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Blühende Landschaften

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Da ich durch die Jahre Dauerstress doch schon etwas gezeichnet war und mich mit Magen- und Darmproblemen quälte, war mein Ziel klar: Die Firma unter Kontrolle behalten, zwei bis drei Jahre an der Börse spekulieren, dann alle Kredite, die mit dem Wachstum der Firma natürlich auch gestiegen waren, ablösen und schließlich das Leben genießen. Es ging also weiter.

Das kleine neue Haus war inzwischen eine Art Lager für Börsenzeitschriften geworden.

Während andere schliefen, las ich, was ich kriegen konnte, um Entschlüsse über Neuinvestitionen zu fassen. Japanische Banken, wie Niko Security, oder die Devisenbank Singapur, nichts war mir zu schwer. Ende des Jahres hatte ich mehrere hunderttausend Mark gemacht. Außerdem war die alte Werkstatt vermietet und die Firma lief prächtig.

Dann erfuhr ich aber einen Dämpfer, der mich richtig durchgerüttelt hat: Im Oktober – kurz vor meinem Geburtstag – kam ich abends nach Hause. Da standen im Flur Taschen, Koffer und Kartons.

Ich dachte im ersten Moment, meine Frau wollte mit meinem Sohn verreisen. Aber für einen Urlaub war es eindeutig zu viel Gepäck. Dann stand sie plötzlich selbst vor mir und sagte, sie ziehe aus, das Maß des Erträglichen sei überschritten und ich sei beziehungsunfähig. Erst In diesem Moment wurde mir klar, daß sie es ernst meint.

Ich redete auf sie ein: Es dauert doch nicht mehr lange und dann ist alles gut. Wir können dann zusammen in den Urlaub fahren und etwas unternehmen. „Nur noch etwas Geld verdienen und die Kredite ablösen. „

Alles Reden half nichts mehr. Sie hatte sich schon eine Wohnung besorgt und den Umzug geplant.

Nachdem wir zwei Jahre zuvor einen „Benetton“-Laden in der Haupteinkaufsstraße Perlebergs übernommen hatten, habe ich mir eingebildet, daß sie nach mehreren Jahren Hausfrauendasein eine Beschäftigung gefunden habe, mit der sie abgelenkt sei, so daß ich ungestört meiner Arbeit nachgehen könne. Als ich merkte, daß alles Betteln vergebens ist, zuckte es mir wie ein Blitz durch den Kopf: Trennung, Scheidung – die Firma, das Geld!!! Ich brachte es fertig, daß ein Perleberger Rechtsanwalt und eine Notarin den kompletten Folgetag, einem Feiertag, für mich arbeiteten.

Ich hatte ja inzwischen schon einiges angehäuft: Die alte Werkstatt, das neue Wohnhaus, der Riesenwerkstattneubau, zwei große Wohn- und Geschäftshäuser in der Perleberger Einkaufsstraße.

Es waren zwar alles finanzierte Objekte.

Aber durch die bestens laufende Firma, mein üppiges Gehalt und diverse Ausschüttungen waren die Raten mit Leichtigkeit zu bezahlen. So nahm Petra die Möbel, ein Auto, ihren Laden, den Bausparvertrag, Bargeld und einen angemessenen monatlichen Unterhalt für sich und Michael und ging.

1985 hatten wir geheiratet und 1997 war es vorbei. Abends kam ich vom Notar nach Hause, Bekannte meiner Frau hatten inzwischen das ganze Haus ausgeräumt und für mich war nur das Bett geblieben. Ich weiß auch nicht, was dann in mich gefahren ist. Als ich das Bett im oberen Stock des Hauses sah, drehte ich mich um und sprang die Treppenstufen herunter, machte ein 'Victory-Zeichen' und rief: „Hurra! I'am free!“...Endlich kann ich arbeiten, solange und soviel ich will. Keiner redet mir mehr rein. Doch die Freude währte nicht lange. Als ich dann im Bett lag, wurde mir wohl klar, was da überhaupt passiert ist. Ich dachte über meinen Sohn nach, den ich kaum wahrgenommen habe. Über alles, was wir nach der Hochzeit, noch zu DDR-Zeiten, für unser Leben geplant hatten. Und nun ist alles vorbei. Wie ein Häufchen Elend fing ich an, zu heulen, das erste Mal, seit sich mein Vater 1987 mit 47 Jahren das Leben genommen hat. Aber ich vergegenwärtigte mir schnell, daß ich damals meinen Schmerz hauptsächlich mit Arbeit und Verbissenheit bekämpft hatte. Und so sollte es auch diesmal sein. Ich habe jedoch eine Lehre aus dieser privaten Krise gezogen: Sieben Jahre lang jeden Tag fast 24 Stunden Arbeit hatte ich zwar bis dahin überlebt, aber viel länger geht das nicht. Da ich an Veranstaltungen, Geburtstagen oder anderen Feiern in den Jahren zuvor kaum oder gar nicht teilgenommen hatte, sollte sich zumindest diesbezüglich etwas ändern.

So musste ich zumindest erstmal diese Entscheidung treffen: Nicht mehr selbst Abschleppen!

Bei so vielen Mitarbeitern, die teilweise ihre Arbeit nur dadurch hatten, daß ich mir Nächte und Wochenenden an Unfallorten um die Ohren schlug, war es, wenn auch mit etwas Nachdruck, aber ab sofort möglich, mich mit einem Bereitschaftsplan komplett freizustellen.

Es war nach so vielen Jahren ein schönes Gefühl, abends und am Wochenende mal wegfahren zu können, ohne ständig auf das Handy zu starren, um 20 Minuten nach Anruf an der Unfallstelle zu sein. Natürlich hatte mich das Abschleppen und Bergen von mehreren tausend PKW und LKW auch geprägt. Früher konnte ich kein Blut sehen. Durch die Einsätze habe ich hunderte zerquetschte, Verbrannte, tote Kinder gesehen, die mich die ersten Jahre auch nachts verfolgt haben.

Damit stand ich jedoch vor der Frage, was ich mit dieser, meiner neuen 'Freiheit' im Einzelnen anfange. Was lässt sich eigentlich außer Arbeiten und Börse verfolgen noch so tun? Wie so oft, halfen äußere Umstände: Eine Kundin unserer PKW-Werkstatt, um die 60 Jahre alt, Sylke, Ihres Zeichens Puffmutter der Table Dance Bar in Perleberg kam mit Ihrem SLK Mercedes zur Reparatur.

„Weißt Du, daß ich meinen Laden an die Russen vermietet habe?“ fragte Sie. Ich wusste es nicht.

„Schick mal von Deinen Stahlbauschlossern jemanden lang! Denn ich will zur Übergabe an Igor eine neue Edelstahltanzstange haben. Der Laden ist renoviert, jetzt fehlt bloß noch die Tanzstange.“

Die Schlosser stritten sich bald darum, den Auftrag erledigen zu dürfen. Eine Woche später kam dann die Einladung zur Eröffnung nach Übergabe. Zum Anfang war mir etwas mulmig. Aber ich war ja solo. Was konnte mir schon passieren? So parkte ich meinen Mercedes Jeep ganz frech direkt, für jeden gut sichtbar, vor der Table Dance Bar.

An diesem Abend lernte ich die neuen Betreiber kennen, Igor, Dimar, und Wowa. Es war sehr angenehm, die Jungs erwiesen sich als unheimlich nett. An diesem Abend begann eine richtige Freundschaft zwischen uns.

In den kommenden Wochen brachten „Igor“ und seine Freunde all ihre Autos zu uns in die Werkstatt. Daß nicht nur die Nachtbar in Perleberg, sondern auch ähnliche Etablissements in der ganzen Region Igor gehörten, habe ich erst später mitbekommen.

Da ich weiter keine Freunde oder Ablenkung hatte, war ich dankbar, wenn Igor mich abends oder am Wochenende abholte. Wir gingen essen oder grillten auch mal bei zehn Grad minus im Wald.

Damals durfte ich zum ersten Mal die russische Mentalität und Herzlichkeit, die mich bis heute begeistert, erfahren.

Das Ganze hatte natürlich einen schönen Nebeneffekt, den ich seit 1985 nicht mehr genossen habe. Dazu später mehr.

Am 04.04.1985 wurde mein Sohn Michael geboren, am 20.04.1985 habe ich meine Frau Petra geheiratet und am 25.04.1985 wurde ich zur Armee eingezogen.

Ich war in Potsdam und Berlin bei der Militärstreife und als ich entlassen wurde, nahm sich kurze Zeit später mein Vater das Leben. In dieser Zeit machte ich gerade meine Meisterschule und habe nach seinem Tod sofort auf dem Baugrundstück, das er mir vererbte, von Hand ein großes massives Wochenendhaus errichtet. Das dauerte bis zur Wende, so daß ich sagen kann, daß ich nicht nur 12 Jahre auf Urlaub, sondern auch auf sonstigen Spaß verzichtet habe.

Nun gab es aber „Igor“ und ich brauchte nicht mehr „Abschleppen“. Der Nebeneffekt war, ich lernte durch Igor die tollsten Frauen kennen.

Aus der Ukraine, aus Litauen, Weißrussland und Polen. Abends und an den Wochenenden fuhren wir viel herum und statteten dabei auch seinen Nachtklubs Besuche ab.

Alles, was ich bis dahin über „Russen“ und „Rotlichtmilieu“ gehört hatte, stimmt nicht mit den Erfahrung, die ich mit Igor und seinen Fahrensmännern machte, überein. Igor fuhr die Mädchen zum Schwimmen und zum Fitnesstraining. Er ging insgesamt äußerst zuvorkommend mit ihnen um.

Eines Abends war im Nachtclub in Perleberg eine Geburtstagsparty. An diesem Abend hielt der Tabakgenuss –nach 13 Jahren Abwesenheit– wieder Einzug in mein Leben.

Ich hatte im Alter von zwölf Jahren mit russischen Soldaten Zeitschriften gegen Machorka, sowjetischen Tabak, getauscht, um dann bis zu meiner Armeezeit zu rauchen.

Anders als damals die Sowjets fand ich auf der Party die russischen Mädchen so niedlich, wenn sie „Philip Morris“ sagten, und bat eine von ihnen um eine Zigarette. (Ich rauche seitdem bis heute, manchmal soviel, daß man meinen könnte, ich wolle die 13 Jahre ohne Zigarretten nachholen.)

Am gleichen Abend – nach der Zigarette – sprach ich ein Mädchen an, das mir von Anfang an aufgefallen war. Sie hieß Seika und war ein Traum – eine Figur, wie von Händen eines mehr als nur geschmackssicheren Bildhauers, kaum enden wollend lange blonde Haare und ein Gesicht, wie gemalt. Kurzum: Ich war hin und weg.

Igor sagte mir, ich könne Seika ruhig mitnehmen. Zuhause erzählte sie mir, daß sie 23 sei, wo sie wohne, was sie in ihrer Heimat so gemacht habe.

Bis zum Frühjahr 1998 habe ich sehr viel Zeit mit Seika verbracht. Daß dies teilweise meine Arbeitstage einschränkte, störte mich überhaupt nicht. Wenn Seika bei mir zu Hause war, putzte sie, kochte und war einfach nur lieb wie ein Engel.

Morgens um 6, bevor ich zur Arbeit fuhr, brachte ich sie zurück zum Club. Den Nachbarn, die sie sahen, fielen bald die Augen raus...

In der Firma begann das Jahr 1998 weniger erbaulich. Die Firma VARIO, für die wir über mehrere Jahre hinweg jeweils ca. 15 km Geländer gefertigt hatten, ging in Konkurs. Nachdem uns bis dahin unsere Arbeit stets pünktlich vergütet worden war, waren plötzlich 70.000 Mark überfällig. Ich rief bei der Kreditreform in Schwerin und Rostock an. Dort waren wir angeschlossen und konnten Firmeninformationen abrufen. Der Bonitätsindex von VARIO war gut und die Kreditreform sagte, es sei alles in Ordnung.

Später habe ich gehört, daß VARIO schon länger bis zum Zeitpunkt meiner Anfrage keinen Lohn gezahlt hätte und diverse große Lieferantenrechnungen offen wären. Da wir nach der Versicherung durch die Kreditreform einen weiteren Auftrag im Umfang von 30.000 Mark ausgeführt hatten, waren es letztlich 100.000, die sich für uns in Luft auflösten; nach „Bananen-Klaus“ die zweite große Forderung, die ich ausbuchen musste.

Außerdem war es jahrelang ein sicheres Auftragspolster für mehrere Mitarbeiter, das mit VARIO verschwunden war. Aber ich habe schnell reagiert. VARIO war der zweitgrößte deutsche Geländerbauer, die Firma Müssig war noch größer. Ich setzte mich also ins Auto und fuhr zu Müssig nach Berlin.

In mehrstündiger Verhandlung und mit Verweis auf unsere Referenzen, habe ich es geschafft: Wir durften für Müßig fertigen, womit der Verlust von VARIO als Auftraggeber kurzfristig kompensiert werden konnte.

Allerdings währte diese Kompensation nur ein Jahr. Dann ging auch Müssig in Konkurs, und uns weitere 40.000 Mark verloren. Allerdings – learning by burning – hatte ich diesmal vorgesorgt. Nach der VARIO-Pleite habe ich nicht nur die Müssig-Aufträge reingeholt, sondern gleichzeitig von der insolventen VARIO-Bauelemente GmbH einen Bauleiter für die Arbeit in Berlin eingestellt.

Durch seine Kontakte haben wir Komplettaufträge generiert. Er brachte auch gleich Montagekolonnen mit. Nach acht Jahren als Subunternehmer haben wir auf dem Berliner Markt schnell Fuß gefasst.

Klammt AG, Dywidag und Weiss und Freitag waren außer Müssig die Auftraggeber.

Unsere Geländer haben wir auf vielen namhaften Baustellen in Berlin montiert. So waren wir etwa 1999 am Bau von Europas größtem Autohaus, der „Daimler Niederlassung“ in Berlin am Salzufer, mit mehreren tausend Metern von Geländern beteiligt.

Darüber hinaus hatte ich nach der Pleite mit VARIO eine Forderungsausfallversicherung abgeschlossen. Finanziell hat uns der Ausfall von Müssig also nicht bedrängt. Die Firma lief super.

Hätte mir jemand 1991 gesagt, was aus dieser kleinen Gärtnerschlosserei einmal wird, ich hätte ihn für verrückt erklärt.

In Perleberg hatte unsere Firma einen guten Ruf erlangt. Nicht zuletzt haben wir dies durch zahlreiche Spenden an Schulen oder gemeinnützige Institutionen erreicht.

Ich wurde Ehrenmitglied bei der Feuerwehr. Beim THW erhielt ich Medaillen für Hilfe beim Oderhochwasser und beim Elbhochwasser und wurde Mitglied bei der Verkehrswacht. Als der Vorsitzende später verstarb, wählte man mich als Nachfolger.

Unser Abschleppbetrieb war mittlerweile nicht nur für Perleberg, sondern auch für Pritzwalk und somit für die BAB 24 Vertragspartner des Polizeipräsidiums Potsdam. Und das jahrelang ohne Beanstandung. Alle sahen unseren guten Ruf auch dadurch bestägtigt, daß die Bundeswehr und viele andere renommierte Einrichtungen ihre Fahrzeuge zu uns in die Werkstatt brachten.

Es war unglaublich. Ich sah diese Erfolge und Ehrungen als Lohn der jahrelangen harten Arbeit.

Wenn es läuft, dann läuft's!

So wurde in diesem Jahr auch die Deutsche Bahn Kunde unseres Stahlbaubereichs.

Wir fertigten Geländer für Durchlässe und Brücken an, Stahlkonstruktionen als Unterstützung für ICE-Brücken, und bei Brückensanierungen in Berlin und in ganz Nordostdeutschland.

Dann lernte ich Frank Starke kennen. Er war Oberbauleiter bei ABB (Asea Brown Boveri), einem Riesenkonzern. Er arbeitete im Bereich Freileitungen und suchte einen Stahlbauer, der an der Sanierung der 360-Kilovolt-Leitung Lubmin-Neuenhagen mitarbeitet. Hier waren an den vier Fußpunkten der Masten die Fundamente gerissen.

Dies hatte zur Ursache, daß der Beton für die Fundamente aus Ostseekies gefertigt wurde, der anfällig für alkalische Reaktionen ist.

ABB hatte ein neues Patent. Zur Sanierung mussten Halbschalen aus Stahl hergestellt und nach Teilabstemmung der kaputten Fundamente über die alten „Bewehrungseisen“ verbunden, verschweißt und zubetoniert werden.

Ich habe nicht lange überlegt.

Für fast 300.000 Mark kaufte ich zwei Allrad-LKW, diverse neue Schweißgeräte, Anhänger und Notstromagregate und stellte sechs Schweißer ein.

Nach Vereinbarung mit ABB sollten 10.000 Fundamente bearbeitet werden.

Wir bekamen pro Fundament 1.000 Mark.

Somit hatte ich einen Auftrag mit dem Volumen von zehn Millionen Mark besorgt. Ich kam mir vor wie der Vorstandsvorsitzende eines Weltkonzerns.

Zu diesem Zeitpunkt fuhr ich gerade meinen zweiten nagelneuen G-Modell Jeep von Mercedes. Durch die vielen Baustellen in Berlin, zu denen ich zwei- bis dreimal die Woche fuhr, kamen nun noch die Überwachungs- und Abrechnungstermine und Fahrten quer durch Mecklenburg.

Mittlerweile arbeiteten in meiner Firma auch fast 40 Leute. In Berlin hatten wir für die Montage unserer Geländer bis zu sechs Monteure als Subunternehmer beschäftigt.

Geschäft ist Krieg

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