Читать книгу Küsse und Café au Lait - Susanne Fülscher - Страница 12

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Die ersten Tage waren schwierig für alle Beteiligten. Sie beschnupperten sich, umkreisten sich und fassten sich mit Samthandschuhen an, immer in der Angst, etwas Verletzendes von sich zu geben oder etwas zu tun, das dem anderen nicht passte.

Lediglich Etienne stand ein bisschen außen vor. Falls er überhaupt zu Hause war, verbrachte er die meiste Zeit in seinem Zimmer und tat so, als sei die reiche Zicke aus Deutschland gar nicht anwesend. Es reichte ja schon, dass sich zwei Leute, nämlich seine Eltern, zum Affen machten und in einer Tour um Elda herumtänzelten. Noch einen Café au Lait? Stéphane geht gerne zum Bäcker und holt frische Croissants. Oder möchtest du lieber eine Birnentarte?

Serge stand ständig auf der Matte, wohl um einen Blick auf Elda zu erhaschen, aber Etienne funkte ihm jedes Mal dazwischen, indem er ihn entweder abwimmelte oder ihn einfach mit in die Umweltgruppe schleifte.

Albertine und Stéphane taten hingegen ihr Bestes, damit sich Elda schnellstmöglich einlebte. Sie zeigten ihr das Viertel (wo es außer Hochhäusern allerdings nicht viel zu sehen gab), die besten U-Bahn- und Busverbindungen, sie nahmen sie mit nach Paris ins Centre Pompidou, spendierten Eis und Milchkaffee und stürzten sich in Unkosten, indem sie in ein vegetarisches Restaurant gingen, wo Albertine dann sichtlich appetitlos einen bräunlichen Körnerauflauf vertilgte.

Sosehr sich Elda darüber freute, wie sich die beiden für sie ins Zeug legten, so war es ihr auch peinlich. Schließlich hatte sie seit ihrer Ankunft kein Fettnäpfchen ausgelassen und auch jetzt fiel es ihr nicht leicht, über die Hochhaussiedlung, die Essgewohnheiten und Etiennes Art hinwegzusehen.

Drei Tage nach ihrer Ankunft – Albertine hatte Elda zuliebe Kartoffelgratin und Prinzessbohnen gekocht und das Fleisch weggelassen – tauchte Etienne süßlich lächelnd am Esstisch auf und erkundigte sich bei seiner Mutter, warum Elda eigentlich vom Putzplan ausgenommen sei. Albertine warf ihm einen warnenden Blick zu, aber Etienne ließ sich nicht beirren. Er habe die letzten beiden Wochen das Klo geschrubbt, davor hätten das seine Eltern gemacht, also sei jetzt Elda dran.

»Elda ist gerade mal ein paar Tage hier und soll sich in Ruhe eingewöhnen«, bestimmte Albertine scharfzüngig.

»Und deswegen kann sie nicht mal kurz vor der Kloschüssel auf die Knie gehen?«

Sosehr sich Elda auf das Essen gefreut hatte, jetzt war ihr der Appetit mit einem Schlag vergangen.

»Ich kann gerne das Klo …«, fing sie an, kam jedoch nicht weiter, weil ihr die Vokabel für sauber machen nicht einfiel. Also nuschelte sie rasch hinterher, sie könne das Klo gerne machen, wobei ihr eine fettige Kartoffelscheibe in den Schoß plumpste.

Warum war bloß alles so kompliziert? Zunächst die Sache mit der fremden Sprache. Jeder Satz, den sie sagen wollte, geriet irgendwie schief und missverständlich. Außerdem fühlte sie sich wie ein Fremdkörper, der das in gemächlichen Bahnen verlaufende Leben der Familie komplett durcheinander wirbelte.

Kaum hatte Elda ihr Angebot ausgesprochen, wurde ihr mulmig zu Mute. Sie hatte das dreckige Ungetüm von Toilette ja gründlich in Augenschein genommen und nur wenig Lust, auch noch darin herumzukratzen. Zumal sie zu Hause ebenfalls keine Hausarbeiten übernehmen musste. Ihre Eltern meinten, sie solle sich voll und ganz auf die Schule konzentrieren; fürs Putzen sei die Haushaltshilfe da.

»Elda kriegt schon noch ihre Aufgaben«, warf jetzt Stéphane ein. »Im Moment hat sie noch Schonfrist, ist das klar?«

Etienne nickte, sah aber nicht wirklich zufrieden aus. Und als alle schon aßen, presste er entnervt hervor, er sei in der Schule völlig überlastet und zur Strafe müsse er auch noch hier den Haushalt schmeißen, das sei ja wohl eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.

Albertine brach in übertriebenes Gelächter aus. »Du schmeißt also den Haushalt, interessant, interessant …« Sie stopfte sich eine volle Gabel in den Mund. »Und wer hat heute Frühstück gemacht?«, fuhr sie angestrengt kauend fort. »Wer hat gekocht? Deine Wäsche gewaschen, den Wocheneinkauf erledigt, den Geschirrspüler ausgeräumt, gebügelt?«

»Du hast ja sonst nichts zu tun!«, verteidigte sich Etienne, aber das machte Albertine erst recht wütend.

»Jeder hat hier Stress, das kann ich dir versichern! Ich darf mir zum Beispiel gerade 20 verschiedene Weihnachtsbaumdekorationen ausdenken!«

Das Telefon klingelte. Stéphane nahm ab und reichte Elda den Hörer.

»Deine Eltern.«

Elda verdrückte sich mit dem Apparat am Ohr ans Fenster. Ihre Mutter war dran und überfiel sie gleich mit einem Wortschwall: »Wie geht es dir? Hattest du einen schönen Tag? Wir vermissen dich ja so, wenn du wüsstest … Gut nur, dass in der Praxis gerade so viel zu tun ist. Sag mal, Schatz – alles klar bei dir?«

»Ja, ja«, nuschelte Elda.

»Wirklich?«

»Ja, Mami!«

Ihre Mutter seufzte. »Ich hatte vorhin so ein ungutes Gefühl…«

»Nein, mir geht’s gut.« Eldas Blick fiel auf Etienne, der mit gekrümmtem Rücken am Tisch saß und immer wieder seine ungepflegte Matte zurückwarf.

»Das freut mich.« Sie klang sofort beruhigt. »Und? Was treibst du gerade?«

»Abendbrot. Mami, sei mir nicht böse, aber das Essen wird kalt.«

In Wirklichkeit wollte sie ihre Mutter bloß abwimmeln. Zu Hause ging ihr das Gequatsche meistens nur auf die Nerven, hier in diesem plüschigen Wohnzimmer hätte sie sich am liebsten in ihre Arme geworfen und wie ein Baby geflennt. Holt mich hier raus! Ich will nach Hause! Aber weil sie das natürlich nicht sagen konnte, beendete sie lieber so schnell wie möglich das Gespräch.

*

Zwei Tage später ging die Schule los. Vorher hatte sich Elda noch überwunden und das Klo geputzt, was Etienne immerhin damit honorierte, dass er ihr – wenn auch ohne ein Lächeln – seinen Nachtisch rüberschob. Indianerfrieden. Vorerst.

In der Kürze der Zeit hatte sich Elda angewöhnt auf französische Art zu frühstücken, sprich, das mit Butter und Konfitüre bestrichene Baguette in den Milchkaffee zu tunken, um es dann in den Mund zu schlabbern. Eine Sache, die sie bis vor kurzem noch total unappetitlich gefunden hätte. Jetzt liebte sie es und konnte nicht genug davon kriegen.

Das war am Morgen ihres ersten Schultages anders. Elda saß stumm über ihrer Bol, nahm ab und zu einen Schluck Milchkaffee, brachte ansonsten aber keinen Bissen runter. Daran konnte auch Albertine nichts ändern, die ihr die ganze Zeit gut zuredete: »Das wird schon werden, Elda. Sicher hast du sehr nette Klassenkameradinnen, und was das Französische angeht… Da mach dir mal keine Sorgen. Bei deiner schnellen Auffassungsgabe.«

Elda nickte nur und sprach nicht aus, was sie wirklich bedrückte: Im Grunde fand sie die Tatsache, dass ihr Bruder sie in der Schule abliefern sollte, beinahe schlimmer als den ganzen Rest. Bisher war Etienne ihr zumeist aus dem Weg gegangen und sie ihm – jetzt sollten sie auf Albertines Anweisung plötzlich auf innig verbundenes Geschwisterpaar machen. Wie schrecklich! Elda traute Etienne glatt zu, dass er sie mitten in der Pampa stehen lassen würde und sie unpünktlich in der Schule erschien.

Gerade als sie aufbrechen wollten, schien Albertine etwas einzufallen, denn sie lief aufgescheucht ins Musikzimmer. Als sie zurückkam, hielt sie etwas hinter dem Rücken versteckt; dabei leuchteten ihre Augen wie die eines kleinen Mädchens.

»Voilà!« Albertine zog eine blau-weiß-rot gestreifte Schultüte im Miniformat hervor.

Elda musste lachen. Sie hatte in Albertine wirklich die Verrückteste aller denkbaren Gastmütter. In aller Eile warf sie einen Blick in die Tüte – neben Schulheften und Stiften gab es jede Menge Süßigkeiten –, dann verabschiedete sie sich, indem sie Albertine spontan ein Küsschen auf die Wange drückte.

Etienne war schon vorausgegangen, um den Fahrstuhl zu holen. Nur Sekunden später fuhren sie Seite an Seite nach unten. Wie jedes Mal studierte Elda die Graffiti, Etienne schaute nur auf seine Schuhe, deren Schuhbänder absichtlich offen standen. Keiner von ihnen sagte einen Ton. Als sie unten ankamen, hielt Etienne ihr lächelnd die Tür auf. Es war das erste Mal überhaupt, dass er Elda richtig freundlich angelächelt hatte, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, und Elda überlegte, ob sie vielleicht einen Vermerk darüber in ihrem Kalender machen sollte.

Immer noch schweigend gingen sie durch die Rue de Precope Richtung Bushaltestelle. Statt wie üblich nur langsam vor sich hin zu schlurfen preschte Etienne jedoch auf einmal so schnell voraus, dass Elda sich anstrengen musste überhaupt mit ihm Schritt zu halten. Bestimmt war es ihm peinlich, mit ihr gesehen zu werden.

Im Bus brauchte Elda eine Weile, bis sie wieder zu Atem kam. Dann holte sie tief Luft und presste hervor: »Etienne …? Kann ich dich mal was fragen?«

»Klar.« Seine Hände gruben sich tiefer und tiefer in die Taschen seines Sportanzugs.

»Hast du eigentlich was gegen mich?« Elda wusste nicht, woher sie ausgerechnet jetzt den Mut nahm, ihn darauf anzusprechen. So kurz vor ihrer »Einschulung«.

Etienne drehte seinen Kopf in Zeitlupe, eine lange Haarsträhne fiel ihm dabei ins Gesicht, dann sah er Elda wie versteinert an. »Nein«, sagte er schlicht, und noch mal: »Nein.«

»Das kommt mir aber langsam so vor«, murmelte Elda.

Der Bus fuhr mit hohem Tempo durch die Straßen. Vorbei an Wohnblöcken, einer Serie von Tankstellen, dann tauchte rechter Hand ein Einkaufszentrum gigantischen Ausmaßes auf.

»Ich hab nichts gegen dich persönlich«, ließ Etienne genau in diesem Moment verlauten und klappte den kleinen Aschenbecher vor sich an der Lehne mechanisch auf und zu. »Ich hab nur was gegen meine Alten, die sich unbedingt eine Austauschschülerin ins Nest setzen mussten.« Er ließ den Aschenbecher ein letztes Mal zuschnappen, dann sah er Elda an. »Als ob es bei uns nicht schon eng genug wäre.«

Elda schluckte. Das war eine klare Ansage. Und jetzt? Sollte sie die Sache gegen alle Widerstände durchziehen oder besser gleich den Betreuer vor Ort anrufen, um die Familie zu wechseln? Bloß wer garantierte ihr, dass sie dabei nicht vom Regen in die Traufe kam?

Sie fuhren noch ein paar Minuten, dann bog der Bus von der Hauptstraße ab und holperte über einen schlecht gepflasterten Weg geradewegs auf ein heruntergekommenes Gebäude zu, das aus mehreren gleichförmigen Kästen bestand.

»Voilà«, sagte Etienne. »Das Lycée Charlie Chaplin.« Und beim Aussteigen fugte er hinzu: »Mach dir keine Gedanken. Wir kriegen das schon irgendwie hin.« Es war das zweite Mal an diesem Morgen, dass er ein kleines Lächeln zu Stande brachte.

*

Etienne lieferte Elda im Schulsekretariat ab, spuckte ihr ein flüchtiges Toi-toi-toi über die Schulter, dann war er weg. Netterweise hatte er der Sekretärin, die gerade ein paar Fusseln von dem Flachbildschirm ihres Computers klaubte, noch rasch Eldas Namen genannt und hinzugefügt, dass sie die Neue aus Hamburg sei, eingeteilt für die Première littéraire.

»Einen Moment bitte«, sagte die Sekretärin, während sie schon auf ein paar Knöpfen ihrer Telefonanlage herumtippte. »Monsieur Roche? Ihre neue Schülerin ist da.«

Sie legte auf und bot Elda einen Stuhl an, was eigentlich gar nicht nötig war, da im gleichen Moment die Tür aufging und ein gut aussehender Mann mit dunklen Locken, kaum älter als ein Student, federnden Schrittes hereinkam. Er zückte seinen Zeigefinger wie einen Colt und mit dem smarten Lächeln eines Latino-Popstars sagte er: »Ich bin Monsieur Roche, Ihr Klassenlehrer. Ich werde Sie in französischer Literatur und in Mathematik unterrichten. D’accord?«

Eldas Beine wurden zu Gummi und Hitze stieg ihr in den Kopf.

»Oui, d’accord«, antwortete sie wie einstudiert und fragte sich, wie sie bei diesem Lehrer überhaupt in der Lage sein sollte, auch nur einen französischen Satz am Stück zu formulieren.

Auf dem Weg zum Klassenzimmer redete Monsieur Roche in einem fort, doch Elda verstand nur Bruchstücke. Offenbar ging es darum, was er gerade in Literatur drannahm, zumindest fielen Dichternamen, die Elda ein Begriff waren, dann tauchten plötzlich Städtenamen wie Hambourg und Cologne auf und zu guter Letzt wollte Monsieur Roche wissen, was Elda im letzten halben Jahr in Mathematik durchgenommen habe. Gleichzeitig deutete er auf eine der vom Gang abgehenden Türen, dickwandig wie in Gefängnissen, und erklärte: »Der Literaturunterricht findet hier statt.«

Er verharrte kurz – offenbar wollte er die Frage nach dem Mathestoff wirklich geklärt haben –, aber Eldas Gehirn war plötzlich komplett vernebelt. Sosehr sie sich auch anstrengte, ihr wollte einfach nicht einfallen, was sie noch vor wenigen Wochen durchgenommen hatten.

»Elda?« Monsieur Roche sah sie auffordernd an.

»Ja …« Sie starrte auf die Tür, das Eintrittstor zu ihrem neuen Leben. »Entschuldigen Sie, aber ich habe gerade den totalen Blackout…«

Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken, aber Monsieur Roche meinte nur mit seinem Popstar-Lächeln: »Keine Sorge. Ihre Mitschüler sind allesamt sehr nett.« Seine Hand näherte sich der Türklinke und mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu: »Und falls nicht, kriegen sie es mit mir zu tun!«

Dann war es so weit. Er stieß die Tür auf und schob Elda vor sich her ins Klassenzimmer. Augenblicklich verebbte der Lärm und alle Augenpaare richteten sich fast gleichzeitig auf sie, die Neue. Wie eine Außerirdische, die geradewegs aus einer fremden Galaxie gelandet war. Eldas Herz pochte irgendwo zwischen Kinn und Brust, gleichzeitig hatte sie eine Gänsehaut.

»Das ist Elda, die neue Austauschschülerin aus Deutschland.« Wie alle Franzosen betonte er die zweite Silbe ihres Namens. »Sie wird die nächsten beiden Trimester in Ihre Klasse gehen.« Monsieur Roche zog unfreiwillig eine Grimasse. »Ich hoffe, Sie wissen sich zu benehmen.«

Immer noch gaffte alles. Totenstille. Erst als einer der Jungen zaghaft auf den Tisch zu klopfen begann, stimmten die anderen mit ein. Immer lauter wurde der Applaus, einige trampelten sogar mit den Füßen. Elda schaute verlegen auf ihre Hände und freute sich über den herzlichen Empfang; so schlimm würde es also nicht werden. Kaum war der Beifall verebbt, bat Monsieur Roche sie, sich doch kurz vorzustellen.

»Ich?!« Sie deutete mit dem Finger auf sich, als würden noch 40 weitere Austauschschüler neben ihr im Raum stehen.

»Ja!« Monsieur Roche schwang sich amüsiert auf den Schreibtisch und sah sie erwartungsvoll an. Wie all die anderen in der Klasse auch.

Mit einem Schlag war Eldas wohliges Gefühl verschwunden. Das Blut rauschte in ihren Schläfen. Was sollte sie nur sagen und vor allem wie?

»Ich heiße Elda.«, begann sie zaghaft.

»Nicht Elda?« Ein Glück, dass Monsieur Roche sie gleich wieder unterbrach.

Elda schüttelte den Kopf, ihre Augen flitzten in Sekundenschnelle über die Klasse. Auch wenn sie seit ihrer Ankunft viel weniger als erwartet verstand, entging ihr nicht, dass einer der Schüler eine abfällige Bemerkung über ihren Namen machte.

»Und Sie kommen aus Hamburg?«, forschte Monsieur Roche nach.

»Nicht direkt. Ich wohne in einem kleinen …« Das Wort für Vorort fiel ihr nicht ein, also sagte sie village.

»Erzählen Sie doch ein bisschen. Von Ihrer Schule, Ihrem Zuhause, Ihren Hobbys.«

Elda nickte wie ein Roboter. Aber statt unverkrampft loszusprudeln kratzte sie sich bloß am Kopf und betete, Monsieur Roche würde sie endlich aus dieser unwürdigen Situation befreien. Ihr fiel nichts ein; alle Vokabeln waren wie weggeblasen.

Monsieur Roche schien zu verstehen, denn ohne weiter in sie zu dringen sprang er wieder vom Pult runter und ließ seinen Blick über die Klasse schweifen.

»Also gut … Dann setzt sich Elda am besten … neben Gérard.« Er zeigte auf einen blassen Jungen in der letzten Reihe, der genau in diesem Moment angewidert das Gesicht verzog.

»Nein, warten Sie …« Monsieur Roche hatte jetzt die erste Reihe im Visier. »Ciaire, Sie rutschen bitte einen Platz nach rechts. Dann kann sich Elda zwischen Sie und Khadija setzen.«

»Aber warum?«, protestierte das Mädchen mit den straff zurückgebundenen Haaren. »Ich sitze schon immer hier!«

»Weil ich es so will.« Monsieur Roche schlug jetzt einen unerwartet scharfen Ton an. »Also ein bisschen plötzlich.«

Murrend schob Ciaire ihre Hefte und Bücher an den Außenplatz der Bank, aber auch Khadija – eine dunkelhaarige Schönheit, die im Gegensatz zu ihren Mitschülern keine Sportswear, sondern ein bauchfreies rosa T-Shirt zu einer beigen Hüfthose trug – schien mit der Umplatzierung nicht einverstanden zu sein. Hastig raunte sie ihrer Freundin etwas zu, dann rückte sie ein Stück zu ihrer Banknachbarin auf der linken Seite rüber, als wolle sie demonstrieren, dass ihr die Neue aus Deutschland bloß nicht zu sehr auf die Pelle rücken solle.

Ein leises Salut murmelnd hockte sich Elda auf ihren Platz. Alles, was sie bei der freundlichen Begrüßung durch die Klasse an Selbstsicherheit gewonnen hatte, war mit einem Schlag zunichte gemacht worden.

»Salut«, sagte Khadija in diesem Moment überraschend freundlich und reichte ihr sogar die Hand.

Elda wollte das Mädchen zu ihrer Rechten auf die gleiche Weise begrüßen, doch die schaute demonstrativ nach vorne und tat so, als würde es sie brennend interessieren, was Monsieur Roche inzwischen an die Tafel geschrieben hatte.

Rimbaud – Le Bateau ivre, stand dort in einer steilen, nach links kippenden Handschrift.

»Kennt jemand das Gedicht?« Monsieur Roche wippte auf seinen Zehenspitzen auf und ab.

Khadija meldete sich und verkündete, sie kenne nur betrunkene Leute, aber ein betrunkenes Schiff – nein. Ein paar Mädchen kicherten. Unbeeindruckt verteilte Monsieur Roche Fotokopien des Gedichts, das aus sage und schreibe 25 Strophen bestand.

»Weiß sonst jemand etwas über Rimbaud?«

»Der hat doch mit einem anderen Dichter rumgemacht!«, rief ein Junge aus der vorletzten Reihe.

»Aha. Woher wissen Sie denn das?« Monsieur Roche blieb gelassen.

Elda drehte sich um und sah einen blonden Jungen, der die Schultern ratlos anhob und dabei einfältig grinste. »Paul, dann sind Sie ja auch sicher darüber informiert, mit welchem Dichter Rimbaud rumgemacht hat?«

Erneut zuckte er die Achseln.

»Mit Paul Verlaine.« Jetzt grinste Monsieur Roche. »Deinem Namensvetter.«

Alles grölte und der Blonde lief knallrot an. Das wiederum führte dazu, dass nur noch mehr gelacht wurde. Khadija nutzte das allgemeine Tohuwabohu, beugte sich zu Elda rüber und raunte ihr zu, Monsieur Roche sei auch homosexuell. Sie lächelte spöttisch. »Also verknall dich bloß nicht in ihn.«

Elda war überrascht. Monsieur Roche und schwul? Er machte eher den Eindruck, als hätte er schon das komplette weibliche Kollegium vernascht. Der geborene Herzensbrecher, ein Popstar wie aus dem Bilderbuch.

Als sich die Klasse endlich wieder beruhigt hatte, wurde das Gedicht Strophe für Strophe reihum vorgelesen. Den Anfang machte Ciaire, als Zweite war gleich Elda dran. Bei den ersten Wörtern blockierte ein Kloß ihren Hals, doch dann las sie halbwegs flüssig vor.

»Très bien, Elda«, lobte Monsieur Roche, so ging es Strophe für Strophe weiter bis zum Ende. Einige in der Klasse stöhnten genervt, andere beugten sich angestrengt über den Zettel, um das Gedicht ein zweites Mal zu überfliegen.

Elda gehörte zu denjenigen, die stöhnten – wenn auch nur innerlich. Zwar hatte sie konzentriert mitgelesen, dabei jedoch den Zusammenhang nicht mal ansatzweise verstanden. Wenn Monsieur Roche sie jetzt gleich fragen würde, worum es in diesem Gedicht ging oder – schlimmer – eine Interpretation verlangte, wäre sie aufgeschmissen.

Doch dann kam alles ganz anders. Nach einer Pause von fünf Minuten, in denen es Elda gerade mal zum Klo schaffte, hielt Monsieur Roche selbst einen Vortrag über das Gedicht, wobei die Schüler eifrig mitkritzelten. Elda versuchte ebenfalls mitzuschreiben, da sie allerdings nur einzelne Wörter begriff, die so gar keinen Sinn ergeben wollten, war das ein schier unmögliches Unterfangen.

Lyrisches Dokument, notierte sie, Surrealismus, poetische Vision, menschliche Existenz, Sehnsucht nach Europa, nur, was sollte sie mit diesen Schlagworten anfangen? In ihrem Literaturunterricht hatte man auch Gedichte und Prosa gelesen, sie dann jedoch gemeinsam zu interpretieren versucht. Das war einerseits schwieriger, weil man wirklich mitdenken musste, andererseits leichter, weil man mit seinen Fragen und Gedanken nicht allein gelassen wurde und sich der Text dann bestenfalls Stück für Stück erschloss.

Als es nach der Doppelstunde klingelte, schwirrte Elda der Kopf. Zu Hause war sie es gewohnt, immer und überall die Beste zu sein, hier musste sie sich damit abfinden, dass es ihr noch nicht mal gelang, mitzuschreiben. Eine Ohrfeige für eine Klassenbeste, die Primadonna des Heinrich-Heine-Gymnasiums.

Während die Schüler schon ihre Taschen packten, um – anders als in Deutschland – den Klassenraum zu wechseln, trat Monsieur Roche an Eldas Tisch und reichte ihr den Stundenplan. »Na, wie war die Stunde für dich?«

»Très intéressant«, log Elda. Sie fand es nach wie vor unsinnig, eine Interpretation auf dem Silbertablett serviert zu bekommen.

»Stress dich nicht damit, alles um jeden Preis verstehen zu wollen. Das kommt ganz von allein.« Er setzte sein Popstar-Lächeln auf. »Glaub mir!«

Es war zwar nett gemeint, beruhigte Elda jedoch kein bisschen. Und sie sollte Recht behalten. In den nächsten beiden Stunden vor der Mittagspause – Geografie und Geschichte – saß sie ebenso verloren zwischen Khadija und Ciaire und strengte sich verzweifelt an mitzukommen. Mit Grausen dachte sie daran, dass die Schüler den Stoff zu Hause auswendig zu lernen hatten, um ihn bei der nächsten Klausur wieder eins zu eins auszuspucken.

Um zwölf war Mittagspause. Wie auf ein geheimes Kommando pfefferten die Schüler ihre Schulsachen in ihre Mappen, schnappten sich ihre Jacken und liefen aus dem Raum. Einige verlangsamten ihren Schritt, als sie an Elda vorbeikamen, um sie neugierig zu mustern, andere schienen sich gar nicht weiter dafür zu interessieren, dass sie eine neue Klassenkameradin hatten.

Elda warf Khadija einen Hilfe suchenden Blick zu, doch die war vollauf damit beschäftigt, einen Lippenstift aus einem neongrünen Täschchen zu ziehen und sich die Lippen anzumalen. Ciaire bürstete inzwischen ihre Mähne über den Kopf, um sie dann schwungvoll nach hinten zu werfen.

»Ihr nehmt Elda doch mit in die Kantine?«, fragte Physiklehrer Hébrard, ein junger Typ mit Glatze und Ohrpiercing.

Khadija nickte und lächelte Monsieur Hébrard dabei an, als wolle sie ihn bitten sie zu heiraten. Kaum drehte er sich aber wieder um, verdrehte Ciaire nur genervt die Augen. Eins war klar, sie wollte Elda nicht dabeihaben, aber Khadija verwies die Freundin in ihre Schranken, indem sie ihr den Stinkefinger zeigte. Ciaire parierte daraufhin wie ein gut erzogenes Hündchen. Lächelnd hakte sie sich bei Elda ein und zog sie Richtung Tür. Khadija hakte sich rasch auf der anderen Seite ein und so spazierten sie zu dritt Richtung Kantine.

Elda fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, dass die beiden sie nur mitnahmen, weil sie dazu aufgefordert worden waren. Außerdem war ihr der Körperkontakt mit den fremden, stark nach Parfum riechenden Mädchen unangenehm, aber da es mit Sicherheit das schrecklichere Übel war, allein essen zu gehen, ließ sie sich weiter mitschleifen.

»Wollen wir sie fragen?« Ciaire beugte sich vor und wechselte einen verschwörerischen Blick mit Khadija.

»Klar. Warum nicht?«

»Hast du einen Freund?«, platzte es sofort aus Ciaire heraus.

»Nein.«

Das Mädchen zupfte enttäuscht an seinem Pferdeschwanz und fuhr dann fort: »Okay. Im Moment nicht. Aber früher vielleicht mal?«

»Ja, schon.«

»Und hast du mit ihm geschlafen?«, nervte Ciaire weiter.

Elda sagte nichts, wurde aber langsam wütend. Sie kannte diese Mädchen gerade mal ein paar Minuten und schon wollten die solche Dinge von ihr wissen.

»Also hast du oder hast du nicht?«, erkundigte sich jetzt auch Khadija.

»Nein, hab ich nicht.«

»Sie hat’s echt noch nicht gemacht«, murmelte Khadija, woraufhin Ciaire hysterisch zu kichern anfing.

»Was ist daran so lustig?«, erkundigte sich Elda in wahrscheinlich völlig schiefem Französisch.

»Nichts. Gar nichts!« Ciaire gluckste in ihren Jackenkragen.

»Wir dachten nur … Es heißt doch immer, dass die Deutschen so offen sind …« Khadija klaubte Elda ein blondes Haar von der Jacke. »Besonders in Sexdingen und so …«

»Kann schon sein, weiß ich nicht«, nuschelte Elda verunsichert.

Inzwischen waren sie in der Aula angelangt, einer großen Halle mit Podium, durch dessen Glasdach die späte Septembersonne fiel und sie in ein goldenes Licht tauchte. Von überall strömten Schüler herbei, lärmend und lachend, die Kleineren jagten und boxten sich – ganz wie auf Eldas Schule in Deutschland. Nur dass die Sprache eine andere war und daher das allgemeine Gemurmel eine andere Färbung hatte.

Bloß noch wenige Schritte, dann checkte sie mit einer speziellen Chipkarte, die ihr Etienne zuvor besorgt hatte, ein. Vom Grundriss her ähnelte die Kantine der Aula, nur hatte sie kein Glasdach und statt des Podiums gab es eine lang gestreckte Servicetheke.

»Wir sitzen immer dort am Fenster.« Khadija deutete auf einen noch unbesetzten Tisch. »Mit den anderen Mädchen aus der ES.«

»ES?«

»Sciences économiques et sociales.« Khadija zeigte ihre beneidenswert weißen Zähne. »Das sind die Schüler, die Rimbaud zum Kotzen finden und für Mathe zu blöd sind, und weil sie ja irgendeine Sektion wählen müssen, nehmen sie eben ES.«

Elda war jetzt doch froh und dankbar, dass die Mädchen sie – so merkwürdig sie sich am Anfang auch aufgeführt hatten – gleich unter ihre Fittiche nahmen. Die Vorstellung, sich einfach irgendwo dazusetzen zu müssen, bestenfalls mit Fragen bestürmt zu werden, die sie nicht richtig beantworten konnte, schlimmstenfalls ganz ignoriert zu werden, erschien ihr unerträglich.

Gemeinsam mit Khadija und Claire stellte sie sich am Ende der Schlange an, nahm sich wie die beiden Tablett und Besteck und ließ sich erklären, wie die Sache mit der Menüwahl funktionierte. Für ein und denselben Preis konnte man jedes Essen bestellen, aber auch einzelne Lebensmittel austauschen oder untereinander mischen. Zum Beispiel bei dem Hacksteak mit Pommes und Salat das Hacksteak weglassen und stattdessen die Hühnerbrust aus dem zweiten Menü wählen oder einfach eine zusätzliche Portion Gemüse ordern. Nachspeisen, Getränke und Süßigkeiten gingen extra.

Elda nahm Nudeln mit Tomatensoße und einen kleinen Salat. Als zusätzliche Nervennahrung deponierte sie ein Schüsselchen Mousse au Chocolat auf dem Tablett.

»Du isst Mousse au Chocolat?«, fragte Khadija sie in vorwurfsvollem Ton, als sie zum Tisch gingen.

»Klar, warum auch nicht?«

»Weil da furchtbar viel Fett drin ist. Und Fett macht fett! Und picklig! Und die Zähne fallen dir aus.« Damit rauschte sie davon, um sich wichtigtuerisch um Eldas Stuhl zu kümmern.

Elda stellte inzwischen ihr Tablett auf dem Tisch ab und sah sich verunsichert um. War sie in Khadijas Augen derart dick und verpickelt, dass sie sich nicht mal ein paar Löffel Mousse au Chocolat leisten konnte?

Schon kam Khadija mit einem Stuhl zurück, um ihn an der Kopfseite des Tisches zu platzieren.

»Damit die anderen nicht nörgeln«, bemerkte sie jetzt auf einmal wieder augenzwinkernd.

Die anderen – das waren Fabienne, Sandrine und Ophélie aus der ES. Die rundliche Fabienne hatte wunderschöne rote Haare, die mit allerlei bunten Spangen verziert waren; Sandrine machte einen eher unscheinbaren Eindruck, dafür strahlten ihre Augen in einem wunderschönen Grün; Ophélie sah ganz wie die typische Französin aus: zierlich, dunkler Pagenkopf, Nickituch um den Hals. Die drei kamen etwas später – ihr Englischlehrer hatte überzogen – und beäugten Elda jetzt skeptisch. Erst als Khadija sie mit den Worten »Das ist Elda aus Deutschland. Hat sie nicht eine tolle Haarfarbe?« vorstellte, lächelten die Mädchen und begrüßten sie freundlich mit Küsschen links, Küsschen rechts. Während des Essens hagelte es Fragen. Wo sie herkomme, wie lange sie bleiben würde, wo sie wohne etc. Elda bemühte sich auf alles zu antworten und atmete innerlich auf, weil die Fragen recht zahmer Natur waren. Keine von ihnen spielte auf Bettgeschichten an wie eben noch Khadija und Ciaire.

Einziger Wermutstropfen war Schönheitskönigin Khadija, die sich ständig als Chefin aufspielen musste. Mal maßregelte sie Fabienne, weil die in ihren Augen zu hastig und zu viel aß, dann schnauzte sie Sandrine an, die aus lauter Sorge um ihren kranken Vater die Fingernägel abgekaut hatte. Elda begriff nicht, warum die Mädchen sich das überhaupt gefallen ließen, sagte aber keinen Ton.

Als sie beim Nachtisch angelangt war, fühlte sie erneut Khadijas tadelnden Blick auf sich ruhen.

»Du willst das wirklich essen?« Ihre dick getuschten Wimpern vibrierten wie Schmetterlingsflügel.

»Natürlich«, sagte Elda selbstbewusst. Es ging ja wohl eindeutig zu weit, dass sich das Mädchen in ihre Essgewohnheiten einmischte.

Auch die anderen starrten jetzt auf Eldas Mousse au Chocolat. Fabienne mit purem Entsetzen, Sandrine und Ophélie sahen hingegen so aus, als würden sie sich gleich im Doppelpack auf den Nachtisch stürzen und notfalls auch ihre Fäuste einsetzen, nur um einen Happen zu ergattern.

»Na, du musst es ja wissen«, sagte Khadija jetzt eingeschnappt. »Aber beschwer dich hinterher bitte nicht…«

Elda wusste zwar nicht, worüber und vor allem bei wem sie sich beschweren sollte, aber das war ihr auch egal. Die Creme schmeckte so himmlisch, dass sie nicht anders konnte als immer wieder einen wohligen Seufzer auszustoßen.

»Ich geh mir mal die Nase pudern.« Schon stand Khadija auf und stolzierte erhobenen Hauptes davon.

Die anderen gierten Elda inzwischen jeden Bissen in den Mund.

»Wollt ihr mal probieren?«

Als hätte Elda einen Befehl erteilt, stürzten sich die Mädchen auf die spärlichen Reste der Mousse au Chocolat.

»Mon dieu!«, stöhnte Sandrine und Ophélie schmatzte, als habe sie seit einem halben Jahr nichts mehr in den Magen bekommen.

Elda sah dem Spektakel fassungslos zu. In Khadijas Gegenwart taten alle, als wäre es das Verwerflichste von der Welt, etwas Kalorienreiches zu essen, kaum war die Chefin außer Sichtweite, kannten sie jedoch kein Halten mehr.

Die verbleibende Zeit verbrachten die Mädchen damit, unerlaubterweise ins Einkaufszentrum nebenan zu huschen, um ein paar Lippenstifte und Lidschatten auszuprobieren. Das heißt, Khadija probierte aus und die anderen mussten Beifall klatschen. Elda schaute der Prozedur gelangweilt zu. Sie interessierte sich einfach nicht für Make-up. Ein bisschen Wimperntusche war in Ordnung, alles andere hätte sie als anmalen empfunden.

Khadija war die Schönste in der Clique, keine Frage, mit ihrer marokkanischen Großmutter, von der sie auch noch eine knappe Million geerbt hatte, wie Elda von Ciaire erfuhr. Zwar würde ihr das Geld erst im 20. Lebensjahr ausbezahlt werden, aber zumindest theoretisch war sie schon jetzt eine reiche Frau. Dazu kam dann noch ihr fantastisches Aussehen: lange dunkle Haare, olivfarbener Teint, blendend weiße Zähne und eine Figur zum Neidischwerden. Völlig unverständlich, dass sie es nötig hatte, sich permanent in den Mittelpunkt zu stellen und die anderen wie die Puppen um sich tanzen zu lassen.

»Hier – probier mal den!« Khadija hielt Elda ein Testdöschen mit blauem Lidschatten hin.

Elda wehrte mit den Worten ab, so etwas benütze sie grundsätzlich nicht, was Khadija aber nicht gelten ließ. »Das ist doch nicht dein Ernst! Warum denn nicht?«

»Weil …« Elda suchte verzweifelt nach den richtigen Worten. »Weil ich so etwas nicht mag.« Dass sie es ekelhaft fand, wenn sich der Lidschatten nach und nach in der Lidfalte absetzte, konnte sie nicht auf Französisch sagen.

»Aber dadurch würden deine blauen Augen viel besser zur Geltung kommen«, schaltete sich Ciaire ein.

Elda zuckte nur mit den Schultern. Blauen Lidschatten zu blauen Augen konnte sie erst recht nicht ausstehen.

»Dann kaufst du ihn nicht?«, hakte Ciaire irritiert nach. Als sei es völlig normal, dass man gut fand, was Khadija gut fand, und dann sofort das nötige Kleingeld springen ließ.

Elda schüttelte den Kopf. Sie würde draußen warten, sagte sie und lief mit einem unbehaglichen Gefühl im Bauch Richtung Ausgang. Die Clique kam ein paar Minuten später nach, jedes Mädchen mit einer kleinen bonbonfarbenen Tüte bewaffnet. Kurz bevor sie das Schulgelände betraten, ließen sie ihre frisch erworbenen Schätze dann jedoch verstohlen in den Jackentaschen verschwinden.

In Englisch wurde die Klasse von Mrs Harris unterrichtet. Sie war um die 40, hatte einen Pagenkopf mit kupferroten Strähnen und trug einen eleganten schwarzen Hosenanzug. Mrs Harris kam aus Edinburgh, lebte aber schon seit sieben Jahren mit Mann und Tochter im Pariser Umland.

Von der ersten Sekunde an fühlte sich Elda wohl in ihrem Unterricht. Ob es an Mrs Harris’ herzlicher Art lag oder an Eldas soliden Englischkenntnissen – die Doppelstunde trug erheblich dazu bei, dass die fixe Idee, die ganze Sache doch noch abzublasen, ein wenig aus ihrem Kopf verschwand.

Als es am Ende der Stunde klingelte, beugte sich Khadija zu ihr rüber und meinte anerkennend, sie sei ja eine richtige Granate in Englisch.

Elda lächelte nur – es tat gut, so etwas zu hören. Und als Khadija ihr dann auch noch anbot ihr in den anderen Fächern bei den Hausaufgaben zu helfen, war sie halbwegs versöhnt.

Küsse und Café au Lait

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