Читать книгу Menschenwürde nach Nietzsche - Stefan Lorenz Sorgner - Страница 9

1.2 Anthropozentrische Würdekonzeptionen

Оглавление

Ich gehe innerhalb der Arbeit ausschließlich auf anthropozentrische Würdekonzeptionen, also auf die Menschenwürde, ein. Das Konzept der „Würde der Kreatur“ wird somit nicht näher thematisiert. Dem Konzept der Menschenwürde können, wie bereits kurz dargelegt, fünf grundlegende Anordnungen des Verhältnisses der Gruppe der Würdeträger und der Zugehörigkeit zur Gruppe der menschlichen Wesen9 zu Grunde liegen, wobei ich stets auf die in den Hauptteilen genauer behandelten Denker verweise, die die jeweilige Position vertreten. Nur vier Verhältnisse zwischen den beiden erwähnten Mengen sind jedoch für diese Arbeit relevant, da es bei der fünften Verhältnisvariante zu keiner Schnittmenge zwischen der Gruppe der Würdeträger und der Gruppe der menschlichen Wesen kommt. In diesem Fall kann es nicht zu Trägern der Menschenwürde kommen. Die anderen vier Varianten sind die folgenden:

1. Die Menge der menschlichen Wesen kann eine Teilmenge der Menge der Träger der Würde sein, sodass zutrifft: Wenn jemand ein menschliches Wesen ist, dann ist er notwendigerweise auch Träger der Würde. Es ist jedoch nicht der Fall, dass alle Träger der Würde auch menschliche Wesen sind. Hierbei trifft zu, dass die Spezieszugehörigkeit an die Würde gekoppelt ist, wie dies bei Kant der Fall ist, wenn man ihn so liest, dass die Vernunftfähigkeit aktuell innerhalb der Seele vorhanden ist, die ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle mit dem Körper vereinigt ist. Die Würde liegt hier in einer Eigenschaft begründet, die notwendigerweise allen menschlichen Wesen eigen ist. Bei Kant handelt es sich bei der Eigenschaft um die aktuelle Vernunftfähigkeit. Wenn man von der Würde der Kreatur spricht und zulässt, dass die Menschenwürde eine Form der Würde der Kreatur darstellt, dann zählt auch diese Konzeption zu dieser Gruppe.

2. Die Menge der menschlichen Wesen und die der Träger der Würde kann in der Extension identisch sein, sodass es der Fall ist: Wenn jemand ein menschliches Wesen ist, dann ist er ein Träger der Würde. Jeder Träger der Würde ist notwendigerweise ein menschliches Wesen. Die Eigenschaft, in der die Würde begründet liegt, ist eine Eigenschaft, die nur und notwendigerweise bei menschlichen Wesen vorkommt. Die Eigenschaft, in der die Würde begründet liegt, ist eine notwendige Eigenschaft des Menschen. Da hier von der Übereinstimmung der Mengen der menschlichen Wesen und der Träger der Würde ausgegangen wird, ist auch das Menschsein oder die Zugehörigkeit zur Spezies „Mensch“ an die Eigenschaft gebunden, mit der die Würde begründet wird. Ob diese Eigenschaft die einzige Eigenschaft sein muss, an die die Zugehörigkeit zur Spezies „Mensch“ gekoppelt ist, ist hiermit nicht gesagt. Picos Begründung der Würde kann als Beispiel für diese Gruppe angeführt werden.

3. Die Mengen der menschlichen Wesen und der Träger der Würde können auch überlappen, sodass sich Folgendes ergibt: Es gibt menschliche Wesen, die Träger der Würde sind, und es gibt menschliche Wesen, die keine Träger der Würde sind. Es gibt Träger der Würde, die menschliche Wesen sind, und es gibt Träger der Würde, die keine menschlichen Wesen sind. In diesem Fall liegt die Würde in einer bestimmten Eigenschaft begründet, die jedoch nicht allen menschlichen Wesen eigen ist und die zumindest einigen nicht menschlichen Wesen zukommt. Man kann Kant so lesen, dass er dieses Verständnis teilt, nämlich dann, wenn man davon ausgeht, dass die aktuelle Vernunft keine Eigenschaft der Seele ist, sondern erst dann vorhanden ist, wenn ein Mensch sprechen kann. Es gibt menschliche Wesen, die in der Lage sind zu sprechen und denen daher Würde zukommt. Andererseits gibt es ebenso menschliche Wesen, die nicht gegenwärtig sprachfähig sind und somit keine Würde besitzen. Es ist weiterhin nicht auszuschließen, und auch Kant schließt es nicht aus, dass es nicht menschliche Wesen gibt, die Vernunftfähigkeit und somit auch Würde besitzen.

4. Die Träger der Würde können weiterhin eine Teilmenge der Gruppe der menschlichen Wesen sein. Das impliziert Folgendes: Alle Träger der Würde sind notwendigerweise menschliche Wesen. Wenn jemand ein menschliches Wesen ist, dann ist er jedoch noch nicht notwendigerweise ein Träger der Würde. Eine Konzeption, die davon ausgeht, dass nur geborene menschliche Wesen Träger der Menschenwürde sind, wie dies Volker Gerhardt vertritt, zählt zu dieser Gruppe (2001, 39ff; 2004a, 158). Dabei ist natürlich genauer zu klären, wann der Geburtsvorgang eines menschlichen Wesens abgeschlossen ist. Ist der Vorgang abgeschlossen, wenn das Kind sich ganz außerhalb der Mutter befindet oder erst wenn die Nabelschnur durchtrennt ist und somit keine physiologische Verbindung zwischen Mutter und Kind mehr besteht? Es ist wahrscheinlich, dass hier die Eigenschaft, in der die Würde begründet liegt, auch die Eigenschaft ist, die menschliches Leben zu einem Menschen werden lässt.

Theoretisch ist, wie bereits erwähnt, noch eine weitere Variante zu nennen. Es könnte der Fall sein, dass die Mengen der Träger der Würde und die der menschlichen Wesen sich nicht überlappen. Dies impliziert Folgendes: Wenn jemand ein menschliches Wesen ist, dann ist er notwendigerweise kein Träger der Würde. Wenn jemand ein Träger der Würde ist, dann ist er notwendigerweise kein menschliches Wesen. Da es hier zu keiner Schnittmenge kommt, kann hier kein Fall der Menschenwürde auftreten. Da in dieser Arbeit die Menschenwürde im Mittelpunkt steht, muss diese Möglichkeit nicht berücksichtigt werden.

Menschenwürde nach Nietzsche

Подняться наверх