Читать книгу Küsse und Café au Lait - Susanne Fülscher - Страница 6

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»Du hast wirklich kein Foto von ihr?« Um zu demonstrieren, dass er für heute genug vom Lernen hatte, klappte Serge das Matheheft und die Bücher zu und angelte sich eins der Schokocroissants, die vor ihm auf einem Teller mit Blümchenmuster lagen.

»Nein«, log Etienne.

»Aber sie hat doch auch ein Foto von euch.«

»Na und?«

Serge verzog sein Gesicht zu einer schiefen Grimasse. »He, du verscheißerst mich. Rück schon damit raus. Wahrscheinlich sieht sie oberscharf aus!«

»Ich hab wirklich kein Foto von ihr – ist es jetzt mal gut?« Es ging Serge überhaupt nichts an, wie Etiennes Gastschwester aussah – und basta.

»Und wie wollt ihr sie dann bitte schön am Flughafen erkennen?« Serge ließ einfach nicht locker.

»Wir schaffen das schon. Keine Sorge.«

»Hat sie wenigstens geschrieben, wie sie aussieht?«

»Ja«, grummelte Etienne.

»Und wie?«, nervte Serge weiter und verwuschelte seine Haare.

»Ganz normal.« Etienne schlug die Hefte jetzt auch zu.

»Was soll das heißen? Normal?«

»Meine Güte! Wie Mädchen mit 16 eben aussehen! Mädchenhaft, zickig, und ich verwette mein letztes Hemd darauf, dass sie ihren Hintern zu dick findet.«

Serge grinste seinen Freund an. »Toll, wie du dich auskennst.« Damit verstaute er die Schulsachen in seiner abgeschabten Ledermappe, die noch von seinem Großvater stammte. Das Schloss schnappte mit klickendem Geräusch zu. »Sag mal … Kann ich vielleicht mit zum Flughafen kommen?«

Etienne schüttelte so vehement den Kopf, dass seine überschulterlangen Haare hin- und herflogen. »Ganz bestimmt nicht.«

»Bitte!«, bettelte Serge.

»Nein! Wir passen auch gar nicht alle in den Renault.«

Das war zwar schon wieder eine Lüge, aber egal. Seit Wochen lag sein Freund ihm mit dieser Austauschschülerin in den Ohren. Eine deutsche Gastschwester. Super! Glück gehabt, Kumpel! Bestimmt ist sie blond und hat Möpse, dass dir sie Spucke wegbleibt!

Serge mit seinen vielen Brüdern – sechs, um genau zu sein – würde es vielleicht reizvoll finden, eine Schwester dazuzubekommen, Etienne jedoch nicht. Er war immer Einzelkind gewesen und wollte es auch bleiben. Außerdem ging ihm Serges pubertäres Gefasel einfach nur auf die Nerven. Weder interessierte ihn Haarfarbe noch Busen seiner Gastschwester. Hauptsache, das Mädchen störte ihn nicht in seinem üblichen Tagesablauf und nervte auch sonst nicht. Die Lernerei fürs Bac forderte ihn schon genug, ganz abgesehen davon war er noch in einer Umweltgruppe aktiv und musste ab und zu im Haushalt mithelfen.

Zugegeben – Elda sah nicht übel aus auf dem Foto, das sie ihnen per Mail hatte zukommen lassen. Dummerweise war sie tatsächlich zierlich und blond und ihre Brüste … na ja, die konnte er nicht so genau erkennen. Nur eins war schon jetzt klar: Serge würde auf Elda abfahren; die blonden, naiven Mädchen waren schon immer sein Fall gewesen. Und worauf Etienne am wenigsten Lust hatte, war ein balzender, hormongesteuerter Freund an seiner Seite.

Möglich, dass diese Elda sogar ganz nett war, das wollte Etienne gar nicht abstreiten, nur war es ihm immer noch schleierhaft, warum ausgerechnet seine Eltern die Idee gehabt hatten, eine Austauschschülerin aufzunehmen. Konnten das nicht die anderen tun? Familien, die richtig Schotter hatten, in großen Altbauwohnungen im Zentrum von Paris lebten und nicht in der schäbigen Banlieue? Etienne hatte es all die Jahre nie besonders ernst genommen, wenn seine Mutter Albertine das Thema angesprochen hatte – einmal im Leben eine Tochter haben, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit –, zumal sie von dieser verrückten Idee auch immer wieder abgerückt war. Mal weil keiner sich hatte aufraffen können, das winzige Gästezimmer, das genau neben Etiennes Zimmer lag und eigentlich mehr eine Rumpelkammer war, zu renovieren, mal weil Albertine sich plötzlich schämte, dass sie wohnten, wie sie nun mal wohnten. Die Trabantensiedlung war eine Sache, dass Stéphane in handwerklichen Dingen schlichtweg unbegabt war und daher alles an Albertine hängen blieb, eine andere. Seine Mutter hatte zwar mehr praktisches Geschick, war dabei jedoch so chaotisch, dass sie erst eine Wand in einem hellen, sonnigen Gelb zu streichen begann, um dann plötzlich festzustellen, dass sie ja doch eher ein Erdtyp war und eigentlich die gedeckten Rot-Töne bevorzugte.

Doch nun war alles fertig. Wohn- und Esszimmer leuchteten in einem Himbeerrot, der Flur war himmelblau gestrichen, das Bad meergrün, Stéphanes Lese- und Musikzimmer sonnengelb, die Küche ebenfalls und das Gästezimmer hatte eine kitschige Blümchentapete bekommen, weil Albertine der Meinung war, dass Mädchen Blümchen lieben würden – und zwar in allen Variationen.

Allein Etiennes Zimmer hatte glücklicherweise so bleiben dürfen, wie es war. Weiß und ziemlich karg. Andernfalls hätte er sich auch mit seinen Eltern angelegt. Niemand durfte sich in die Gestaltung seines kleinen Reiches einmischen. Schließlich hatte er ja auch akzeptieren müssen, dass seine Eltern dieses blonde Geschöpf aus Deutschland aufnehmen wollten. Denn genauso wie er befürchtete, dass Serge auf Elda abfahren würde, hatte er Angst davor, dass sie im Gegenzug auch auf seinen besten Freund fliegen würde. Alle Mädchen waren hinter Serge her; das war eine Art Naturgesetz. Und das, obwohl er mit seiner großen Knollennase nun wirklich keinen Beauty-Contest gewinnen würde.

»Was glotzt du so?« Erst jetzt merkte Etienne, dass Serge ihn schon die ganze Zeit über spöttisch musterte.

»Du wirst deine neue Schwester nicht die ganze Zeit vor mir verstecken können.«

»Was soll das?«, fauchte Etienne.

Mit einer fast zärtlichen Bewegung fegte Serge einen Croissantkrümel von seiner Ledermappe. »Keine Angst, ich schnappe sie dir schon nicht weg.«

»Tu dir keinen Zwang an. Die interessiert mich doch überhaupt nicht.« Damit Serge endlich Ruhe gab, zog Etienne seine Schreibtischschublade auf und wühlte darin herum. Ein paar Greenpeace – Unterlagen landeten auf dem Tisch, ein grobzinkiger Kamm, Kaugummipapier, eine Mundharmonika, wollene Fäustlinge und als Letztes Eldas Foto. Etienne schob es an die äußerste Schreibtischkante. Sollte sich der Hund den Knochen doch selbst holen!

»Hey, du alter Lügner!« Serge sprang auf und beugte sich über das Bild. Ein anerkennender Pfiff ertönte. Und dann noch einer.

Etienne hatte es gewusst. Ein Blick auf so ein läppisches Bild genügte und schon tanzten Serges Hormone Cancan.

Küsse und Café au Lait

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