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Völkische

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Was bei den Rassenhygienikern in der doppelten Form einer exoterischen und einer esoterischen Botschaft erschien, nahm bei den Völkischen entweder die Gestalt eines zeitlichen Nacheinanders bei ein und demselben Autor an oder verteilte sich auf verschiedene Autoren. Schon bei Langbehn, einem Völkischen der ersten Stunde, läßt sich studieren, wie sich der Schwerpunkt der Argumentation zunehmend von der Volksnation auf den anthropologischen Rassenbegriff verlagerte, so daß Schemann ihn erfreut als „Vorläufer Woltmanns“ begrüßte (Schemann 1931, 378). Die Annäherung an die Positionen von Lapouge und Ammon vollzog sich dabei im Zeitraffer, datieren doch die wichtigsten Änderungen und Erweiterungen, die Langbehn an seinem Rembrandtbuch vorgenommen hat, auf die 13. und 37. Auflage, die noch 1890 und 1891 erschienen.9

Etwas länger dauerte die Umstellung bei Lange und Bartels. Friedrich Lange begann Anfang der 90er Jahre als Patriot im Sinne eines Herderschen Nationsverständnisses, das neben der weiteren Ausbildung des Nationalbewußtseins auch die Förderung des Menschheitsgedankens einschloß (Lange 1904, 23), um dann um die Jahrhundertwende den gobinistischen Rassenbegriff zu adaptieren. In einem Aufsatz über Rassen-Aristokratie aus dem Jahre 1900, dem kurz darauf ein weiterer über Gobineau und Nietzsche folgte, verlangte er, schon jetzt auf Maßregeln zu sinnen, die allen Deutschen „den Wert des Begriffes Rasse deutlicher zum Bewußtsein brächten und jeden Einzelnen an der Fürsorge für die Erhaltung und Veredlung der Rasse beteiligten“. Als das hierfür am besten geeignete Mittel erschien ihm just jenes, „durch welches der Namensadel und die städtischen Patriziergeschlechter ihre Angehörigen zur Aufmerksamkeit und zur Ehrfurcht vor dem Werte des guten Blutes erzogen haben: – Ahnentafeln, Geschlechterverzeichnisse“, durch welche „jede eheliche Vermischung mit nichtarischem Blute durch öffentliche Bekanntmachung geächtet würde“ (245ff.).

Adolf Bartels, der noch 1904 den Grundcharakter des deutschen Volkes durch das Germanentum bestimmt sah und es für ausgemacht hielt, daß es auch in Zukunft hinreichend Germanen produzieren werde, wollte schon vier Jahre später davon nichts mehr wissen (Bartels 1909, 73). Unzweifelhaft habe eine Verschlechterung unserer Rasse stattgefunden, „genauer ausgedrückt, das deutsche Volk ist nicht mehr in so hohem Grade germanisch rassenhaft bestimmt wie früher“. Der Verfall lasse sich nur aufhalten, wenn man „in einem beschränkten Maße Rassenzucht treibe(n), wenn nicht das ganze Volk, doch bestimmte Kreise desselben unter die Herrschaft des Rassegedankens“ stelle. Bartels dachte dabei an eine „Vereinigung des noch blutsreinen Adels“, an die Gewinnung des mittleren Bürgertums und der Bauernschaft und an die Schaffung eines ‘Germanen-Bundes’ nach Art des alten Deutschen Ordens (185, 190ff.). Auch sein Mitbruder im antisemitischen Geiste, Theodor Fritsch, war sich sicher, „daß nur noch ein kleiner Teil unseres Volkes wahrhaft deutsch genannt werden kann“, und plädierte daher dafür, „aus den gemischten Menschentypen im Laufe der Generationen wieder die ursprünglichen Rassen herauszuzüchten“, könne doch nur durch rassische Einheitlichkeit die Selbsterhaltung der Völker gesichert werden (Fritsch 1922, 226, 214ff.).

Welche erhebliche Spannweite nichtsdestoweniger in dieser Hinsicht im völkischen Lager bestand, läßt sich an den Reaktionen auf Hentschels Mittgart-Projekt studieren. Willibald Hentschel griff in seinen Arbeiten vielfach auf Gobineau, Ammon und Woltmann zurück (den er übrigens hartnäckig Wohltmann schrieb), verwarf aber zugleich mit den Rassenhygienikern die Perhorreszierung der Rassenkreuzung. Allerdings hielt auch er es für denkbar, daß Mischvölker keine kulturellen Dauertypen seien. Vielmehr sei davon auszugehen, daß sie mit der Zeit ihr an bestimmte rassische Bestandteile gebundenes kulturelles Kapital verbrauchten und deshalb der Auffrischung bedürften. Dies gelte heute vor allem für diejenigen Völker, die aus einer Mischung der Germanen mit anderen Rassen hervorgegangen seien. Die Geschichte der Deutschen sei eine „Geschichte des Verschleißes der normännisch-sächsischen Rassenkraft“, weswegen es dringend geboten sei, „ihre Erhaltung und Verjüngung in unsere Zukunftspläne aufzunehmen“ (Hentschel 1918, III, 16, 161).

Nach Hentschel geschah dies am besten durch die Anlage von ‘Menschen-Gärten’, die als Stätten rassischer Hochzucht fungieren sollten. Die geplanten Mittgart-Gemeinden sollten jeweils tausend Frauen und hundert Männer vereinen, „deren Erbmassen miteinander übereinstimmen und unseren Absichten entsprechen“, d.h. über die erforderlichen äußeren Merkmale wie Langschädeligkeit und Blondheit verfügten, die das Vorhandensein innerer Qualitäten wie Kraft, Tatenfreude, Schöpfertum u. dgl. indizierten (179, 9). Sie sollten auf dem Land angesiedelt sein, um ihre Mitglieder vor den Gefahren der städtischen Zivilisation (wie Alkohol, Nikotin und Begriffsjurisprudenz) zu schützen; sie sollten auf Groß- und Gemeinwirtschaft beruhen und sich ganz auf ihr oberstes Ziel konzentrieren: die „gesteigerte Fortzeugung der Tüchtigen“ (168), die sich Hentschel vor allem von der Einführung der sogenannten Mittgart-Ehe erhoffte: einer auf Zeit geschlossenen Verbindung, die mit der Schwängerung endete. Die so beschaffenen Gemeinden würden eine zeitgemäße Neuauflage jener aus der Geschichte überlieferten Männerbünde sein, deren Wesen darin bestand, daß „die stärksten, tüchtigsten und wertvollsten Männer ihre Hand auf die Mehrzahl und auf eine Auslese wohlgearteter Weiber legten und so ihre wertvollen Eigenschaften auf eine Überzahl gezüchteter Nachkommen übertrugen“ (171).

Obwohl dieses Projekt nicht über die Gründung einiger Ortsgruppen des Mittgart-Bundes hinauskam (Becker 1988, 238ff.; Linse 1996, 402), löste es doch eine aufgeregte Debatte unter den Völkischen aus. In der Politisch-Anthropologischen Revue wurde Hentschels Varuna von Ludwig Wilser als Machwerk attackiert, das dem Ansehen der „wahrhaft wissenschaftlichen Rassenlehre“ abträglich sei (Wilser 1903/04). Der Hammer, der einmal angetreten war, das in Hentschels Büchern skizzierte Programm auszuarbeiten, sah sich 1908 zur Distanzierung von seinem Autor genötigt (Hammer 7, 1908, 86ff.). Ludwig Schemann würdigte wohl Hentschels Leidenschaft für die arische Idee, hielt es aber für höchst bedenklich, „ihr durch Polygamie wieder aufzuhelfen“. „Gobineau würde darin nur ein Zeichen erkannt haben, daß die Dekadence, die zu solchen Mitteln greife, auf ihrem Gipfel angelangt sein müsse. Der Mann, der den Lobgesang auf die germanische Frau geschrieben hat (…), hätte zweifellos in deren Degradierung das denkbar ungermanischste Rettungsmittel gesehen“ (Schemann 1910, 279). Selbst wenn die Rettung gelänge, sei doch fraglich, „ob dann die Arier wirklich noch das blieben, was sie jenem einstens waren, ob solche Weiße überhaupt der Rettung noch wert wären? oder ob man eine Generation nicht besser ihrem Schicksale überließe, die angeblich nur noch die Wahl hätte zwischen Dekadence, Perversität, Ausschweifungen aller Art und freier Liebe, menschlicher Rassenzüchterei, fécondation artificielle und ähnlichen schönen Dingen, wie wir sie jetzt vielfach als etwas ganz Normales, ja zu Erstrebendes behandelt sehen können“.10

In einem wenig später geschriebenen Text, in dem er auf die Kritiker seines eigenen Werks über die Rezeptionsgeschichte Gobineaus einging, ließ Schemann sogar unverkennbare Züge von Resignation durchblicken. Auch er halte es für ausgeschlossen, „gewisse Betätigungen des deutschen Gedankens (etwa das Alldeutschtum nach seinen weitesten Zielen) heute noch systematisch auf eine anthropologische Basis, anstatt auf die einzig angezeigte sprachlich-nationale, zu stellen. Es kann ja keiner von uns sich der Erkenntnis mehr verschließen, daß die Vorbedingungen hierfür s.z.s. mit jedem Tage mehr eingeschränkt werden, indem die für unsere Gesichtspunkte und Hoffnungen maßgebendste Oberschicht immer mehr zusammenschmilzt, die übrigen Schichten aber gemäß den Verkehrsverhältnissen der modernen Welt sich immer wahlloser vermischen. Ohne daher Ausdrücke wie ‘wahnwitziges Ideal’ gutheißen zu wollen, wird man doch Schallmayer zugeben müssen, daß Gobineaus ‘visionäre blonde Edelrasse’ weder im ganzen mehr zurückkonstruiert, noch auf ihre Einzelexemplare durchweg mit Sicherheit mehr die Hand gelegt werden kann“ (Schemann 1912/13, 41).

Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945

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