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Einleitung:
Portfolios im kompetenzorientierten Unterricht
STEFAN KELLER, FRANZ KÖNIG 1 Was dieses Buch erreichen will

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Dieses Buch über Portfolios im kompetenzorientierten Unterricht hat zwei Ziele: Erstens wollen wir aufzeigen, wie mit Portfolios Lernprozesse und Unterrichtsformen angeregt und begleitet werden können und wie Lernende dadurch beim Aufbau schulischer Kompetenzen unterstützt werden können, so wie sie in Bildungsstandards und kompetenzorientierten Lehrplänen vorgegeben sind. Zweitens soll dargestellt werden, welche Rolle das Portfolio bei der Diagnose und Beurteilung solcher Kompetenzen spielen kann, um ein breites Band von Fähigkeiten der Lernenden zu dokumentieren und deren Leistungsniveau einzuschätzen.

Unter einem Portfolio verstehen wir – kurz gesagt – eine Sammlung von Originaldokumenten und Leistungsbelegen, die Schülerinnen und Schüler selbst erstellen und die Wesentliches über ihre Lernprozesse und -ergebnisse aussagt: Ein Portfolio ist ein persönliches Entwicklungs- und Dokumentationsinstrument und bildet den Rahmen, in dem aussagekräftige Dokumente zum Lernen gesammelt, ausgetauscht, kommentiert und bewertet werden können. Meist gehört dazu eine reflektierte Auswahl durch die Lernenden selbst, die dadurch an der Evaluation ihrer eigenen Lernprozesse stärker beteiligt werden (vgl. Schwarz u. a. 2008; Biermann und Volkwein 2010).

Unter Kompetenzen verstehen wir in Anlehnung an die Kompetenzdefinition der Bildungsstandards und neuen Lehrpläne in allen deutschsprachigen Ländern die »bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können« (Weinert 2001, S. 27). Kompetenzen stellen »die Verbindung zwischen Wissen und Können her und [sind] als Befähigung zur Bewältigung unterschiedlicher Situationen zu sehen« (Klieme 2004, S. 13). Die zentrale Idee dabei ist es, den Erwerb von trägem Wissen zu vermeiden und die Schülerinnen und Schüler stattdessen zu befähigen, in fach- oder themenspezifischen Anwendungssituationen erfolgreich und wirksam zu handeln.

Grundlegend für den hier verwendeten Kompetenzbegriff sind seine Fachlichkeit und seine Erlernbarkeit: Es geht dabei weder um angeborene Fähigkeiten (wie z. B. Intelligenz) noch um Schlüsselkompetenzen irgendwelcher Art, sondern um Fähigkeiten zum Umgang mit fachlichen Aufgaben und Herausforderungen, die in der Schule in langfristigen Lernprozessen erworben werden (vgl. Weinert 2001). Trotz seines fachlichen Charakters weist das Konzept der Kompetenz darauf hin, dass die konkrete Anwendung von Wissen in lebensweltlichen Situationen nur gelingen kann, wenn Schülerinnen und Schüler ein ganzes Spektrum von Ressourcen gleichzeitig nutzen und orchestrieren können. Es braucht dazu Wissen darüber, wie Informationen zu verarbeiten sind (methodische Fähigkeiten) sowie Kenntnisse verschiedener Lernstrategien (metakognitive Fähigkeiten). Es bedarf dazu auch motivationaler Ressourcen, etwa die Bereitschaft, seine eigenen Ziele zu definieren sowie Erfolge und Misserfolge in angemessener Weise zu interpretieren.

Mit der Kompetenzorientierung sind zwei Kerngedanken verbunden, die für die Portfolioarbeit zentral sind und deshalb kurz erläutert werden sollen: Handlungsorientierung und Überprüfbarkeit. Handlungsorientierung als Bildungsverständnis bedeutet, dass junge Menschen sich nach ihren individuellen Möglichkeiten entwickeln und jene Fähigkeiten erwerben sollen, die sie brauchen, um später in der Gesellschaft zu bestehen. Alle Jugendlichen sollen in der Lage sein, sich denkend und handelnd mit unterschiedlichen fachlichen Aufgabenstellungen auseinanderzusetzen, entsprechende Lösungen zu finden und zunehmend Verantwortung für das eigene Lernen zu übernehmen. Dieses Konzept von Lernen findet sich in allen kompetenzorientierten Lehrplänen deutschsprachiger Länder wieder und ist typischerweise jeweils prominent am Anfang der Curricula platziert. Der Schweizer Lehrplan 21[1] drückt das so aus: »Bildung befähigt zu einer eigenständigen und selbstverantwortlichen Lebensführung, die zu verantwortungsbewusster und selbstständiger Teilhabe und Mitwirkung im gesellschaftlichen Leben in sozialer, kultureller, beruflicher und politischer Hinsicht führt« (EDK 2016, S. 20). Überprüfbarkeit bedeutet, dass der individuelle Kompetenzerwerb von Schülerinnen und Schülern nicht dem Zufall überlassen wird, sondern durch geeignete Methoden gemessen und nachgewiesen sowie auch periodisch für das ganze Bildungssystem überprüft wird. Kompetenzen werden deshalb in Form von Bildungsstandards ausgedrückt, die festlegen, welche Bildungsziele von Jugendlichen auf einer bestimmten Jahrgangsstufe (meist als Minimalleistung) erwartet werden. Diese sollen so konkret beschrieben sein, dass sie »in Aufgabenstellungen umgesetzt und mit Hilfe von Testverfahren erfasst werden können« (Klieme u. a. 2003, S. 9) – womit die Überprüfbarkeit der Kompetenzziele gewährleistet sein soll. Portfolios haben hier den entscheidenden Vorteil, dass sie komplexere Kompetenzen und deren Erwerb durch detaillierte Dokumentation der entsprechenden Lernwege sichtbar und überprüfbar machen können – zum Beispiel komplementär und ergänzend zu standardisierten Schulleistungstests (vgl. dazu den Beitrag von Felix Winter, S. 27 ff.).

Eine zentrale Aussage dieses Buches ist, dass Portfolios für beide Kerngedanken der Kompetenzorientierung (Handlungsorientierung und Überprüfbarkeit) ein wichtiges und bislang stark unterschätztes Umsetzungsinstrument darstellen. Portfolios können – richtig eingesetzt – einen Beitrag zu einer Unterrichtskultur leisten, die den Jugendlichen persönlich bedeutsames, selbstgesteuertes, sinnhaftes Lernen mit Kompetenzen als Lernzielen ermöglicht. Ihr Einsatz unterstreicht den eigenständigen, aktiven Charakter des Lernens und hebt dabei dessen Situiertheit in konkreten Erfahrungs- und Problemkontexten hervor (vgl. Häcker 2006, S. 17). Der Vorteil von Portfolios liegt darin, dass sie komplexe und mehrdimensionale Handlungskompetenzen dokumentier- und beurteilbar machen, die von standardisierten Tests nur teilweise erfasst werden, in kompetenzorientierten Lehrplänen aber zentral sind. In den deutschen Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss ist dies in der Mathematik etwa die Kompetenz, »realitätsnahe Probleme im Zusammenhang mit linearen, proportionalen und antiproportionalen Zuordnungen [zu] lösen«; in der Biologie »Modelle kritisch im Hinblick auf ihre Aussagekraft und Tragfähigkeit [zu] prüfen« oder in der ersten Fremdsprache »eine Diskussion [zu] beginnen, fort[zu]führen und auch bei sprachlichen Schwierigkeiten aufrecht[zu]erhalten« (KMK 2003). Portfolios sind ein Mittel dazu, den Erwerb dieser Kompetenzen zu begleiten und sichtbar zu machen und die Jugendlichen zudem zur Steuerung und Evaluation ihrer Lernprozesse anzuregen.

Damit dieses Potenzial aber realisiert werden kann, ist eine veränderte Unterrichtskultur notwendig, denn die Einführung von Kompetenzen als Zielvorgaben wird nur dann erfolgreich sein, wenn Lehrkräfte Wege finden, wie sie das Ziel der Kompetenzentwicklung in ihrer Unterrichtspraxis konkret umsetzen können (vgl. Dubs 2006, S. 170). Dazu ist ein didaktischer Entwicklungsschub nötig, der »von den Akteuren her gedacht und in kooperativer Weise angestoßen werden« muss (Oelkers und Reusser 2008, S. 406). Genau einen solchen Prozess können Portfolios auslösen: Sie können zum Dreh- und Angelpunkt werden, anhand dessen alle Beteiligten (Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern, Schulleitungen usw.) pädagogisch sinnvolle Entwicklungsarbeit in der Schule gemeinsam unterstützen. In diesem Sinn leisten Portfolios einen Beitrag dazu, dass möglichst viele Lernende zentrale Bildungsstandards erreichen, ohne dass der Unterricht über die Maßen ›standardisiert‹ würde.

Kompetenzorientierter Unterricht mit Portfolio

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