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Die Tage nach dem Besuch des Seminars waren in der Trauerhilfe Abendfrieden angefüllt mit großer Betriebsamkeit. Günther und Helga Schmidter hatten beschlossen, ein preiswertes chinesisches Sargmodell (ein sogenanntes Einsteigermodell) namens Letzter langer Marsch, von dem noch genügend Exemplare im Sarglager auf finale Marschierer warteten, als Prototyp für das Typberatungsprojekt umzuarbeiten. Genauer gesagt mussten natürlich vier letzte lange Märsche neu gestylt werden, für jede Jahreszeit einer. Zu diesem Zweck engagierte Günther Schmidter Manni Kempelmanns, genannt Hellfire. Manni Kempelmanns hatte im Nachbarort ein Airbrush Atelier und verzierte mit seiner Sprühpistole vorwiegend die Motorräder niederrheinischer Hells-Angels-Imitatoren. Den Künstlernamen Hellfire hatte Manni Kempelmanns, weil er bei der Motivwahl für seine Sprühkunstwerke sehr martialische und dämonische Darstellungen bevorzugte. Angefangen von grinsenden Totenköpfen über mehrköpfige Drachen oder in unschöne Fetzen gekleidete Zombies bis hin zu kompletten Unterweltszenarien oder ganzen Friedhofsarrangements hatte er alles im Angebot, was den PS-liebenden Freizeitbösewicht begeistert. An Manni Kempelmanns Erscheinung erinnerte sonst wenig an ein Höllenfeuer. Der überwiegende Teil seines 1,55 Meter kurzen und 125 Kilo schweren Körpers war stets von einer schmuddeligen Latzhose bedeckt, die letzten Haupthaare waren zu einem fransigen Pferdeschwanz gebunden und sein stets gutmütig lächelndes Gesicht zierte ein Dreitagebart. Sollte in Manni Kempelmanns wirklich ein Hellfire lodern, so hatte er dies offenbar verdammt gut unter Kontrolle. Über die Anfrage der Trauerhilfe Abendfrieden freute er sich sehr, denn vom künstlerischen Standpunkt aus reizte es ihn natürlich ungemein, seine Totenkopf- oder Grabstillleben sozusagen mal am Ort des Geschehens zu verewigen. Umso verblüffter war Herr Hellfire, als der Bestatter ihn bei einem ersten Arbeitsgespräch bat, je einen Sarg mit einem Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Wintermotiv zu gestalten. „Aha. Ja damit hätte isch jetzt nisch jereschnet“, erwiderte ein nachdenklicher Manni Kempelmanns in seinem gemütlichen niederrheinischen Tonfall, nachdem ihm Günther Schmidter sein Projekt erläutert hatte. „Aber jut, isch nehme die Herausforderung an. Lassen Sie misch mal machen, isch krisch da schon wat Nettes hin.“ Die vier Jahreszeiten hatten Herrn Hellfires künstlerischen Ehrgeiz geweckt. Die beiden kamen überein, dass Günther Schmidter noch am gleichen Tag ein Modell Letzter langer Marsch in Manni Kempelmanns Atelier vorbei bringen werde, damit dieser zunächst ein Probestück anfertigen könnte.

Schon nach drei Tagen rief Manni Kempelmanns bei den Schmidters an und bat sie, den geairbrushten Sarg im Atelier zu begutachten. In froher Erwartung fuhren Günther und Helga Schmidter sofort los, um den ersten wichtigen Baustein des Typberatungsprojekts in Augenschein zu nehmen.

In Herrn Hellfires Behausung angekommen, öffnete ihnen ein zufrieden lächelnder Manni Kempelmanns. Stolz führte er seine Auftraggeber zum ehemaligen Letzten langen Marsch, der sich unter Herrn Hellfires kunstfertigen Händen in das Modell Frühlingserwachen (so Manni Kempelmanns Namensvorschlag) verwandelt hatte. Das Resultat entsprach allerdings nicht ganz den Schmidterschen Erwartungen. Zwar hatte der Airbrushkünstler den Sarg sehr schön mit einer frühlingshaften Blumenwiese dekoriert, Rotkehlchen und Schmetterlinge flogen anmutig umher. Doch mitten auf dem Sargdeckel rekelte sich inmitten der Blütenpracht ein in blutige Stofffetzen gehüllter grinsender Zombie, schaute den Betrachter provozierend an und streckte ihm eine Hand entgegen, wie um ihn zu sich hinunter auf die Wiese (oder in den Sarg?) zu ziehen. „Nein, nein Herr Kempelmanns, so geht das nicht“, Helga Schmidter schüttelte entsetzt den Kopf, „das ist ja abstoßend!“ Manni Kempelmanns war ob dieser heftigen Reaktion sprachlos. Da hatte er sich die größte Mühe gegeben, alles an Symbolik in sein Werk zu legen, was die Sprühpistole hergab und jetzt dieses harsche Unverständnis. Günther Schmidter bemerkte Herrn Hellfires Betroffenheit und schaltete sich vermittelnd ein: „Meine Frau will einfach sagen, dass so ein Zombie typberatungsmäßig nicht so ganz der geborene Frühlingstyp ist. Außerdem scheint mir seine Kleidung eine Spur zu … sagen wir: salopp. Natürlich haben Sie den Sarg wirklich wunderschön gestaltet und alle Details entsprechen haargenau unseren Vorstellungen. Nur eben den Zombie sollten wir doch besser weglassen.“ „Ja aber kucken Sie mal, isch hab den Sarg doch Frühlingserwachen jenannt. Also da erwacht eben wat, verstehen Sie? Und dat Erwachen hab isch dursch den Zombie also eben ausjedrückt. Denn ein Zombie is ja eijentlisch kein Toter, sondern mehr ein Untoter, wenn Sie verstehen wat isch meine. Der erwacht also wieder.“ „Ja das haben Sie sich natürlich ganz gut ausgedacht. Trotzdem muss ich darauf bestehen, dass ein Zombie eigentlich kein Frühlingstyp ist.“ Manni Kempelmanns waren die Feinheiten der Typberatung nur schwer zu vermitteln. Nach längerem Hin und Her einigte man sich darauf, dass Herr Hellfire ein neues Modell Frühlingserwachen gestalten sollte – ohne Zombies, Totenköpfe, Grabsteine, Feuer speiende Drachen oder peitscheschwingende Leder-Domina. „Jut, wenn Sie meinen, dat dat alles keine Frühlingssymbole sind, machen wir den Sarg eben nur mit Blumen, Vögeln und Schmetterlingen. Isch finde zwar, dat dat wat saft- und kraftlos wirkt, aber bitte, Sie sind der Auftragjeber. Für dat Wintermodell kann isch mir aber so einen etwas bleischen Sensenmann vorstellen. Isch meine, dat müsste typmäßisch doch voll hinhauen.“ Helga Schmidter war nahe daran, einen hysterischen Anfall zu bekommen. Beherzt rettete ihr Mann die Situation: „Ich denke Herr Kempelmanns, für die drei anderen jahreszeitlichen Grabmöbel reichen wir Ihnen noch unsere genauen Gestaltungsvorstellungen ein, denn insgesamt hätten wir es doch lieber etwas konservativer.“ Schulterzuckend fügte sich Herr Hellfire den künstlerisch wenig ambitionierten Vorstellungen des Ehepaars Schmidter. Blieb noch zu klären, was mit dem verunglückten Prototyp des Modells Frühlingserwachen passieren sollte. Ein erneutes Übersprühen hielt Manni Kempelmanns für zu aufwendig. Als Dekoration im Schaufenster der Trauerhilfe Abendfrieden wäre der erwachende Frühlingszombie natürlich ein echter Hingucker, aber für eine solche Werbemaßnahme war der Niederrhein nicht das richtige Pflaster. Manni Kempelmanns schlug deshalb vor, den Sarg in seinem Atelier auszustellen. Möglicherweise hatte einer seiner Bikerkunden Spaß an dem guten Stück. Vielleicht als Sitzbank für die Kellerbar oder aufrecht hingestellt als Schrank für die Motorradgarderobe.

In den folgenden Wochen stellte Herr Hellfire vier jahreszeitliche Särge her. Dabei hielt er sich nun penibel an die Schmidterschen Vorgaben.

Das Frühlingsmodell war eine exakte Kopie des Prototyps, nur eben ohne Zombie. Der Sommersarg Costa Mortale versetzte jeden Betrachter automatisch in eine unbeschwerte Urlaubsstimmung: ein makelloser Sandstrand mit Muscheln, Palmen und bunten exotischen Vögeln, im Hintergrund ein sanft gewelltes türkisfarbenes Meer mit kleinen Schaumkronen. Die Herbstvariante Totensonntag zeigte eine knorrige Eiche, vor deren romantisch gekrümmten Ästen die letzten herbstlich gefärbten Blätter zu Boden fielen. Im Laub unter der Eiche schnupperte ein possierlicher Igel an einer Eichel, im Hintergrund hoppelten zwei Hasen durchs welke Gras. Manni Kempelmanns war es sehr schwer gefallen, in diese melancholische Szenerie nicht wenigstens ein kleines Grabkreuz oder einen unaufdringlich herumliegenden Totenkopf einzubauen. Das Wintermodell Petersburger Schlittenfahrt vermittelte dagegen wieder mehr Lebensfreude. Durch eine sonnenbeschienene Winterlandschaft zogen zwei mit Glöckchen behängte schnaufende Rösser einen elegant geschwungenen Schlitten. Auf diesem befand sich eine in mollige Decken eingehüllte Reisegruppe. Wahrscheinlich eine Urlauberfamilie vom Niederrhein, die sich während ihres Urlaubs in den Alpen dieses Vergnügen trotz überhöhter Touristenpreise gegönnt hatte und sich nicht darum scherte, dass Petersburg eigentlich nicht in den Alpen liegt. Schneekristalle funkelten in der Sonne, ein scheues Reh schaute hinter einer schneebedeckten Tanne hervor – wer wäre da nicht gerne zugestiegen? Nachdem Manni Kempelmanns die Fertigstellung der vier Grabmöbel telefonisch mitgeteilt hatte, fuhren die Schmidters erneut ins Atelier, um die künstlerischen Resultate zu begutachten. Diesmal war alles perfekt. Der Airbrushkünstler hatte genau die Vorstellungen seiner Auftraggeber getroffen. Einzig die scheinbar etwas zu ausgelassene Stimmung der Schlittengesellschaft auf dem Wintersarg müsste nach Helga Schmidters Meinung bei einem Nachfolgemodell leicht verändert werden. Auf jeden Fall sollte der Herr vorne links im Schlitten nicht mehr dargestellt werden, wie er eine leere Flasche Jagertee feixend im hohen Bogen in Richtung einer Tannenschonung wirft. Die vom Künstler vorgeschlagenen Namen für die vier Jahreszeitensärge trafen weitgehend den Schmidterschen Geschmack. Nur Costa Mortale hörte sich nach Meinung des Bestatters etwas zu sehr nach Zirkus an: „Da denkt jeder direkt an Salto Mortale, das ist nicht seriös, das sollten wir ändern.“ „Wie wär es mit Strand der lebenden Toten“, schlug Herr Hellfire vor. Passend zu seinen künstlerischen Vorlieben schaute er sich leidenschaftlich gern Horrorfilme an. „Nein, nein“, schaltete sich nun Helga Schmidter ein, „dieser Sarg braucht einen positiven Namen. Eben was Anziehendes, wo man direkt auch gerne hin möchte. Ich würde vorschlagen Seychellenträumerei.“ Ihr Mann fand diesen Titel zu schwülstig. Nach kurzer Diskussion einigte man sich schließlich auf El Arenal, in Erinnerung an den letzten Sommerurlaub. Die Schmidters nahmen Manni Kempelmanns Rechnung entgegen, verstauten die Särge in ihrem Wagen, handelten noch einen Mengenrabatt für zukünftige Folgeaufträge aus und fuhren zurück zu ihrem Bestattungsgeschäft. Als sie am benachbarten Sargdiscount McGrave vorbei kamen, fiel Günther Schmidter dort direkt ein reißerisch aufgemachtes neues Werbeplakat ins Auge: ab sofort Mengenrabatt ab drei Beisetzungen pro Quartal. Während ihm diese neue Unverschämtheit seines Konkurrenten früher den ganzen Tag versaut hätte, schüttelte er jetzt nur mitleidig den Kopf. „Nächste Woche starten wir unsere Qualitätsoffensive, dann wird dieser Discount-Heini bald einpacken können.“ Den Begriff Qualitätsoffensive hatte der Bestatter in Herrn Lampes Seminar kennengelernt und spontan beschlossen, ihn mindestens einmal pro Woche zu benutzen – es gab Worte, die taten Günther Schmidter einfach gut, sie gaben ihm Kraft. Stolz schaute Helga Schmidter zu ihrem Mann hinüber: „Günther, das hast Du sehr schön gesagt.“ Helga Schmidter fühlte, wie ihr Günther seit Jahren das erste Mal wieder eine gewisse Erotik ausstrahlte. Erfolg wirkt auf viele Frauen erotisch und manchmal wirkt auch schon die vage Hoffnung auf Erfolg. Helga Schmidter beschloss, ihren Mann am Abend zu verführen. Da aber beide Eheleute an diesem Abend recht erschöpft von den Planungsarbeiten für die Umgestaltung der Trauerhilfe Abendfrieden waren, musste die Verführung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.

Bevor in der nächsten Woche die finale Typberatung mit dem entsprechenden medialen Rummel in der Lokalpresse gestartet werden konnte, sollten die vier Särge noch von innen jahreszeitlich gestaltet werden. Die Petersburger Schlittenfahrt wurde mit dicken Federdecken, Bezügen mit Schneeflockendekors und gegen Aufpreis mit einer Heizdecke ausgestattet.

Das Modell Frühlingserwachen wurde passend zum Blumenwiesen-Dekors mit farbenfrohen Stoffen aufgefrischt. In das Kopfkissen kam eine Füllung aus duftendem Lavendel, für Allergiker konnte auch eine dermatologisch unbedenkliche Polyesterfüllung gewählt werden.

Die Innenseiten des Herbstmodells Totensonntag beklebte Helga Schmidter liebevoll mit getrockneten Blättern, Eicheln und Kastanien. Die Bezüge waren in schlichtem Ocker gehalten.

Einen besonderen Service konnte die Trauerhilfe Abendfrieden den Käufern des Modells El Arenal anbieten. Der Bestatter hatte aus der Geschäftsauflösung eines örtlichen Textilhändlers preiswert mehrere Dutzend Badetücher mit sommerlichen Strandmotiven erworben. Der Leichnam, respektive Gast, konnte nun statt mit einer schweren Decke, die für einen Sommertyp sowieso nicht in Frage kam, ganz leicht und luftig mit einem Badetuch zugedeckt werden. Je nach persönlicher Vorliebe konnten die Hinterbliebenen zwischen zahlreichen Motiven wählen – angefangen von einem farbenfrohen Eisbecher mit Waffel und Schirmchen, über lustig springende Delfine, eine knapp bekleidete Beachballspielerin, eine Strandburg mit Deutschlandfahne, einen italienischen Gigolo mit Stringtanga und Goldkettchen, Surfer, Taucher usw. Auf besonderen Wunsch ließ sich El Arenal zusätzlich mit einem Ventilator ausstatten.

Günther und Helga Schmidter hatten beschlossen, die Typberatung mit einer kleinen öffentlichen Präsentation in den Räumen der Trauerhilfe Abendfrieden einzuführen. Ein Samstagmorgen schien dafür am passendsten, da viele Menschen sowieso in der Stadt unterwegs waren, um Wochenendeinkäufe zu erledigen.

Die Tage bis zu diesem wichtigen Ereignis waren mit viel Arbeit angefüllt. Siggi Senkelbach gestaltete die kleine Sargausstellung im Eingangsbereich um. Das Modell Heimkehr und die chinesischen Billigsärge räumte er beiseite und rückte die vier Jahreszeitensärge in den Vordergrund. Um auch die Innenseiten zu präsentieren, öffnete er jeden Sarg und legte die Deckel daneben. Angeleuchtet mit Halogenscheinwerfern waren die vier Grabmöbel eine wahre Augenweide. Günther Schmidter schaltete Anzeigen und ließ Flyer drucken, um möglichst viele Kunden in spe anzusprechen. Seine Frau engagierte eine Typberaterin, die einen kleinen Vortrag halten sollte. Für die Besucher wurden einige Stuhlreihen aufgestellt und ein kaltes Buffet wurde bestellt.

Der Kenner stirbt im Frühling

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