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Fröhliche Wirklichkeitsferne

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Deshalb kann zwar auf keinen Fall die Liebe, könnte aber sehr gern ihr höllischer Escortservice weg. All die Enttäuschung, Ernüchterung, die kalten Duschen, der Katzenjammer, der Herzschmerz, die blöden, unsensiblen, herzlosen Kerle, die Luftnummern, Typen, die sagen: »Männer haben auch Gefühle. Hunger zum Beispiel und Durst!« – und dann noch »höhöhö«. Leider kann man Männer nicht wie Kühe mit einer Tätowierung versehen, an der man noch vor dem ersten Sex erkennt, ob sie zu denen gehören, die einem mal wieder komplett die Wimperntusche ruinieren (mein Vorschlag wäre: Daumen rauf oder Daumen runter!).

Man könnte aber dem Herz einen kleinen Schutzhelm verpassen. Zum Beispiel: nicht länger da etwas sehen zu wollen, wo nachweislich nichts ist. Nicht mal Spurenelemente von Zuneigung. Das tun wir nämlich dauernd. »Der war ganz sicher interessiert!«, glaubt etwa Martina, 42 und von Beruf Floristin, nachdem sie mal wieder bei einer Ü40-Party war. »Der hat mich den ganzen Abend so angeschaut. Da war so eine intensive Spannung zwischen uns. Ich konnte spüren, wie wir magisch zueinander hingezogen wurden.« Auf den berechtigten Einwand, weshalb er sie dann nicht angesprochen hat, ahnt sie: »Der ist bestimmt schüchtern.« Was ihn ja nur noch sympathischer macht! »Aber warum geht er dann auf eine Singleparty? Wenn er gar nicht vorhat, eine Frau anzusprechen?«, frage ich. »Dass er es NICHT getan hat, zeigt doch nur, dass er vielleicht auch ein bisschen verliebt ist. Kennst du doch auch. Da, wo es um etwas geht, kneifen wir viel eher«, läuft Martina nun zu Fantasie-Hochform auf. Sie sieht die Lovestory schon vor sich: Wie er bereut, zu scheu gewesen zu sein, und es nun kaum erwarten kann, am nächsten Samstag wieder zu der Party zu gehen. Wie er hofft und bangt, ob er sie dort wohl wiedersehen wird. Wie er überlegt, was zu tun wäre, nur für den Fall, dass sie vielleicht wegen eines schweren Unfalls oder einer üblen Krankheit fernbleiben muss (selbstverständlich wäre sie sonst da). Und schon mal durchkalkuliert, wie viel er für sein Auto bekommt, damit er sich ganzseitige Suchanzeigen in den größten deutschen Tageszeitungen leisten kann. Übertrieben? Nein. Eher noch tiefgestapelt.

Erst kürzlich wurde eine ganz ähnliche Geschichte in einer Fernsehreportage des SWR thematisiert: Laura, eine junge Frau, lernt im Urlaub den Italiener Peppe kennen. Sie gibt ihm ihre Telefonnummer. Als sie wieder daheim ist, ruft er an. Sie kann das Gespräch nicht annehmen und auch seine Mailboxnachricht nicht abhören. Selbst der Versuch, ihn zurückzurufen, schlägt fehl: ›Unbekannte Nummer‹ lautet die Ansage. Sieben Jahre später hat sie ihn immer noch nicht vergessen. Obwohl sie zwischendurch mal nach ihm geforscht hatte, kam sie nicht weiter. Deshalb beauftragt sie eine professionelle Personensucherin: Susanne Panter (wiedersehenmachtfreude.de). Die fährt mit ihr und einem Fernsehteam nach einigen sehr aufwendigen Vorrecherchen nach Italien. In den vermutlichen Wohnort von Peppe, von dem man immer noch nicht mehr hat, als den Vornamen und einen Urlaubsschnappschuss, auf dem er lachend Laura umarmt. Das Foto prangt jetzt auf den Hunderten von Flugblättern, die die kleine Reisegruppe mit nach Sizilien nimmt. Ebenso wie Adressen von Presse, Hörfunk und TV und einem Lied. Laura ist Fotografin und Musikerin. Sie hat einen Song über ihre Suche nach Peppe geschrieben: ›Salvation‹, Rettung heißt es. Sie singt ihn live im italienischen Hörfunk, wo sie von ihrer Suche erzählt. Peppe wird tatsächlich gefunden und zwar ganz zufällig, als der ›Suchtrupp‹ in einem Café gegenüber des Senders einmal wieder das Bild herumzeigt. Der Besitzer kennt den jungen Mann, er ruft ihn an. Und nein, es gibt kein ekstatisches Wiedersehen. Peppe kann sich zwar an die Begegnung vor sieben Jahren erinnern. Für ihn war sie aber eher beiläufig. Sie hätten sich doch nur zwei-, dreimal unterhalten. Er hat zwischendurch geheiratet und schon ein Kind. Das Telefonat? Das kann er sich auch nicht erklären. Ihm sei damals im Schwimmbad das Handy gestohlen worden. Vermutlich hatte der Dieb einfach mal alle Telefonnummern durchprobiert.

Die Romantikerin in uns will sich an dieser Stelle natürlich sofort ihr Prinzessinnenkleid überwerfen und mit einem über und über mit Swarovski-Steinen besetzten Megaphon auf den Balkon ihres Barbietraumschlosses treten und all den anderen Prinzessinnen da draußen verkünden: »Lasst euch nichts erzählen. Das hätte ja auch GAAAANZ anders ausgehen können. Und wer weiß, möglicherweise ist es ja ganz anders ausgegangen. Sicher hat Peppe nach der Sendung seine Familie verlassen, weil er erkannte, dass keine andere Frau jemals so viel für ihn tun würde wie Laura! Ich lass mir jedenfalls nicht ausreden, dass ich am Ende doch IMMER den Prinzen bekomme!«

Manchmal denke ich, kein Wunder, wenn Mädchen weniger kiffen als Jungs. Es liegt nicht nur daran, dass man davon (angeblich) sehr viel Appetit bekommt und ganz viele Dickmacher essen muss. Es liegt daran, dass bei Frauen das High, die fröhliche Wirklichkeitsferne, die engagierte Verkennung beinharter Tatsachen ohnehin serienmäßig eingebaut ist. Jedenfalls wenn es um Liebe geht. Frauen brauchen kein Gras und kein Marihuana. Unsere Drogen sind Hoffnungen, Illusionen, Fantasie.

Nicole, 51, sieht deshalb gar keinen Grund, an Svens Liebe zu zweifeln. Sie hatte den Architekten vor ein paar Wochen über Parship kennengelernt. Beim zweiten Treffen gestand er ihr, dass er – wenn auch »bloß auf dem Papier« – noch verheiratet sei. Aber sie liebt ihn halt, und das bedeutet für sie, ihm quasi unbegrenzten emotionalen Kredit zu gewähren. Den kündigt sie selbst dann nicht, als er dauernd kurzfristig Treffen absagt, manchmal tagelang abtaucht und daheim auf keinen Fall angerufen werden darf. Seine Begründung: »Aus Rücksicht auf meine Frau. Sie leidet auch so schon genug unter der Trennung. Es würde sie fertigmachen, wenn sie erfährt, dass es dich gibt und wie glücklich ich mit dir bin!« Letzte Woche traf Nicole eine ehemalige Schulfreundin. Strahlend berichtete Bettina ihr, sie habe da gerade einen tollen Mann kennengelernt. Wie sie nun wieder ausgesöhnt sei mit diesem ganzen Online-Dating, mit dem sie vorher so schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Sven heißt er, und er hat sein eigenes Architekturbüro. Er ist zwar noch verheiratet. Aber nur auf dem Papier. Wir werden bald zusammenziehen. Und nein, Nicole hat Sven nicht aus ihrer WhatsApp-Liste gestrichen. Sie wird um ihn kämpfen, sagt sie. Sie weiß einfach, dass sie füreinander gedacht sind.

Mit unseren Herzen gehen wir so fahrlässig um wie mit einem Koffer, den wir so lange unbeaufsichtigt auf den Bahnsteig stellen, bis sich endlich jemand erbarmt, ihn zu klauen. Damit wir uns nachher darüber beschweren können, dass die Welt immer schlechter wird. Wir sind es ja oft selbst, die den Schlüssel im Auto stecken lassen, das Portemonnaie gut sichtbar für alle Taschendiebe im offenen Einkaufsbeutel mit uns herumtragen – uns ganz allein das Blaue vom Himmel und das Gelbe vom Ei von Männern wie Sven versprechen. Wider alle eindeutigen Indizien. Uneindeutigen Aussagen, vagen Versprechungen, deutlichen Zeichen von Desinteresse und allenfalls lauwarmen Gefühlen.

Würde man nach einer weiteren Enttäuschung knallhart Bilanz ziehen, wären sicher Punkte wie die dabei: »Er hat zwar gesagt, dass er mich liebt, aber erst nachdem ich ihn ungefähr 85-mal danach gefragt hatte.« oder »Immer war alles wichtiger als ich. Er hat sich kaum Zeit für mich genommen. Hatte keine Lust auf lange Ferienreisen, teilte so ziemlich jede Rechnung ganz genau durch zwei.« oder »Er hat mir nie etwas zum Geburtstag geschenkt.« oder »Immer war ich diejenige, die angerufen hat.« Und nein, man muss nicht nur einfach einen unwilligen Kerl ganz doll lieb haben, um ganz doll zurückgeliebt zu werden. So funktioniert das leider nicht.

Klar, ist es fies, dass manche Kerle einfach mitnehmen, was sie bekommen können. Auch dass sie lügen und betrügen, für Sex, für ihre Bequemlichkeit. Aber: Warum nicht, wenn es einem doch so verdammt leicht gemacht wird? Wenn man immer wieder Absolution bekommt? Wir müssen einfach selbst gut auf uns aufpassen und dürfen Schonung nicht ausgerechnet von denen erwarten, die ja gerade von unserer Fahrlässigkeit profitieren.

Deshalb kann auch das XXL-Verständnis weg, das Frauen selbst für Männer vorrätig halten, die ihr Herz gleich neben den Fischstäbchen im Tiefkühlfach aufbewahren. Dieses seltsame und manchmal bis zur Selbstzerstörung so bockbeinige Beharren darauf, dass die Liebe auch die hartnäckigsten Zuneigungsverweigerer weichspülen wird. Und diese enorme Großmut Männern gegenüber, die manchmal schon fast ins Beleidigende schwappt. Denn ehrlich, manche Frauen begegnen erwachsenen Männern mit einer Milde, als wären sie Golden-Retriever-Welpen, denen man alles gern durchgehen lässt, weil sie so supersupersupersüß sind. Selbst wenn sie schon wieder auf den Designerteppich gepinkelt haben. Ein Männerbild, das selbst jenen nicht gefallen kann, denen es letztlich nutzt.

Kann weg!

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