Читать книгу Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945 - Stefan Breuer - Страница 15

Rezeption in Deutschland I: Wagner, Nietzsche

Оглавление

Nach einer verbreiteten, aber nur teilweise zutreffenden Ansicht blieb Gobineau und Lapouge in Frankreich mit seiner starken demokratischen Tradition der Erfolg versagt, wohingegen sie im vormodernen Deutschland sofort auf breiteste Resonanz stießen, namentlich bei den Heroen der deutschen Kultur, Richard Wagner und Friedrich Nietzsche (Young 1968, 223ff., 270ff.). Tatsächlich ist gobinistisches Gedankengut bei beiden nachzuweisen, wie auch nicht bestritten werden kann, daß sich insbesondere Bayreuth um die Verbreitung dieses Gedankenguts bemühte. In den Bayreuther Blättern erschien schon 1882/1883 auf Veranlassung Wagners eine umfangreiche Zusammenfassung des Essai aus der Feder Hans von Wolzogens, und dasselbe Organ war es auch, das regelmäßig die Berichte der 1894 gegründeten Gobineau-Gesellschaft publizierte (Châtellier 1996, 585ff.).

Rezeption bedeutete hier jedoch nicht viel mehr als Kenntnisnahme und Übertragung einzelner Elemente in einen völlig anders gearteten Kontext. Wagner hielt, bei aller Bewunderung für die Gelehrsamkeit des Grafen und aller Faszination für dessen grandiose Vision der Arierdämmerung, im entscheidenden Punkt Distanz. Weder vermochte er in standes- bzw. stammesmäßig geschlossenen Ehen ein Mittel zur Bewahrung und Weitergabe der Rassennatur zu erblicken (GSD X, 284), noch sah er mit der Rassenmischung das kulturelle Potential der Menschheit als erschöpft an. Statt dessen behauptete er eine Befähigung der Gattung zur Mutation. Angesichts der Vernichtungsgefahr, mit der die Menschheit aufgrund der Degeneration konfrontiert sei, sei damit zu rechnen, daß sich die Lebenskraft der Gattung noch einmal verdichte und einen qualitativen Sprung bewirke – dergestalt, daß ein Paar nicht nur ein höher organisiertes Individuum, sondern eine neue Spezies erzeuge: den Erlöser bzw. den Gottmenschen, in dem sich die Gattung selbst sublimiere. Das edle Blut ist damit nicht bloß eine von der Natur gegebene, durch die Geschichte fortschreitend verknappte und verdünnte Ressource, sondern eine, wenn nicht jederzeit, so doch unter Extrembedingungen sich selbst erneuernde Energie. Fügt man hinzu, daß dieses neue, erlösende Blut, wie es exemplarisch in der Gestalt Christi symbolisiert sei, nicht mehr die Herrschaft einer Rasse begründen soll, vielmehr „sich dem ganzen menschlichen Geschlechte zur edelsten Reinigung von allen Flecken seines Blutes“ spendet (283), so wird der ganze Abstand deutlich, der Wagners inklusiven Fundamentalismus vom exklusiven Aristokratismus Gobineaus trennt. Wagner hat die Rassenmischung nicht nur nicht perhorresziert, er hat im Gegenteil in ihr den „Gewinn einer allgemeinen moralischen Übereinstimmung“ gesehen, auf deren Basis das Kunstwerk der Zukunft gedeihen könne (Hartwich 1996a, 314ff.).

Dem Gobinismus näherzustehen schien Nietzsche. Schon in der Tragödienschrift stellte er eine Beziehung zwischen dem Prometheus-Mythos und dem arischen Wesen her, um dann in der Genealogie der Moral vollends den Schulterschluß mit der Insinuation zu vollziehen, „daß die Eroberer- und Herren-Rasse, die der Arier, auch physiologisch im Unterliegen ist“ (NW II, 776f.). Bei näherer Prüfung zeigt sich jedoch, daß Nietzsche Rasse durchaus nicht nur im substantiellen und ontologischen Sinne verstand.2 Unter dem Stichwort ‘Blutgemeinschaft’ heißt es in einer Nachlaßnotiz von 1887/88: „Diese ist nicht nur angeboren, sie wird auch erworben; ebenso wie das Blut nicht bloß angeboren ist, sondern auch erworben wird“ (KSA XIII, 113). Rasse war in diesem Sinne für Nietzsche ebensosehr etwas Geschichtliches wie etwas Natürliches. Sie konnte ein Produkt der Natur sein, wie es die blonden Arier der europäischen und indischen Frühzeit waren. Aber sie konnte auch das Resultat von künstlichgewollten Veredelungsvorgängen sein, die an ‘unrein’ gewordenen, d.h. gemischten und gekreuzten Populationen ansetzten. Bisweilen spitzte er diesen Gedanken so zu, daß die künstliche Rassenbildung sogar als die bedeutendere erschien:

„Es gibt wahrscheinlich keine reinen, sondern nur reingewordene Rassen, und diese in großer Seltenheit (…) Die Reinheit ist das letzte Resultat von zahllosen Anpassungen, Einsaugungen und Ausscheidungen, und der Fortschritt zur Reinheit zeigt sich darin, daß die in einer Rasse vorhandene Kraft sich immer mehr auf einzelne ausgewählte Funktionen beschränkt, während sie vordem zu viel und oft Widersprechendes zu besorgen hatte: (…) weshalb reingewordene Rassen immer auch stärker und schöner geworden sind“ (NW I, 1182).

Das klassische Beispiel hierfür sah Nietzsche in den Griechen des Altertums, doch hielt er auch für das gegenwärtige „Auflösungs-Zeitalter, welches die Rassen durcheinander wirft“ (NW II, 656), eine derartige Reinigung für möglich. Anstatt wie Gobineau den unaufhaltsamen Niedergang des alten Adels zu beklagen, forderte er die Züchtung eines neuen Adels, einer Herrenrasse, die sich nicht so sehr durch natürliche als durch übernatürliche, übermenschliche Eigenschaften legitimierte, mithin durch das, was Max Weber später Charisma genannt hat.

„Es wird von nun an günstige Vorbedingungen für umfänglichere Herrschafts-Gebilde geben, deren Gleichen es noch nicht gegeben hat. Und dies ist noch nicht das Wichtigste: es ist die Entstehung von internationalen Geschlechts-Verbänden möglich gemacht, welche sich die Aufgabe setzten, eine Herren-Rasse heraufzuzüchten, die zukünftigen ‘Herren der Erde’; – eine neue, ungeheure, auf der härtesten Selbst-Gesetzgebung aufgebaute Aristokratie, in der dem Willen philosophischer Gewaltmenschen und Künstler-Tyrannen Dauer über Jahrtausende gegeben wird: – eine höhere Art Menschen, welche sich, Dank ihrem Übergewicht von Wollen, Wissen, Reichthum und Einfluß, des demokratischen Europas bedienten als ihres gefügigsten und beweglichsten Werkzeugs, um die Schicksale der Erde in die Hand zu bekommen, um am ‘Menschen’ selbst als Künstler zu gestalten“ (KSA XII, 87f.).

Diese künstlerische Gestaltung am Menschen selbst stellte sich Nietzsche nach den Vorgaben der Eugenik vor. Die neue Aristokratie sollte, wie schon bei Platon, planvoll gezüchtet werden: in Isolation von den übrigen Ständen, mittels arrangierter, von Ärzten und Gemeindevertretern überwachter und staatlich privilegierter Ehen sowie genauer, notfalls auch vor Kastration und Ausmerzung nicht zurückschreckender Kontrolle der Geburten (KSA XII, 425; XIII, 495, 599). Auf diese Weise sollte aus der individuellen Gnadengabe ein Erbcharisma werden, ein Gentilcharisma, das die erworbenen Eigenschaften zu Merkmalen einer neuen Art machte, „in der dem nämlichen Willen, dem nämlichen Instinkte Dauer durch viele Geschlechter verbürgt wird“.3 So sei eine Ordnung möglich, die nicht wie bei Rousseau auf der Rückkehr zur Natur beruhen würde, sondern auf dem „Fortschritt zur ‘Natürlichkeit’“ (KSA XII, 406) – eine Ordnung, die auf dem Gipfel der Modernität jenes altindische Sozialmodell wiedererstehen lassen würde, das Nietzsche noch in seinen letzten Texten in den höchsten Tönen pries: die „Ordnung der Kasten“, welche nur die „Sanktionierung eines Naturabstandes zwischen mehreren physiologischen Typen“ sei (KSA XIII, 395; vgl. NW II, 1226f.). Denn wahrer Adel, das war keine bloße Elite, die sich ständig neu bewähren und legitimieren mußte, sondern eine Qualität des Blutes, die die „Fortdauer des Edlen durch Zeugung“ verbürgte (KSA XI, 224):

„Es giebt nur Geburtsadel, nur Geblütsadel. (Ich rede hier nicht vom Wörtchen ‘von’ und dem Gothaischen Kalender: Einschaltung für Esel.) Wo von ‘Aristokraten des Geistes’ geredet wird, da fehlt es zumeist nicht an Gründen, etwas zu verheimlichen; es ist bekanntermaaßen ein Leib-Wort unter ehrgeizigen Juden. Geist allein nämlich adelt nicht; vielmehr bedarf es erst etwas, das den Geist adelt. – Wessen bedarf es denn dazu? Des Geblüts“ (KSA XI, 678).

Das war in den entscheidenden Punkten – in der Abkehr vom substantialistischen Rassenbegriff wie von der Idee einer rassischen Entropievermehrung – so weit von Gobineau entfernt, daß man durchaus von einem eigenständigen, spezifisch nietzscheanischen Konzept reden kann. Man kann es als ‘gentilcharismatisch’ bezeichnen.4

Nietzsches Idee, Rassen eher als Ergebnisse einer bewußten Züchtung denn als Naturprodukte aufzufassen, hat in der deutschen Rechten durchaus Widerhall gefunden. Houston Stewart Chamberlain, der im allgemeinen an Nietzsche kein gutes Haar ließ, dürfte sich für seine Distanzierung von Gobineau hier ebensoviel Unterstützung geholt haben wie der selbsterklärte Nietzsche-Nachfolger Oswald Spengler für seine Kritik am Darwinismus (Chamberlain 1941, I, 314, 366; Spengler 1973, 712, 755, 775). Moeller van den Bruck knüpfte in seiner Zurückweisung rein biologischer Rassentheorien hier an, aber auch Wilhelm Stapel, Edgar Julius Jung oder Hans Blüher. Jung sprach für viele, als er den „Materialismus des Blutes“ zurückwies, der es unmöglich mache, die Geschichte als das Gebiet der freien Tat anzusehen (Jung 1930, 121).

Eine spezifisch nietzscheanische Linie hat sich auf diesem Gebiet dennoch nicht gebildet. Neonationalisten und planetarische Imperialisten waren dem auf dem Leistungsprinzip basierenden Elitedenken zu tief verhaftet, als daß sie sich die Idee eines Gentilcharismas hätten aneignen können. Der völkische Nationalismus öffnete sich, wie noch zu zeigen sein wird, weit den Einflüssen, die von der Rassenanthropologie ausgingen, und selbst der Neoaristokratismus blieb davon nicht unbeeindruckt. Die von Heinrich von Gleichen angestrebte Erneuerung der Oberschicht nahm sowohl auf persönliche Qualitäten wie Intelligenz und Führungskraft Bezug als auch auf „das edlere Blut der nordischen Rasse“, das im deutschen Volk noch in besonderer Konzentration vorhanden sein sollte (1924, 143; Bussche 1998, 283ff.). Edgar Julius Jung unterschied zwischen höher- und minderwertigen Rassen und wollte seinen neuen Adel selbstredend nur aus den ersteren rekrutieren (1930, 126). Hans Blüher, ebenfalls Verfechter eines „radikalen Aristokratismus“ (1919, 37), mischte nietzscheanische Motive mit gobinistischen, wenn er einerseits den neuen Adel nicht im genealogischen Sinne verstanden wissen wollte, sondern als Ergebnis eines Sprungs, eines Neuanfangs der Natur,5 andererseits von einer ‘Primärrasse’ sprach, die seit Anbeginn der Schöpfung existierte und ihre herausragenden Qualitäten auf dem Vererbungswege weitergab, unter besonderer Bevorzugung der ‘germanischen Rassenart’ und hier speziell der Deutschen (1919, 5; 1920a, 29f., 77; 1921, 15ff.). Fügt man hinzu, daß kaum jemand die Denkfigur übernehmen mochte, die für Nietzsches Projekt charakteristisch war: die Vorstellung, daß die décadence nur mit ihren eigenen Mitteln überwunden werden könne, daß die Veredelung nur zu erreichen sei durch eine Steigerung der Entartung – was ja immer auch hieß: durch ein forciertes Vorantreiben der Rassenmischung (Sieferle 1989, 139; Breuer 1999a, 54f.) –, dann wird deutlich, daß die politische Rechte wohl wichtige Impulse von Nietzsche empfing, jedoch mitnichten eine Form des Nietzscheanismus darstellte. Nietzsches Werk war ein Steinbruch, aus dem sich viele bedienten, keine Blaupause für dieses oder jenes Programm.

Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945

Подняться наверх