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Endlich war es soweit, der große Tag war gekommen. Der neue Service der Trauerhilfe Abendfrieden konnte einer staunenden Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Obwohl der Beginn des Festaktes erst auf 10.30 Uhr terminiert war, fanden sich schon zwei Stunden vorher die ersten Besucher ein und taten sich am kalten Buffet gütlich. Das kulinarische Angebot wurde allgemein gelobt und sehr gut angenommen. Der Zuspruch war so groß, dass Helga Schmidter bereits nach einer Stunde leichte Panik beschlich und bei ihrem Lieferanten Nachschub orderte. Die hektische Betriebsamkeit am Buffet hätte einen ausländischen Besucher zu der Vermutung führen können, dass die niederrheinische Bevölkerung unter einer massiven Lebensmittelunterversorgung litt.

Die jahreszeitlichen Särge fanden bei den ersten Besuchern dagegen kaum Beachtung. Zu Günther Schmidters großem Ärger stellten einige sogar ihre Teller, Tassen und Gläser auf ihnen ab. Ein Herr stellte sich dabei so ungeschickt an, dass er einen Schwall Kaffee auf den Bettbezug des Totensonntag verschüttete.

Zum Glück passten die Kaffeeflecken ganz gut zum ockerfarbenen Stoff. Helga Schmidter beschloss, die Flecken erst später in aller Ruhe abzuwaschen. Nachdem jedoch der Kunstlehrer des örtlichen Gymnasiums im Verlauf der Veranstaltung den Bestatter über die künstlerische Bedeutung dieser Verschmutzung aufgeklärt hatte, verbot Schmidter seiner Frau diese zu entfernen. Auf die Kaffeeflecken deutend, die er offenbar für ein Teil des Hellfireschen Kunstwerks hielt, erklärte der feinsinnige Kunstpädagoge:

„Diese Chiffren der Vergänglichkeit erachte ich für besonders symbolträchtig, da sie im Betrachter das Totensonntagmotiv durch eine quasi magische Wirkung evozieren, dabei aber simultan auch einen Hauch der Unendlichkeit erahnen lassen.“

Ja, da hatte der Herr Gymnasiallehrer natürlich irgendwie recht und Günther Schmidter beschloss den Preis des künstlerisch aufgewerteten Totensonntag um zwanzig Prozent zu erhöhen.

Gegen zehn Uhr kamen immer mehr Besucher, die sich nicht nur für die Beköstigung, sondern auch für die Jahreszeitensärge interessierten. Die gesättigten Buffetliebhaber dagegen räumten nach und nach ihre Plätze und gingen, um ihre Wochenendeinkäufe zu tätigen. Vorher nahmen sie allerdings noch reichlich Werbegeschenke mit: Kugelschreiber mit dem Aufdruck Trauerhilfe Abendfrieden, wir schreiben das Buch Ihres Lebens zu Ende und Feuerzeuge mit der launigen Werbung Trauerhilfe Abendfrieden, ob Sarg oder Urne, immer eine zündende Bestattungsidee. Die vier Särge kamen bei den meisten Besuchern gut an. Nur das Badetuch mit Eisbecher im Modell El Arenal veranlasste einige Betrachter zu kritischen Bemerkungen. Etwas unpassend kommentierte Siggi Senkelbach diese Vorbehalte mit der flapsigen Bemerkung: „Ja sischer, so’n Eisbescher is ne rischtije Kalorienbombe, aber wenn wir erstmal da drin liejen, kratzt uns dat auch nisch mehr.“ Günther Schmidter nahm seinen Bestattungsgehilfen beiseite und ermahnte ihn, jegliche Art von Kundengespräch zu unterlassen und stattdessen für Nachschub bei den Getränken zu sorgen. Um 10.30 Uhr begann der offizielle Teil des Programms. Der Bestatter hielt eine kleine Begrüßungsrede und erläuterte in groben Zügen die neue Schmidtersche Bestattungsvision. „Und so appelliere ich an uns alle, seien wir ganz der Typ, der wir sind – auch nach unserem Ableben. Betreten wir also die Ewigkeit nicht als neutraler Einheitsleichnam – nein, treten wir als unverwechselbare Individuen vor unseren Schöpfer und sagen: hier bin ich, so wie du mich geschaffen hast als Sommertyp,“ beendete er seine Rede. Die Erhabenheit seiner letzten Worte wurde leider durch ein Kleinkind sabotiert, das vor dem Modell El Arenal stand, heulend auf den Eisbecher zeigte und augenblicklich ein Eis verlangte. Anschließend stellte Günther Schmidter den Künstler Herrn Hellfire vor und bat ihn, ein paar erklärende Worte zu seinen Werken zu sagen. Manni Kempelmanns, der extra für den heutigen Anlass seinen speckigen Overall gegen eine in Bikerkreisen sicher als elegant geltende schwarze Lederkluft getauscht hatte, war es nicht gewohnt, vor einer größeren Versammlung zu sprechen. Etwas gehemmt suchte er nach den passenden Worten: „Ja also wie der Herr Schmidter schon jesacht hat, is mein Künstlername Hellfire, also Höllenfeuer. Aber keine Angst, also isch denke mit diesen Särgen können Sie auch ganz easy in den Himmel kommen. Kein Thema.“ Manni Kempelmanns lachte kurz und herzhaft, aber außer Siggi Senkelbach erkannte offenbar niemand den hintergründigen hellfireschen Wortwitz. „Die Särge sind alle von mir signierte Einzelstücke, wir Künstler spreschen da von sojenannten Unikaten. Und isch bin mir sischer, dat diese Särge noch mal ganz bejehrte Sammlerstücke werden.“ Günther Schmidter hätte mit Manni Kempelmanns vorher doch noch kurz den Inhalt seiner Rede absprechen sollen. Auf ein Zeichen des Bestatters beendete Manni Kempelmanns seine kurze Rede: „Also wat soll isch große Worte machen, probieren Sie die Särge aus und dann nix wie ab auf den Stairway to Heaven oder den Highway to Hell. Vielen Dank.“

Bevor die Zuhörer noch länger über die Botschaft der Hellfireschen Wort sinnieren konnten, kündigte Helga Schmidter die Typberaterin Frau Cindy Müller an. Mit ihrem sehr farbenfrohen Make-up, einer knackig sonnengebräunten Figur, den langen wasserstoffblonden Haaren und ihrer schwungvollen Vortragsweise bot sie einen erfrischenden Kontrast zu Manni Kempelmanns.

Ihre positive Ausstrahlung unterstrich sie durch den reichlichen Gebrauch des Adjektivs super, wobei sie das s zu einem langen stimmlosen Zischlaut dehnte: sssuper. Oder auch mal die launige Variante sssupi, die sie durch ein kurzes Schütteln ihres Blondschopfes unterstrich. Herr Lampe hätte an Cindy Müller viel Freude gehabt, ihr ganzer Vortrag zum Typberatungswesen war durchwoben von der frohen Botschaft: „Ich bin sssuper, ihr seid sssuper und mit einer sssuper Typberatung wird auch das Begräbnis ganz, ganz sssupi.“ Sie beschloss ihren Vortrag mit einer kleinen Typberatungsdemonstration. Hierzu bat sie einen Freiwilligen auf die Bühne. Ein hutzeliges altes Weibchen meldete sich, die übrigen Gäste applaudierten, Cindy Müller rief: „ja sssupi“ und die Alte kam gestützt auf ihren Krückstock und mit krummem Rücken nach vorne zu Cindy Müller gehumpelt. Die Typberaterin fand zunächst ganz sssuper, den Namen der alten Frau zu erfahren: Herta op den Brink. Dann nahm sie ihr Demonstrationsobjekt von allen Seiten gründlich in Augenschein und stellte Herta op den Brink anschließend einige Fragen zu ihren Hobbys, Lieblingsblumen, musikalischen Vorlieben und ihrer Lieblingsspeise. Die Antworten der Alten waren recht konfus und drehten sich alle irgendwie um rheumatische Probleme. Vielleicht war sie schwerhörig, verstand deshalb Cindy Müllers Fragen nicht und griff einfach auf ihr bevorzugtes Gesprächsthema zurück. Nur auf die Frage nach der Lieblingsspeise sagte sie sehr klar: „Kartoffelbrei mit sauren Speckbohnen.“ „Ja wirklich sssupi.“ Cindy Müller schienen diese spärlichen Informationen auszureichen, um eine eindeutige Typklassifizierung vorzunehmen. Sie machte sich einige kurze Notizen, schaute dann in einer Tabelle nach und verkündete einem erstaunten Auditorium, dass es sich bei Herta op den Brink ganz eindeutig um einen Sommertyp handele. Dann nahm die Typberaterin ihren Schminkkoffer zur Hand und hatte die alte Frau in Windeseile mit grell leuchtenden Sssupersssommerfarben angemalt. Günther Schmidter hatte den Eindruck, Herta op den Brink habe sich in kürzester Zeit in das verwandelt, was der Volksmund so unschön als Puffmutter bezeichnet. Er beschloss, die Typberatung in Zukunft auf jeden Fall lieber seiner Gattin zu übertragen. Helga Schmidter begleitete Frau op den Brink zum Sommermodell El Arenal, damit der Pressefotograf einige stimmungsvolle Fotos für die Lokalzeitung schießen konnte. Auf Vorschlag des Fotografen setzte sich Herta op den Brink auf den Sargdeckel direkt neben eine Palme, ihr linker Oberschenkel wurde von türkisblauen Wellen umspielt. Der Pressevertreter bat Helga Schmidter, Frau op den Brink noch irgendetwas in die Hand zu geben, das wirke natürlicher. Die Bestatterin holte rasch noch ein Badetuch mit Strandmotiv und drückte es der betagten Strandbesucherin in die Hand. Als diese das Tuch über ihren Knien ausbreitete, zeigte sich, dass Helga Schmidter intuitiv ein Badetuchmotiv gewählt hatte, das sehr gut zu Herta op den Brinks nun leicht rotlichthaftem Gesichtsausdruck passte: das spärlich bekleidete Beachballmädchen. Ein flüchtiger Zeitungsleser konnte am nächsten Morgen beim Überfliegen des Lokalteils den Eindruck gewinnen, dass das Foto für die Neueröffnung eines Saunaklubs werben sollte. Die Idee der finalen Typberatung fand besonders bei den weiblichen Zuschauern viel Anklang. Mehrere ältere Damen baten Cindy Müller um Schmink- und Bekleidungstipps für einen ansprechenden posthumen Auftritt. Ein zufällig anwesender Notar, Herr Dr. Kleinschnittger, riet eindringlich dazu, die Erben testamentarisch zu verpflichten, den Erblasser in der gewünschten typgerechten Art auszustatten. Da Erben erfahrungsgemäß dazu neigen, auf preiswerte Bestattungsvarianten auszuweichen, sei hier ein gesundes Misstrauen mehr als angebracht. Für weitere Beratungen verteilte Herr Dr. Kleinschnittger Visitenkarten. Günther Schmidter konnte dem Notar in diesem Punkt aus vollem Herzen zustimmen. Er nahm sich vor, Dr. Kleinschnittger nachher unbedingt noch zu fragen, ob auch ein Passus im Testament möglich wäre, der den Erben eine Bestattung durch McGrave unter Androhung einer Enterbung strengstens untersagt. Übrigens war Dr. Kleinschnittger der Nachfolger von Notar Rehbein, dessen Urne Siggi Senkelbach so ungeschickt hatte fallen lassen. Unwillkürlich kam Günther Schmidter das Bild in den Kopf, wie er auch den ascheförmigen Dr. Kleinschnittger aus allen Ecken des Raumes wieder zusammenkehrte und in eine Ersatzurne füllte. Dieser Gedanke bereitete Günther Schmidter Unbehagen. Nachdem auch die dritte Nachschubladung des kalten Buffets restlos verspeist worden war und auch die Sekt- und Biervorräte zur Neige gingen, verließen die letzten Gäste angefüllt mit neuen Eindrücken und kostenlosen Nahrungsmitteln die Räume des Bestattungsinstituts. Günther und Helga Schmidter waren erschöpf und zufrieden.

Der Zeitungsbericht über den neuen Service der Trauerhilfe Abendfrieden war sehr ansprechend. Helga Schmidter missfiel nur, dass das dazugehörige Foto entschieden zu halbseiden wirkte.

In den nächsten Tagen und Wochen warteten die Bestatter jedoch vergeblich auf den erhofften großen Kundenandrang.

„So was braucht seine Zeit, Helga“, beruhigte Günther Schmidter seine Frau, „schließlich können wir nicht erwarten, dass die Leute vor lauter Begeisterung für unsere Typberatung schneller sterben.“

„Vielleicht brauchen wir für unser Bestattungsinstitut auch einen anderen Namen. Trauerhilfe Abendfrieden klingt einfach zu veraltet und passt nicht zur Typberatung. Es müsste sich irgendwie etwas zeitgemäßer anhören. Da muss ein positives Lebensgefühl rüberkommen.“

„Also an unserem traditionsreichen Namen möchte ich eigentlich nichts ändern. Immerhin gibt es die Trauerhilfe Abendfrieden schon in der dritten Generation. Und wieso Lebensgefühl?“ Günther Schmidter ging der Veränderungsdrang seiner Frau entschieden zu weit. „Nun stell Dich doch bitte nicht dümmer als Du bist. Natürlich muss da ein Lebensgefühl rüber kommen oder glaubst Du, mit einem positiven Todesgefühl Kunden anlocken zu können? Schau Dir McGrave an, da kommt was total Positives rüber, die haben die Zeichen der Zeit erkannt.“ „Komm mir jetzt bitte nicht mit diesen Discountheinis.“ Allein die Erwähnung des Konkurrenzunternehmens ließ den Bestatter in Rage geraten. „Sollen wir unser alt eingesessenes Familienunternehmen jetzt etwa McTrauerhilfe nennen und so einen blöden Werbespruch wie Grab ist geil in unser Schaufenster kleben?“ „Nun lass uns doch mal in aller Ruhe über einen modernen Namen nachdenken“, versuchte Helga Schmidter ihren Mann zu beruhigen. „Ich glaub, ich hab da schon eine gute Idee.“ Immer wenn sie eine gute Idee hatte, galt es für Günther Schmidter höllisch aufzupassen. Lange Ehejahre hatten ihn gelehrt, dass den Ankündigungen guter Ideen seitens seiner Frau Aktionen folgten, die entweder mit viel finanziellem Aufwand oder mit viel Arbeit verbunden waren und nicht selten in irrwitzigen häuslichen Renovierungs- oder Umbaumaßnahmen endeten. „Also ich denke mir Folgendes: überall wo heute ein besonderer Service für den Körper angeboten wird, heißt es Studio. Also Nagelstudio, Kosmetikstudio, Fitnessstudio usw. Und wir bieten ja auch einen speziellen Körperservice an, deshalb sollten wir auch was mit Studio im Firmennamen haben.“ „Also bitte Helga, jetzt mach mal einen Punkt. Sollen wir uns etwa Trauerstudio Abendfrieden nennen? Und überhaupt Studio, da denkt man doch gleich an Massagestudio oder Saunaklub. Trauerklub Abendfrieden – hier werden Ihre geheimsten Bestattungswünsche von unseren tabulosen Mitarbeiterinnen diskret erfüllt, auf besonderen Wunsch bieten wir einen Bestattungs-Escortservice. Ist ja lächerlich!“ „Von Klub war nun überhaupt nicht die Rede. Nun sei doch mal bitte nicht so stur. Ich dachte da eher an Bestattungsstudio Abendfrieden. Hört sich modern und seriös an.“ Der Bestatter verließ kopfschüttelnd den Raum. Dann öffnete er nochmal kurz die Tür und rief seiner Frau wutschnaubend zu: „Nur über meine Leiche!“ Helga Schmidter wusste, dass diese Redewendung in Bestatterkreisen nicht die gleiche Brisanz hat wie in der übrigen Bevölkerung. Außerdem war sie eheerfahren genug, um zu wissen, dass sich ihr Mann oft etwas schwer tat, wenn sie eine gute neue Idee hatte. Letzten Endes hatten sie sich in der Vergangenheit aber eigentlich immer gütlich geeinigt, d.h., er war klug genug nachzugeben. Auch im Fall der Namensänderung stellte sich Helga Schmidters weibliche Intuition mal wieder als sehr zuverlässig heraus. Zwei Wochen später wurde die Trauerhilfe Abendfrieden umbenannt in Bestattungsstudio Abendfrieden.

Im Laufe der Zeit kamen die ersten Kunden, die auch an einer Typberatung interessiert waren. Helga Schmidter hatte sich von Cindy Müller den Fragebogen besorgt, um eine professionelle Beratung sicher zu stellen. Meist stellte sich aber heraus, dass die Angehörigen des Verstorbenen schon eine genaue Vorstellung von dessen Typ hatten und ihre Sichtweise eigentlich nur bestätigt sehen wollten. Natürlich war die Bestatterin clever genug, hier nicht zu widersprechen, die gute Menschenkenntnis ihrer Kunden zu loben und dann zügig den in Frage kommenden Jahreszeitensarg in Augenschein zu nehmen.

Die Modelle Frühlingserwachen, El Arenal, Totensonntag und Petersburger Schlittenfahrt sagten den Hinterbliebenen in der Regel zu. Wenn dann jedoch der Verkaufspreis zur Sprache kam, machten die meisten einen Rückzieher und entschieden sich doch für den Letzten langen Marsch. Diese Entscheidung wurde meist von Kommentaren begleitet, wie: „Eigentlich war die Oma doch immer eine sparsame Frau und außerdem ist sie immer gerne gewandert, da wäre der Letzte lange Marsch ganz in ihrem Sinne“, oder: „Mit Kunst hatte Onkel Hubert nie was am Hut, wir sind uns nicht sicher, ob er in der Petersburger Schlittenfahrt wirklich gut aufgehoben ist.“ Immerhin wurde aber für mehrere weibliche Gäste (diese Umschreibung kam übrigens bei den Angehörigen ausgesprochen gut an!) ein typgerechtes letztes Make-up geordert. Helga Schmidter fand schnell heraus, dass die Hinterbliebenen auch bei eindeutigen Herbst- oder Wintertypen eher eine farbenfrohe Auffrischung des Gastes bevorzugten. Sie hatte dafür großes Verständnis und griff bei ihren Schminkaktionen beherzt in die Farbdosen mit den kräftigen Sommertönen. Allerdings achtete sie im Gegensatz zu Cindy Müller sehr darauf, dass keines der alten Mütterchen unter ihren Händen zur Puffmutter oder Domina mutierte. Nur im Fall der verstorbenen Pauline Berger war der Bestatterin der Liedschatten um einiges zu verrucht geraten und mit dem üppig aufgetragenen grellroten Lippenstift hatte sie das zahnlose Mündchen ungewollt in einen lasziven Schmollmund à la Brigitte Bardot in ihren besten Jahren verwandelt. Sie wollte Frau Berger gerade nochmal abschminken, um einen neuen dezenteren Schminkversuch in Richtung reife Inge Meisel zu starten, als Günther Schmidter den schon leicht altersdementen Ehemann hereinführte, um ihm das Ergebnis der visagistischen Auffrischung zu präsentieren. Herr Berger nahm seine Frau in Augenschein. Für einen Moment schien alle Demenz aus seinem Hirn wie weggeblasen und mit einer kräftigen männlichen Stimme rief er: „Ja Pauline, mein kleines geiles Ferkel, so wollte ich Dich immer haben.“ Herr Berger bestand darauf, dass an dem Aussehen seiner Frau nichts mehr verändert werden sollte – schon gar nicht in Richtung reife Inge Meisel. Günther Schmidter versprach ihm noch, ein Erinnerungsfoto zu machen, dann ging Herr Berger festen Schrittes und in aufgeräumter Stimmung in seine Stammkneipe, um noch den einen oder anderen Schnaps auf seine Frau zu trinken und zu vergessen, dass er eigentlich schon ganz schön dement war.

Nach drei Monaten waren erst zwei Jahreszeitensärge an einen Gast ausgeliefert worden. In beiden Fällen handelte es sich um das Modell El Arenal, einmal mit dem Handtuchmotiv Eisbecher für einen stark übergewichtigen Gast, das andere Mal mit Sandburg und Deutschlandfahne für den 93-jährigen Ehrenvorsitzenden einer national ausgerichteten Splitterpartei.

Um ein Haar wäre beinahe auch einmal das Herbstmodell Totensonntag verkauft worden. Die Witwe des zu Lebzeiten stets etwas miesepetrigen Finanzbeamten Beunemann fand diesen Sarg für ihren verstorbenen Gatten sehr passend. Ausführlich beklagte sie sich bei Günther Schmidter, dass ihr Mann nicht nur als Steuerprüfer im Ruf stand, äußerst pingelig zu sein. Im Verlauf ihrer Ehe habe er auch immer öfter das Haushaltsgeld unter Hinweis auf fadenscheinige Solidarbeiträge und Sonderabgaben gekürzt und zusammengestrichen. Als er ein Jahr vor seinem unerwarteten Tod dann noch eine siebenseitige Haushaltsgelderklärung eingeführt hatte, die sie pünktlich am Ersten jeden Monats in dreifacher Ausfertigung einzureichen hatte, habe sie ernsthaft über eine Trennung nachgedacht. Ihr Mann habe diese aber aus steuerlichen Gründen immer strikt abgelehnt.

Am Modell Totensonntag gefiel Frau Beunemann neben der ausgesprochen tristen Ausstrahlung auch der stattliche Preis, glaubte sie doch ihrem Mann durch diese verschwenderische Ausgabe posthum noch eins auswischen zu können.

Dummerweise fielen Frau Beunemann die Kaffeeflecken auf dem Totensonntag direkt ins Auge.

„Können Sie das noch wegmachen“, fragte sie auf die Flecken deutend.

In weiser Voraussicht hatte sich Günther Schmidter die künstlerische Interpretation des feinsinnigen Gymnasiallehrers gemerkt und damals noch am gleichen Abend notiert. Zumindest dachte der Bestatter, dass er die Worte des Kunstpädagogen („diese Chiffren der Vergänglichkeit halte ich für besonders symbolträchtig, da sie im Betrachter das Totensonntagsmotiv durch eine quasi magische Wirkung evozieren, dabei aber simultan auch einen Hauch der Unendlichkeit erahnen lassen“) richtig erinnert zu Papier gebracht hatte.

„Einen Moment bitte“, Günther Schmidter ging kurz in sein Büro.

Frau Beunemann war erstaunt, als er kurz darauf nicht mit einem Putzlappen, sondern mit einem Zettel zurückkam und auf die Flecken zeigend vorlas:

„Die Vergänglichkeit besteht aus Ziffern, die am Totensonntag quasi fanatisch mit dem Betrachter kopulieren, der dabei spontan seine Endlichkeit aushaucht.“

Frau Beunemann verstand nur Bahnhof, hatte jedoch das dumme Gefühl, dass die Kaffeeflecken nicht nur schmuddelig wirkten, sondern irgendeinen Schweinkram darstellen sollten, bei moderner Kunst kann man sich da nie sicher sein! Oder Schmidter wollte sie nur über den Tisch ziehen und der Sarg war gar nicht fabrikneu, sondern schon benutzt und dann, weil er vielleicht von der Größe nicht richtig passte, umgetauscht worden.

Frau Beunemann entschied sich, vom Totensonntag Abstand zu nehmen und mit einem preiswerten Importmodell einen Schlusspunkt unter die Beziehung zu Herrn Beunemann zu setzen. Da sie sich nach der üblichen Zeit der Trauer nach einem neuen Partner umsehen wollte, nahm sie sich vor, das eingesparte Geld in Brustimplantaten anzulegen, um so ihren Marktwert bei der Partnersuche zu steigern. Vielleicht konnte ihr Cindy Müller bei der Wahl eines zu ihrem Typ passenden jahreszeitlichen Brustmodells helfen.

Ob Cindy Müller Frau Beunemann eher zu trendigen Sssupersssommermöpsen oder einem Paar wuchtiger Winterwunder raten konnte, ist nicht bekannt.

Der Kenner stirbt im Frühling

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