Читать книгу Dederike - Zum Dienen geboren - Swantje van Leeuwen - Страница 5

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Kapitel 2

»Oh, hallo! Sie sind sehr früh dran! Warten Sie bitte einen Moment, ich lasse Sie sofort herein!« Warm und sanft klang die weibliche Stimme durch den Lautsprecher der Gegensprechanlage.

Dederike trat einen Schritt zurück und spähte durch das imposante schmiedeeiserne Doppeltor zum Haus dahinter.

Es war ebenerdig und makellos eingebettet in die Hügel, mit Blick auf die Außenbezirke Amsterdams, und von einer hohen gekalkten Mauer umgeben. Es sah sehr modern und sauber aus, irgendwie kantig und an eine Festung erinnernd, die keinen Hauch von Komfort verriet.

Nach einigen Sekunden begannen sich die beiden Flügel des Tores zur Seite zu öffnen, angetrieben von einem unsichtbaren Mechanismus, der irgendwo in den aufragenden Seitenpfeilern versteckt war.

Dederike atmete noch einmal kräftig durch. Dann schritt sie den langen Weg zur großen, einschüchternden Tür des Hauses hinauf. Dabei presste sie ihre Handtasche fest an sich. Plötzlich verspürte sie eine gewisse Nervosität und Besorgnis. Ich brauche diesen Job so dringend, dachte sie bei sich. Ich darf das einfach nicht vermasseln.

Als sie näherkam, schwang die Tür auf und eine Frau trat heraus, um sie zu begrüßen. Es war eine zierliche Brünette mit Porzellanhaut und zarten Gesichtszügen. Sie trug ein helles Sommerkleid mit einem hübschen Blumendruck, dessen Träger um ihren schlanken Hals gebunden waren. Schulter und Rücken waren frei und ihre blasse, makellose Haut war zu sehen. »Hello!«, grüßte sie freundlich. Ein warmes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Je moet Dederike zijn?[3]«

Dederike holte tief Luft. »Ja, ik ben Dederike de Jong[4]. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.« Sie streckte ihre schmale Hand aus, und als ihr Gegenüber sie nahm, zitterte sie ein wenig. »Wir haben miteinander telefoniert?«, fügte sie direkt hinzu, um ihre spürbare Unsicherheit zu überspielen.

»Ja, haben wir.« Die Frau musterte sie. »Sie haben also Kunstgeschichte studiert?«

Dederike wurde rot und erinnerte sich, dass sie ihr so viele Details wie möglich gegeben hatte, um zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Dabei war sie sich nicht einmal sicher gewesen, ob ihr Studienabschluss für die Tätigkeit einer Haushälterin überhaupt eine Rolle spielte. Aber sie hatte sich gedacht, dass es ja nicht schaden würde, es zu erwähnen. »Ah, ja«, antwortete sie mit einem Grinsen, »meine größte Torheit!«

Die Brünette lächelte sie an und legte ihren Kopf leicht zur Seite. »Ach, Quatsch«, erwiderte sie, »wie können Sie das nur sagen? Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn wir vergessen, was wir gelernt haben!«

»Das Zitat hab' ich schon mal gehört«, nickte Dederike. »Aber so wird es wohl sein. Nur wird das heute von vielen nicht mehr so gesehen. Für die kommt das Wort Bildung von Bildschirm und nicht von Buch, denn dann würde sie ja Buchung heißen.«

»Stimmt. Wir leben zwar alle unter dem gleichen Himmel, haben aber nicht alle den gleichen Horizont«, lachte die Brünette.

Dederike schloss sich ihr an. Die angenehme, zwanglose Art ihres Gegenübers beruhigte sie.

»Wie auch immer. Ich bin Kristiina van der Linden«, stellte sich die Zierliche nun vor. »Es ist sehr schön Sie zu treffen. Möchten Sie nicht hereinkommen?« Noch während sie fragte, trat sie zur Seite und winkte ihre Besucherin ins Haus.

Dederike lächelte sie wieder an. Dann nickte sie und trat durch die Tür an ihr vorbei.

Der Kontrast zwischen dem Äußeren und dem Inneren war schockierend. Von außen sah das Haus kalt und auf gewisse Weise imposant aus, mit seiner unscheinbaren, weißen Fassade, die nichts von seinem wahren Charakter verriet. Aber das Innere stellte das exakte Gegenteil dar. Alles wirkte warm, einladend und verzauberte mit endlosen persönlichen Details.

Als Dederike die breite Eingangshalle betrat, schaute sie sich neugierig um und bestaunte das üppige Holzdekor und die edlen Möbel. Das hier war Welten von ihrem Zimmer im Studentenwohnheim oder dem beengten Einzimmerappartement, dass sie gemietet hatte entfernt. Die beruhigende, anheimelnde Wärme des Hauses nahm sie gefangen und sorgte dafür, dass sie sich auf der Stelle wohl fühlte.

»Kommen Sie! Wir unterhalten uns im Wohnzimmer. Es ist gleich dort«, schlug Kristiina vor und deutete durch einen breiten Rundbogen in einen weiten, offenen Raum dahinter.

»Ja, graag, dank je.[5]« Dederikes Absätze klackerten laut auf dem Eichenboden als sie eintrat.

»Ich hoffe, Sie verzeihen uns. Ich habe gerade eine ›WhatsApp‹ von MC bekommen. Der Verkehr auf der ›Kinkerstraat‹ ist anscheinend mal wieder so schlimm, dass wir noch etwas warten müssen, ehe wir loslegen können.« Kristiina schaute ihre Gästin fragend an. »Vind je dat goed?[6]«

Dederike nickte, schließlich wollte sie sich von ihrer besten Seite und flexibel zeigen. Schweigend verspürte sie plötzlich Kristiinas Hand an ihrem Oberarm, eine intime Geste, die freundlich von ihr gemeint war, für sie aber fehl am Platz wirkte.

»Ausgezeichnet! Bitte nehmen Sie Platz«, forderte Kristiina sie auf. »Ich habe gerade einen Kaffee gekocht. Möchten Sie einen?«

Dederike lächelte. »Einen Kaffee würde ich sehr gern nehmen ... Weiß, keinen Zucker, wenn das in Ordnung ist?«

»Natürlich. Ich bin gleich wieder da.« Kristiina machte auf dem Absatz kehrt und entfernte sich in Richtung des Küchenbereichs.

Dederike schaute sich um. Sie nahm ihre Umgebung in sich auf und bewunderte die Aussicht durch die riesigen, dominierenden Glastüren an der gegenüberliegenden Wand des Raumes, durch die sie über eine Terrasse auf einen makellosen, azurblauen Swimmingpool blickte. Oh, mijn God!, dachte sie bei sich. Ik moet deze baan krijgen.[7]

Als sie sich auf dem bequemen Sofa niederließ und wartete, dachte sie darüber nach, wie sie hierher gekommen war. Sie musste sich eingestehen, dass sie in letzter Zeit vom Pech verfolgt war und keineswegs alles so lief, wie sie sich das ausgemalt hatte. Ihr Studienabschluss mit Schwerpunkt Kunstgeschichte hatte sich als Schlag ins Gesicht erwiesen, als ihr klar geworden war, dass sich nur sehr wenige Menschen für Kunst oder Geschichte interessierten, geschweige denn für Kunstgeschichte. Wenn sie in den USA, in San Francisco oder New York, oder vielleicht in London, leben würde, hätte sie vermutlich mehr Glück gehabt, aber die beruflichen Aussichten mit ihren Qualifikationen waren in Holland und dem näheren Ausland praktisch gleich Null. Es schien niemanden zu interessieren, dass sie Cheerleaderin, Schulsprecherin oder Abschlussbeste ihres Studienjahrgangs an ›Zuyd University of Applied Sciences‹ in Maastricht gewesen war. All die potentiellen Arbeitgeber hatten sich ausschließlich für ihre Erfahrung und ihr daraus resultierendes Wissen interessiert – aber diesbezüglich hatte sie nichts vorzuweisen. Sie hatte sogar versucht, ihr Röckchen zu heben, extra halterlose Strümpfe angezogen, sich in ihren Ausschnitt sehen lassen und ihr hübsches Gesicht genutzt, mit dem sie gesegnet war. Aber selbst das hatte nur dazu geführt, dass eine Reihe Männer mittleren Alters und sogar einige Frauen sie auf despektierliche Weise genauer unter die Lupe nehmen wollten.

Ja, es war sogar schlimmer noch. Denn sie hatte schnell feststellen müssen, dass sie auch für weniger anspruchsvolle Arbeiten nicht in Frage kam, weil überqualifiziert, und sich Burgerrestaurants und andere Esslokale ebenso regelmäßig von ihr abwandten.

Sie wollte bereits aufgeben und ihre Eltern anrufen, in der erniedrigenden Aussicht, sie um Hilfe zu bitten und zu akzeptieren, was sie ihr schon viel zu oft gesagt hatten: Es gibt Studienabschlüsse, die können ein wahrer Mühlstein sein und sind nicht gerade von Vorteil. Mit schwerem Herzen hatte sie daraufhin einen letzten Blick in die Kleinanzeigen der kostenlosen Wochenzeitung geworfen, in der Hoffnung, doch noch etwas halbwegs Passendes für sich zu finden. Und dabei war ihr eine Anzeige ins Auge gefallen, die es geschafft hatte ihr Interesse zu wecken:

Gut situiertes Ehepaar sucht ab sofort ein

Hausmädchen

Nichtraucherhaushalt. Überdurchschnittliche Bezahlung garantiert. Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und 100% Diskretion wird vorausgesetzt.

+31 20 - 682 269 23

Sie war sich nicht sicher gewesen, was es mit dem knappen, bescheidenen Text auf sich hatte. Einzig und allein der zierliche Rahmen hatte die Anzeige zwischen all den farbenfrohen ›Homework‹-Betrügereien und Fast-food-Stellenanzeigen ein wenig herausgehoben. Und genau deshalb hatte sie ihren Blick auf den Text gelenkt. So altmodisch er auch rüberkam: Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, hatte sie die Nummer gewählt und ihre Weichen gestellt.

Und jetzt saß sie in dem opulentesten Haus, in dem sie je gesessen hatte, fühlte sich merkwürdig ›underdressed‹ und deplatziert neben der bezaubernden und anmutigen Kristiina van der Linden. Sie fragte sich, wie wohl deren Ehemann war, dieser mysteriöse MC. Sie sah sich aufmerksam im Raum um und hoffte, eine Fotografie zu finden, aber das Paar schien abstrakte Kunst und eklektische Stilelemente Bildern von sich selbst vorzuziehen. Wie auch immer MC van der Linden war, er musste beruflich äußerst erfolgreich sein, denn solch ein Haus in bester Lage, schätzte sie leicht und locker auf zwei Millionen Euro ein.

*

Das metallische Klappern der Pfennigabsätze auf dem Holzboden kündigte Kristiina van der Lindens Rückkehr an.

Mit einem Lächeln drehte sich Dederike zu ihr um. Jetzt war sie völlig entspannt und begann sich im Haus und in Gegenwart der Eigentümerin wohl zu fühlen.

Kristiina näherte sich dem Sofa und stellte ein reich verziertes silbernes Tablett mit drei feinen Porzellantassen auf den dazugehörigen Tisch.

Dederike kam nicht umhin, zu beobachten, wie sich das lockere Sommerkleid fest über den Hintern ihrer Gastgeberin zog, derweil diese sich bückte, und auch die feine Naht, die rückwärtig an ihren Beinen hinauflief, entging ihr nicht – im Zusammenhang mit den sich abzeichnenden Strumpfhaltern ein klarer Hinweis darauf, dass es sich um hauchzarte, sommerliche, hautfarbene Nylonstrümpfe handelte. Da zeichnet sich ja nicht einmal ein Höschen ab, du Luder!, ging es ihr durch den Kopf, und sie fühlte sich deshalb sofort schuldig. Solche verwerflichen Gedanken entstammten noch ihrer Zeit als Cheerleaderin, doch hatte dieses Relikt jetzt keinen Platz mehr in ihrem Leben.

»Ich bin sicher, dass MC in ein paar Minuten hier sein wird. Normalerweise ist der Verkehr nicht so schlimm«, bemerkte sie entschuldigend und setzte sich ihr gegenüber.

Während Dederike zu ihr hinübersah, richtete sich ihre zierliche brünette Gastgeberin auf, hielt ihren Hals und ihre Wirbelsäule perfekt gerade und legte ihre Hände flach auf ihren Schoß. Es war etwas Besonderes an ihrer Haltung, das sie nicht einzuordnen wusste: etwas Starres und Anständiges. Sie musterte Kristiina im Versuch die junge Frau richtig einzuschätzen, die vielleicht gerade einmal ein paar Jahre älter als sie selbst war. Sie wirkte als sei sie aus Porzellan, irgendwie puppenartig, mit einer süßen Stupsnase und großen, braunen Augen. Ihr Make-Up war auf ein Minimum reduziert und sie schien es bei ihrem frischen, jugendlichen Teint auch nicht wirklich zu brauchen.

Während sie Kristiina studierte, schien diese mit ihr dasselbe zu tun. Sie saß schweigend da und sah Dederike an. Es wirkte als sei sie halb in Trance, derweil sie ihre Augen, dunkel wie ein romantischer Teich in dem man nur zu gern baden geht, musternd über den Körper ihrer Gästin gleiten ließ.

Reflexartig fühlte Dederike, wie sie Kristiinas Pose spiegelte, ihren Rücken aufrichtete und ihren Kopf anhob. Ein Kratzen in ihrem Hals, ließ sie die Stille zwischen ihnen ungewollt durch ein leichtes Räuspern unterbrechen. Sie griff nach vorn, um sich ihre Tasse Kaffee zu holen. »Ist die Frage erlaubt, was Sie beruflich machen, Vrouw van der Linden?«, fragte sie, um zumindest irgendeine Frage zu stellen und ein Gespräch in Gang zu setzen.

Kristiina lächelte.

Dederike wurde jetzt zum ersten Mal klar, dass es wie eine bemalte Fassade wirkte, eine autonome Reaktion, die androidenartig und oberflächlich wirkte. Unwillkürlich fragte sie sich, was diese Frau unter diesem hübschen, jugendlichen Gesicht wirklich dachte.

»Oh, ich denke, man könnte mich gut und gern eine Hausfrau nennen. Ich kümmere mich um MC«, erwiderte Kristiina. Sie ließ den Satz so im Raum schweben, als ob es dem noch etwas hinzuzufügen gäbe, aber sie von etwas zurückgehalten wurde, es auszusprechen.

Dederike war es nicht entgangen. Sie begann darüber nachzudenken, welche Geheimnisse es in diesem Haus wohl gab. Ihr bisheriges Gefühl der Sicherheit und des Trostes war leicht erschüttert. Welchen Einfluss hat ihr Ehemann auf sie? Was ist die Wahrheit in dieser Beziehung?, fragte sie sich.

Noch während sie darüber nachdachte, vernahm sie die aufschwingende Haustür, worauf auch Kristiina sich in Richtung Flur drehte.

*

»Ah, MC ist gekommen!«, erklärte Kristiina. In ihrer Stimme lag die unverkennbare Note ihrer Aufregung. Sie sprang auf und schritt auf ihren High Heels schnell durch den Raum, wobei sie winzige Schritte machte, die unreif und kindlich wirkten – weit entfernt von dem selbstbewussten Gang, den sie zuvor gezeigt hatte.

Dederike erhob sich, richtete ihr Kleid, strich eine vorwitzige Haarsträhne hinters Ohr und wartete auf das Erscheinen von Kristiinas Ehemann.

Nach wenigen Sekunden kehrte Kristiina van der Linden in den Salon zurück.

Dederike schnappte nach Luft, als sie sah, wer ihr folgte. Nur zwei Schritte hinter der attraktiven Brünetten erschien eine andere Frau – eine große, schlanke Blondine mit kurzen, fast schneeweißen Haaren und einem auffallend schönen Gesicht. Ihr Verstand raste, und sie schalt sich innerlich wegen ihrer Vorurteile, schockiert darüber, dass Kristiina van der Linden mit einer anderen Frau verheiratet war. Und sie verfluchte sich, weil sie deshalb so verwirrt wirkte.

Die Blonde trat an ihrer Frau vorbei und auf Dederike zu. Sie grinste leicht, als sie deren Unbehagen spürte.

Sie war eine beeindruckende Gestalt, die Dederike in ihren High Heels um mindestens fünfzehn Zentimeter überragte. Sie trug einen grauen Hosenanzug, der maßgeschneidert und teuer wirkte. Er passte perfekt zu ihr und betonte ihre Hüften und Brüste. Ihre bestimmt zwölf Zentimeter hohen Pumps hatten Pfennigabsätze, und die zahlreichen schmalen Riemchen umschlossen auf aparte Weise die schlanken Fesseln ihrer bestrumpften Füße. Ihr Schritt war kraftvoll, sehr bestimmend – ohne jedes Stocken oder Schwanken.

»Hello! Ik ben Marieke Colien van der Linden. Maar MC is ook genoeg[8]«, stellte sie sich vor und bot Dederike selbstbewusst die Hand. Ihre Stimme war tief und rau, mit einer immateriellen Sinnlichkeit, die schwer zu ignorieren war. »Sie müssen Dederike sein, mit einem Master in Kunstgeschichte«, fügte sie mit einem ironischen Lächeln hinzu.

Dederike fühlte, wie eine warme Röte ihren Nacken hinaufkroch und sich über ihr Gesicht ausbreitete. Als sie Mariekes festen Händedruck nahm, sah sie zu Kristiina hinüber, die hinter ihrer statuenhaften Frau stand und diese mit einem Ausdruck anstarrte, der anbetend wirkte. »Jjjaaa ..., ik ben Dederike. Ik ben heel blij je te ontmoeten[9]«, schaffte sie es zu antworten.

»Ausgezeichnet. Dann sollten wir über den Job reden.« Marieke kam direkt auf den Punkt und deutete auf das Sofa, von dem Dederike sich gerade erst erhoben hatte.

Dederike beschlich das seltsame Gefühl, als habe sie es ihr gerade nicht erlaubt, sich zu setzen, sondern es befohlen – sodass sie gezwungen war ihr zu gehorchen. Fast ohne nachzudenken, setzte sie sich zurück auf die Couch und richtete sich auf, wobei sie die Haltung nachahmte, in der sich Kristina zuvor niedergelassen hatte.

Auf dem Absatz drehte sich Marieke um, trat zu dem anderen Sofa und ließ sich dort anmutig nieder. Dann wandte sie sich nach links und klopfte auf ein Kissen neben sich.

Sofort wechselte Kristiina ihren Platz und setzte sich zu ihr.

Zum ersten Mal sah Dederike die beiden Frauen zusammen und bemerkte die Unterschiede zwischen ihnen. Sie schienen perfekte Gegensätze zu sein: groß und zierlich; befehlend und gewinnend; blond und brünett. Aber trotz all ihrer Unterschiede passten sie perfekt zusammen, wobei jede die perfekte Ergänzung zur jeweils anderen darstellte.

Dederike fühlte wie ihr Herz raste. Plötzlich machte sie die seltsame Paarung vor ihr sehr nervös. Es war nicht so, dass sie etwas gegen lesbische Beziehungen als solche hatte, nur hatte sie bislang nichts damit zu tun gehabt. Das Konzept war ein anderes, nicht ihres. Sie war ein kleines Mädchen aus Zwolle und dort mit traditionell christlichen Werten aufgewachsen – und dementsprechend hätte sie jedem, der sie danach gefragt hätte gesagt, dass für sie eine Ehe nur zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen werden sollte. Aber sie war auch eine Universitätsabsolventin und hatte es geschafft, sich einigermaßen von ihrer Erziehung zu befreien. Sie war nach Amsterdam gezogen, um bessere Arbeitschancen zu haben, ihren Horizont zu erweitern, neue Leute kennenzulernen und etwas über verschiedene – andere – Lebensweisen zu lernen. Sie war keine Fanatikerin und hatte sich schon wiederholt die alljährlich Anfang August stattfindende ›Gay Pride‹ angesehen, und verzaubert mit tausend anderen die ›Canal Parade‹ bestaunt, bei der Heteros, Schwule, Lesben und Transgender die Gleichheit feiern. Sie hatte sogar Fotos gemacht, so sehr hatte ihr die Parade der geschmückten Boote auf ›Prinsengracht‹ und auf einem der Teil der ›Amstel‹ gefallen und das Zeichen, dass ihr Heimatland in Bezug auf Toleranz gegenüber Schwulen, Lesben und Transgendern damit in die Welt sandte. Und sie hatte sich sogar einmal dabei erwischt, dass sie gern inmitten all dieser exotisch, bizarr und sehr erotisch gekleideten, fröhlichen Menschen mitgemacht hätte. Aber schlussendlich war sie feige gewesen – und ganz sicher naiv.

Während sie auf den Beginn des Vorstellungsgesprächs wartete, rang sie mit Misshagen und Neugierde, und sie versuchte, die beiden Frauen vor sich mit dem Konzept einer langfristigen Beziehung in Einklang zu bringen.

Marieke van der Linden schien ihr Unbehagen zu spüren und schenkte ihr ein Lächeln, das zugleich warm und boshaft war. »Wieviel hat Ihnen meine Frau schon über die Tätigkeit erzählt?«, fragte sie schließlich.

Dederike entspannte sich leicht. Sie war froh darüber, dass Marieke die unangenehme Stille gebrochen hatte. »Bislang nichts«, erwiderte sie ehrlich.

In Mariekes Augen flackerte es, als sie Kristiina anschaute.

Dederike hätten schwören können, dass sie darin einen Anflug von Frustration bemerkte – auch wenn er nur kurz und flüchtig war. »Ich denke, ich werde als Haushälterin arbeiten?«

»Ja, dat klopt«, bestätigte sie, lehnte sich zurück und verschränkte die Beine vor sich. »Ik ben bang dat het geen heksen workshop is.[10] Vielleicht langweilen Sie sich bei all dem Waschen und Reinigen.«

»Bestimmt nicht. Ich mag es, für andere zu sorgen«, entgegnete sie mit soviel Aufrichtigkeit wie sie konnte.

»Und würde es Sie glücklich machen, hier zu leben?«, fügte sie hinzu. Sie schenkte ihrer Frau ein liebevolles Lächeln. »Wir möchten nämlich, dass unsere Haushälterin bei uns wohnt, damit sie ... immer greifbar ist«, fügte sie mit einem kaum merklichen Grinsen hinzu.

»Ich ...«, stammelte Dederike, die nicht sicher war, was sie von der kleinen Pause halten sollte. »Das wäre sogar gut. So könnte ich die Miete sparen und für die Rückzahlung meines Studienkredits verwenden.«

Marieke starrte sie mit eisblauen Augen an und versuchte Dederikes Gesichtsausdruck zu lesen, um deren Gedanken einzuschätzen.

Dederike wand sich ungewollt unter ihrem Blick und fühlte sich plötzlich sehr offen und ungeschützt.

»Sehr gut«, stellte Marieke nach einer gefühlten Ewigkeit fest. »Dann glaube ich nicht, dass es noch sehr viel zu sagen gäbe.«

Augenblicklich hatte Dederike das Gefühl, etwas Falsches gesagt und ihre Chance nicht genutzt zu haben.

»Wann können Sie anfangen?«, fügte Marieke mit einigen Sekunden Abstand hinzu.

Dederike keuchte überrascht. »Nnnu ... Ik bedoel, altijd![11]«, stotterte sie, fassungslos darüber, dass sie den Job einfach so bekommen hatte.

»Ausgezeichnet«, rief Marieke und strahlte übers ganze Gesicht. Dann stand sie abrupt auf und streckte ihre Hand aus, um die ihre zu schütteln.

Dederike stand auf, legte ihre Hand in die ihre. Ihr Gegenüber hielt sie fest, als sie ihr die Hand schüttelte und sie war schockiert über die Stärke des Griffs und die begleitende Intensität des Blicks.

Noch immer hielt Marieke ihr die Hand, obgleich sie sich jetzt ihrer Frau zuwandte. »Kristiina, würdest du so lieb sein und Dederike ein Taxi rufen? Sie wird jetzt nach Hause fahren, um ihre Sachen zu holen, damit sie sofort loslegen kann.«

Kristiina van der Linden nickte lebhaft, stand dann schnell auf und eilte dorthin, wo sich das Festnetztelefon befand.

Dederike fiel auf, wie schnell sie reagierte – ohne ein einziges Wort der Beschwerde oder Frage. Aber es war eine müßige Beobachtung, die für sie erst viel später relevant werden würde.

»Kommen Sie mit, Dederike. Ich zeige Ihnen ihr Zimmer, während wir auf den Wagen warten«, sagte sie mit einem herzlichen Lächeln und drehte sich herum, um in Richtung Flur zu gehen. »Sagen Sie mir: Haben Sie spezielle Ernährungsbedürfnisse? Allergien? Etwas das ich als Arbeitgeber beachten sollte?«

Dederike schüttelte den Kopf. »Nein, nichts dergleichen«, fügte sie hinzu, derweil sie ihr nacheilte.

*

Als sie den Flur erreichten, schritt Marieke auf eine teilweise geschlossene Tür zu, zog sie ins Schloss und griff nach dem kleinen Messingschlüssel, der sie verriegelte. Dann nahm sie den Schlüssel an sich und steckte ihn bedächtig in ihre Jackentasche, ehe sie sich Dederike zuwandte. Ihr Gesicht verriet keine andere Emotion als eine ausgeglichene Zufriedenheit. »Unser Keller«, bemerkte sie beiläufig. »Um ehrlich zu sein, ein ziemliches Durcheinander und die Lichter sind auch defekt. Es wäre nicht gut, wenn Sie da unten im Stockdunklen herumstolpern.«

Dederike nickte. Ihr rasender Verstand galoppierte mit zweihundert Kilometer pro Stunde dahin. Sie konnte kaum glauben, wie schnell das passierte. Sie hatte sich nie überlegt, ob sie die Kellertür abschließen musste, und fragte sich, ob eine einfache Warnung nicht ausreichend gewesen wäre.

»Okay, dann lassen Sie uns in Ihr Zimmer gehen. Danach können sie nach Hause eilen und eine Tasche packen. Wie hörst sich das an?«, fragte sie, doch so, als würde es sie nicht im Geringsten interessieren, wie Dederike das fand.

»Het is ... in orde, ja, in orde[12]«, bestätigte Dederike und versuchte gefasst zu klingen, denn sie fühlte sich innerlich verwirrt und völlig überwältigt.

Marieke ging weiter und marschierte den Flur hinunter, tiefer in das große Haus hinein.

Dederike folgte ihr und bemühte sich, mit ihren winzigen Schritten, mit den selbstbewussten Mariekes Schritt zu halten.

Als sie einen kleinen Raum im hinteren Teil des Hauses erreichten, führte Marieke sie hinein.

Dederike schritt an ihr vorbei in ein spärlich eingerichtetes Schlafzimmer – hell und luftig, mit einem Einzelbett in einer Ecke. Auf dem adrett aufgezogenen Betttuch lag ein einfaches schwarzes Kleid mit weißem Kragen und Bündchen, ein ebenfalls weißes Häubchen, mit passenden Handschuhen und einer Schürze. Daneben lagen mehrere hauchzarte schwarze Strumpfhosen. Vor dem Bett standen ein paar flache schwarze Ballerinas, die praktisch und mit ihren Fesselriemchen durchaus niedlich anzuschauen waren.

»Ich hoffe, das Zimmer gefällt Ihnen. Sie können es gern mit Ihrem Hab und Gut aufhübschen«, bot Marieke ihr an. Dann deutete sie auf die Hausmädchenuniform. »Bitte tragen Sie das, wenn Sie arbeiten.« Sie zeigte auf den Schrank. »Dort befinden sich zwei weitere als Ersatz.«

Dederike nickte und versuchte alles in sich aufzunehmen. Sie fragte sich, wo die komfortablen Träume ihrer Studienzeit geblieben waren. Diese untergeordnete Rolle einer Dienstbotin war fern der Welt auf die sie gehofft hatte – Lichtjahre entfernt von einer Karriere in einem muffigen alten Museumstrakt.

»Bitte seien sie pünktlich um sechs Uhr auf. Ich erwarte mein Frühstück um halb sieben. Kristiina ist ein bisschen später dran. Sie ist von mir angewiesen, dass sie nicht später als halb acht aufzustehen hat«, erklärte Marieke.

Sie ist von mir angewiesen, dass sie nicht später als halb acht aufzustehen hat?, ging es Dederike, der erst jetzt richtig klar wurde, dass Marieke der dominierende Teil in dieser Beziehung war.

Marieke lächelte sie ein letztes Mal an und strahlte ein Gefühl der Gelassenheit und Kontrolle aus, das gleichermaßen einschüchtern und beunruhigend war. »Ausgezeichnet. Dann lasse ich Sie mal in Ruhe. Das Taxi wird in kürze hier sein.« Damit machte sie auf ihrem hohen Absätzen kehrt und schritt in einem Wirbel von wohlduftenden Parfüm und laserähnlicher Effizienz durch die Tür hinaus.

Dederike atmete tief aus und ließ sich auf das Bett fallen. Was ist da gerade nur passiert?, fragte sie sich. Sie starrte an die Decke und versuchte, die Eindrücke der letzten fünf Minuten zu verarbeiten. Ich habe einen Job, brauche mir keine Sorgen mehr wegen der Finanzen machen oder muss meine Eltern um Hilfe bitten! Es ist ein bescheidener Job, aber was soll's? Was ist schon dagegen einzuwenden, wenn ich Dienstmädchen werde? Viele Leute würden alles darum geben, einen Job wie diesen zu bekommen! Und ich habe ihn! Doch bei aller Freude blieb im Hinterkopf eine anhaltende Unsicherheit. Ein unerschütterliches Erbe ihrer rustikalen Erziehung. Werde ich mich wirklich wohl fühlen, wenn ich mit einem lesbischen Paar in einem Haus lebe? Sie schüttelte den Kopf und schalt sich für diese Frage. Um Himmels willen! Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert! Die beiden sind offensichtlich sehr verliebt und trotz ihrer unkonventionellen Wünsche und Bedürfnisse sehr glücklich. Wer bin ich, um sie zu beurteilen?! Es ist doch nicht so, als müsste ich selbst mit ihnen ins Bett gehen und Sex mit den beiden haben, oder?

***

Dederike - Zum Dienen geboren

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