Nolte seine Bestimmung mit der Einschränkung aufweicht, sie setze „nicht voraus, daß alle kennzeichnenden Züge in einer gewissen Klarheit erkennbar sind“163. Und sie vermeidet außerdem die Probleme, die sich Nolte mit dem Versuch eingehandelt hat, den Faschismus über eine Reihe von ideologischen, wie immer auch bloß negativen Festlegungen zu erfassen. Um nur ein einziges, das wichtigste dieser Probleme zu nennen: Der Faschismus soll, in Noltes eigenen Worten, „stets allem anderen zuvor ein Antimarxismus“ sein, der durch den Willen zur Vernichtung seines Gegners bestimmt sei. Seine entschiedenste und konsequenteste Annäherung an den Idealtyp aber erreiche er im „Radikalfaschismus nationalsozialistischer Prägung“, der „die gewachsene Eigenart und Begrenztheit der deutschen Nation zugunsten einer ungeschichtlichen Rassensolidarität“ sprenge – also durch ein Merkmal, das im Sechs-Punkte-Katalog gar nicht enthalten ist: den Rassismus und Antisemitismus164. Ein faschistisches Minimum aber, das nicht dazu taugt, den Kern dessen zu erfassen, was als Radikalfaschismus gilt, ist offensichtlich eine Fehlkonstruktion.

Das sich hieraus ergebende Dilemma dürfte weit mehr als alle von der Kritik unterstellten subjektiven Intentionen für die Operation verantwortlich gewesen sein, mit der Nolte den Historikerstreit ausgelöst hat: den Versuch, den nationalsozialistischen Antisemitismus als „eine außerordentliche Verengung und Zuspitzung des Antibolschewismus und erst recht des Antimarxismus“ zu deuten und ihn auf diese Weise doch noch irgendwie im faschistischen Minimum unterzubringen165. Die dagegen vorgebrachten Einwände waren zwingend. Sie gingen aber vielleicht etwas zu schnell darüber hinweg, daß Nolte mit seinem verqueren Vorschlag lediglich ein Defizit zu kompensieren suchte, an dem auch andere Deutungen des Faschismus über die Ideologie laborieren. Der Versuch, ein faschistisches Minimum auf der Ebene der Weltanschauung zu etablieren, endet, konsequent durchgeführt, fast stets mit der Ausschließung des Nationalsozialismus. Man lese Zeev Sternhell, dessen Deutung der faschistischen Ideologie als „Produkt der Verschmelzung des organischen Nationalismus mit der antimaterialistischen Marxismusrevision“ explizit den Faschismus vom Nationalsozialismus distanziert; man lese Andreas Wirsching, der sein Verständnis des Faschismus als einer die rechtsstaatlich-demokratischen Normen sprengenden und tendenziell nach der Vernichtung des Gegners trachtenden „Form des Antikommunismus“ nur durchhalten kann, indem er gleichzeitig den Nationalsozialismus davon absetzt166. Wer diesen Preis nicht zahlen will, ist gut beraten, sich an die Parteisoziologie Max Webers zu halten, die mit ihren beiden Kriterien der Gewaltsamkeitsorganisation und der charismatischen Struktur immerhin die beiden wichtigsten Merkmale von Noltes Katalog abdeckt (Führerprinzip und Bürgerkriegsarmee), darüber hinaus mit der Patronage ein Element benennt, das sich dort nicht findet. Mit diesem faschistischen Minimum ist nicht bezeichnet, was alles möglich ist; wohl aber, was notwendig ist, um eine historische Erscheinung als faschistisch einzustufen.

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